Die bewegenden Lebenserinnerungen eines der wichtigsten deutschen Publizisten
Theo Sommer hat mehr als neunzig Jahre und vier deutsche Staaten erlebt: das »Dritte Reich«, die Bonner Republik, die DDR und das wiedervereinigte Deutschland. Als langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der Zeit war er einer der führenden politischen Publizisten in Deutschland. Dies ist sein Vermächtnis.
Theo Sommer beginnt seine Erinnerungen mit der Schulzeit in der NS-Ordensburg Sonthofen, dem großen Zusammenbruch und seinem demokratischen Erweckungserlebnis als einer der ersten Studenten in Schweden und den USA nach dem Krieg. Er beschreibt seinen Weg an die Spitze des deutschen Journalismus und porträtiert mittlerweile legendäre Kolleginnen und Kollegen wie Marion Gräfin Dönhoff, Rudolf Augstein, Henri Nannen und Helmut Schmidt. Kaum jemand, den der begabte Netzwerker auf der internationalen politischen Bühne nicht kannte.
Theo Sommer nimmt den Leser mit auf die aufregende Reise eines politischen Beobachters durch neunzig Jahre deutscher Geschichte und liefert ein Glanzstück der politischen Memoirenliteratur.
Theo Sommer hat mehr als neunzig Jahre und vier deutsche Staaten erlebt: das »Dritte Reich«, die Bonner Republik, die DDR und das wiedervereinigte Deutschland. Als langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der Zeit war er einer der führenden politischen Publizisten in Deutschland. Dies ist sein Vermächtnis.
Theo Sommer beginnt seine Erinnerungen mit der Schulzeit in der NS-Ordensburg Sonthofen, dem großen Zusammenbruch und seinem demokratischen Erweckungserlebnis als einer der ersten Studenten in Schweden und den USA nach dem Krieg. Er beschreibt seinen Weg an die Spitze des deutschen Journalismus und porträtiert mittlerweile legendäre Kolleginnen und Kollegen wie Marion Gräfin Dönhoff, Rudolf Augstein, Henri Nannen und Helmut Schmidt. Kaum jemand, den der begabte Netzwerker auf der internationalen politischen Bühne nicht kannte.
Theo Sommer nimmt den Leser mit auf die aufregende Reise eines politischen Beobachters durch neunzig Jahre deutscher Geschichte und liefert ein Glanzstück der politischen Memoirenliteratur.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Willi Winkler folgt dem langjährigen Zeit-Chef Theo Sommer gern in jene Ära zurück, als der Journalismus noch "Pläsier" war. Die Hamburger Herren trugen englische Blazer, verbrachte ihre Sommer in von der CIA finanzierten Transatlantik-Seminaren oder gaben von Sylt aus der Politik die wünschenswerte Marschrichtung vor. Die Hamburger Kumpanei war legendär, und Sommer scheint selbst recht offen darüber zu schreiben. Viel erfährt der Rezensent auch über Sommers Herkunft aus einer Soldatenfamilie und seine Kindheit in Nazi-Schulen, wie in einem richtigen Bildungsroman. Tempi passati, denkt sich Winkler, der eher pflichtschuldig findet, was Sommer zum Journalismus an sich zu sagen hat: Meinungen sind frei, aber nicht die Fakten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.11.2022Journalismus als Plaisir
Die Memoiren von „Zeit“-Herausgeber Theo Sommer erinnern daran,
wie dieser Beruf einst gut bezahlt wurde und der Macht nahestand
VON WILLI WINKLER
Noch jahrelang habe er beim Schreiben Schwitzhände gehabt, behauptet Theo Sommer in seinen Memoiren, dabei schickte ihm seine Chefin Marion Gräfin Dönhoff bereits auf seinen ersten Leitartikel ein begeistertes Telegramm aus Sylt: „Bravo, glänzend gemacht!“ Das Lob hätte der Verlag auch als Bauchbinde um Sommers posthum erscheinende Memoiren „Zeit meines Lebens“ wickeln können, denn wenn es je ein glänzendes Journalistenleben gab, dann war es das von Theo Sommer.
