Produktdetails
- BLT
- Verlag: Bastei Lübbe
- Seitenzahl: 126
- Abmessung: 190mm
- Gewicht: 131g
- ISBN-13: 9783404930487
- Artikelnr.: 24560174
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.05.2001Sachlich sei der Sex
Catherine Millet und ihr leidenschaftsloser Selbstenthüllungsroman
Die Hauptperson ist ein Phänomen. Auf dem Fernsehschirm, in Bernard Pivots „Bouillon de Culture”, wirkt sie freundlich, verklärt, und, wirklich, etwas schüchtern. Und doch ist sie die Protagonistin des französischen Literaturskandals dieses Frühjahrs, in dem es darum geht, wie viel Sex die Gesellschaft verträgt, und was es bedeutet, wenn seine Bilder sie dominieren.
Das Phänomen ist eine Dame, sie heißt Catherine Millet und ist seit Jahren Directrice der französischen Kunstzeitschrift artpress. Eben ist von Millet ein Büchlein auf Deutsch erschienen („Zeitgenössische Kunst”, Lübbe, 126 S., 12,90 Mark), das sie in Frankreich nicht berühmt gemacht hat. Mit ihrer Erzählung „La vie sexuelle de Catherine M.” (Récit. Editions Seuil, 221 S., 110 FF), deren Übersetzung wohl nicht lange auf sich warten lassen wird, ergeht es ihr gerade anders. Gleich zwei ganze Tageszeitungsseiten hat Le Monde ihrem literarischen Erstling gewidmet.
Das kriegt kaum einer. Wie macht man das? Die drei Fotos zum Monde-Artikel legen nahe, dass Madame Millet sich ausgezogen hat. Zuerst für Jacques Henric, ihren Mann. Doch auch mit der Publikation der Fotos wäre Millet kaum bekannt geworden. Es gibt schon viele Nackte im Bild. Es hat zum Medien-Event, das mit Hilfe von Philippe Sollers gut organisiert war, ein Buch gebraucht, in dem nur Buchstaben stehen. Es erzählt, deutlich autobiografisch versetzt, von der ausschweifenden Neigung der Kunstzeitschriften-Directrice zum, ja, Gruppensex. Die Frau macht sich zum Objekt. Französisch klingt das netter: Man schreibt „partouzer”.
Die Fotos, wie die Erzählung, sind selten reißerisch, der Stil meist lapidar: Millet ist alleine, steigt in einen Wohnwagen, sitzt am Straßenrand, läuft nur mit einem Mantel bekleidet durch die Bahnhofshalle von Port Bou. Natürlichkeit von Nacktheit im Alltag wird inszeniert. Schwarzweiß spielen einige, über den apathischen Blick der Darstellerin, ironisch mit dem Topos Verführung. Andere haben den schwierigen Charme von DDR-FKK-Urlaubsbildern, manche zitieren aus dem fotografischen Bild von 68er Kommunen.
Ginge es nur darum, dass eine Frau einen Porno geschrieben hätte – niemand wunderte sich heute. Das Genre hat seine Kunden. Doch das Erstaunliche an Millets Buch ist, dass sie, wie auf den Fotos, darin eine nicht da gewesene Offenheit als Ausdruck von Natürlichkeit behauptet. Die Lektüre wird nicht durch brutale Perversionen schmackhaft gemacht. Auch keine „nymphomanische Hysterie” bestimmt den Ton, kein stilistisches Anmach-Gehabe. Leserin und Leser werden mit den „Fakten” konfrontiert: der a-personalen Struktur dieser Sexualität, ihren schmuddligen Schauplätzen, vom Parkplatz bis zu den Gebüschen des Bois de Boulogne. Mit der Zahl der Männer (5, 10, 30), denen die schüchterne Millet sich dort zur Verfügung gestellt hat. Mit ihrer Hingabe . Dabei vernachlässigt sie nie die freizügige Beziehung zu Henric, dem Lebenspartner über 30 Jahre hinweg.
Das Besondere von Millets Buch zeigt am deutlichsten der Kontrast zu Henrics die Fotos begleitenden „Legenden”, die parallel ebenfalls als Buch erschienen sind(„Légendes de Catherine M.”, Denoël 2001, 205 S., 130 FF). Statt Millets Lakonie bietet Jacques Henric einen symbolischen Wald. Kaum eine Seite lang kommt der ältere Herr, der sich auf dem Autorenfoto in einen Motorraddress geworfen hat, ohne Hinweise auf Größen wie Bataille, Sartre, Benjamin und viele andere aus. Sehr viele Zitate, wenig eigene Gedanken. Und hinter jeder Referenz steht die beflissene Absicht: Ich erklär’ euch, was es bedeutet.
