Im Jahr 1979 häuften sich weltweit Krisen, Revolutionen und euphorische Aufbrüche. Die iranische Revolution, die Aufnahme der Boat People, die Öffnung Chinas, Margaret Thatchers neoliberale Wende, der Atomunfall in Harrisburg oder die Gründung der GRÜNEN brachten vom Islamismus bis zum Umweltschutz neue Themen auf die weltpolitische Agenda. Frank Bösch schildert in seinem brillanten Panorama, wie diese Ereignisse 1979 aufkamen und warum sie uns bis heute beschäftigen. Eine faszinierende Zeitreise zu den Quellen userer Gegenwart.
1979 wurde als «das Schlüsseldatum des 20. Jahrhunderts» (Peter Sloterdijk) und der «Beginn der multipolaren Welt von heute» (Claus Leggewie) bezeichnet. Nun begann Chinas rasanter Aufstieg zur globalen Wirtschaftsmacht, und mit der Revolution im Iran betrat der radikale Islam die Weltbühne, bald angeheizt vom sowjetischen Einmarsch in Afghanistan. Zugleich wurde der Sozialismus, wie der Papstbesuch in Polen unterstrich, durch Proteste unter dem Dach der Kirchen herausgefordert. Im Westen entstanden mit Thatchers Neoliberalismus und Öko-Parteien wegweisende neue Weltanschauungen. Eine neuartige globale Solidarität lösten die Revolutionen in Nicaragua und die vietnamesischen Boat-People aus. Deren engagierte Aufnahme ging freilich mit neuem Fremdenhass einher. Frank Bösch lässt uns in meisterhaften Nahaufnahmen und im Weitwinkel nachvollziehen, wie sich in der «Zeitenwende 1979» politische Konstellationen und Wahrnehmungen wandelten. Er zeigt dabei, wie entfernte Ereignisse in einer global vernetzten Welt Deutschland beeinflussten. Auf Grundlage bisher unbekannter Dokumente wird deutlich, wie Politiker intern agierten, Medien Themen setzten und gesellschaftliche Bewegungen Einfluss nahmen. So entsteht das Panorama einer neuen Ordnung der Welt.
1979 wurde als «das Schlüsseldatum des 20. Jahrhunderts» (Peter Sloterdijk) und der «Beginn der multipolaren Welt von heute» (Claus Leggewie) bezeichnet. Nun begann Chinas rasanter Aufstieg zur globalen Wirtschaftsmacht, und mit der Revolution im Iran betrat der radikale Islam die Weltbühne, bald angeheizt vom sowjetischen Einmarsch in Afghanistan. Zugleich wurde der Sozialismus, wie der Papstbesuch in Polen unterstrich, durch Proteste unter dem Dach der Kirchen herausgefordert. Im Westen entstanden mit Thatchers Neoliberalismus und Öko-Parteien wegweisende neue Weltanschauungen. Eine neuartige globale Solidarität lösten die Revolutionen in Nicaragua und die vietnamesischen Boat-People aus. Deren engagierte Aufnahme ging freilich mit neuem Fremdenhass einher. Frank Bösch lässt uns in meisterhaften Nahaufnahmen und im Weitwinkel nachvollziehen, wie sich in der «Zeitenwende 1979» politische Konstellationen und Wahrnehmungen wandelten. Er zeigt dabei, wie entfernte Ereignisse in einer global vernetzten Welt Deutschland beeinflussten. Auf Grundlage bisher unbekannter Dokumente wird deutlich, wie Politiker intern agierten, Medien Themen setzten und gesellschaftliche Bewegungen Einfluss nahmen. So entsteht das Panorama einer neuen Ordnung der Welt.
"Ein einsichtsreiches Sachbuch über die Geburt des Neoliberalismus und der grünen Ideologie, das Ende des sowjetischen Imperiums und den Beginn der Herrschaft der Ayatollahs."
Denis Scheck, Druckfrisch
"Frank Böschs Buch ist ein wunderbarer Brunnen, aus dem man gar nicht genug schöpfen kann."
Franziska Augstein, Süddeutsche Zeitung
Denis Scheck, Druckfrisch
"Frank Böschs Buch ist ein wunderbarer Brunnen, aus dem man gar nicht genug schöpfen kann."
