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Der vorliegende Band soll deutlich machen, daß sich die ungarische Gegenwartskunst den internationalen Kriterien und Maßstäben der Kunstrezeption und Kunstkritik stellen will und kann, und strebt einen Beitrag zu einer Neubewertung der ungarischen zeitgenössischen Kunst an.

Produktbeschreibung
Der vorliegende Band soll deutlich machen, daß sich die ungarische Gegenwartskunst den internationalen Kriterien und Maßstäben der Kunstrezeption und Kunstkritik stellen will und kann, und strebt einen Beitrag zu einer Neubewertung der ungarischen zeitgenössischen Kunst an.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.2000

Der Westen erscheint immer noch als wild
Wie hätten Sie's denn gern, Herr Käufer? Eine Übersicht zu Ungarns Künstlern

Von der wundersam vermehrten Aufmerksamkeit zugunsten des Gastlandes, die die Einladung Ungarns zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse erzeugt hat, profitiert auch dessen Kunst. So wurden vor kurzem in Bochum und Berlin größere Ausstellungen zeitgenössischer ungarischer Kunst gezeigt. Eher verlegerisches Kalkül vermutet man dagegen hinter der Publikation eines Sammelbandes, der termingerecht zum neuen Interesse "Zeitgenössische Kunst aus Ungarn" präsentiert.

Zeitgenossenschaft bedeutet für die Herausgeberin Barbara Sietz, die 1992 bis 1996 das Goethe-Institut in Budapest leitete, dass von den vorgestellten neunzehn Künstlern und vier Künstlerinnen niemand unter vierzig ist. Diese Kunstschaffenden haben also ihre Ausbildung - fast alle sind Absolventen der Akademie in Budapest - vor dem Umbruch von 1989 genossen, die älteren ihre Karriere unter damaligen Bedingungen vorangetrieben. Die Linien bis zur jüngsten Gegenwart sind nur fragmentarisch ausgezogen. Selbst das bescheidene Wagnis, wenigstens zwei, drei viel versprechende jüngere Künstler in die Auswahl aufzunehmen, sie den längst arrivierten, international präsenten Imre Bak, Ákos Birkás, György Jovánovics, László Lakner, Dóra Maurer, István Nadler, Endre Tót an die Seite zu stellen, ist man nicht eingegangen.

Auffällig ist auch, dass an keiner Stelle die Auswahl näher begründet wird. Dem Betrachter und Leser, der sich einen ersten Überblick verschaffen möchte - Kenner spricht diese heterogene Kompilation von Kurzporträts wohl kaum an - wird nur ansatzweise eine Topographie der künstlerischen Landschaft geliefert, in der die vorgestellten Positionen angesiedelt sind. Zwar stecken die kenntnisreichen Textbeiträge von László Glózer und Dieter Honisch, die die Wechselfälle der ungarischen Kunst im Verlauf der vergangenen hundert Jahre skizzieren, einen knappen Rahmen ab. Allerdings gehen auch sie auf neueste Entwicklungen nur am Rande ein. Beide verstehen sich letztlich als Apologeten einer Kunst, die mit vielerlei Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und immer noch hat. Denn nach der Maßregelung durch tonangebende antimodernistische Stimmen um die Jahrhundertmitte hinterließ die Doktrin des sozialistischen Realismus selbst da, wo sie angefochten wurde, ebenso fatale Spuren wie die zunehmende Kolonialisierung durch den finanzkräftigen westlichen Kunstbetrieb.

In seiner kurzen Einleitung hält der Kunsthistoriker Hans Belting fest, dass die Präsenz der Ungarn in der zeitgenössischen Kunst keiner Beweise mehr bedürfe: "Es lag an unseren Klischees, wenn wir die Ungarn aus der westlichen Kunst ausgrenzten." Das klingt recht zerknirscht und rührt zugleich an die Kernfrage, die der Leser sich beim Betrachten des Bandes unweigerlich stellen wird: Wie kommt es, dass nicht wenige der hier gezeigten Werke den Eindruck eines Déjà-vu hinterlassen? Sind nur unsere Blick-Klischees daran schuld, wenn man das Gefühl nicht los wird, diese Kunst erhebe zwar den Anspruch auf Eigenständigkeit, schiele aber dennoch heftig gen Westen?

Belting legt den Finger auf die Wunde: "Man erwartet von einem Werk zweierlei: Es soll den aktuellen ,Diskurs' in der internationalen Kunstszene widerspiegeln, aber auch die kulturelle Herkunft des Künstlers, in unserem Falle eines Ungarn, offen legen - es sei denn, dass der Künstler bereits im Westen eingemeindet ist. Dieser Balanceakt ist die Voraussetzung dafür, auf dem Kunstmarkt ernst genommen zu werden." Der Westen versucht seit einigen Jahren, angetrieben von einer eigentümlichen Mischung aus schlechtem Gewissen, echter Neugierde und latentem Exotismus, an der östlichen Peripherie Neues zu finden. Man beschwört die innovativen Kräfte, die am Anfang dieses Jahrhunderts von Osteuropa ausgingen, und hofft nun, einem dubiosen Wiederholungszwang folgend, dieses Elixier möge, nachdem die staatlichen Quellfassungen weggebrochen sind, erneut sprudeln.

Solche Erwartungen sind zu hoch gespannt, um nicht enttäuscht zu werden, das jedenfalls macht diese Auswahl klar. Vor allem die Malerei bleibt größtenteils geläufigen Mustern verhaftet. Damit genügt sie vielleicht dem ersehnten internationalen Niveau, setzt aber kaum eigene neue Maßstäbe. Prägnanten, eigenwilligen Setzungen begegnet man eher in den anspielungsreichen Skulpturen von György Jovánovics, auch in den hochironischen Zeitungsinstallationen von Valéria Sass oder im Kalkül der Raumkonstruktionen von Dóra Maurer. Auch die mysteriöse Logik der Gemälde von Attila Kovács oder die Arbeiten mit Tierdärmen von Ilona Lovas beeindrucken; und geradezu akute Intensität strahlen die Stills aus Video-Installationen von Péter Forgács aus.

Am Ende fragt man sich dennoch, wem dieser gut gemeinte, aber in Konzeption und Aufmachung doch merkwürdig sterile Überblick dienen soll. Wenn die gegenwärtige Kunstszene in Ungarn tatsächlich so lebendig ist, wie das Buch behauptet, wenn der Zeitpunkt für einen intensiveren Austausch und neue Begegnungen tatsächlich gekommen ist, bleibt dies hier toter Buchstabe. Wo finden denn die Debatten und Kontroversen statt, die den Prozess der künstlerischen Identitätsbildung gerade in Zeiten des Umbruchs begleiten, wo die "Neubewertung", von der die Herausgeberin spricht? Haben sich die Ausbildungswege der Künstler seit 1989 verändert, die Akzeptanz im eigenen Land, die Bedeutung für dessen Kulturleben? Sind die Akademie und der westliche Kunstmarkt immer noch die wichtigsten Beglaubigungsinstanzen? Derlei Fragen hätten genauere Antworten verdient. Auch wüsste man gerne, ob es schon eine ungarische Kunst gibt, die ohne das Label "Ludwig Museum Budapest" auskommt.

BARBARA BASTING

Barbara Sietz (Hrsg.): "Zeitgenössische Kunst aus Ungarn". Malerei, Skulptur, Installation, Videokunst. Aus dem Ungarischen übersetzt von Hans Skirecki. Matthes & Seitz, München 1999. 340 S., Abb., geb., 98,- DM.

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