Es hat nicht viel zu bedeuten, sagt Millet. Es hat auch keine besonderen Gründe. Weder enorme Repressionen, noch psychische Deformationen. Auch keine großen Freiheitswünsche. Ohne jede Dramatisierung, ohne jedes Pathos der Leidenschaft erzählt Millet souverän, wie die mit ihr unverwechselbare Kunstfigur Catherine M. kurz nach dem ordentlichen Verlust der Jungfräulichkeit mit 18, als Mädchen auf ein Fest in Lyon kommt, wo sie zum erstenmal partouziert. Sie sei, sagt sie, und vielleicht ist das eine der größten Provokationen des Buchs, bei all ihren a-personalen Aktivitäten, die mit bürgerlichem „Partnertausch” wenig zu tun haben, immer gut, rücksichtsvoll behandelt worden.
Millet verdrängt auch klassische Krisen-Themen wie Eifersucht nicht, erzählt so nebenher davon. Das gibt es, will sie sagen, aber es hat keine Rolle gespielt. Dieser generellen Unaufgeregtheit entspricht ein unnachgiebig sachlicher Stil beim Erzählen des Skandals. Wenn Catherine Männer sah und ihre gelegentlich bis ins Einzelne beschriebenen Geschlechtsteile, dann war das für sie, schreibt die Kunstkritikerin, so etwas wie eine Bildanalyse.
Manchmal mutet „La vie sexuelle de Catherine M.” wie das Erziehungswerk eines jener märchenhaften afrikanischen Stämme an, von denen man lange hörte, dass sie in der „Schule” nur einige Dinge lernten: Wie, was praktischer sei. Knappe Bemerkungen, von einer Frau zur weniger kenntnisreichen Freundin gesprochen: Das hat mich interessiert, das hat mir am meisten Spaß gemacht, mehr Enthusiasmus liest man selten.
Das Buch passt nicht in die mediale Präsenz des Sex als Lumpensammler im Spätprogramm oder als Zeitschriften füllender, gern daueraufgeilender, dabei unnatürlich cleaner Werbeträger, der aus jedem Produkt ein Aphrodisiakum macht. Und natürlich noch viel weniger in die, aus dieser Überpräsenz resultierende, immer lauter werdende Aversion gegen den quantitativen Overkill des Sex in der Öffentlichkeit. Der Schriftsteller Thomas Lehr spricht im neuesten, dem „Erotik”-Heft der Zeitschrift „Literaturen” in diesem Zusammenhang von „repressiver Entsublimierung”.
Millets Buch, das gut strukturalistisch in Kapitel wie „Die Anzahl”, „Der Raum”, „Details” gegliedert ist, ist eher eine Rückführung der Liberalisierungsdiskussion auf ihren Ursprung in Bedürfnissen, die nicht den gerade gesellschaftlich sanktionierten Geschlechter-Regeln entsprechen, sondern individuell sind. Ohne seinen Namen zu nennen, wirkt Millets Buch gelegentlich wie ein Anti-Houellebecq. Meine 68er-Jugend und ein Teil meiner Erwachsenenzeit, ist der unpolemische Unterton des Texts, waren und sind, mit allen Freiheiten, mit all ihren Sex-Clubs und sonstigen Vergnügungen, für mich genau das Richtige gewesen.
Man kann nicht behaupten, dass Millets Buch ein Lesegenuss ist. Die Parade des Sex, die sie aufmarschieren lässt, wirkt auf Dauer so lusttötend wie das Glieder-Gewusel ihrer pornografischen Kolleginnen Catherine Breillat und Virginie Despentes, die Millet wie Betschwestern aussehen lässt – oder, wie es in Frankreich hieß, wie „Mitglieder der Ehrenlegion”. Doch Millets Buch und die sich in seiner Folge ereignende französische Diskussion um den Ort des nackten Körpers in der Öffentlichkeit machen klar, dass der scheinbar so freie Diskurs über Sex und Liebe deren gesellschaftlichen Ort noch nicht gefunden hat. Unsicher irrt er durchs Gestrüpp seines Geredes, zwischen Kommerz und neuer Biederkeit.Wenn es eine Leistung von Millets Buch gibt, dann jene, deutlich zu machen, dass das anonyme Manifest der Verkäufer, das Sex zur letzten Referenz erklärt, eine Kommerzialisierung darstellt, die Gefühle so gut erfasst wie Körper und nicht mit Liberalität verwechselt werden sollte.
HANS-PETER KUNISCH
Catherine Millet, Directrice einer Pariser Kunstzeitschrift und Schriftstellerin. Ihr Lebenspartner Jacques Henric hat sie über dreißig Jahre hinweg fotografiert. Ihr eigenes Buch, ganz ohne Fotos, hat den Skandal gebracht.