Franziska Augstein, Süddeutsche Zeitung
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.02.2019Vergleichbares und Unvergleichbares
Eine "Jahresmonographie" über das ereignisreiche Jahr 1979
Es ist müßig, darüber zu streiten, ob 1979 tatsächlich das "Schlüsseldatum des 20. Jahrhunderts" (Peter Sloterdijk) war, ob damals "die Welt von heute begann", wie Frank Böschs Buch "Zeitenwende" im Untertitel behauptet. Wahrscheinlich folgt das Buch eher dem Trend der erfolgreichen "Jahresmonograpien" ("1913", "1919" etc.), überdies passt es in die erinnerungspolitische Agenda, 40 Jahre später einen Rückblick auf das in der Tat ereignisreiche Jahr 1979 zu werfen. In zehn Kapiteln nimmt der Autor Ereignisse wie die Rückkehr des Ajatollah Chomeini nach Teheran am 1. Februar unter die Lupe oder beschreibt die Folgen der Ausstrahlung des amerikanischen Fernseh-Vierteilers "Holocaust". Zusammenhänge zwischen einigen Kapiteln gibt es, aber sie werden eher angedeutet oder behauptet - "viele Ereignisse waren direkt oder zumindest indirekt miteinander verbunden" - als dass sie in einen analytischen Gesamtrahmen gestellt würden, was auch kaum gelungen wäre.
Die Behauptung ist, dass sich 1979 angebahnt habe, was womöglich erst Jahrzehnte später zur vollen Entfaltung kam. So war die Rückkehr des schiitischen Ajatollah Chomeini sicherlich ein Wendepunkt in der Geschichte des Nahen Ostens, ebenso wie die Besetzung der Großen Moschee durch sunnitische Extremisten in Mekka 1979, die erst nach einem Massaker mit mehr als tausend Toten beendet werden konnte. Seit damals wurde der jahrhundertealte Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten um Vorherrschaft zunehmend erbittert und blutig ausgetragen. Ebenso richtig ist es, dass der erste Besuch des polnischen Papstes Johannes Paul II. in seiner Heimat zum Verfall des dortigen kommunistischen Regimes beigetragen hat. Eine Rolle beim Untergang des Kommunismus hat zweifellos auch der Einmarsch der Sowjetarmee in Afghanistan gespielt. Nach einem grausamen und verlustreichen Krieg gegen die islamischen Glaubenskrieger ("Mudschahedin") mussten sich die Sowjets nach zehn Jahren gedemütigt aus dem Land am Hindukusch zurückziehen.
Daraus Rückschlüsse auf die Wirkmacht der Religion im 21. Jahrhundert zu ziehen, schlägt allerdings grundverschiedene Dinge über einen Leisten: Die Bedeutung der katholischen Kirche in Polen (wie auch die der evangelischen Kirche in der DDR, die der dortigen Friedensbewegung geschützte Räume gewährt hatte) verfiel nach den erfolgreichen friedlichen Revolutionen relativ schnell, während der Islamismus seinen Nährboden bis heute in der verbreiteten Unzufriedenheit über Korruption, soziale Missstände und den Mangel an Freiheit und Demokratie in den Staaten des Mittleren Ostens hat. Ob in Iran, nach vierzig Jahren eines repressiven, inkompetenten Mullah-Regimes, immer noch religiöses Feuer lodert, darf im übrigen bezweifelt werden. Der islamistische Terror ist außerdem meist mit sunnitischen Gruppen (Al Qaida oder IS) verbunden; Iran mit seiner schiitischen Führung setzt auf Bündnisse mit Glaubensgenossen im Irak, im Libanon oder in Syrien, um mit staatlich-militärischen Mitteln Destabilisierung zu betreiben.
Nicht ganz in die Reihe passt die sandinistische Revolution in Nicaragua. Bösch nimmt sie als Beispiel dafür, wie sich verschiedene Gruppen aus linksalternativen und/oder kirchlichen Milieus erstmals zu gemeinsamen Projekten zusammenschlossen, getragen von einer als Netzwerk organisierten Solidaritätsbewegung in Deutschland. Ob Nicaragua ein Vorbild war "für den Aufbruch jener Länder der ,Dritten Welt', die eigene Wege jenseits der bipolaren Ordnung" gehen wollten, ist jedoch zweifelhaft - dafür war und ist das Land zu unbedeutend. Die Sandinisten bildeten zunächst eine Regierungsjunta, deren liberale Mitglieder wie der Schriftsteller Sergio Ramirez, der später auch Vizepräsident wurde, allerdings Aushängeschilder ohne politisches Eigengewicht waren. In Wirklichkeit handelte es sich um eine ziemlich reinrassige Partei-Diktatur. Nach einer ersten Wahlniederlage 1990 und zwei weiteren verlorenen Wahlen kam der Sandinisten-Führer Daniel Ortega, von dem sich inzwischen die meisten früheren Weggenossen abgewandt hatten, 2006 wieder an die Macht und behauptet sich seither als korrupter "Caudillo" und Diktator in unseliger lateinamerikanischer Tradition - da steht er in einer langen Reihe mit anderen. Nicaragua aber ist so arm geblieben, wie es immer war.
