Was ist die Zeit? Die Frage nach dem Wesen der Zeit, die sich an der Schwelle der Neuzeit und zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf jeweils neue und dringliche Weise stellte, hat in zwei exemplarischen Werken Gestalt gewonnen: in Dantes"Göttlicher Komödie"und in Prousts"Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Karlheinz Stierle hat diese Bücher neu gelesen und überraschende Korrespondenzen entdeckt, die er brillant anhand zahlreicher Textbeispiele belegt - nicht nur für Kenner der beiden Werke.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
In einer Doppelbesprechung zweier neuerer Bücher des Literaturwissenschaftlers Karlheinz Stierle geht Alexander Kosenina auf die drei Werke der Weltliteratur ein, denen Stierles komparatistisch angelegte Studien insbesondere gewidmet ist: Ovids "Metamorphosen", Dantes "Göttliche Komödie" und Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Allen drei ist eigen, so beruft sich Kosenina auf Stierle, dass sie das Erzählen bis an die Grenzen des Möglichen treiben, vollständige eigene Welten erschaffen, anstatt nur Ausschnitte einer Welt zu liefern, und auf jeweils unterschiedliche Weise individuelle Zeit in Ewigkeit verwandeln. Und das Staunen über Zeit und Ewigkeit ist auch, so berichtet Kosenina, der Ausgangspunkt dieser vergleichenden Zeitanalyse der "Commedia" und der "Recherche", die beide in einem "Triumph der Ewigkeit" enden: bei Dante in der göttlichen Ewigkeit jenseits der Zeit und bei Proust, der sich vielfach auf Dante beziehe, in einer "Kathedrale der Zeit" als "Reflexionsmedium seiner selbst". Beide Werke beziehen zudem den Leser mit ein und fordern von ihm wiederholte Lektüre. Und indem Stierle sie in eine "eindrucksvolle Korrespondenz und Konstellation" bringe, erschließen sich auf diese Weise auch "innere und äußere Bezüge" dieser beiden "Fabeln der Welt", befindet Kosenina beeindruckt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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