In diesem Band beleuchten die Autorinnen und Autoren Folgen und Grenzen der Beschleunigung in der gegenwärtigen Moderne. Sie analysieren die gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen von Zeitpraktiken und Zeitdiskursen sowie die Auswirkungen der Beschleunigung auf individuelle Entwicklungs- und Bildungsprozesse. Im Zentrum stehen die Wechselwirkungen zwischen der Makrologiksozialer Beschleunigung und der Mikrologik damit verbundener subjektiver Verarbeitungsweisen und Sinnkonstruktionen.Mit Beiträgen von Nicole Aubert, Hartmut Böhme, Werner Bohleber, Andreas Dörpinghaus, Benigna Gerisch, Vera King, Hans-Christoph Koller, Carmen Leccardi, Christine Morgenroth, Hartmut Rosa, Christa Rohde-Dachser und Helga Zeiher.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2010Für den Urlauber gibt es keine Zeitverschwendung
Lohnt es, im Urlaub an die Zukunft zu denken? Nach Auskunft des Würzburger Erziehungswissenschaftlers Andreas Dörpinghaus lohnt es nicht. Seine Zukunftskritik, die er in dem lesenswerten Sammelband "Zeitgewinn und Selbstverlust" entfaltet, wirft auch ein Licht auf die Themenagenda des neuen Bundespräsidenten, auf welcher die Zukunft ganz oben steht. Zukunftsfähigkeit sei mit Vorsicht zu genießen, so Dörpinghaus. Das Wort sei zum Synonym für die ökonomistische Verhunzung von Bildung geworden. Eine Bildungslüge analog zur Salatlüge (dem Grünzeug, das man im Restaurant bestellt, sind die Vitamine ausgetrieben). Unter dem Zukunftsdiktat verkümmere die Handlung zur Reaktion, je direkter der Weg von der Theorie zur Praxis ist, der gesucht wird. "In der Regel unterstellen sich Menschen wechselseitig die Möglichkeit von Bildung, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass ein zeitliches Schema von Reiz und Reaktion nicht dem Selbstverständnis entspricht."
Wenn Dörpinghaus für Verzögerungen eintritt, möchte er zukunftshörigen Eltern untersagen, ihren Töchtern so schaurig-futuristische Namen wie Vivienne zu verpassen. Eine Namensgebung wie Vivienne ist, versteht man den Autor recht, nur unter dem Eindruck einer Panikattacke im Angesicht der unsicheren Zukunft erklärbar. So lassen sich bei der Lektüre viele Beispiele aus der eigenen Lebenswelt finden, die davon erzählen, wie man sich die Gegenwart durch eine permanente Anpassung an die mutmaßlichen Gebote der Zukunft verderben kann. Der Autor warnt: "Die Lebenszeit ist nur noch Durchgangsstadium der Generationen auf ihrem Weg in die Zukunft, die per se - im Kontext der Vorstellung linearer Zeitvorstellungen - immer schon veraltet ist, zumindest ist jeder Zeitpunkt und damit gleichsam ein Stück Lebenssinn unwiederbringlich verloren."
Dörpinghaus' delikate Urlaubsdevise: "Erfahrungen zu machen heißt, dabei gestört zu werden, sie nicht zu machen." Damit ist kein Plädoyer für den Aktivurlaub gemeint, auch nicht für die Entdeckung der Langsamkeit, sondern für eine Änderung der gewohnten Zeiterfahrung mit allen Mitteln, die die Ferien bieten. ("Zeitgewinn und Selbstverlust". Folgen und Grenzen der Beschleunigung. Hrsg. von Vera King und Benigna Gerisch. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2009. 262 S., br., 29,90 [Euro].)