Weltpolitische Folgen hatte dagegen zweifellos die Öffnung Chinas unter Deng Xiaoping, die Bösch unter dem Titel "Wege in die Globalisierung" beschreibt: Das war der Beginn einer wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte, die heute von vielen im Westen als Bedrohung angesehen wird, weil sie stets unter strikter Kontrolle der KP Chinas stand. Ein wenig seltsam mutet an, dass Bösch die Wahl von Margaret Thatcher zur britischen Premierministerin mit der Gründung der Grünen in Deutschland unter der Überschrift "Neoliberalismus und Ökologie" verbindet. Weitere Kapitel sind der zweiten Ölkrise gewidmet, obwohl die erste (1973) womöglich folgenreicher war: Sie beendete den vom Wiederaufbau befeuerten Nachkriegsboom der europäischen Wirtschaften und führte in die erste große Rezession nach dem Zweiten Weltkrieg. Der AKW-Unfall im Reaktor von Three Mile Island im amerikanischen Harrisburg gab der Anti-AKW-Bewegung, die in Deutschland Anfang/Mitte der siebziger Jahre im Kampf gegen den Bau eines Reaktors im badischen Whyl entstanden war, sicherlich Auftrieb. Aber weitaus wirkmächtiger waren, jedenfalls in Europa, die Katastrophen von Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011.
Trotz ähnlicher Verlaufsmuster - erst herzlicher Empfang, dann zunehmende Ablehnung - ist auch zweifelhaft, ob man die Rettung der "Boat People" aus Vietnam in eine Reihe mit den Ereignisse von 2014/15 stellen kann - dagegen sprechen schon die Zahlen. Immerhin erfährt man en passant, dass Alexander Gauland, damals Büroleiter des Frankfurter Oberbürgermeisters Walter Wallmann (CDU), Anfang 1979 ein Kontingent von 250 Flüchtlingen höchstpersönlich in Hongkong abholte. In diesem Kontext zitiert Bösch auch einen förmlichen Kabinettsbeschluss der sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler Helmut Schmidt vom 11. November 1981, "dass die Bundesrepublik Deutschland kein Einwanderungsland ist und auch nicht werden soll." Das zeigt, dass die Unionsparteien nicht die einzigen waren, die diese Position vertraten.
Das Abschlusskapitel beschreibt, wie die weltweite Ausstrahlung des Filmes "Holocaust" zum Ausgangspunkt der Entstehung einer neuen Gedenkkultur wurde - in Amerika und darüber hinaus. In Deutschland, das um sein Image im Ausland besorgt war, gab es von offizieller Seite Bedenken und Widerstände, weil man Angst hatte, der Ruf der gerade 30 Jahre alten Bundesrepublik könnte Schaden nehmen.
Das alles wird sachlich korrekt und trocken referiert, aber kaum wirklich erzählt. Anekdoten, welche die damalige Stimmung anschaulich machen könnten, kommen so gut wie nicht vor. Die Botschaftsberichte, die der Autor als Quellen erschlossen hat, bringen keine wirklich neuen Erkenntnisse, sondern bestätigen, was man schon wusste. Der "rote Faden", mit dem Bösch arbeitet, nämlich dass 1979 die "Ordnung des Kalten Krieges ... durch eine mosaikartige Konstellation ergänzt" und die Welt mit diesen Umbrüchen multipolarer wurde, ist so allgemein, dass er zwar überall durchschimmern kann, aber auch nicht besonders aussagekräftig ist. Als Erinnerung an Ereignisse, deren Bedeutung unbestreitbar ist, auch wenn sie seit 1989/90 von einer sich überstürzenden weltpolitischen Entwicklung gewissermaßen verschüttet wurden, hat das Buch dennoch seinen Nutzen.
GÜNTHER NONNENMACHER
Frank Bösch:
Zeitenwende 1979.
Als die Welt von heute begann.