Mit 27 wurde er 1958 Redakteur der Zeit, einer der sogenannten „Buben“ der kinderlosen Gräfin. „Sie bot mir die Chance meines Lebens. Aus dieser Chance ist mein Leben geworden.“ Fast dreißig Jahre lang war er nicht nur Chefredakteur und dann Mitherausgeber der Zeit, sondern der neben dem Spiegel-Gründer Rudolf Augstein einflussreichste politische Kommentator mit enormer Reichweite. Sommer war Autor der Foreign Affairs, kolumnierte im amerikanischen Magazin Newsweek und in der japanischen Zeitung Yomiuri Shinbun, saß in unzähligen Kommissionen und bi- und multinationalen Vereinigungen und dozierte, gastprofessierte und präzeptorierte von Seoul bis St. Louis.
Hunderte Leitartikel folgten dem ersten, vorzugsweise zum Ost-West-Konflikt. Von Schreibschwäche, von Schweiß keine Spur. So weiß er am Ende nur Tröstliches über seinen Beruf zu sagen: „Irgendwann kommt bei jedem der Zeitpunkt, an dem der Terror des Schreibens seinen Schrecken verliert und man sich sicher sein kann, dass das weiße Blatt vor einem nicht leer bleibt, sondern dass etwas draufsteht. Von da an ist Journalismus reines Plaisir.“
Sommers Erinnerungen sind ein Dokument aus der großen Zeit des Sylt-Hamburger Journalismus: ein ganztags mit mindestens der Weltpolitik beschäftigter Herrenklub in englischen Blazern, immer Sieben-Tage-Woche, weil man sich selbstverständlich die englischen Sonntagszeitungen besorgte und die Weltlage im Frühschoppen in Kampen oder gleich bei Werner Höfer im Fernsehen weiterbesprach. Sommer war der Jüngste in der Runde, wahrscheinlich auch der Gescheiteste, und er kannte sie alle, die Heroen der deutschen Nachkriegspublizistik. Er spart nicht mit Lob für die Kollegen aus der von politischen Gegnern gewitterten „Hamburger Kumpanei“, rühmt deren Verdienste um die Demokratisierung Nachkriegsdeutschlands. Rudolf Augstein ist für ihn „wirkungsmächtiger als irgendein anderer Journalist“ im deutschen 20. Jahrhundert, einer der „großen Ausputzer im Lande“. Die Pressehauptstadt Hamburg war übersichtlich. Sommer erinnert daran, dass der anzeigenfette Stern zwei Jahrzehnte lang die defizitäre Zeit durchfütterte, und zitiert den Chefredakteur Henri Nannen: „Mein Stern war für die feine Zeit wie die Nutte von der Reeperbahn, die ihrer Tochter die Klosterschule bezahlt.“
Die Hamburger Kumpanei reichte bis in die Politik. Die Gräfin gab ihm 1957 ein Buch Henry Kissingers zur Rezension, und schon ist er gewonnen: „Verteidigung im nuklearen Zeitalter wurde zu einem meiner Lieblingsthemen.“ Helmut Schmidt lernte er 1961 im Nachtzug aus Genf kennen. Es war waffenbrüderliche Liebe auf den ersten Blick. „Bei Fürstenberg Pils redeten wir die halbe Nacht über Sicherheitspolitik und Nuklearstrategie.“ 1969 wechselte Sommer für zwei Jahre in Schmidts Verteidigungsministerium und leitete das Planungsreferat. 1983 wechselte der ehemalige Bundeskanzler zur Zeit und wurde Mitherausgeber.
