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Mit Zalman und Lea fängt sie an - die Geschichte einer bemerkenswerten, zerstrittenen und doch seltsam einigen jüdischen Familie, die sich zwischen Polen und Belgien und zwischen den Eckpunkten unseres Jahrhunderts abspielt. Diese Rabinovitchs schlagen und vertragen sich wie jede Familie, beäugen einander misstrauisch, gehen sich aus dem Weg - und halten doch wie Pech und Schwefel zusammen. Sie versammeln sich zu Hochzeiten und um Sterbebetten. Sie reden viel miteinander - und verschweigen sich doch Entscheidendes. Wie in jeder Familie gibt es eben äußerst unterschiedliche Versionen der…mehr

Produktbeschreibung
Mit Zalman und Lea fängt sie an - die Geschichte einer bemerkenswerten, zerstrittenen und doch seltsam einigen jüdischen Familie, die sich zwischen Polen und Belgien und zwischen den Eckpunkten unseres Jahrhunderts abspielt. Diese Rabinovitchs schlagen und vertragen sich wie jede Familie, beäugen einander misstrauisch, gehen sich aus dem Weg - und halten doch wie Pech und Schwefel zusammen. Sie versammeln sich zu Hochzeiten und um Sterbebetten. Sie reden viel miteinander - und verschweigen sich doch Entscheidendes. Wie in jeder Familie gibt es eben äußerst unterschiedliche Versionen der Wahrheit - und unterschiedliche Perspektiven auf die Wirklichkeit. Ob Zalman, der Stammvater, ein Held war, der seine Familie unter Einsatz des eigenen Lebens vor einem Pogrom bewahrte, oder einfach nur ein religiöser Schwachkopf, bleibt dahingestellt. Und wer der Erzeuger des jüngsten Sohnes Arie Rabinovitch war - Zalman, sein Bruder oder ein junger Pole -, wird sich wohl nie klären lassen, g enausowenig wie Aries Tun und Treiben während des Krieges. Und soll man Sarah, die schöne Tochter, eher für ein berechnendes Luder halten oder für eine große Leidende? Martine, die unglückliche Enkelin, für eine Verrückte oder für eine Heilige? Ernest, ihren Großcousin, für einen bemitleidenswerten Ausgegrenzten oder für einen selbstbewussten Künstler? Eines ist jedoch allen 13 Porträts, die dieses einzigartige Familienalbum bilden, gemein: Nie zeigt eine Person sich ganz. Stets bleibt ein Rest von Dunkelheit - ein glitzerndes und respektgebietendes Geheimnis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.07.2000

