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Produktdetails
  • ISBN-13: 9783844079029
  • Artikelnr.: 61362144

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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Zauberglauben, Folter und Scheiterhaufen

MAIN-KINZIG-KREIS Die Hexenverfolgungen der frühen Neuzeit rund um Hanau sind Thema eines neuen Buches. Der Autor, ein früherer evangelischer Dekan, stellt klar, dass die Lehren Luthers den Aberglauben sogar noch verstärkten.

Von Luise Glaser-Lotz

Zu verbrennen ist eine der schrecklichsten Todesarten, die man sich vorstellen kann. Die Schädigungen der Haut verursachen grausame Schmerzen. Steigt die Körpertemperatur auf mehr als 50 Grad Celsius, kommt es zu einem Kreislaufschock und Organversagen. Der Tod auf dem Scheiterhaufen, auf dem Menschen mit purer Absicht angezündet wurden, galt der Obrigkeit und dem Klerus einst als angemessene Strafe für vermeintliche Hexerei mit schlimmen Folgen für ihre Mitmenschen. Aber es ging dabei nicht nur um eine Bestrafung, sondern auch darum, die göttliche Ordnung wiederherzustellen und eine Bestrafung Gottes für alle abzuwenden.

Nicht jedes Opfer musste die Schmerzen bis zum Ende aushalten, denn oft nahmen ihm die Flammen schnell den Sauerstoff; die Betroffenen verfielen in eine gnädige Bewusstlosigkeit. Es gab aber auch Begnadigungen, vor allem, wenn die Beschuldigten aus einer Familie mit Geld und Einfluss stammten, sagt Peter Gbiorczyk, früherer Dekan im Kirchenkreis Hanau-Land. Eine Begnadigung war aber nicht automatisch ein Freispruch, sondern meist nur die Wahl einer anderen Todesart wie Ertrinken oder die Hinrichtung mit dem Schwert.

Wie sich der Hexenwahn einst in der Grafschaft Hanau-Münzenberg auswirkte, nahm Gbiorczyk in ausgiebigen Forschungen vor allem lokaler Quellen wie Kirchenbüchern, kirchlicher Berichte sowie umfangreicher Gemeinde- und Gerichtsakten, die den Zauberglauben und die Hexenprozesse in nahezu allen Städten und Gemeinden der Grafschaft dokumentieren, unter die Lupe. Das Gebiet um das geografische Zentrum Hanau umfasst auch Orte wie Gelnhausen, Schlüchtern und das heute bayerische Alzenau.

Nicht jede Verdächtigung gotteslästerlicher Handlungen wie Wahrsagerei, Wetterläuten oder Zauberei mit dem Ziel, Mensch und Tier zu schaden, führten laut Gbiorczyk zu einem Hexenprozess. Wenn den Vorständen der Kirchengemeinden Beschuldigungen bekannt geworden seien, habe man sich in der Gemeinde meist um eine Versöhnung bemüht und diese auch erreicht. Bei seinem umfangreichen Studium für die Publikationen über das Landschulwesen in der protestantisch geprägten Grafschaft Hanau seien die Hexenverfolgungen stets präsent gewesen, Anlass für Gbiorczyk, tiefer in diese Richtung zu forschen. Die Ergebnisse hat er unter dem Titel "Zauberglaube und Hexenprozesse in der Grafschaft Hanau-Münzenberg im 16. und 17. Jahrhundert" auf rund 350 Seiten zusammengefasst.

