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War die Französische Revolution von 1789 der Beginn einer ganz neuen Zeit, die sich von der Vergangenheit verabschiedete? Lösten Revolutionen und die Beschleunigung von 'Zeit' die Erfahrungsräume der Gegenwart von dem Erwartungshorizont der Zukunft ab? Konnte die Vergangenheit nicht mehr Lehrmeisterin der Zukunft sein? Rückten 'Zeit' und Geschichte nun in den Verfügungsraum menschlichen Handelns? Herausragende philosophische und literarische Werke der Revolutionszeit legen es nahe, diese Fragen zu bejahen. Ernst Wolfgang Becker erweitert jedoch das Blickfeld und untersucht die Zeiterfahrungen…mehr

Produktbeschreibung
War die Französische Revolution von 1789 der Beginn einer ganz neuen Zeit, die sich von der Vergangenheit verabschiedete? Lösten Revolutionen und die Beschleunigung von 'Zeit' die Erfahrungsräume der Gegenwart von dem Erwartungshorizont der Zukunft ab? Konnte die Vergangenheit nicht mehr Lehrmeisterin der Zukunft sein? Rückten 'Zeit' und Geschichte nun in den Verfügungsraum menschlichen Handelns? Herausragende philosophische und literarische Werke der Revolutionszeit legen es nahe, diese Fragen zu bejahen. Ernst Wolfgang Becker erweitert jedoch das Blickfeld und untersucht die Zeiterfahrungen in Deutschland während der Französischen Revolution, im Vormärz und in der Revolution von 1848/49 aus erfahrungsgeschichtlicher Perspektive. Dabei ordnet er das Zeitbewußtsein drei politischen Strömungen zu, der konservativen, liberalen und demokratischen.Revolutionen wirkten keineswegs als Zäsur im Zeitbewußtsein der Menschen. Die Zeitgenossen versprachen sich von einer Revolution auch keinen Epochenbruch, sondern einen Wiedereinstieg in einen evolutionären und von jeder politischen Strömung anders gedeuteten Fortschrittsprozeß. Für die Demokraten etwa war eine Revolution ein restaurativer Akt der Notwehr gegen die reaktionäre Entwicklungsblockade, und auch die Konservativen sahen in der Revolutionsgefahr im Vormärz das Ergebnis eines gehemmten Bewegungsbedürfnisses. Es gab dementsprechend auch keinen Bruch mit der Vergangenheit. Gerade Revolutionäre wollten an bisher unerfüllte verfassungsrechtliche und nationalstaatliche Hoffnungen der Vergangenheit anknüpfen. Die Geschichte blieb ein Reservoir für Zukunftserwartungen. 'Zeit' wurde also nicht für die Menschen verfügbar, sie blieb eingespannt in einen allgemeinen Fortschrittsprozeß.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.1999

Redensarten sind keine Zeitzeichen

Daß die Zeit eine Größe ist, die als solche und unabhängig von den Ereignissen, die sie ausfüllen, besteht, zählt zu den Errungenschaften der Moderne, an denen wir noch lange Zeit zu beißen haben werden. Versuche, die Zeit totzuschlagen, sind bisher sämtlich fehlgeschlagen. Sie ist noch immer wieder aufgestanden, nur ein Stapel Geschichtsbücher blieb auf den Schlachtfeldern und in den zerwühlten Lagern zurück. Dieses Phänomen, daß die Zeit ein Eigenleben bekommt, ist in der Wissenschaft mit dem Begriff der Verzeitlichung belegt worden, was wiederum dazu führte, daß einige Stapel Geschichtsbücher verfaßt wurden, die sich mit dem Zeitbegriff beschäftigen. Zeit ist überall, und wenn man sie schon nicht hat, dann kann man immerhin darüber lesen. Nur an einem Ort sucht man sie vergebens: In dem von Reinhart Koselleck und anderen herausgegebenen Lexikon der "Geschichtlichen Grundbegriffe" fehlt der Artikel über die Zeit - und das, obwohl Koselleck selbst eine ziemlich genaue Vorstellung davon hat, was darin hätte stehen müssen. So bedauerlich das ist, gibt es doch vielen Autoren die Gelegenheit, die Lücke zu füllen. Der jüngste Beitrag zur Thematik befaßt sich denn auch mit den Theorien, die Koselleck selber vorgetragen hat: Ernst Wolfgang Becker: "Zeit der Revolution! - Revolution der Zeit?" Zeiterfahrungen in Deutschland in der Ära der Revolutionen 1789-1848/49. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1999. 387 S., geb., 78,- DM. Anhand dessen, was die Zeitgenossen über Wesen und Wirkung von Revolutionen äußerten, will Becker zeigen, daß nicht alles stimme, was Reinhart Koselleck über die Epochenscheide der Französischen Revolution geschrieben hat. Das Bewußtsein eines einmaligen historischen Bruches sei in den deutschen Ländern nicht schon durch die Revolution, sondern erst durch das Hin und Her der anschließenden Ereignisse aufgekommen. Im Bestreben, sich darauf einen Vers zu machen, glaubt Becker, hätten viele deutsche Beobachter gar keinen Bruch in der historischen Kontinuität wahrgenommen: "Eine Revolution konnte gerade Kontinuität stiften, um den epochalen Bruch mit der Vergangenheit und den Aufbruch in eine ,neue Zeit' erträglicher zu gestalten." Der Unterschied zwischen den Auffassungen von Becker und Koselleck liegt zum Teil daran, daß jener - anders als Koselleck - eine Vielzahl von Äußerungen untersucht, deren Autoren nicht zur ersten Riege gehörten und in ihrer Wahrnehmung also etwas träger waren. Hinzu kommt ein anderer Unterschied, von dem nicht klar ist, ob Becker sich seiner ganz bewußt ist: Koselleck hat tatsächlich das Bewußtsein der Epoche untersucht, Beckers Studie hingegen befaßt sich in erster Linie mit ihrer Rhetorik. Was Beckers Gewährsleute - die er nach ihrer politischen Überzeugung klassifiziert - über Anfang, Ende und Charakter von Revolutionen zu sagen haben, wird weniger vom Bewußtsein diktiert, das man sich nicht aussuchen kann, als von ihrer Meinung. Es geht in fast allen Zitaten, die Becker anführt, dementsprechend weniger um den Zeitbegriff der Epoche als um politische Kommentare, die sich vielfach einer Metaphorik bedienten, in der die Figur der Zeit eine wichtige Rolle spielt. "Das Zeitalter der Revolutionen", schreibt Becker, "spiegelte konkurrierende Zeitmodelle wider, in denen ein politischer Deutungskampf über Revolutionen aufschimmerte." Mit diesem Satz hat er seine Arbeit treffend zusammengefaßt, wobei er statt von "Modellen" auch von Metaphern hätte reden können. Vom Zeitbewußtsein der Epoche handelt sein Buch allerdings nicht. Dessen Natur könnte man ohne Rücksicht auf die damaligen Entwicklungen in den Naturwissenschaften und der Religion auch nicht behandeln. Das ist ein sehr weites Feld - es mag einen tieferen Grund gehabt haben, daß der Artikel über die Zeit in den "Geschichtlichen Grundbegriffen" fehlt. FRANZISKA AUGSTEIN

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