Die Lücken werden mit Lügen gestopft
Philippe Blasband öffnet „Zalmans Album”
Der alte Élie liegt im Sterben. Noch einmal versammeln sich alle an seinem Bett, die Lebenden wie die schon lange Toten – der Vater, die Mutter, die Ehefrau, eine waghalsige Widerstandskämpferin, und die Schwester Rifka, die dem Jugendlichen ohne Scheu ihren nackten Körper gezeigt hatte. Als Stimmen aus einer Vergangenheit, die tiefe Spuren in Élies Leben gepflügt hat, kehren sie noch einmal zurück. Élie war so etwas wie das Familienoberhaupt, und es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass bei den Lebenden nun alles auseinander bricht.
Doch zunächst geht es zurück zu den Anfängen, mittels eines Familienalbums, dessen Fotos schon einiges über die 13 vorgestellten Personen verraten, bevor diese selbst zu Wort kommen. Zurück zum Schtetl in Polen, zum Vater Zalman, einem Rabbiner, der verrückt wurde und seine Familie verließ, zu Léa, die nur in der Kindheit mit ihrem Namen gerufen wurde und nun die Familie allein durchbringen muss. Zurück zum Exil in Belgien, wohin Léa mit den Kindern während der Pogrome flüchtete, mit dem kleinen Arié, einem Nachkömmling, der nicht weiß, wer sein Vater ist.
Der in Brüssel lebende Autor Philippe Blasband lässt in seinem Roman, dem ersten der nun auf deutsch vorliegt, jeden Einzelnen in der ihm eigenen Sprache seine Version erzählen, und ganz nebenbei erfährt man viel über die anderen, wobei man nie sicher sein kann, ob das Bild, das sich da jemand macht, auch der Realität entspricht. So ist dieser Roman auch eine Reflexion über Wahrheit und Wahrnehmung, die immer etwas mit der eigenen Geschichte zu tun hat, „. . . kurz, eine Legende, eine absurde, bruchstückhafte Familienchronik. Die Lücken werden mit Lügen gestopft. Die Lügen konkurrieren mit der Wahrheit. Die verschiedenen Versionen widersprechen einander, fließen ineinander über. ”
Einige Geheimnisse werden wohl nie geklärt werden. Zum Beispiel: Was hat Arié eigentlich während des Krieges gemacht? War er im Widerstand, wie er nicht müde wird zu erzählen, oder hat er kollaboriert? Zumindest ist sein Leben seither zerstört, und zwar nicht nur aus der Sicht seiner Schwester Sarah: „. . . da erkannte ich, dass es ihm an Liebe fehlte . . ., dass er seit dem Krieg zwar anwesend war, redete, aß, umherging wie alle anderen, aber in Wirklichkeit nicht mehr lebte, längst gestorben war in den Vierzigern, gestorben, tot und verloren, und seitdem lebte nur noch seine Hülle, sozusagen auf Autopilot geschaltet. . .” Überhaupt scheint niemand aus dieser Familie wirklich glücklich zu sein. Von den Ehefrauen und -männern verlassen, von den Lebensentwürfen ihrer Kinder enttäuscht, laufen sie mit dem Quentchen Hoffnung durchs Leben, das einen aufrecht hält, dieser Gedanke, es könnte doch noch etwas kommen, mit dem man irgendwann belohnt wird für all das, was man ohne Schuld erleiden musste.
Zalmans Album erzählt die Geschichte einer jüdischen Familie und was ihr im 20. Jahrhundert passieren konnte: Antisemitismus, Pogrome, Auswanderung und Scheitern in Palästina, Internierung und Tod in den Gaskammern. Es erzählt von den Beschädigungen, die verdeckt werden und doch immer wieder zum Vorschein kommen, vom Schweigen, das nichts nutzt, weil das Verdrängte zur Wiederkehr verdammt ist. Eine nur scheinbar normale Familie also, denn hier ist alles anders, weil die Vergangenheit nicht loslassen will und weil Jüdischsein in diesem Jahrhundert etwas anderes bedeutete als in allen Jahrhunderten zuvor. Philippe Blasband lässt seinen Reigen mit einer Hoffnung ausklingen, die symbolischer nicht sein könnte: Ein Kind wird geboren, und zwar ein ganz besonderes.
ELKE SCHUBERT
PHILIPPE BLASBAND: Zalmans Album. Aus dem Französischen von Irmengard Gabler. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2000. 248 Seiten. 36 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.12.2000

Von nun an gibt es gar nichts mehr
Verfall einer Familie: Philippe Blasbands Roman "Zalmans Album"

"In meiner Jugend", erinnert sich Nathan Rabinovitch, "wurde mir nach und nach folgender Mythos übermittelt: Mein Großvater verliert den Verstand, prügelt sich mit den Polen und löst ein Pogrom aus; Tante Rifka, die Kommunistin, stirbt Hungers in Auschwitz; Tante Sarah ist zu schön, um den Männern zu gefallen; Onkel Arié ein Held ohne Furcht und Tadel; seine Tochter Marine schizophren; Yossi, der Junge aus dem Kibbuz - sehr gestört! muß geschont werden! - kurz, eine Legende, eine absurde, bruchstückhafte Familienchronik."Bis vor kurzem hätte daraus die Geschichte eines jüdischen Triumphs werden können. Diese Chronik aber ist der Bericht eines unheroischen Verfalls.

Der Verfall ist die faktische Konsequenz einer ontologischen Entdeckung. Zalman Rabinovitch, ein frommer polnischer Chassid und Begründer des Geschlechts, wird an einem Dezemberabend von einem Gedanken heimgesucht: "Der Allmächtige ist nichts. Er existiert nicht." Zalman verläßt seine Familie und wird zum Säufer. Daß es vier Generationen dauert, bis die Rabinovitchs als jüdische Familie verschwinden, hat damit zu tun, daß hier nicht in buddenbrookscher Manier kraftlos in der Gasse gestorben, sondern mit Intensität bis zum Wahnsinn gelebt wird.

Zerstörung und Leben haben ihren Ursprung gleichermaßen in Zalman. In einer Kneipe erfährt er von einem bevorstehenden Pogrom. Er warnt seine einstige Familie und stellt sich den polnischen Bauern entgegen, die ihn zu Tode prügeln. Léa und ihre Kinder Elie, Rébecca und Sarah entkommen in den Wald. Ihre Flucht endet im April 1923 in Brüssel, denn dort bringt Léa ihren letzten Sohn, Arié, zur Welt, über dessen Vater im Roman spekuliert wird. Nach Léas Tod 1939 versucht der älteste Sohn Elie, die Familie zusammenzuhalten. Doch dann marschieren die Deutschen in Belgien ein, und Elie flieht mit Arié nach Südfrankreich; die Schwestern gehen getrennte Wege - Rebecca in den kommunistischen Untergrund, Sarah nach Palästina. Elie und Arié schlagen sich als Landarbeiter durch, ständig in Furcht, als Juden entlarvt zu werden. Eines Morgens ist Arié verschwunden.

