International Booker Prize 2023!
»Große, große Literatur.« Sandra Kegel in 3sat, Buchzeit
»Sein beseeltestes und umwerfendstes Buch.« Dave Eggers
»Das Buch der Stunde.« Deutschlandfunk
»Ein großer europäischer Erzähler. 'Zeitzuflucht' ist ein atemberaubender Roman aus alten Zeiten über das Heute.« Die Zeit
»Der Roman steht in einem besonderen Regal in meiner Bibliothek, das ich für Bücher reserviere, die ich immer wieder lesen muss.« Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk
»Intelligent und berührend.« The New York Times
In Georgi Gospodinovs Roman trifft der Erzähler auf Gaustín, einen Flaneur, der durch die Zeit reist. In Zürich eröffnet Gaustín eine »Klinik für die Vergangenheit«, eine Einrichtung, die Alzheimer-Kranken eine inspirierende Behandlung anbietet: Jedes Stockwerk ist einem bestimmten Jahrzehnt nachempfunden. Patienten können dort Trost finden in ihren verblassenden Erinnerungen. Aber auf einmal interessieren sich auch immer mehr gesunde Menschen dafür, in die Klinik aufgenommen zu werden, in der Hoffnung, den Schrecken der Gegenwart zu entkommen. Und schließlich sind es sogar ganze Länder, die Gaustíns Idee von den Vergangenheitsräumen folgen werden, und in frühere Zeiten zurückkehren wollen... Ein glänzender, hochpolitischer Roman, durchzogen von dunklem Witz, der uns eine neue Art eröffnet, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenzudenken.
»Große, große Literatur.« Sandra Kegel in 3sat, Buchzeit
»Sein beseeltestes und umwerfendstes Buch.« Dave Eggers
»Das Buch der Stunde.« Deutschlandfunk
»Ein großer europäischer Erzähler. 'Zeitzuflucht' ist ein atemberaubender Roman aus alten Zeiten über das Heute.« Die Zeit
»Der Roman steht in einem besonderen Regal in meiner Bibliothek, das ich für Bücher reserviere, die ich immer wieder lesen muss.« Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk
»Intelligent und berührend.« The New York Times
In Georgi Gospodinovs Roman trifft der Erzähler auf Gaustín, einen Flaneur, der durch die Zeit reist. In Zürich eröffnet Gaustín eine »Klinik für die Vergangenheit«, eine Einrichtung, die Alzheimer-Kranken eine inspirierende Behandlung anbietet: Jedes Stockwerk ist einem bestimmten Jahrzehnt nachempfunden. Patienten können dort Trost finden in ihren verblassenden Erinnerungen. Aber auf einmal interessieren sich auch immer mehr gesunde Menschen dafür, in die Klinik aufgenommen zu werden, in der Hoffnung, den Schrecken der Gegenwart zu entkommen. Und schließlich sind es sogar ganze Länder, die Gaustíns Idee von den Vergangenheitsräumen folgen werden, und in frühere Zeiten zurückkehren wollen... Ein glänzender, hochpolitischer Roman, durchzogen von dunklem Witz, der uns eine neue Art eröffnet, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenzudenken.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.04.2022In der Diktatur der Vergangenheit
Georgi Gospodinov schreibt ein erschreckend zeitgemäßes Buch über die Sucht nach Geschichtsklitterung
Zürich ist eine gute Stadt zum Altwerden. Und zum Sterben. Ein Ort mit Friedhofsruhe. Kein Wunder, dass in Georgi Gospodinovs Roman "Zeitzuflucht" ein kosmopolitischer Künstler und Therapeut namens Gaustín seine sehr spezielle Klinik für Alzheimer- und Demenzkranke ausgerechnet hier eröffnet, indem er Zimmer im Stil von Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts einrichtet. Wo, wenn nicht in der Schweiz, fänden sich dafür ausreichend Mäzene und Patienten? Das sorgsam zusammengestellte Interieur nebst originalen Zigaretten, Gerüchen, Zeitungen und vielem mehr soll wie ein Trank aus dem Fluss Mnemosyne die verlorenen Erinnerungen zurückholen, die Gedächtniszellen aufkeimen lassen wie trockene Samen nach einem auf lange Dürre folgenden Regen.
