Wolfgang Sofsky untersucht die Sozialformen des Terrors: den Amoklauf und das Attentat, das Lynchen und Schänden, die Schrecken der Verfolgung, des regulären Krieges der Soldaten, des wilden Krieges der Banden und Marodeure und des neuen Terrorkriegs.
Sofsky geht es dabei nicht nur um die detailgenaue Deutung und Aufklärung schwer verständlicher Gewaltexzesse. Die mikroskopische Beschreibung historischer und aktueller Ereignisse zeigt deutlich, dass die Impulse der Grausamkeit und die Dynamik der Gewalt sozial und anthropologisch tief verankert sind - zu tief, um der Hoffnung nachhängen zu können, sie wären dauerhaft und verlässlich zu unterdrücken. Entschieden widerspricht das Buch damit gängigen Vorstellungen über die vermeintlichen Errungenschaften der modernen Zivilisation.
Der letzte Teil des Buches ist der Zeit nach dem Schrecken gewidmet: der Vergeltung durch Rache oder Strafe, dem Vergessen und Erinnern, den moralischen Gefühlen der Schuld und Scham, schließlich dem Verschwinden der Zeichen und Spuren.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Sofsky geht es dabei nicht nur um die detailgenaue Deutung und Aufklärung schwer verständlicher Gewaltexzesse. Die mikroskopische Beschreibung historischer und aktueller Ereignisse zeigt deutlich, dass die Impulse der Grausamkeit und die Dynamik der Gewalt sozial und anthropologisch tief verankert sind - zu tief, um der Hoffnung nachhängen zu können, sie wären dauerhaft und verlässlich zu unterdrücken. Entschieden widerspricht das Buch damit gängigen Vorstellungen über die vermeintlichen Errungenschaften der modernen Zivilisation.
Der letzte Teil des Buches ist der Zeit nach dem Schrecken gewidmet: der Vergeltung durch Rache oder Strafe, dem Vergessen und Erinnern, den moralischen Gefühlen der Schuld und Scham, schließlich dem Verschwinden der Zeichen und Spuren.
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Die Phänomenologie der Gewalt
Dies ist ein düsteres Buch. Die Kraft der Vernunft und die Macht der Zivilisation haben der Gewalt als solcher nichts entgegenzusetzen - so lässt sich das Denken Wolfgang Sofskys auf den Punkt bringen. Der Göttinger Soziologe forscht seit vielen Jahren über Gewalt, und seine Erkenntnisse könnten finsterer nicht sein.
Die Lust zu quälen
Grausamkeit, so Sofsky, sei nicht zuletzt deshalb unausrottbar, weil sie für den "Anwender" einen Lustgewinn darstellt. Gewalt brauche weder Motive noch Anlässe, auch keine Rechtfertigungen, sie sei vielmehr anthropologisch verwurzelt. Sofsky hat viele Formen von Gewalt untersucht. Attentate, Sturmangriffe, Todesmärsche, Massenvergewaltigungen, staatlichen Terror, Amokläufe, um nur einige zu nennen. Stets beschreibt er deren innere Logik mit schonungsloser Klarheit. Und immer fällt sein Urteil gleich aus: Gewalt ist jeder Gesellschaft immanent. Mehr noch: Gewalt kann den Zusammenhalt einer Gesellschaft oder eines sozialen Gefüges verstärken, ja als System erhaltendes Mittel dienen. Mit Zeiten des Schreckens gelingt es Sofsky, die Grundlagen von Gewalt und Grausamkeit zu analysieren. Eine verstörende und spannende Lektüre! (Henrik Flor, literaturtest.de)
Dies ist ein düsteres Buch. Die Kraft der Vernunft und die Macht der Zivilisation haben der Gewalt als solcher nichts entgegenzusetzen - so lässt sich das Denken Wolfgang Sofskys auf den Punkt bringen. Der Göttinger Soziologe forscht seit vielen Jahren über Gewalt, und seine Erkenntnisse könnten finsterer nicht sein.
