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Ein sehr persönliches Erinnerungsbuch des Tübinger Gelehrten. Hans Mayer schreibt über Freundschaften, die einmal geschlossen, dauerhaft blieben und intensiv gepflegt wurden. Von den zwanziger Jahren bis in die jüngste Vergangenheit spannt sich der Bogen. Da ist der letzte Besuch bei Alfred Döblin im Schwarzwald, da sind die Beziehungen zu Hubert Fichte, Hans Henny Jahnn, Uwe Johnson, Adorno, Canetti oder Paul Celan.
Von den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts bis in die jüngste Vergangenheit läßt Hans Mayer seine Begegnungen mit den bedeutend sten Freunden und Kollegen noch einmal an sich
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Produktbeschreibung
Ein sehr persönliches Erinnerungsbuch des Tübinger Gelehrten. Hans Mayer schreibt über Freundschaften, die einmal geschlossen, dauerhaft blieben und intensiv gepflegt wurden. Von den zwanziger Jahren bis in die jüngste Vergangenheit spannt sich der Bogen. Da ist der letzte Besuch bei Alfred Döblin im Schwarzwald, da sind die Beziehungen zu Hubert Fichte, Hans Henny Jahnn, Uwe Johnson, Adorno, Canetti oder Paul Celan.
Von den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts bis in die jüngste Vergangenheit läßt Hans Mayer seine Begegnungen mit den bedeutend sten Freunden und Kollegen noch einmal an sich vorüberziehen. Sein letzter Besuch bei Alfred Döblin in Höhenschwand, seine Freundschaften mit Hubert Fichte, Hans Henny Jahnn oder Uwe Johnson beschreibt er noch einmal neu, versucht sie einzuschätzen und zueinander in Beziehung zu setzen. Mayer memoriert Nähe und Distanz zu Adorno, zu Elias Canetti, Paul Celan oder Heiner Müller.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.10.1998

Jahre der offenen Türen
Erinnerungen zu Legenden: Hans Mayer besucht die "Zeitgenossen"

Auch die Verehrer von Hans Mayer sehen, so sie nicht blind sind, seit langem jedem neuen Werk des gelehrten Schriftstellers mit einer Erwartung entgegen, in die sich Bangen mischt. Wird man endlich das harsche Urteil vergessen können, das ein Rezensent vor zehn Jahren fällte, nachdem ihm bibliographische Recherchen enthüllt hatten, daß es sich bei einer Neuerscheinung um eine Klitterung handelte, die überwiegend aus nicht kenntlich gemachten, wenig redigierten alten Texten bestand?

Nun ist das jüngste Buch zum größten Teil aus längst bekannten und sogar mehr als einmal nachgedruckten, allenfalls mit geringen Abwandlungen wieder verwerteten Texten zusammengesetzt. Aber auch wenn das ingrimmige Fazit jener Kritik von 1988, es habe sich hier einer "konsequent den Profit-Regeln kapitalistischer Marktwirtschaft unterworfen", unserer Verehrung zusetzt, meinen wir doch, daß sich die Lektüre von Mayers neuem Buch, das im Zeichen des Abschieds steht, lohnt. Nicht nur der Beiträge wegen, die hier zum erstenmal erscheinen - ein Drittel des Bandes. Sondern weil das Bekannte zusammen mit dem Unveröffentlichten in eine neue Konstellation gerückt erscheint, die einer doppelten Zeitgenossenschaft. Zum einen ist da die Zeitgenossenschaft des Überlebenden, die der Neunzigjährige rückblickend mit den einundzwanzig Toten teilt, von denen das Buch handelt. Zum anderen wird die Zeitgenossenschaft des Lesers herausgefordert, falls sein Gedächtnis ein paar Jahrzehnte zurückreicht. Denn kaum einer der in alphabetischer Manier gereihten Namen, von Adorno bis Peter Weiss, der nicht in unserer geistigen und politischen Bildungsgeschichte einige Bedeutung gehabt hätte.

Obwohl Hans Mayer häufig von Freundschaften spricht, kann man seine Sammlung von Zeitgenossen nicht ein Buch der Freunde nennen. In einem solchen wäre für Arnolt Bronnen, dem hier decouvrierende Gerechtigkeit widerfährt, kein Platz gewesen. Nicht einmal für Adorno, der, trotz mehr als dreißigjähriger Begegnungen und Beziehungen, ausdrücklich nicht zu den Freunden gezählt wird, obwohl in anderen Fällen die Grenzen zwischen Bekanntschaft und Freundschaft fließend sind. So verliert sich das Gedenken an Erich Fried im Eindruck, "daß er immer schon mein Freund war"; ja, hier will der Erinnernde gar nicht "in den Büchern nachsehen, wann alles genau gewesen ist, sondern dem Spiel, sogar der Ungenauigkeit" folgen. Nur konsequent, daß diese Beziehung sich in romantischer Manier verklärt: "Als er tot war, kam er mir immer näher."

Die einleitende Betrachtung über "Leben im Anachronismus" verknüpft die Intention des Buches mit einer Standortbestimmung. Wer von Anachronismus spreche, meine, "daß ein Mensch, ein Ritual, eine bisherige Mode, ein Lebenslauf aus dem üblichen Zeitvergang herausgefallen sind". Gegen die "Ilias", wo der uralte Nestor mit seinen Erzählungen über das Vergangene langweile und von den Jüngeren belächelt werde, beruft Mayer den Nestor aus Shakespeares "Troilus und Cressida". Auch der sei "sehr alt, sehr geschwätzig", doch verstehe er "die zeitgenössischen Intrigen der Jüngeren . . . viel besser als die dummen Agamemnon, Achill oder Ajax".