Nach dem Krieg kehrt Elie arm, aber unversehrt nach Brüssel zurück. Er heiratet und versucht, seine Geschwister erneut um sich zu versammeln. Er erfährt, daß Rébecca in Auschwitz ermordet wurde. Im Jahr 1951 kehrt Arié seelisch völlig verändert aus dem Krieg heim. Drei Jahre nach Arié kommt auch Sarah aus Israel zurück und bringt Yossi mit, den Sohn eines Kibbuznik. In den fünfziger Jahren sind die Kinder Léas scheinbar gut angepaßte belgische Juden. Erst in ihrer Rolle als Eltern erweist sich, wie tief sie verwundet sind.

Zwei Generationen nach Zalmans ontologischer Einsicht leben seine Nachkommen ohne feste jüdische Identität. In der nächsten Generation schon sind sie auch genetisch keine Juden mehr. Als Volk im Exil sind die Juden erledigt. Das ist Blasbands düstere, aber realistische Schlußfolgerung. Realistisch ist auch seine Darstellungsweise. Jedes der dreizehn Kapitel wird von einem anderen Rabinovitch erzählt. Aus der geschickt dirigierten Stimmenvielfalt entsteht die Sinfonie einer intensiv lebenden und leidenden, aber niemals wehleidigen Familie, die ihren Zerfall als Erleichterung erlebt, denn der Untergang erlaubt ihr, sich dem totgeschwiegenen Wissen um die brutalen Ursachen ihres Untergangs endgültig zu entziehen.

Als glücklicher Belgier ist Max am weitesten den Rabinovitch entronnen. Er hat den schärfsten Blick auf die Misere seiner Familie. "Ja wahrhaftig", erklärt er, "es wird zuviel über die Juden geredet, und viel zu ausschließlich im Zusammenhang mit dem Holocaust. Man sieht sie immer nur als Opfer. Aber das ist die Sichtweise von Politik und Medien. In den Familien ist es das genaue Gegenteil. Da redet man überhaupt nicht über den Krieg, die Vernichtung, sondern breitet den Mantel des Schweigens darüber. In unserer Familie sind die Worte ,Krieg', ,Holocaust', und ,Schoah' im höchsten Grad tabu, außer für meinen Großonkel Arié, aber der ist ein bißchen durchgeknallt."

Das unaussprechliche Geheimnis der Rabinovitch (und für Blasband der europäischen Juden überhaupt) ist nicht, die eigene Winzigkeit wie eine Schande physisch erfahren zu haben, sondern daß Zalmans ontologische Einsicht im Holocaust bestätigt wurde und daß sich ohne den das Volk konstituierenden Glauben die europäischen Juden nicht regenerieren können. Aber der Glaube ist weg. Der Allmächtige existiert nicht. Das jüdische Volk ist nichts ohne ihn. Blasbands Pessimismus in diesem bewegenden Roman wird vielen nicht recht sein. Am Ende des ersten Kapitals, in den letzten Worten des im Pogrom sterbenden Zalman sind Einsicht und Prognose des Romans prägnant zusammengefaßt: "Was sie mir zufügten, könnte ich nicht schildern. Und seit dem gibt es mich nicht mehr. Von nun an gibt es gar nichts mehr." Der Roman "Zalmans Album" ist ein mutiges, unerbittliches Buch.

SUSANNE KLINGENSTEIN

Philippe Blasband: "Zalmans Album". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Irmengard Gabler. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1999. 250 S., geb., 36,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Scheinbar hat man es bei dem Album mit einer "Herausgeberfiktion" zu tun: Dreizehn Personen einer jüdischen Familie erzählen nacheinander ihre Lebensgeschichte. Jakob Hessing lobt die "ungewöhnliche Erzählstruktur", warnt aber auch gleich, dass der Sache nicht nicht ganz zu trauen ist. Denn die Herausgeber berichten sogar über ihren eigenen Tod. Wie kann das sein? Die zentrale Aussage des Romans sei "die Existenz auf der Grenze von Sein und Nichtsein", schreibt Hessing. Auschwitz sei die eine große Bruchstelle in dieser "Chronik des zwanzigsten Jahrhunderts", die andere das Computerzeitalter, als dessen Vertreter die Enkel auftreten. "Sind die Erzähler dieses Albums eine Ausgeburt der virtuellen Welt, in der die Urenkel leben?" fragt daraufhin ein etwas verwirrter Hessing.

© Perlentaucher Medien GmbH