Die Lust zu quälen
Grausamkeit, so Sofsky, sei nicht zuletzt deshalb unausrottbar, weil sie für den "Anwender" einen Lustgewinn darstellt. Gewalt brauche weder Motive noch Anlässe, auch keine Rechtfertigungen, sie sei vielmehr anthropologisch verwurzelt. Sofsky hat viele Formen von Gewalt untersucht. Attentate, Sturmangriffe, Todesmärsche, Massenvergewaltigungen, staatlichen Terror, Amokläufe, um nur einige zu nennen. Stets beschreibt er deren innere Logik mit schonungsloser Klarheit. Und immer fällt sein Urteil gleich aus: Gewalt ist jeder Gesellschaft immanent. Mehr noch: Gewalt kann den Zusammenhalt einer Gesellschaft oder eines sozialen Gefüges verstärken, ja als System erhaltendes Mittel dienen. Mit Zeiten des Schreckens gelingt es Sofsky, die Grundlagen von Gewalt und Grausamkeit zu analysieren. Eine verstörende und spannende Lektüre! (Henrik Flor, literaturtest.de)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2002Jeder Mörder geht dicht an den Körper
Misanthropologisch: Wolfgang Sofskys Studien über die Formen der Gewalt / Von Jürgen Kaube
Das Böse als wirklich zu behaupten, kann nach den Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts mit Terror, Verfolgung und Vernichtung nicht als theologisches Sondervotum abgetan werden. Und doch ist verständlich, daß der Begriff des Bösen in theologischer Obhut blieb. Biologische Verhaltensforschung und Psychologie greifen mit Konstrukten wie "Aggression" oder "Trieb" an den Sachverhalten vorbei. Die Beschreibung des Ungeheuerlichen führt aber auch aus der Ethik heraus, weil sich das moralische Urteil über sie von selbst versteht. Selbst das Strafrecht erreicht nicht, was die betreffenden Vorgänge entsetzlicher als die meisten Gewalttaten macht. Das Problem ist nicht, wie sie zu bewerten sind, sondern worum es sich bei ihrer Bösartigkeit überhaupt handelt.
Gibt es hierauf andere als theologische Antworten? Historische und soziologische Vergleiche liegen nahe. Denn es ist nicht nur das Ausmaß des Schreckens, sondern auch die Inkongruenz der Erwartungen mit den Geschehnissen, die sie zu Extremfällen machen. Vier Theorien über diese Inkongruenz erwähnt Wolfgang Sofsky in seinem Buch. Die erste erkennt in den modernen Gewaltexzessen Rückfälle hinter einen fortlaufend verbesserten Stand der Zivilisierung von gewalttätigen Impulsen. Entgegengesetzt behaupten die zweite und dritte Theorie, nicht die unvollendete, sondern die vollendete Moderne entfalte jenen Schrecken, indem die Kälte, die zu seiner Hervorbringung nötig ist, eine Begleiterscheinung von wissenschaftlicher, technischer und bürokratischer Rationalität darstelle. Beide Theorien unterscheiden sich darin, ob sie Modernität für eine hinreichende oder eine bloß notwendige Bedingung des Terrors halten. Die vierte Deutung entkoppelt den historischen Zusammenhang. Zwischen zivilisierten und älteren Gesellschaften zu unterscheiden, sei trügerisch. Gewalt und Grausamkeit seien Invarianten der Geschichte, nicht unsere Erfahrungen damit, sondern unsere Erwartungen seien einzigartig.
Der Autor erwähnt diese Theorien, hält ihnen vor, zum Verständnis der Ereignisse wenig beigetragen zu haben - und kommt für den Rest seiner Deutung von Tatbeständen exzessiver Gewalt ohne jede Theoriebildung aus. Das begründet er damit, "großformatige" Theorien seien immun gegen die Detailanalyse. Aber woher dann gerade angesichts des Ungeheuerlichen die Begriffe nehmen? Sofsky entnimmt die seinen zumeist den Umständen, die er beschreibt. Er typisiert Sachverhalte wie den Mob, den Amoklauf, die Razzia, das Gefecht oder den Todesmarsch. Die Geschichte bietet ihm zumeist nur die Beispiele, um zu ermitteln, was in "dem" Krieg, "dem" Gemetzel, "dem" Attentat abläuft. Die Gesellschaft bietet nur den Rahmen für besondere Ausprägungen solcher Handlungsformen. Sofsky interessiert sich weniger für die Ausprägungen als für die Formen. Nicht historische Ereignisse stünden im Vordergrund, heißt es nicht gerade kleinformatig, sondern "jene Tatsachen, welche jeder Geschichte zugrunde liegen". Aus der Detailanalyse soll also nichts weniger als eine Anthropologie herausspringen.