Der Autor richtet den Blick nicht auf die Zeit des Mittelalters und die Verfolgungen durch die katholische Inquisition, sondern auf die reformatorisch geprägte Region von der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts bis etwa zum Ende des Dreißigjährigen Kriegs. In dieser Zeit zählt Gbiorczyk 210 Frauen und 17 Männer, die auf dem Scheiterhaufen oder mit dem Schwert hingerichtet oder ertränkt wurden. Dabei waren es nicht Kirchenvertreter, die Prozesse anstießen, sondern oft missgünstige Nachbarn oder ganze Gemeinden, die Unschuldige bei der Obrigkeit anzeigten. Diese setzte dann den Mechanismus von Verhaftung, Befragung und Verurteilung in Gang. Es war die Zeit der "legalen Hexenverfolgungen", die vor weltlichen Gerichten geführt wurden. Sie begann um das Jahr 1430 und dauerte bis etwa 1780, so der Autor, der zwei Verfolgungswellen in Europa feststellt.

Zu einer großen Verunsicherung der Menschen auch rund um Hanau hatte die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts einsetzende Klimaverschlechterung, die sogenannte Kleine Eiszeit, geführt. Es wurde nicht mehr richtig Sommer, die Ernten fielen knapp aus, und die Menschen hungerten. Ihnen fehlte eine Erklärung für das Leid, sodass vermeintliche Hexen als Sündenböcke herhalten mussten.

Die zweite Welle im siebzehnten Jahrhundert wurde durch die Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges ausgelöst. Auch hier waren es überwiegend Frauen, die der Hexerei und der Auslösung von Krieg und Not beschuldigt wurden. Allein in Deutschland sollen in der frühen Neuzeit rund 40 000 Hexenverbrennungen stattgefunden haben. Die Verfahren wurden Gbiorczyk zufolge nach einem festgelegten Schema abgehalten, wobei es neben den Angeklagten auch einen Ankläger, einen Verteidiger und einen Richter gab.

Am Anfang stand eine "gütliche Befragung", in deren Rahmen die Beschuldigten ihre "Vergehen" freiwillig gestehen konnten. Viele taten das nicht, weil sie natürlich unschuldig waren. Darauf folgte die mit der Bezeichnung "peinliche Befragung" verbrämte Folter. Welche Methoden dabei genau angewandt wurden, wird in den historischen Quellen in der Regel ausgespart. Sie müssen aber grausam und zerstörerisch gewesen sein. So nennt der Autor zahlreiche Fälle, in denen Gefolterte noch vor dem Urteilsspruch im Gefängnis starben.

Die zu beantwortenden Fragen waren genau festgelegt und entsprachen weitgehend den Vorgaben der "peinlichen Halsgerichtsordnung", erlassen von Karl V. im Jahr 1532 für das Gebiet des Heiligen Römischen Reiches. Gefragt wurden die Gefolterten stets, wer außer ihnen sonst noch an den Hexensabbaten teilgenommen und sich dabei auf eine "Buhlschaft" mit dem Teufel eingelassen habe. So kam es zu zahlreichen weiteren Hexenprozessen und Hinrichtungen. Auch die Familien wurden nicht verschont, denn deren Vermögen wurde oft eingezogen. Zumindest mussten sie für die Kosten der Verfahren aufkommen.

Die in der Grafschaft vorherrschenden reformatorischen Lehren Luthers standen den Hexenverfolgungen nicht entgegen, sie verstärkten sie nach Ansicht des früheren Dekans noch. Martin Luther sei ebenso wie Johannes Calvin prägend für die Region gewesen. Beide hätten sie Teufel, Dämonen und Hexen stets zur Lebensrealität gezählt. "Es ist ein überaus gerechtes Gesetz, dass die Zauberinnen getötet werden, denn sie richten viel Schaden an, was bisweilen ignoriert wird", zählt zu den entsprechenden Zitaten, die dem Reformator Luther zugeschrieben werden.

Das Buch "Zauberglaube und Hexenprozesse in der Grafschaft Hanau-Münzenberg im 16. und 17. Jahrhundert" von Peter Gbiorczyk ist erschienen im Shaker Verlag, ISBN 978-3-8440-7902-9, und kostet 39,80 Euro. Zudem ist es als Onlinepublikation erhältlich für 9,94 Euro unter www.shaker.de.

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