CHRISTIAN GEYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lohnt es, im Urlaub an die Zukunft zu denken? Nach Auskunft des Würzburger Erziehungswissenschaftlers Andreas Dörpinghaus lohnt es nicht. Seine Zukunftskritik, die er in dem lesenswerten Sammelband "Zeitgewinn und Selbstverlust" entfaltet, wirft auch ein Licht auf die Themenagenda des neuen Bundespräsidenten, auf welcher die Zukunft ganz oben steht. Zukunftsfähigkeit sei mit Vorsicht zu genießen, so Dörpinghaus. Das Wort sei zum Synonym für die ökonomistische Verhunzung von Bildung geworden. Eine Bildungslüge analog zur Salatlüge (dem Grünzeug, das man im Restaurant bestellt, sind die Vitamine ausgetrieben). Unter dem Zukunftsdiktat verkümmere die Handlung zur Reaktion, je direkter der Weg von der Theorie zur Praxis ist, der gesucht wird. "In der Regel unterstellen sich Menschen wechselseitig die Möglichkeit von Bildung, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass ein zeitliches Schema von Reiz und Reaktion nicht dem Selbstverständnis entspricht."
Wenn Dörpinghaus für Verzögerungen eintritt, möchte er zukunftshörigen Eltern untersagen, ihren Töchtern so schaurig-futuristische Namen wie Vivienne zu verpassen. Eine Namensgebung wie Vivienne ist, versteht man den Autor recht, nur unter dem Eindruck einer Panikattacke im Angesicht der unsicheren Zukunft erklärbar. So lassen sich bei der Lektüre viele Beispiele aus der eigenen Lebenswelt finden, die davon erzählen, wie man sich die Gegenwart durch eine permanente Anpassung an die mutmaßlichen Gebote der Zukunft verderben kann. Der Autor warnt: "Die Lebenszeit ist nur noch Durchgangsstadium der Generationen auf ihrem Weg in die Zukunft, die per se - im Kontext der Vorstellung linearer Zeitvorstellungen - immer schon veraltet ist, zumindest ist jeder Zeitpunkt und damit gleichsam ein Stück Lebenssinn unwiederbringlich verloren."
Dörpinghaus' delikate Urlaubsdevise: "Erfahrungen zu machen heißt, dabei gestört zu werden, sie nicht zu machen." Damit ist kein Plädoyer für den Aktivurlaub gemeint, auch nicht für die Entdeckung der Langsamkeit, sondern für eine Änderung der gewohnten Zeiterfahrung mit allen Mitteln, die die Ferien bieten. ("Zeitgewinn und Selbstverlust". Folgen und Grenzen der Beschleunigung. Hrsg. von Vera King und Benigna Gerisch. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2009. 262 S., br., 29,90 [Euro].)
CHRISTIAN GEYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Das Buch wirft spannende Fragen auf." (literaturkritik.de, 02.05.2010)
Herrschaft der Dringlichkeit
"Die Stärke dieses Sammelbandes liegt in der interdisziplinären Sichtweise: Soziologen, Psychologen und Psychoanalytiker loten die Grenzen der Beschleunigung aus, beschreiben die Wandlungen und Paradoxien unseres Zeitregimes und erörtern die Auswirkungen des gestiegenen Lebenstempos auf die Geschlechterbeziehungen und die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen." (Psychologie Heute, 01.06.2010)
Für den Urlauber gibt es keine Zeitverschwendung
"Ein lesenswerter Sammelband." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.07.2010)
Herrschaft der Dringlichkeit
"Die Stärke dieses Sammelbandes liegt in der interdisziplinären Sichtweise: Soziologen, Psychologen und Psychoanalytiker loten die Grenzen der Beschleunigung aus, beschreiben die Wandlungen und Paradoxien unseres Zeitregimes und erörtern die Auswirkungen des gestiegenen Lebenstempos auf die Geschlechterbeziehungen und die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen." (Psychologie Heute, 01.06.2010)
Für den Urlauber gibt es keine Zeitverschwendung
"Ein lesenswerter Sammelband." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.07.2010)