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Das Werk des 1946 in Valence, Frankreich, geborenen Jacques Tardi erscheint auf Deutsch in der Edition Moderne. Am 18. März 1871 geraten die Kanonen der französischen Armee in die Hände der Kommune von Paris, das Volk reisst die Macht in der Stadt an sich. Durch die turbulenten Tage treiben der desertierte Hauptmann Tarpagnan auf der Suche nach der Pucci, einer italienischen Dirne, sowie der Polizeispitzel Grondin, der Tarpagnan als mutmasslichen Mörder seines Mündels jagt. Während diesen Privatkriegen, deren Nebenschauplatz- Schlachtfelder schliesslich mit Leichen wie jener des Gangsters…mehr

Produktbeschreibung
Das Werk des 1946 in Valence, Frankreich, geborenen Jacques Tardi erscheint auf Deutsch in der Edition Moderne. Am 18. März 1871 geraten die Kanonen der französischen Armee in die Hände der Kommune von Paris, das Volk reisst die Macht in der Stadt an sich. Durch die turbulenten Tage treiben der desertierte Hauptmann Tarpagnan auf der Suche nach der Pucci, einer italienischen Dirne, sowie der Polizeispitzel Grondin, der Tarpagnan als mutmasslichen Mörder seines Mündels jagt. Während diesen Privatkriegen, deren Nebenschauplatz- Schlachtfelder schliesslich mit Leichen wie jener des Gangsters Trocard gepflastert sind, ersäufen die Versailler Truppen die Kommune in einem Blutbad - das mörderische Ende einer noblen sozialistischen Utopie!
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.2005

In den Straßen von Paris
Gemälde der 72 Tage: Jacques Tardi und Jean Vautrin schildern die Geschichte der Kommune in vier Comicbänden

Der Boulevard Haussmann ist eine der schicksten Prachtstraßen in Paris. Hier im Herzen der Stadt standen aber einmal schlichte Bürgerhäuser in furchtbar engen Gassen. Bis in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts der Präfekt Georges-Eugène Haussmann entschied, Frankreichs urbanes Zentrum gründlich zu frisieren.

Der Baron, dessen Namen der Boulevard nun  bewahrt, mochte die Enge nicht und das Elend. Abgesehen davon, daß abends Ratten über die Gehwege huschten und es an heißen Tagen entsetzlich stank, war ihm völlig  unerträglich, daß die großen, schweren Kanonen und Maschinengeschütze der Armee dort keinen Platz fanden. Sie konnten nicht aufgestellt und schon gar nicht korrekt bedient werden. Soll heißen: abgefeuert gegen Aufwiegler und Revolutionäre. Deshalb riß Haussmann das alte Paris ab und baute ein neues - weit, wohlhabend und waffentauglich. Jenes  also, das heute so geliebt wird von den  Leuten für seine blanken, kunstvoll gelöteten Blechdächer, wohl auch der Glasveranden wegen, der eindrucksvollen hölzernen Pforten und herrlich glitzernden Schaufenster.

Es war ein sozialer Bruch, den Haussmann auf seiner riesigen Baustelle vollzog und auch ein geographischer. Westlich der Boulevards Sebastopol und Strasbourg, zur Oper hin, ließ sich nun das Großbürgertum nieder; im Osten und Norden siedelte, von hohen Mieten zwangsläufig an den Rand der Metropole gedrängt, das Proletariat.

Haussmanns Stadt hatte gerade ihr neues Gesicht erhalten, da empörte sich das Pariser Volk gegen Obrigkeit und Monarchie. Die Obrigkeit, das war in jenen Tagen Napoleon III., Repräsentant des reaktionären Großbürgertums; das waren die Großindustriellen, die Stahl­ und Eisenbahnkönige, die Banken. Sie hatten dem Adel die Macht entrissen, herrschten nun an seiner Stelle und sahen sich konfrontiert mit einem aggressiven Preußenstaat, der soeben den Süden Deutschlands an sich ziehen wollte, zu preußischen Bedingungen.