Der 1930 geborene Sohn eines Berufssoldaten hatte es mit dem Militär; bei seiner Trauerfeier im vergangenen September in der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi hielten zwei Soldaten der Bundeswehr Wache an Sommers überlebensgroßem Porträt. Im Bildteil der Memoiren steht Sommer 2008 jugendfrisch strahlend in Panzerweste und mit Stahlhelm in Kundus vor einem Hubschrauber. Mit größter Leidenschaft war er schon in Vietnam Kriegsreporter, schrieb den Amerikanern nach dem Munde („In Vietnam steigt die rote Flut“), bedauerte aber nachträglich, sie noch viel zu lang zum Weitermachen gedrängt zu haben. Aber er war halt nach Westen orientiert: Das berühmte Sommerseminar, zu dem Henry Kissinger ihn und viele junge Intellektuelle aus der ganzen Welt einlud, wurde, wie Sommer später klar wurde, indirekt von der CIA bezahlt. „Es ging, um nicht herumzureden, um nichts anderes als psychologische Kriegsführung.“
Sommer kam doch selber aus dem Krieg oder war jedenfalls in einem reibungslosen Bildungsgang von der Horst-Wessel-Schule über die Hindenburg-Oberschule und die Adolf-Hitler-Schule vorbereitet worden. Im Volkssturm sollte er den Werwolf machen und zusammen mit hundert weiteren Vierzehn- und Fünfzehnjährigen die Amerikaner noch im April 1945 daran hindern, Ulm einzunehmen. „Ein Jahr lang bin ich immer wieder einmal schweißgebadet aus dem Schlaf hochgeschreckt, erwacht aus dem Traum, das Dritte Reich habe den Krieg doch gewonnen, und ich müsste nun zur Verfügung stehen, um an der Gestaltung des Sieges mitzuwirken, wie es der Führer befahl.“
Der Zusammenbruch brachte die Befreiung vom Führergehorsam. Sommer will verstehen, was da nicht nur mit ihm geschehen ist, und er will schreiben. Ein Leserbrief wird 1948 seine erste Veröffentlichung, im Jahr darauf beginnt er Artikel für die Rems-Zeitung zu schreiben, Zeilenhonorar 20 Pfennig. Das ist, unter uns gesagt, gemessen an der Kaufkraft, mehr als heute selbst große Zeitungen ihren freien Mitarbeitern zahlen. Der junge Sommer war enorm ehrgeizig und fleißig. Berufsanfängern empfiehlt er daher nach seinem Beispiel den Einstieg im Lokaljournalismus. Allerdings half ihm eine amerikanische pazifistische Brüderschaft schnell aus dem heimatlichen Schwäbisch Gmünd heraus in die Welt, erst nach Schweden, dann in die USA. Er erwarb sich früh eine Weltläufigkeit, derer sich in seiner Generation vielleicht nur Hans Magnus Enzensberger rühmen konnte.
Zusammen mit der Prinzipalin begleitete Sommer die Entspannungspolitik von Willy Brandt und Egon Bahr; ob sie ohne die Unterstützung der Hamburger überhaupt gelungen wäre, dürfen einst die Historiker beurteilen. Selbstverständlich hat Sommer wie jeder große Journalist groß geirrt. In gräflicher Begleitung besuchte er 1964 die DDR. Die Reise hatte der Konkret-Herausgeber und heimliche KPD-Genosse Klaus Rainer Röhl in bester Potemkin’scher Tradition so gut vorbereitet, dass Sommer konstatierte, „es geht in Ulbrichts Staat voran“. Im Wiederholungsfall, 1986, ließen sich die betreuten Reisenden die wirtschaftliche Scheinblüte der DDR vorführen. Anfang 1989 dachte Sommer ebenso wenig wie der gleichaltrige Helmut Kohl daran, das „Gerippe der deutschen Einheit“ aus dem Schrank zu nehmen. In den Erinnerungen drängt es ihn zu einem dreißigseitigen Dossier, um zu belegen, dass er nicht der „unpatriotische Sonderling“ war, wenn sich selbst der Kommunistenfresser Axel Springer zeitweilig eine Zwei-Staaten-Lösung vorstellen konnte.
Die ganzen Reisen, Konferenzen und redaktionellen Triumphe, das Memorandenschreiben bis vier in der Früh und die Gewissheit, dass man von den Mächtigen genau gelesen wird, verblassen jedoch gegen die Beschreibung der Jugendjahre. Sommer singt das Lob des Herkommens wie im klassischen Bildungsroman des 19. Jahrhunderts. Als sich seine Eltern Ende 1928 auf der Burg Hohenzollern begegneten, wo sein Urgroßvater Kastellan war, war die Welt dem Biedermeier noch näher als jeder Moderne. Trotz Dienstwohnung und Hausmädchen war das Leben in den Dreißigern und Vierzigern des vergangenen Jahrhunderts auch für die Familie Sommer und vor allem für die Frauen Mühsal. Ununterbrochen wurde gestrickt, genäht, gewaschen, musste zum Heizen Holz gesägt und gespalten werden, waren die Kohlen aus dem Keller zu holen. Kräuter wurden gesammelt, Marmelade gemacht, Kraut gestampft für den Winter. „Getrocknete Apfelschalen ergaben ein schmackhaftes Getränk, Lindenblüten zupften wir säckeweise von den Bäumen am Rand des Kasernenhofes. Aber auch Himbeer- und Brombeerblätter, Kamille und Pfefferminz und Schafgarbe mussten wir Kinder pflücken.“ Mit erstaunlichem Gedächtnis schmeckt Sommer das Essen von damals nach.