C. H. Beck Verlag, München 2019. 512 S.,28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine "Jahresmonographie" über das ereignisreiche Jahr 1979
Es ist müßig, darüber zu streiten, ob 1979 tatsächlich das "Schlüsseldatum des 20. Jahrhunderts" (Peter Sloterdijk) war, ob damals "die Welt von heute begann", wie Frank Böschs Buch "Zeitenwende" im Untertitel behauptet. Wahrscheinlich folgt das Buch eher dem Trend der erfolgreichen "Jahresmonograpien" ("1913", "1919" etc.), überdies passt es in die erinnerungspolitische Agenda, 40 Jahre später einen Rückblick auf das in der Tat ereignisreiche Jahr 1979 zu werfen. In zehn Kapiteln nimmt der Autor Ereignisse wie die Rückkehr des Ajatollah Chomeini nach Teheran am 1. Februar unter die Lupe oder beschreibt die Folgen der Ausstrahlung des amerikanischen Fernseh-Vierteilers "Holocaust". Zusammenhänge zwischen einigen Kapiteln gibt es, aber sie werden eher angedeutet oder behauptet - "viele Ereignisse waren direkt oder zumindest indirekt miteinander verbunden" - als dass sie in einen analytischen Gesamtrahmen gestellt würden, was auch kaum gelungen wäre.
Die Behauptung ist, dass sich 1979 angebahnt habe, was womöglich erst Jahrzehnte später zur vollen Entfaltung kam. So war die Rückkehr des schiitischen Ajatollah Chomeini sicherlich ein Wendepunkt in der Geschichte des Nahen Ostens, ebenso wie die Besetzung der Großen Moschee durch sunnitische Extremisten in Mekka 1979, die erst nach einem Massaker mit mehr als tausend Toten beendet werden konnte. Seit damals wurde der jahrhundertealte Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten um Vorherrschaft zunehmend erbittert und blutig ausgetragen. Ebenso richtig ist es, dass der erste Besuch des polnischen Papstes Johannes Paul II. in seiner Heimat zum Verfall des dortigen kommunistischen Regimes beigetragen hat. Eine Rolle beim Untergang des Kommunismus hat zweifellos auch der Einmarsch der Sowjetarmee in Afghanistan gespielt. Nach einem grausamen und verlustreichen Krieg gegen die islamischen Glaubenskrieger ("Mudschahedin") mussten sich die Sowjets nach zehn Jahren gedemütigt aus dem Land am Hindukusch zurückziehen.
Daraus Rückschlüsse auf die Wirkmacht der Religion im 21. Jahrhundert zu ziehen, schlägt allerdings grundverschiedene Dinge über einen Leisten: Die Bedeutung der katholischen Kirche in Polen (wie auch die der evangelischen Kirche in der DDR, die der dortigen Friedensbewegung geschützte Räume gewährt hatte) verfiel nach den erfolgreichen friedlichen Revolutionen relativ schnell, während der Islamismus seinen Nährboden bis heute in der verbreiteten Unzufriedenheit über Korruption, soziale Missstände und den Mangel an Freiheit und Demokratie in den Staaten des Mittleren Ostens hat. Ob in Iran, nach vierzig Jahren eines repressiven, inkompetenten Mullah-Regimes, immer noch religiöses Feuer lodert, darf im übrigen bezweifelt werden. Der islamistische Terror ist außerdem meist mit sunnitischen Gruppen (Al Qaida oder IS) verbunden; Iran mit seiner schiitischen Führung setzt auf Bündnisse mit Glaubensgenossen im Irak, im Libanon oder in Syrien, um mit staatlich-militärischen Mitteln Destabilisierung zu betreiben.
Nicht ganz in die Reihe passt die sandinistische Revolution in Nicaragua. Bösch nimmt sie als Beispiel dafür, wie sich verschiedene Gruppen aus linksalternativen und/oder kirchlichen Milieus erstmals zu gemeinsamen Projekten zusammenschlossen, getragen von einer als Netzwerk organisierten Solidaritätsbewegung in Deutschland. Ob Nicaragua ein Vorbild war "für den Aufbruch jener Länder der ,Dritten Welt', die eigene Wege jenseits der bipolaren Ordnung" gehen wollten, ist jedoch zweifelhaft - dafür war und ist das Land zu unbedeutend. Die Sandinisten bildeten zunächst eine Regierungsjunta, deren liberale Mitglieder wie der Schriftsteller Sergio Ramirez, der später auch Vizepräsident wurde, allerdings Aushängeschilder ohne politisches Eigengewicht waren. In Wirklichkeit handelte es sich um eine ziemlich reinrassige Partei-Diktatur. Nach einer ersten Wahlniederlage 1990 und zwei weiteren verlorenen Wahlen kam der Sandinisten-Führer Daniel Ortega, von dem sich inzwischen die meisten früheren Weggenossen abgewandt hatten, 2006 wieder an die Macht und behauptet sich seither als korrupter "Caudillo" und Diktator in unseliger lateinamerikanischer Tradition - da steht er in einer langen Reihe mit anderen. Nicaragua aber ist so arm geblieben, wie es immer war.