Fotos: Verlag
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Catherine Millet und ihr leidenschaftsloser Selbstenthüllungsroman
Die Hauptperson ist ein Phänomen. Auf dem Fernsehschirm, in Bernard Pivots „Bouillon de Culture”, wirkt sie freundlich, verklärt, und, wirklich, etwas schüchtern. Und doch ist sie die Protagonistin des französischen Literaturskandals dieses Frühjahrs, in dem es darum geht, wie viel Sex die Gesellschaft verträgt, und was es bedeutet, wenn seine Bilder sie dominieren.
Das Phänomen ist eine Dame, sie heißt Catherine Millet und ist seit Jahren Directrice der französischen Kunstzeitschrift artpress. Eben ist von Millet ein Büchlein auf Deutsch erschienen („Zeitgenössische Kunst”, Lübbe, 126 S., 12,90 Mark), das sie in Frankreich nicht berühmt gemacht hat. Mit ihrer Erzählung „La vie sexuelle de Catherine M.” (Récit. Editions Seuil, 221 S., 110 FF), deren Übersetzung wohl nicht lange auf sich warten lassen wird, ergeht es ihr gerade anders. Gleich zwei ganze Tageszeitungsseiten hat Le Monde ihrem literarischen Erstling gewidmet.
Das kriegt kaum einer. Wie macht man das? Die drei Fotos zum Monde-Artikel legen nahe, dass Madame Millet sich ausgezogen hat. Zuerst für Jacques Henric, ihren Mann. Doch auch mit der Publikation der Fotos wäre Millet kaum bekannt geworden. Es gibt schon viele Nackte im Bild. Es hat zum Medien-Event, das mit Hilfe von Philippe Sollers gut organisiert war, ein Buch gebraucht, in dem nur Buchstaben stehen. Es erzählt, deutlich autobiografisch versetzt, von der ausschweifenden Neigung der Kunstzeitschriften-Directrice zum, ja, Gruppensex. Die Frau macht sich zum Objekt. Französisch klingt das netter: Man schreibt „partouzer”.
Die Fotos, wie die Erzählung, sind selten reißerisch, der Stil meist lapidar: Millet ist alleine, steigt in einen Wohnwagen, sitzt am Straßenrand, läuft nur mit einem Mantel bekleidet durch die Bahnhofshalle von Port Bou. Natürlichkeit von Nacktheit im Alltag wird inszeniert. Schwarzweiß spielen einige, über den apathischen Blick der Darstellerin, ironisch mit dem Topos Verführung. Andere haben den schwierigen Charme von DDR-FKK-Urlaubsbildern, manche zitieren aus dem fotografischen Bild von 68er Kommunen.
Ginge es nur darum, dass eine Frau einen Porno geschrieben hätte – niemand wunderte sich heute. Das Genre hat seine Kunden. Doch das Erstaunliche an Millets Buch ist, dass sie, wie auf den Fotos, darin eine nicht da gewesene Offenheit als Ausdruck von Natürlichkeit behauptet. Die Lektüre wird nicht durch brutale Perversionen schmackhaft gemacht. Auch keine „nymphomanische Hysterie” bestimmt den Ton, kein stilistisches Anmach-Gehabe. Leserin und Leser werden mit den „Fakten” konfrontiert: der a-personalen Struktur dieser Sexualität, ihren schmuddligen Schauplätzen, vom Parkplatz bis zu den Gebüschen des Bois de Boulogne. Mit der Zahl der Männer (5, 10, 30), denen die schüchterne Millet sich dort zur Verfügung gestellt hat. Mit ihrer Hingabe . Dabei vernachlässigt sie nie die freizügige Beziehung zu Henric, dem Lebenspartner über 30 Jahre hinweg.
Das Besondere von Millets Buch zeigt am deutlichsten der Kontrast zu Henrics die Fotos begleitenden „Legenden”, die parallel ebenfalls als Buch erschienen sind(„Légendes de Catherine M.”, Denoël 2001, 205 S., 130 FF). Statt Millets Lakonie bietet Jacques Henric einen symbolischen Wald. Kaum eine Seite lang kommt der ältere Herr, der sich auf dem Autorenfoto in einen Motorraddress geworfen hat, ohne Hinweise auf Größen wie Bataille, Sartre, Benjamin und viele andere aus. Sehr viele Zitate, wenig eigene Gedanken. Und hinter jeder Referenz steht die beflissene Absicht: Ich erklär’ euch, was es bedeutet.
