Produktdetails
- Verlag: Haffmans
- Seitenzahl: 287
- Deutsch
- Abmessung: 185mm
- Gewicht: 306g
- ISBN-13: 9783251201860
- ISBN-10: 3251201867
- Artikelnr.: 24779901
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.02.1996Angriff der Lunatiker
Mulmig, mulmig: Philip K. Dick raunt als Mann in der Menge
Wer sich auf politischen Großveranstaltungen aufhält, gerät zuweilen an jenen grundharmlosen, aber doch unheimlichen Menschenschlag, der einem unter Seitenblicken zuflüstert, die Dinge seien nicht, was sie zu sein schienen, und man müsse sich in acht nehmen. Philip K. Dick, der Metaphysiker der Science-fiction, schätzt solche Szenarien; und sein Roman "Zeit aus den Fugen" läßt zwei Entwürfe von Wirklichkeit gegeneinanderlaufen.
1959: Ragle Gumm, ein etwas verwahrloster Junggeselle aus der amerikanischen Provinz, erkennt, daß er der Mittelpunkt des Universums ist, man ihm das aber verheimlichen will. Zu dieser Einsicht verhilft ihm die Lektüre des irischen Philosophen Berkeley, der den Übersetzern offenbar nicht bekannt war und darum als "Bishop Berkeley" durch das Buch geistert. Seinen Lebensunterhalt verdient Ragle Gumm durch die Teilnahme am Preisausschreiben "Wo taucht das grüne Männchen als nächstes auf?", bei dem er stets gewinnt. Nach und nach erkennt er, daß sein vermeintlicher Heimatort nur Fassade ist und seine Nachbarn ihn bespitzeln.
1995: Nach Budgetkürzungen herrscht zwischen der Erdbevölkerung und den Mondkolonisten Bürgerkrieg. Weil ihren Sympathisanten in der Heimat das Konzentrationslager droht, feuern die "Lunatiker" mit Atomgeschossen. Ärgerlich ist da, daß der genialische Leiter der Raketenabwehr, Ragle Gumm, den Verstand verliert und glaubt, er durchlebe wieder seine glückliche Jugend - richtig, in den fünfziger Jahren. Was läge da näher, als eine künstliche Vergangenheit um ihn aufzubauen, wo er dem verhaßt gewordenen Beruf als Spiel weiter nachgehen kann?
Alles läge näher, und reichlich albern geriete ein solcher Roman, verstünde der Autor sich nicht auf die Kunst der Beiläufigkeit. Philip Dick schreibt Science-fiction als fiktives Sachbuch, halb philosophischer Traktat, halb Milieustudie. Seine Erzähler haben kein Interesse an Technik, und seine Figuren kommen nicht mit ihr zurecht. Seine phantastischen, wenn nicht verwegenen Stoffe - dieser zählt noch zu den glaubhafteren - leugnen jeden zivilisatorischen Fortschritt.
"Dick hat die Methode gefunden, wie mit den Mitteln des Kitsches das auszudrücken ist, was allen Kitsch transzendiert", lobte Stanislaw Lem den Kollegen. Wenn Ragle Gumm, keineswegs der schlichteste der Dickschen Helden, erst nach Jahren feststellt, daß er seine Kleinstadt nicht verlassen kann, finden sich all jene verhöhnt, die von besseren oder zumindest abenteuerlicheren Welten lesen wollten. Die Zeit mag aus den Fugen geraten, doch das Banale währt ewig. Ließe man den Verfasser die Schöpfungsgeschichte neu schreiben, Adam und Eva stritten über das Haushaltsgeld.
Ein Schlüssel zu allen Rätseln des Romans ist das nicht, und Spielverderber mögen endlos hadern, weshalb die Mondsiedler die ihnen gleichgültig gewordene Erde weiter bombardieren oder warum man 1995 zwar das Gedächtnis eines Menschen vollständig überschreiben, nicht aber eine Psychose kaschieren kann. Nun ist die Science-fiction ein Genre, das Ungereimtheiten verzeiht, um den Preis freilich einer recht geringen Halbwertszeit.
Der Zufall wollte, daß der Roman erst jetzt, in der Gegenwart seiner Zeitrechnung, werkgetreu in deutscher Ausgabe vorliegt. Im Original erschien er 1959, und der Staub der Jahre hat ihn nicht verschont. Dick, der 1982 starb, hatte sein Repertoire: den Dritten Weltkrieg, die Irrwege der Kybernetik, das Selbstbild Amerikas zwischen Expansionismus und Konsolidierung. Und er gestaltete es so einfallsreich, ironisch und letztlich harmlos, wie man es wohl tun muß, um ein Kultautor zu werden. Mag der Verlag auch das Gerücht streuen, Dick habe seine letzten Lebensjahre der Erforschung wahnhafter Visionen gewidmet, so recht glauben möchte man es nicht. Besser macht er sich eben doch als Mann in der Menge, der von den Dingen raunt, die nicht sind, was sie zu sein scheinen. MICHAEL ALLMAIER
Philip K. Dick: "Zeit aus den Fugen". Haffmans Verlag, Zürich 1995. 288 S., geb., 32,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mulmig, mulmig: Philip K. Dick raunt als Mann in der Menge
Wer sich auf politischen Großveranstaltungen aufhält, gerät zuweilen an jenen grundharmlosen, aber doch unheimlichen Menschenschlag, der einem unter Seitenblicken zuflüstert, die Dinge seien nicht, was sie zu sein schienen, und man müsse sich in acht nehmen. Philip K. Dick, der Metaphysiker der Science-fiction, schätzt solche Szenarien; und sein Roman "Zeit aus den Fugen" läßt zwei Entwürfe von Wirklichkeit gegeneinanderlaufen.