So wäre Hans Mayer der selbsternannte Nestor im Sinne Shakespeares, und wir hätten nur zu erraten, wer die törichten Jüngeren von heute sind. Der Schluß drängt sich auf, aber er griffe zu kurz. Wird doch ein anderes Dichterwort gleichsam gegen die einfache Identifizierung mit Nestor zitiert. Es stammt aus Mussets "Confessions d'un enfant du siècle". Was Musset über sein Jahrhundert, das neunzehnte, schrieb, ist der Schlüssel zu der Deutung, die das zwanzigste durch Hans Mayer erfährt: "Alles, was war, ist nicht mehr. Alles, was sein wird, ist noch nicht. Das ist unser Unglück." Was in unserem Saeculum war und nicht mehr ist, wird mit jenen Dahingeschiedenen beschworen, deren Tod so gut wie das Überleben des Autors Zeitgenossenschaft in einen Anachronismus verwandelte.

Daß Anachronistisches im banaleren Sinn in den Band geriet, hängt mit seiner Machart zusammen. Auf den Nachdruck eines veralteten Aufsatzes von 1952 über die Beziehung des "Zauberberg"-Autors zu Gerhart Hauptmann hätte verzichtet werden können. Thomas Mann wäre dennoch präsent gewesen, so wie sein Antipode Brecht, dem kein eigener Essay gewidmet ist. Wie Brecht in anderen Texten auftaucht, vor allem in denen über Hanns Eisler und Heiner Müller, das genügt zur Demonstration der überragenden Rolle des Stückeschreibers im Ensemble von Mayers Zeitgenossen.

Hans Mayer versteht sich auch als "Nachdenker über einen der großen Schriftsteller, der unter uns gelebt hat": Hubert Fichte. Der Literaturkritik wird nicht nur Versagen vorgeworfen, also eingeklagt, daß da einer zu den Seinen kam, diese ihn aber nicht aufnahmen. Der Vorwurf wird zum allgemeinen Verdikt verschärft. "Hätten wir eine Literaturkritik, . . . aber wir haben keine." Muß man auch auf eine solche Bemerkung die Bedeutungsschwere des aufs zwanzigste Jahrhundert übertragenen Musset-Wortes von "unserem Unglück" legen, oder darf man es als Seitenhieb übergehen?

Wenn die Literaturkritik so gänzlich versagt, daß auf ihre Nichtexistenz geschlossen werden muß, sind Urteile von höherer Warte desto nötiger. Ohne zu zögern, werden sie gefällt, so großherzig im Lobpreis wie umstandslos im Verwerfen. Im Unterschied zu der bei uns angeblich lange abgelehnten Gruppe 47 habe man in Österreich und der "offiziellen Bundesrepublik" der fünfziger Jahre eine wahrhaft veraltete Literatur gehätschelt. Daß Mayer den stellvertretend aufgeführten Autoren Lernet-Holenia, Zuckmayer und Bergengruen die historische Gerechtigkeit versagt, die er ihren Gegenspielern, unerachtet der unter diesen schwer zu übersehenden Talentunterschiede, zuteil werden läßt, spricht nicht gegen sein kritisches Vermögen. Aber daß mit den Genannten auch Doderer abgeräumt wird, verrät die Einfärbung des ästhetischen Urteils durch Außerliterarisches. Das erklärt auch die Würdigung, die Stephan Hermlin erfährt. Der bisher unveröffentlichte Text gibt sich dadurch als zentral zu erkennen, daß er denselben Untertitel trägt wie das Buch.

Dem Leser wird ins Gedächtnis gerufen, daß Mayer schon 1991 seine "Erinnerung an eine Deutsche Demokratische Republik" dem Freund Hermlin gewidmet hatte. Diese Republik soll jene gewesen sein, die nach wenigen Jahren in Ulbrichts real existierender DDR unterging. Nun, da auch Hermlin gestorben ist, fühlt der Überlebende sich "nicht bloß in einem gesellschaftlichen Anachronismus, sondern auch in einem inneren Totenreich". In der Apotheose des 1997 verstorbenen Dichters verschwimmen die Gegensätze, die es zwischen den Freunden gab, zu "anderer Ansicht". Wohl ist von Hermlins Stalin-Gläubigkeit die Rede, aber sie wird wie seine lebenslängliche Parteizugehörigkeit der Milde anheimgegeben: "Manchmal muß er diese Mitgliedschaft wie ein Credo quia absurdum empfunden haben." Den Glauben an das verheißene Land, das Hans Mayer zu betreten wähnte, als er 1948 dem Ruf nach Leipzig folgte, gibt er nicht preis. Daß noch nicht ist, was sein wird, "unser Unglück", macht deshalb zuletzt aus dem Totenreich einen anderen Kyffhäuser, einen Zauberberg, in dem sich Erinnerungen in Legenden verwandeln. ECKHARD HEFTRICH

Hans Mayer: "Zeitgenossen". Erinnerung und Deutung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998. 374 S., geb., 44,- DM.

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