Das heißt: Nicht in der bürokratischen Exekution politischer Befehle, im Weltbürgerkrieg der Ideologien oder in den Gründen deformierter Sozialcharaktere liegt für Sofsky der Schlüssel zum Schrecken. Vielmehr handele es sich bei dem in Auschwitz, Kolyma oder Srebrenica Geschehenen um Vorgänge, die "in die Grundformen des Sozialen systematisch eingebaut" sind. Das Blutbad und die Niedertracht sind universelle Erscheinungen, "in seinem Haß ist der Homo sapiens unabhängig von der Zugehörigkeit zu jeder Ethnie, Nation oder Klasse". Die Moderne bündele ihn nur, indem der Staat ungeheure Mittel und der Nationalismus dazu passende Verfolgungsideale mobilisiere. An mörderischen Untaten wird auf diese Weise demonstriert, daß sie sich weder aus den Motiven der Täter noch aus Ideen, weder aus besonderen sozialen Strukturen noch aus Befehlen zureichend erklären lassen. Gewaltverbrechen ereignen sich für Sofsky also als situative Enthemmungen von Energien, die "der Mensch" in sich berge. Auf dem Grund aller Gewalt liegen Lust am Exzeß, Verachtung, Vernichtungseifer.
Der Preis solcher anthropologischen Erklärungen ist nicht nur die Tautologie - es gibt Gewalt, weil der Mensch gewalttätig ist -, sondern auch die Ersetzung von Argumenten durch Bilder. Zu den stärksten Impulsen des Menschen, heißt es als Kommentar zu einem Lynchmord, gehöre es, "sich immer wieder dem Feuer anzuverwandeln" und "sich selbst das Feuer zu entfachen, das ihn mit allen anderen vereint" - man möchte bitten, daß solchen haltlosen Behauptungen wenigstens ein Lichtlein entfacht würde, um sich im bedeutungsvollen Dunkel, das um sie ist, besser zurechtfinden zu können. Sofsky würde sich vermutlich mit seiner These verteidigen, eine Quelle der Gewalt sei die Vorstellungskraft. Was ja auch insofern stimmt, als die Vorstellungskraft eine Quelle von allem ist. Ob es der menschliche Geist darum verdient "verhängnisvoll" genannt zu werden? Wenn Imagination, Verstand und Wille sowohl das Böse wie das Gute befördern, heißt das doch nur, daß sie eben keine geeigneten Grundbegriffe sind, um das Entsetzliche zu analysieren.
Seine eigene Vorstellungskraft investiert Sofsky vorzugsweise in Schilderungen. "Zuerst hört man die Motorräder und Lastwagen näher kommen, dann quietschen Bremsen, das Geräusch genagelter Stiefel, die auf Straßen springen: Befehle, Hundegebell, Gewehrkolben schlagen gegen die Tür." So beginnt der Abschnitt über die Razzia, in dem sich dann Einsichten finden wie "Während der Augenblick des Anschlags die Zeit durchbricht, dauert die Razzia an" oder der Befund, Razzien seien zwar geplant, aber in ihrer Durchführung ergäben sich zahlreiche Freiräume. Ein Stück über Wahrnehmungsbelastungen in Schützengräben weiß von ihnen dies: "Immer wieder kehrt die Feuerwalze zurück, ihr endloses Heranfluten und Abebben zerrüttet die Nerven. Kurz vor dem Sturmangriff schwillt der Lärm zu einem Brüllen an." Über Seiten hinweg soll offenbar ein Eindruck oder Sound davon vermittelt werden, wie es ist, wenn Amok gelaufen, gebrandschatzt oder sturmgelaufen wird.
Aber woher weiß er das? Woher weiß er, wie es ist und wie es sich anfühlt, ein Opfer von Todesmärschen oder Razzien zu sein? Woher, welche Gelüste Täter verspüren? Daß solche Fragen nicht aufkommen, liegt daran, daß sie schon beantwortet sind. Film und Fernsehen und Romane sind die Quellen des Anthropologen, weshalb die Darstellung oft nicht zum Nachdenken, aber stets zum Wiedererkennen anregt. Daß Hunde bellen, wenn verfolgt wird, ist keine Detailanalyse, sondern ein Gemeinplatz. Daß "die Zeit der Tat" eine andere ist als "die Zeit des Leidens", weil der Attentäter sich vorbereitet, das Opfer aber überrascht wird, müßte dann Gemeinstplatz heißen.