Pflichtschuldig enden die Erinnerungen mit Grundsätzlichkeiten zum Journalismus: „Print ist heute unter Druck“ oder auch: „Nur die Meinung ist frei, die Fakten sind es nicht.“ Derlei erwartet man von einem Senior, doch mit Verweis auf seinen Verleger Gerd Bucerius beweist er, dass er trotzdem der „freie Liberale“ war, als der er sich einmal bezeichnet: „Wir sind doch alle ein bisschen verrückt. Wir setzen uns für manches Unvernünftige ein, und wir verachten viel Vernünftiges.“
Das ist, jenseits der weltgeschichtlichen Wendemarken und Weichenstellungen, die geheime Botschaft dieser Erinnerungen: dass Journalismus nicht immer vernünftig sein muss, sondern Spaß machen kann. Im Fall des Blattmachers Theo Sommer war es ein lebenslanges Plaisir.
Theo Sommer: Zeit meines Lebens. Erinnerungen eines Journalisten. Vorwort von Haug von Kuenheim. Berlin: Propyläen 2022. 504 Seiten, 32 Euro.
Selbstverständlich hat Theo
Sommer wie jeder große
Journalist groß geirrt
„Wir setzen uns für
manches Unvernünftige ein, und
wir verachten viel Vernünftiges.“
Theo Sommer 2015 in seinem Büro in Hamburg. Foto: DPA/Daniel Reimann
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Die Memoiren von „Zeit“-Herausgeber Theo Sommer erinnern daran,
wie dieser Beruf einst gut bezahlt wurde und der Macht nahestand
VON WILLI WINKLER
Noch jahrelang habe er beim Schreiben Schwitzhände gehabt, behauptet Theo Sommer in seinen Memoiren, dabei schickte ihm seine Chefin Marion Gräfin Dönhoff bereits auf seinen ersten Leitartikel ein begeistertes Telegramm aus Sylt: „Bravo, glänzend gemacht!“ Das Lob hätte der Verlag auch als Bauchbinde um Sommers posthum erscheinende Memoiren „Zeit meines Lebens“ wickeln können, denn wenn es je ein glänzendes Journalistenleben gab, dann war es das von Theo Sommer.
Mit 27 wurde er 1958 Redakteur der Zeit, einer der sogenannten „Buben“ der kinderlosen Gräfin. „Sie bot mir die Chance meines Lebens. Aus dieser Chance ist mein Leben geworden.“ Fast dreißig Jahre lang war er nicht nur Chefredakteur und dann Mitherausgeber der Zeit, sondern der neben dem Spiegel-Gründer Rudolf Augstein einflussreichste politische Kommentator mit enormer Reichweite. Sommer war Autor der Foreign Affairs, kolumnierte im amerikanischen Magazin Newsweek und in der japanischen Zeitung Yomiuri Shinbun, saß in unzähligen Kommissionen und bi- und multinationalen Vereinigungen und dozierte, gastprofessierte und präzeptorierte von Seoul bis St. Louis.
Hunderte Leitartikel folgten dem ersten, vorzugsweise zum Ost-West-Konflikt. Von Schreibschwäche, von Schweiß keine Spur. So weiß er am Ende nur Tröstliches über seinen Beruf zu sagen: „Irgendwann kommt bei jedem der Zeitpunkt, an dem der Terror des Schreibens seinen Schrecken verliert und man sich sicher sein kann, dass das weiße Blatt vor einem nicht leer bleibt, sondern dass etwas draufsteht. Von da an ist Journalismus reines Plaisir.“
Sommers Erinnerungen sind ein Dokument aus der großen Zeit des Sylt-Hamburger Journalismus: ein ganztags mit mindestens der Weltpolitik beschäftigter Herrenklub in englischen Blazern, immer Sieben-Tage-Woche, weil man sich selbstverständlich die englischen Sonntagszeitungen besorgte und die Weltlage im Frühschoppen in Kampen oder gleich bei Werner Höfer im Fernsehen weiterbesprach. Sommer war der Jüngste in der Runde, wahrscheinlich auch der Gescheiteste, und er kannte sie alle, die Heroen der deutschen Nachkriegspublizistik. Er spart nicht mit Lob für die Kollegen aus der von politischen Gegnern gewitterten „Hamburger Kumpanei“, rühmt deren Verdienste um die Demokratisierung Nachkriegsdeutschlands. Rudolf Augstein ist für ihn „wirkungsmächtiger als irgendein anderer Journalist“ im deutschen 20. Jahrhundert, einer der „großen Ausputzer im Lande“. Die Pressehauptstadt Hamburg war übersichtlich. Sommer erinnert daran, dass der anzeigenfette Stern zwei Jahrzehnte lang die defizitäre Zeit durchfütterte, und zitiert den Chefredakteur Henri Nannen: „Mein Stern war für die feine Zeit wie die Nutte von der Reeperbahn, die ihrer Tochter die Klosterschule bezahlt.“