1959: Ragle Gumm, ein etwas verwahrloster Junggeselle aus der amerikanischen Provinz, erkennt, daß er der Mittelpunkt des Universums ist, man ihm das aber verheimlichen will. Zu dieser Einsicht verhilft ihm die Lektüre des irischen Philosophen Berkeley, der den Übersetzern offenbar nicht bekannt war und darum als "Bishop Berkeley" durch das Buch geistert. Seinen Lebensunterhalt verdient Ragle Gumm durch die Teilnahme am Preisausschreiben "Wo taucht das grüne Männchen als nächstes auf?", bei dem er stets gewinnt. Nach und nach erkennt er, daß sein vermeintlicher Heimatort nur Fassade ist und seine Nachbarn ihn bespitzeln.
1995: Nach Budgetkürzungen herrscht zwischen der Erdbevölkerung und den Mondkolonisten Bürgerkrieg. Weil ihren Sympathisanten in der Heimat das Konzentrationslager droht, feuern die "Lunatiker" mit Atomgeschossen. Ärgerlich ist da, daß der genialische Leiter der Raketenabwehr, Ragle Gumm, den Verstand verliert und glaubt, er durchlebe wieder seine glückliche Jugend - richtig, in den fünfziger Jahren. Was läge da näher, als eine künstliche Vergangenheit um ihn aufzubauen, wo er dem verhaßt gewordenen Beruf als Spiel weiter nachgehen kann?
Alles läge näher, und reichlich albern geriete ein solcher Roman, verstünde der Autor sich nicht auf die Kunst der Beiläufigkeit. Philip Dick schreibt Science-fiction als fiktives Sachbuch, halb philosophischer Traktat, halb Milieustudie. Seine Erzähler haben kein Interesse an Technik, und seine Figuren kommen nicht mit ihr zurecht. Seine phantastischen, wenn nicht verwegenen Stoffe - dieser zählt noch zu den glaubhafteren - leugnen jeden zivilisatorischen Fortschritt.
"Dick hat die Methode gefunden, wie mit den Mitteln des Kitsches das auszudrücken ist, was allen Kitsch transzendiert", lobte Stanislaw Lem den Kollegen. Wenn Ragle Gumm, keineswegs der schlichteste der Dickschen Helden, erst nach Jahren feststellt, daß er seine Kleinstadt nicht verlassen kann, finden sich all jene verhöhnt, die von besseren oder zumindest abenteuerlicheren Welten lesen wollten. Die Zeit mag aus den Fugen geraten, doch das Banale währt ewig. Ließe man den Verfasser die Schöpfungsgeschichte neu schreiben, Adam und Eva stritten über das Haushaltsgeld.
Ein Schlüssel zu allen Rätseln des Romans ist das nicht, und Spielverderber mögen endlos hadern, weshalb die Mondsiedler die ihnen gleichgültig gewordene Erde weiter bombardieren oder warum man 1995 zwar das Gedächtnis eines Menschen vollständig überschreiben, nicht aber eine Psychose kaschieren kann. Nun ist die Science-fiction ein Genre, das Ungereimtheiten verzeiht, um den Preis freilich einer recht geringen Halbwertszeit.
Der Zufall wollte, daß der Roman erst jetzt, in der Gegenwart seiner Zeitrechnung, werkgetreu in deutscher Ausgabe vorliegt. Im Original erschien er 1959, und der Staub der Jahre hat ihn nicht verschont. Dick, der 1982 starb, hatte sein Repertoire: den Dritten Weltkrieg, die Irrwege der Kybernetik, das Selbstbild Amerikas zwischen Expansionismus und Konsolidierung. Und er gestaltete es so einfallsreich, ironisch und letztlich harmlos, wie man es wohl tun muß, um ein Kultautor zu werden. Mag der Verlag auch das Gerücht streuen, Dick habe seine letzten Lebensjahre der Erforschung wahnhafter Visionen gewidmet, so recht glauben möchte man es nicht. Besser macht er sich eben doch als Mann in der Menge, der von den Dingen raunt, die nicht sind, was sie zu sein scheinen. MICHAEL ALLMAIER
Philip K. Dick: "Zeit aus den Fugen". Haffmans Verlag, Zürich 1995. 288 S., geb., 32,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main