Diese bildmedienästhetisch vermittelte Einfühlung in die Szenerie von Gewaltverbrechen und ihre Betroffenen kann man als Stilproblem stehenlassen. Keine Frage des Geschmacks ist es hingegen, wenn die Ausführlichkeit im Ausmalen von einem beeindruckenden Bescheidwissen begleitet wird. Jeder Mörder dränge sich "so dicht wie möglich an den Körper heran". Die Grenzen der Moral seien die Grenzen der Gemeinschaft. Das Recht sei ein Verfahren der sozialen Kontrolle und Verfolgung. Auf diese Weise geht es in einem fort, so tiefbedeutend wie unbegründet. Daß Kultur und Gesellschaft auf der Erlaubnis zum Töten beruhen und zugleich die Kultur "auf der Todesangst" gründe, gibt Rätsel auf. Da die Kultur, wie unschwer zu erkennen, noch auf einer ganzen Menge anderer Dinge "gründet", wäre es nur höflich gegenüber den Lesern, die Bevorzugung des Todes und des Tötens ein wenig auszuführen.
Da das nicht geschieht, bleibt der Eindruck, daß Sofsky solche Thesen einleuchten, weil sie grimmig sind, düstere Farbwerte abwerfen und insofern zur jüngsten Geschichte passen. Er mag diese Haltung zu seinem Gegenstand für besonders illusionslos halten. Sie ist aber nur illustrativ. Und lernen läßt sich nichts daraus. Über das Böse sollte nur schreiben, wer die Vorstellung, es müsse nicht sein, nicht für eine Illusion hält.
Wolfgang Sofsky: "Zeiten des Schreckens". Amok, Terror, Krieg. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 256 S., geb., 19,90.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Misanthropologisch: Wolfgang Sofskys Studien über die Formen der Gewalt / Von Jürgen Kaube
Das Böse als wirklich zu behaupten, kann nach den Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts mit Terror, Verfolgung und Vernichtung nicht als theologisches Sondervotum abgetan werden. Und doch ist verständlich, daß der Begriff des Bösen in theologischer Obhut blieb. Biologische Verhaltensforschung und Psychologie greifen mit Konstrukten wie "Aggression" oder "Trieb" an den Sachverhalten vorbei. Die Beschreibung des Ungeheuerlichen führt aber auch aus der Ethik heraus, weil sich das moralische Urteil über sie von selbst versteht. Selbst das Strafrecht erreicht nicht, was die betreffenden Vorgänge entsetzlicher als die meisten Gewalttaten macht. Das Problem ist nicht, wie sie zu bewerten sind, sondern worum es sich bei ihrer Bösartigkeit überhaupt handelt.
Gibt es hierauf andere als theologische Antworten? Historische und soziologische Vergleiche liegen nahe. Denn es ist nicht nur das Ausmaß des Schreckens, sondern auch die Inkongruenz der Erwartungen mit den Geschehnissen, die sie zu Extremfällen machen. Vier Theorien über diese Inkongruenz erwähnt Wolfgang Sofsky in seinem Buch. Die erste erkennt in den modernen Gewaltexzessen Rückfälle hinter einen fortlaufend verbesserten Stand der Zivilisierung von gewalttätigen Impulsen. Entgegengesetzt behaupten die zweite und dritte Theorie, nicht die unvollendete, sondern die vollendete Moderne entfalte jenen Schrecken, indem die Kälte, die zu seiner Hervorbringung nötig ist, eine Begleiterscheinung von wissenschaftlicher, technischer und bürokratischer Rationalität darstelle. Beide Theorien unterscheiden sich darin, ob sie Modernität für eine hinreichende oder eine bloß notwendige Bedingung des Terrors halten. Die vierte Deutung entkoppelt den historischen Zusammenhang. Zwischen zivilisierten und älteren Gesellschaften zu unterscheiden, sei trügerisch. Gewalt und Grausamkeit seien Invarianten der Geschichte, nicht unsere Erfahrungen damit, sondern unsere Erwartungen seien einzigartig.
Der Autor erwähnt diese Theorien, hält ihnen vor, zum Verständnis der Ereignisse wenig beigetragen zu haben - und kommt für den Rest seiner Deutung von Tatbeständen exzessiver Gewalt ohne jede Theoriebildung aus. Das begründet er damit, "großformatige" Theorien seien immun gegen die Detailanalyse. Aber woher dann gerade angesichts des Ungeheuerlichen die Begriffe nehmen? Sofsky entnimmt die seinen zumeist den Umständen, die er beschreibt. Er typisiert Sachverhalte wie den Mob, den Amoklauf, die Razzia, das Gefecht oder den Todesmarsch. Die Geschichte bietet ihm zumeist nur die Beispiele, um zu ermitteln, was in "dem" Krieg, "dem" Gemetzel, "dem" Attentat abläuft. Die Gesellschaft bietet nur den Rahmen für besondere Ausprägungen solcher Handlungsformen. Sofsky interessiert sich weniger für die Ausprägungen als für die Formen. Nicht historische Ereignisse stünden im Vordergrund, heißt es nicht gerade kleinformatig, sondern "jene Tatsachen, welche jeder Geschichte zugrunde liegen". Aus der Detailanalyse soll also nichts weniger als eine Anthropologie herausspringen.