Mehr als 400 000 Arbeiter leben in Paris in diesen Jahren, arbeiten vierzehn bis sechzehn Stunden am Tag für einen Hungerlohn. Demonstrationen und Massenstreiks erschüttern die Kapitale, im Juli 1870 beginnt der Kampf gegen Preußen. Im Kampf gegen einen Feind von außen scheint die Situation im Inneren noch einmal gerettet. Doch Frankreich verliert den Krieg, einigt sich mit Preußens Bismarck, muß Elsaß und Lothringen abgeben. Das Volk von Paris glaubt sich verraten. Die von ihm aufgestellte und selbst finanzierte Garde hat der Nation gerade noch mit 350 000 Mann gedient; jetzt traut man der Regierung nicht mehr, bringt die eigenen Waffen und Kanonen auf dem hohen Plateau des Montmartre in Sicherheit. Es ist der 18. März 1871.

An dieser Stelle beginnt eine Geschichte, die der Schriftsteller Jean Vautrin formuliert und der Comiczeichner Jacques Tardi (F.A.Z. vom 16. April) gezeichnet hat: die Geschichte der Kommune von Paris. Es ist das Gemälde des kurzen Lebens einer ganz besonderen Idee von Demokratie.

Vautrins und Tardis Bilderzyklus "Le Cri du Peuple" ist eine eindringliche und anschauliche Lektion, ein wichtiges Detail zur Entstehungsgeschichte der Demokratien  europäischen Zuschnitts. Tardis Pariser Kommune - und ihr Bild ist sicher wahr und authentisch - wagt den täglichen Volksentscheid, zeigt die Probleme, mit und unter ihr zu leben und vor allem zu überleben. Ein wahnwitziges Unterfangen. Im hôtel de ville am Ufer der Seine diskutieren tagelang und basisdemokratisch Soldaten, Arbeiter, Abgeordnete, Senatoren über einen Plakatentwurf, eine Formulierung in den neuesten Statuten, eine Namensliste von Verrätern, die vor das Peloton sollen.

Draußen, nur ein paar Straßen weiter, ein paar Häuserblocks vielleicht, wartet schon das bretonische Söldnerheer der nach Versailles geflüchteten Nationalregierung, um die Kommune zu zerstören, ihre Vertreter zu töten, sie ein für allemal aus dem Gedächtnis des Volkes zu löschen. Die Kommune überdauert zweiundsiebzig Tage.

Die Kommandanten Alphonse Thiers und Marie-Edmé Patrice de Mac-Mahon, Herzog von Magenta - auch das der Name eines großen Pariser Boulevards von heute -, lassen sie zusammenschießen. Kanonen und Kartätschen richten das Volk; ein Massaker, das mehr als zwanzigtausend Menschenleben kostet. Schlimmer Stoff für einen Schreiber, fast aussichtsloses Unternehmen für einen Maler und Zeichner. Massaker taugen nicht für Bildgeschichten mit Fortsetzung. Sollte man meinen. Aber es ist ja nicht irgendwer, sondern Tardi, der sich dieser Sache angenommen hat und der sie tatsächlich zu Ende gebracht hat. Der die Lebenden zeigt, wie sie fast schon tot sind, und die Toten, wie sie eben noch lebten, in ihrer endgültigen Armut.

Auch die Helden gehen unter in Tardis und Vautrins Epos, obwohl sie auf der richtigen Seite stehen. Sie bringen sich gegenseitig um wie Horace Grondin, der es vom Sträfling zum Vizechef der Geheimpolizei gebracht hat, und Antoine Tarpagnan, der schmucke Hauptmann der Garde, dessen Name wie der von d'Artagnan klingt und dessen Befehlsverweigerung den Beginn des Aufstands gegen Versailles bezeichnet. Er liebt die Volksheldin Gabriella Pucci, Aktmodell der Künstler vom Montmartre, die sich mit geöffneter Bluse vor die Bajonette stellt und den Journalisten Jules Vallès im Rote-Kreuz-Wagen rettet - jenen Vallès, dessen Revolutionszeitung "Cri du Peuple" in den Tagen der Kommune hunderttausendfach gedruckt und gelesen wird.