Es hat nicht viel zu bedeuten, sagt Millet. Es hat auch keine besonderen Gründe. Weder enorme Repressionen, noch psychische Deformationen. Auch keine großen Freiheitswünsche. Ohne jede Dramatisierung, ohne jedes Pathos der Leidenschaft erzählt Millet souverän, wie die mit ihr unverwechselbare Kunstfigur Catherine M. kurz nach dem ordentlichen Verlust der Jungfräulichkeit mit 18, als Mädchen auf ein Fest in Lyon kommt, wo sie zum erstenmal partouziert. Sie sei, sagt sie, und vielleicht ist das eine der größten Provokationen des Buchs, bei all ihren a-personalen Aktivitäten, die mit bürgerlichem „Partnertausch” wenig zu tun haben, immer gut, rücksichtsvoll behandelt worden.
Millet verdrängt auch klassische Krisen-Themen wie Eifersucht nicht, erzählt so nebenher davon. Das gibt es, will sie sagen, aber es hat keine Rolle gespielt. Dieser generellen Unaufgeregtheit entspricht ein unnachgiebig sachlicher Stil beim Erzählen des Skandals. Wenn Catherine Männer sah und ihre gelegentlich bis ins Einzelne beschriebenen Geschlechtsteile, dann war das für sie, schreibt die Kunstkritikerin, so etwas wie eine Bildanalyse.
Manchmal mutet „La vie sexuelle de Catherine M.” wie das Erziehungswerk eines jener märchenhaften afrikanischen Stämme an, von denen man lange hörte, dass sie in der „Schule” nur einige Dinge lernten: Wie, was praktischer sei. Knappe Bemerkungen, von einer Frau zur weniger kenntnisreichen Freundin gesprochen: Das hat mich interessiert, das hat mir am meisten Spaß gemacht, mehr Enthusiasmus liest man selten.
Das Buch passt nicht in die mediale Präsenz des Sex als Lumpensammler im Spätprogramm oder als Zeitschriften füllender, gern daueraufgeilender, dabei unnatürlich cleaner Werbeträger, der aus jedem Produkt ein Aphrodisiakum macht. Und natürlich noch viel weniger in die, aus dieser Überpräsenz resultierende, immer lauter werdende Aversion gegen den quantitativen Overkill des Sex in der Öffentlichkeit. Der Schriftsteller Thomas Lehr spricht im neuesten, dem „Erotik”-Heft der Zeitschrift „Literaturen” in diesem Zusammenhang von „repressiver Entsublimierung”.
Millets Buch, das gut strukturalistisch in Kapitel wie „Die Anzahl”, „Der Raum”, „Details” gegliedert ist, ist eher eine Rückführung der Liberalisierungsdiskussion auf ihren Ursprung in Bedürfnissen, die nicht den gerade gesellschaftlich sanktionierten Geschlechter-Regeln entsprechen, sondern individuell sind. Ohne seinen Namen zu nennen, wirkt Millets Buch gelegentlich wie ein Anti-Houellebecq. Meine 68er-Jugend und ein Teil meiner Erwachsenenzeit, ist der unpolemische Unterton des Texts, waren und sind, mit allen Freiheiten, mit all ihren Sex-Clubs und sonstigen Vergnügungen, für mich genau das Richtige gewesen.
Man kann nicht behaupten, dass Millets Buch ein Lesegenuss ist. Die Parade des Sex, die sie aufmarschieren lässt, wirkt auf Dauer so lusttötend wie das Glieder-Gewusel ihrer pornografischen Kolleginnen Catherine Breillat und Virginie Despentes, die Millet wie Betschwestern aussehen lässt – oder, wie es in Frankreich hieß, wie „Mitglieder der Ehrenlegion”. Doch Millets Buch und die sich in seiner Folge ereignende französische Diskussion um den Ort des nackten Körpers in der Öffentlichkeit machen klar, dass der scheinbar so freie Diskurs über Sex und Liebe deren gesellschaftlichen Ort noch nicht gefunden hat. Unsicher irrt er durchs Gestrüpp seines Geredes, zwischen Kommerz und neuer Biederkeit.Wenn es eine Leistung von Millets Buch gibt, dann jene, deutlich zu machen, dass das anonyme Manifest der Verkäufer, das Sex zur letzten Referenz erklärt, eine Kommerzialisierung darstellt, die Gefühle so gut erfasst wie Körper und nicht mit Liberalität verwechselt werden sollte.
HANS-PETER KUNISCH
Catherine Millet, Directrice einer Pariser Kunstzeitschrift und Schriftstellerin. Ihr Lebenspartner Jacques Henric hat sie über dreißig Jahre hinweg fotografiert. Ihr eigenes Buch, ganz ohne Fotos, hat den Skandal gebracht.
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