Das heißt: Nicht in der bürokratischen Exekution politischer Befehle, im Weltbürgerkrieg der Ideologien oder in den Gründen deformierter Sozialcharaktere liegt für Sofsky der Schlüssel zum Schrecken. Vielmehr handele es sich bei dem in Auschwitz, Kolyma oder Srebrenica Geschehenen um Vorgänge, die "in die Grundformen des Sozialen systematisch eingebaut" sind. Das Blutbad und die Niedertracht sind universelle Erscheinungen, "in seinem Haß ist der Homo sapiens unabhängig von der Zugehörigkeit zu jeder Ethnie, Nation oder Klasse". Die Moderne bündele ihn nur, indem der Staat ungeheure Mittel und der Nationalismus dazu passende Verfolgungsideale mobilisiere. An mörderischen Untaten wird auf diese Weise demonstriert, daß sie sich weder aus den Motiven der Täter noch aus Ideen, weder aus besonderen sozialen Strukturen noch aus Befehlen zureichend erklären lassen. Gewaltverbrechen ereignen sich für Sofsky also als situative Enthemmungen von Energien, die "der Mensch" in sich berge. Auf dem Grund aller Gewalt liegen Lust am Exzeß, Verachtung, Vernichtungseifer.
Der Preis solcher anthropologischen Erklärungen ist nicht nur die Tautologie - es gibt Gewalt, weil der Mensch gewalttätig ist -, sondern auch die Ersetzung von Argumenten durch Bilder. Zu den stärksten Impulsen des Menschen, heißt es als Kommentar zu einem Lynchmord, gehöre es, "sich immer wieder dem Feuer anzuverwandeln" und "sich selbst das Feuer zu entfachen, das ihn mit allen anderen vereint" - man möchte bitten, daß solchen haltlosen Behauptungen wenigstens ein Lichtlein entfacht würde, um sich im bedeutungsvollen Dunkel, das um sie ist, besser zurechtfinden zu können. Sofsky würde sich vermutlich mit seiner These verteidigen, eine Quelle der Gewalt sei die Vorstellungskraft. Was ja auch insofern stimmt, als die Vorstellungskraft eine Quelle von allem ist. Ob es der menschliche Geist darum verdient "verhängnisvoll" genannt zu werden? Wenn Imagination, Verstand und Wille sowohl das Böse wie das Gute befördern, heißt das doch nur, daß sie eben keine geeigneten Grundbegriffe sind, um das Entsetzliche zu analysieren.
Seine eigene Vorstellungskraft investiert Sofsky vorzugsweise in Schilderungen. "Zuerst hört man die Motorräder und Lastwagen näher kommen, dann quietschen Bremsen, das Geräusch genagelter Stiefel, die auf Straßen springen: Befehle, Hundegebell, Gewehrkolben schlagen gegen die Tür." So beginnt der Abschnitt über die Razzia, in dem sich dann Einsichten finden wie "Während der Augenblick des Anschlags die Zeit durchbricht, dauert die Razzia an" oder der Befund, Razzien seien zwar geplant, aber in ihrer Durchführung ergäben sich zahlreiche Freiräume. Ein Stück über Wahrnehmungsbelastungen in Schützengräben weiß von ihnen dies: "Immer wieder kehrt die Feuerwalze zurück, ihr endloses Heranfluten und Abebben zerrüttet die Nerven. Kurz vor dem Sturmangriff schwillt der Lärm zu einem Brüllen an." Über Seiten hinweg soll offenbar ein Eindruck oder Sound davon vermittelt werden, wie es ist, wenn Amok gelaufen, gebrandschatzt oder sturmgelaufen wird.
Aber woher weiß er das? Woher weiß er, wie es ist und wie es sich anfühlt, ein Opfer von Todesmärschen oder Razzien zu sein? Woher, welche Gelüste Täter verspüren? Daß solche Fragen nicht aufkommen, liegt daran, daß sie schon beantwortet sind. Film und Fernsehen und Romane sind die Quellen des Anthropologen, weshalb die Darstellung oft nicht zum Nachdenken, aber stets zum Wiedererkennen anregt. Daß Hunde bellen, wenn verfolgt wird, ist keine Detailanalyse, sondern ein Gemeinplatz. Daß "die Zeit der Tat" eine andere ist als "die Zeit des Leidens", weil der Attentäter sich vorbereitet, das Opfer aber überrascht wird, müßte dann Gemeinstplatz heißen.