Die Hamburger Kumpanei reichte bis in die Politik. Die Gräfin gab ihm 1957 ein Buch Henry Kissingers zur Rezension, und schon ist er gewonnen: „Verteidigung im nuklearen Zeitalter wurde zu einem meiner Lieblingsthemen.“ Helmut Schmidt lernte er 1961 im Nachtzug aus Genf kennen. Es war waffenbrüderliche Liebe auf den ersten Blick. „Bei Fürstenberg Pils redeten wir die halbe Nacht über Sicherheitspolitik und Nuklearstrategie.“ 1969 wechselte Sommer für zwei Jahre in Schmidts Verteidigungsministerium und leitete das Planungsreferat. 1983 wechselte der ehemalige Bundeskanzler zur Zeit und wurde Mitherausgeber.
Der 1930 geborene Sohn eines Berufssoldaten hatte es mit dem Militär; bei seiner Trauerfeier im vergangenen September in der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi hielten zwei Soldaten der Bundeswehr Wache an Sommers überlebensgroßem Porträt. Im Bildteil der Memoiren steht Sommer 2008 jugendfrisch strahlend in Panzerweste und mit Stahlhelm in Kundus vor einem Hubschrauber. Mit größter Leidenschaft war er schon in Vietnam Kriegsreporter, schrieb den Amerikanern nach dem Munde („In Vietnam steigt die rote Flut“), bedauerte aber nachträglich, sie noch viel zu lang zum Weitermachen gedrängt zu haben. Aber er war halt nach Westen orientiert: Das berühmte Sommerseminar, zu dem Henry Kissinger ihn und viele junge Intellektuelle aus der ganzen Welt einlud, wurde, wie Sommer später klar wurde, indirekt von der CIA bezahlt. „Es ging, um nicht herumzureden, um nichts anderes als psychologische Kriegsführung.“
Sommer kam doch selber aus dem Krieg oder war jedenfalls in einem reibungslosen Bildungsgang von der Horst-Wessel-Schule über die Hindenburg-Oberschule und die Adolf-Hitler-Schule vorbereitet worden. Im Volkssturm sollte er den Werwolf machen und zusammen mit hundert weiteren Vierzehn- und Fünfzehnjährigen die Amerikaner noch im April 1945 daran hindern, Ulm einzunehmen. „Ein Jahr lang bin ich immer wieder einmal schweißgebadet aus dem Schlaf hochgeschreckt, erwacht aus dem Traum, das Dritte Reich habe den Krieg doch gewonnen, und ich müsste nun zur Verfügung stehen, um an der Gestaltung des Sieges mitzuwirken, wie es der Führer befahl.“
Der Zusammenbruch brachte die Befreiung vom Führergehorsam. Sommer will verstehen, was da nicht nur mit ihm geschehen ist, und er will schreiben. Ein Leserbrief wird 1948 seine erste Veröffentlichung, im Jahr darauf beginnt er Artikel für die Rems-Zeitung zu schreiben, Zeilenhonorar 20 Pfennig. Das ist, unter uns gesagt, gemessen an der Kaufkraft, mehr als heute selbst große Zeitungen ihren freien Mitarbeitern zahlen. Der junge Sommer war enorm ehrgeizig und fleißig. Berufsanfängern empfiehlt er daher nach seinem Beispiel den Einstieg im Lokaljournalismus. Allerdings half ihm eine amerikanische pazifistische Brüderschaft schnell aus dem heimatlichen Schwäbisch Gmünd heraus in die Welt, erst nach Schweden, dann in die USA. Er erwarb sich früh eine Weltläufigkeit, derer sich in seiner Generation vielleicht nur Hans Magnus Enzensberger rühmen konnte.