Vautrin und Tardi haben sich für ihre Arbeit dieses Journals angenommen, es dem Vergessen entrissen und ihr eigenes Werk nach ihm benannt. Der vollbärtige Vallès also: Er ist einer der wenigen Verantwortlichen der Kommune, denen die Flucht über die Grenze gelingen soll. Tardi läßt an seiner Stelle einen anderen Mann mit Bart sterben, als Opfer einer Verwechslung: "Ich bin nicht Vallès!" ruft der Unglückliche seinen Mördern zu. "Mein Name ist Tardy!" Deutlicher Hinweis des Zeichners, wie tief er sich eingegraben hat in den Stoff, wie sehr er sich identifiziert mit den  aufrecht sterbenden Opfern.

Zwei junge Menschen überleben am Ende all das Schlachten. Auf dem Friedhof Père-Lachaise, dort, wo Tardi Wohnung genommen hat, ein paar Schritte nur von seinem Haus entfernt, am Schnittpunkt der "roten" Stadtviertel zehn, elf und zwanzig, wo Mac-Mahons Söldner die letzten Kommunarden an die Wand stellten, treffen und verstecken sich der junge Ziquet und seine Freundin Lili. Sie sind Tardis persönliche Hoffnungsträger, sie läßt er in die Zukunft blicken und auf Kinder warten, die keine sechzehn Stunden mehr in der Kanonengießerei schuften werden. Selbstbestimmt sollen sie sein, "ohne Gott und ohne Herrn".

Der alte Horace Grondin richtet, bevor er selbst von einer Kugel getroffen auf der Straße verreckt, zwei Soldaten der Versailler Truppen, die einer jungen Frau Gewalt antun. "Ich folge nur den Befehlen", ruft der eine in höchster Not. "Ungehorsam ist eine Pflicht", antwortet der Alte und streckt ihn mit der Pistole nieder. Auch das ist Tardi.

"Le Cri du Peuple" ist in vier Bänden erschienen; Tardi hat seit 2001 jedes Jahr einen weiteren abgeliefert.  Gezeichnet nur mit Tusche, alles schwarzweiß. Ein gewaltiges Werk ist vollendet, und es hat sich auch kommerziell gelohnt: 700 000 Bücher hat der Verlag Castermann bisher verkauft, ein Ende ist nicht abzusehen.

Die deutsche Ausgabe hat gerade den dritten Band abgeschlossen - schwierig genug ist dieses Projekt einer Übersetzung. Denn Tardi ist nicht nur, wie sein Freund Jean Vautrin, ein "alter Libertaire" und damit der neuen Generation schwer zugänglich. Er ist auch ein ausgewiesener Kenner der Pariser Gassensprache, des Argot; einer, der die französische Sprache der Gegenwart mit dem Idiom der Vergangenheit makellos verknüpft und sie beeinflußt. Wie soll man das ins Deutsche übertragen? Die Personen aus "Le Cri du Peuple" sind echt und ernst, sie lachen selten. Melancholie hängt über Tardis Szenen, dunkle Wolken und jener schräg einfallende Dauerregen, der alle seine Werke prägt. Denn eines ist Jacques Tardi sicher nicht: ein Comiczeichner, den man komisch nennen könnte.

Jacques Tardi, Jean Vautrin: "Die Macht des Volkes". Aus dem Französischen übersetzt von Martin Budde. Edition Moderne, Zürich 2004. Band 1: Die Kanonen des 18. März. 80 S., geb., 17,50 [Euro]. Band 2: Die zerstörte Hoffnung. 88 S., geb., 22,- [Euro]. Band 3: Zeit des Schreckens. 80 S., geb., 17,50 [Euro]. Der Abschlußband erscheint auf deutsch im Herbst.

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