Diese bildmedienästhetisch vermittelte Einfühlung in die Szenerie von Gewaltverbrechen und ihre Betroffenen kann man als Stilproblem stehenlassen. Keine Frage des Geschmacks ist es hingegen, wenn die Ausführlichkeit im Ausmalen von einem beeindruckenden Bescheidwissen begleitet wird. Jeder Mörder dränge sich "so dicht wie möglich an den Körper heran". Die Grenzen der Moral seien die Grenzen der Gemeinschaft. Das Recht sei ein Verfahren der sozialen Kontrolle und Verfolgung. Auf diese Weise geht es in einem fort, so tiefbedeutend wie unbegründet. Daß Kultur und Gesellschaft auf der Erlaubnis zum Töten beruhen und zugleich die Kultur "auf der Todesangst" gründe, gibt Rätsel auf. Da die Kultur, wie unschwer zu erkennen, noch auf einer ganzen Menge anderer Dinge "gründet", wäre es nur höflich gegenüber den Lesern, die Bevorzugung des Todes und des Tötens ein wenig auszuführen.
Da das nicht geschieht, bleibt der Eindruck, daß Sofsky solche Thesen einleuchten, weil sie grimmig sind, düstere Farbwerte abwerfen und insofern zur jüngsten Geschichte passen. Er mag diese Haltung zu seinem Gegenstand für besonders illusionslos halten. Sie ist aber nur illustrativ. Und lernen läßt sich nichts daraus. Über das Böse sollte nur schreiben, wer die Vorstellung, es müsse nicht sein, nicht für eine Illusion hält.
Wolfgang Sofsky: "Zeiten des Schreckens". Amok, Terror, Krieg. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 256 S., geb., 19,90
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Zwei Bücher über die Welt nach 9. September stellt Andreas Bock uns vor, zwei Bücher, denen eine wenig hoffnungsfrohe Perspektive gemein ist: Der Krieg wird weitergehen. Jenseits dieser Perspektive, so Bock, unterscheiden sich die beiden Bände allerdings erheblich. Während Strobe Talbott und Nayan Chanda in ihrem Sammelband über "Das Zeitalter des Terrors" (Propyläen) acht renommierte Wissenschaftler zu Wort kommen lassen, die leider die Vermutung bestätigen, "dass in den USA komplexe Erklärungsansätze derzeit keine Konjunktur haben" (so huldigen die Beiträger im wesentlichen der Macht der USA oder gar der "völligen Vernichtung" als dem einzigen Mittel gegen die Bedrohung), nähert sich Wolfgang Sofsky dem Thema mit "Zeiten des Schreckens" (Fischer) nicht über Ideologien, sondern über "das Menschliche im Tötungsakt". Die Gewalt, zitiert Bock den Autor, ergebe sich aus der spezifischen Menschlichkeit des Menschen. Und das stimmt, tatsächlich, mindestens ebenso hoffnungsfroh wie es differenziert klingt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Zwei Bücher über die Welt nach 9. September stellt Andreas Bock uns vor, zwei Bücher, denen eine wenig hoffnungsfrohe Perspektive gemein ist: Der Krieg wird weitergehen. Jenseits dieser Perspektive, so Bock, unterscheiden sich die beiden Bände allerdings erheblich. Während Strobe Talbott und Nayan Chanda in ihrem Sammelband über "Das Zeitalter des Terrors" (Propyläen) acht renommierte Wissenschaftler zu Wort kommen lassen, die leider die Vermutung bestätigen, "dass in den USA komplexe Erklärungsansätze derzeit keine Konjunktur haben" (so huldigen die Beiträger im wesentlichen der Macht der USA oder gar der "völligen Vernichtung" als dem einzigen Mittel gegen die Bedrohung), nähert sich Wolfgang Sofsky dem Thema mit "Zeiten des Schreckens" (Fischer) nicht über Ideologien, sondern über "das Menschliche im Tötungsakt". Die Gewalt, zitiert Bock den Autor, ergebe sich aus der spezifischen Menschlichkeit des Menschen. Und das stimmt, tatsächlich, mindestens ebenso hoffnungsfroh wie es differenziert klingt.
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