Weltpolitische Folgen hatte dagegen zweifellos die Öffnung Chinas unter Deng Xiaoping, die Bösch unter dem Titel "Wege in die Globalisierung" beschreibt: Das war der Beginn einer wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte, die heute von vielen im Westen als Bedrohung angesehen wird, weil sie stets unter strikter Kontrolle der KP Chinas stand. Ein wenig seltsam mutet an, dass Bösch die Wahl von Margaret Thatcher zur britischen Premierministerin mit der Gründung der Grünen in Deutschland unter der Überschrift "Neoliberalismus und Ökologie" verbindet. Weitere Kapitel sind der zweiten Ölkrise gewidmet, obwohl die erste (1973) womöglich folgenreicher war: Sie beendete den vom Wiederaufbau befeuerten Nachkriegsboom der europäischen Wirtschaften und führte in die erste große Rezession nach dem Zweiten Weltkrieg. Der AKW-Unfall im Reaktor von Three Mile Island im amerikanischen Harrisburg gab der Anti-AKW-Bewegung, die in Deutschland Anfang/Mitte der siebziger Jahre im Kampf gegen den Bau eines Reaktors im badischen Whyl entstanden war, sicherlich Auftrieb. Aber weitaus wirkmächtiger waren, jedenfalls in Europa, die Katastrophen von Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011.
Trotz ähnlicher Verlaufsmuster - erst herzlicher Empfang, dann zunehmende Ablehnung - ist auch zweifelhaft, ob man die Rettung der "Boat People" aus Vietnam in eine Reihe mit den Ereignisse von 2014/15 stellen kann - dagegen sprechen schon die Zahlen. Immerhin erfährt man en passant, dass Alexander Gauland, damals Büroleiter des Frankfurter Oberbürgermeisters Walter Wallmann (CDU), Anfang 1979 ein Kontingent von 250 Flüchtlingen höchstpersönlich in Hongkong abholte. In diesem Kontext zitiert Bösch auch einen förmlichen Kabinettsbeschluss der sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler Helmut Schmidt vom 11. November 1981, "dass die Bundesrepublik Deutschland kein Einwanderungsland ist und auch nicht werden soll." Das zeigt, dass die Unionsparteien nicht die einzigen waren, die diese Position vertraten.
Das Abschlusskapitel beschreibt, wie die weltweite Ausstrahlung des Filmes "Holocaust" zum Ausgangspunkt der Entstehung einer neuen Gedenkkultur wurde - in Amerika und darüber hinaus. In Deutschland, das um sein Image im Ausland besorgt war, gab es von offizieller Seite Bedenken und Widerstände, weil man Angst hatte, der Ruf der gerade 30 Jahre alten Bundesrepublik könnte Schaden nehmen.
Das alles wird sachlich korrekt und trocken referiert, aber kaum wirklich erzählt. Anekdoten, welche die damalige Stimmung anschaulich machen könnten, kommen so gut wie nicht vor. Die Botschaftsberichte, die der Autor als Quellen erschlossen hat, bringen keine wirklich neuen Erkenntnisse, sondern bestätigen, was man schon wusste. Der "rote Faden", mit dem Bösch arbeitet, nämlich dass 1979 die "Ordnung des Kalten Krieges ... durch eine mosaikartige Konstellation ergänzt" und die Welt mit diesen Umbrüchen multipolarer wurde, ist so allgemein, dass er zwar überall durchschimmern kann, aber auch nicht besonders aussagekräftig ist. Als Erinnerung an Ereignisse, deren Bedeutung unbestreitbar ist, auch wenn sie seit 1989/90 von einer sich überstürzenden weltpolitischen Entwicklung gewissermaßen verschüttet wurden, hat das Buch dennoch seinen Nutzen.
GÜNTHER NONNENMACHER
Frank Bösch:
Zeitenwende 1979.
Als die Welt von heute begann.
C. H. Beck Verlag, München 2019. 512 S.,28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Franziska Augstein prophezeit dem Buch des Zeithistorikers Frank Bösch viel Zuspruch, nicht zuletzt bei Kennern der Zeitgeschichte. Als Füllhorn der Erkenntnisse über das Jahr 1979 und die damals ausgelöste Zeitenwende - , mit der Revolution des Ayatollah Chomeini im Iran, Deng Xiaoping in China, der sowjetischen Invasion in Afghanistan und Margaret Thatchers Wahl in Britannien - bezeichnet sie den Band, als fabelhafte Sammlung von Einzeldarstellungen, bereichert durch Archivfunde über den politischen Umgang mit Menschenrechtsfragen in Nicaragua, der Türkei oder in Afghanistan. Die Zeitenwende 1979 - für Augstein hat sie der Autor überzeugend belegt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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