Zusammen mit der Prinzipalin begleitete Sommer die Entspannungspolitik von Willy Brandt und Egon Bahr; ob sie ohne die Unterstützung der Hamburger überhaupt gelungen wäre, dürfen einst die Historiker beurteilen. Selbstverständlich hat Sommer wie jeder große Journalist groß geirrt. In gräflicher Begleitung besuchte er 1964 die DDR. Die Reise hatte der Konkret-Herausgeber und heimliche KPD-Genosse Klaus Rainer Röhl in bester Potemkin’scher Tradition so gut vorbereitet, dass Sommer konstatierte, „es geht in Ulbrichts Staat voran“. Im Wiederholungsfall, 1986, ließen sich die betreuten Reisenden die wirtschaftliche Scheinblüte der DDR vorführen. Anfang 1989 dachte Sommer ebenso wenig wie der gleichaltrige Helmut Kohl daran, das „Gerippe der deutschen Einheit“ aus dem Schrank zu nehmen. In den Erinnerungen drängt es ihn zu einem dreißigseitigen Dossier, um zu belegen, dass er nicht der „unpatriotische Sonderling“ war, wenn sich selbst der Kommunistenfresser Axel Springer zeitweilig eine Zwei-Staaten-Lösung vorstellen konnte.
Die ganzen Reisen, Konferenzen und redaktionellen Triumphe, das Memorandenschreiben bis vier in der Früh und die Gewissheit, dass man von den Mächtigen genau gelesen wird, verblassen jedoch gegen die Beschreibung der Jugendjahre. Sommer singt das Lob des Herkommens wie im klassischen Bildungsroman des 19. Jahrhunderts. Als sich seine Eltern Ende 1928 auf der Burg Hohenzollern begegneten, wo sein Urgroßvater Kastellan war, war die Welt dem Biedermeier noch näher als jeder Moderne. Trotz Dienstwohnung und Hausmädchen war das Leben in den Dreißigern und Vierzigern des vergangenen Jahrhunderts auch für die Familie Sommer und vor allem für die Frauen Mühsal. Ununterbrochen wurde gestrickt, genäht, gewaschen, musste zum Heizen Holz gesägt und gespalten werden, waren die Kohlen aus dem Keller zu holen. Kräuter wurden gesammelt, Marmelade gemacht, Kraut gestampft für den Winter. „Getrocknete Apfelschalen ergaben ein schmackhaftes Getränk, Lindenblüten zupften wir säckeweise von den Bäumen am Rand des Kasernenhofes. Aber auch Himbeer- und Brombeerblätter, Kamille und Pfefferminz und Schafgarbe mussten wir Kinder pflücken.“ Mit erstaunlichem Gedächtnis schmeckt Sommer das Essen von damals nach.
Pflichtschuldig enden die Erinnerungen mit Grundsätzlichkeiten zum Journalismus: „Print ist heute unter Druck“ oder auch: „Nur die Meinung ist frei, die Fakten sind es nicht.“ Derlei erwartet man von einem Senior, doch mit Verweis auf seinen Verleger Gerd Bucerius beweist er, dass er trotzdem der „freie Liberale“ war, als der er sich einmal bezeichnet: „Wir sind doch alle ein bisschen verrückt. Wir setzen uns für manches Unvernünftige ein, und wir verachten viel Vernünftiges.“
Das ist, jenseits der weltgeschichtlichen Wendemarken und Weichenstellungen, die geheime Botschaft dieser Erinnerungen: dass Journalismus nicht immer vernünftig sein muss, sondern Spaß machen kann. Im Fall des Blattmachers Theo Sommer war es ein lebenslanges Plaisir.
Theo Sommer: Zeit meines Lebens. Erinnerungen eines Journalisten. Vorwort von Haug von Kuenheim. Berlin: Propyläen 2022. 504 Seiten, 32 Euro.
Selbstverständlich hat Theo
Sommer wie jeder große
Journalist groß geirrt
„Wir setzen uns für
manches Unvernünftige ein, und
wir verachten viel Vernünftiges.“
Theo Sommer 2015 in seinem Büro in Hamburg. Foto: DPA/Daniel Reimann
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"Bravo, glänzend gemacht!" Das Lob hätte der Verlag auch als Bauchbinde um Sommers posthum erscheinende Memoiren "Zeit meines Lebens" wickeln können, denn wenn es je ein glänzendes Journalistenleben gab, dann war es das von Theo Sommer." Willi Winkler Süddeutsche Zeitung 20221129