Im Gegensatz zu seinem bulgarischen Landsmann Christo ist Gaustín kein Verpackungs-, sondern ein Entpackungskünstler. Besonders greise Exilanten, die zum Zwecke der Assimilation alles Ehemalige lange verdrängt hatten, finden in der vertraut wirkenden Umgebung zu den oft traumatischen Geschichten aus Kindheit und Jugend zurück. Im Vergleich zur wiedererlangten Vergangenheit, so berichten Patienten, werde die Gegenwart schlagartig farblos. Eine Klinik, aus der man selbst bei Symptombesserung nicht entlassen werden möchte.
Doch die minutiös arrangierten Zeitzufluchten sind Segen und Fluch zugleich. Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten. Einem Virus mit gefährlichen Varianten gleich, breitet sich nicht nur dieses Klinikmodell, sondern auch die ganz banale Obsession mit der Vergangenheit überall in Europa aus. Es ist wie das rapide Schmelzen des Permafrostes, bei dem ein Matsch aus unterschiedlichsten Erdschichten und Epochen entsteht, der giftige Gase entweichen lässt. Während der Zeitenzauberer Gaustín in allen Äras und Historien agieren kann, so erfährt man aus dem Roman, verhielten sich die Normalsterblichen der eigenen Zeit gegenüber, als hätten sie Hunderte davon.
Mit den Nationalstaaten und Nationen sei es nicht viel anders. Einerseits haben die Europäer erfolgreich verdrängt, dass die Nation "ein weinerliches historisches Wickelkind ist, das einen auf biblischen Greis macht". Schließlich gab es ein Leben vor dem Nationalstaat! Andererseits, wenn sie sich schon nicht auf eine gemeinsame Zukunft einigen können, so doch vielleicht auf eine gemeinsame Vergangenheit? Auf ein Jahrzehnt, in das alle zurückwollen? Ein Referendum soll es richten, selbstredend in jedem Land der Europäischen Union ein eigenes, und auch der Schweiz. Und so überwuchern überall auf dem Kontinent die Vergangenheiten wie Unkraut die Gegenwart.
Sie werden wie der Erzähler des Romans, ein bulgarischer Schriftsteller, der als persönlicher Assistent Gaustíns arbeitet, am Beispiel seines Heimatlandes beobachtet, in einer regelrechten Reenactment-Flutwelle mit Statisten und Attrappen von Mausoleen, Diktatoren und Revolutionen inszeniert - egal, ob kommunistischer Totalitarismus oder nationalkonservativer Revanchismus, Hauptsache vorwärts in die Diktatur der Vergangenheit! Das erste Opfer dieses Vergangenheitstsunamis ist das Vergessen selbst. Je mehr Gesellschaften vergessen, desto mehr geschichtsklitternde Pseudo- und Ersatzerinnerungen werden produziert.
Der 1968 in Bulgarien geborene Georgi Gospodinov gehört zu den eigenwilligsten und scharfsinnigsten Stimmen der zeitgenössischen europäischen Literatur. Bereits in seinem letzten Roman, "Physik der Schwermut" (2014), entführte uns der zunächst als Lyriker bekannt gewordene Autor in ein Labyrinth der Erinnerungen. Äußerst kunstvoll verwoben, mit poetischer Verve und reichlich melancholischer Ironie wird dort von und aus Zeitkapseln berichtet, aus unterschiedlichsten Jahrhunderten, verstrickt mit Kindheits- und Familiengeschichten aus dem kommunistischen und post-kommunistischen Bulgarien und klassischer Mythologie. In seinem neuen Meisterwerk, das bereits in fünfzehn Sprachen übersetzt wurde und für das er im vergangenen Jahr den italienischen Literaturpreis Premio Strega Europeo erhalten hatte, wird die postapokalyptische geschichtsversessene europäische Landkarte von ihren Rändern her bis ins Zentrum schonungslos vermessen. Die Melange aus philosophischen Aperçus, burlesken Szenen und berührenden Biographien lassen die Lektüre nie langweilig werden.
Gospodinov ist ein sprachlicher Hochseilakrobat, dessen Kunst dank der frischen Übersetzung von Alexander Sitzmann sicher in der deutschen Sprache landet. So denkt der Erzähler beim Anblick eines nostalgisch reinszenierten kommunistischen Massenevents in Sofia an eine Tante, die 1968 zur Eröffnung der Weltjugendspiele inmitten einer Fahnenchoreographie ein "Barthaar in Lenins Schnauzer" sein durfte, die größte Rolle im Leben der verhinderten Aktrice. Ein paar Seitenstraßen weiter entdeckt der flanierende Erzähler einen an einem Baum gepinnt unscheinbaren Hilferuf: Tausche dreißig Zoll LCD-Fernseher gegen dreißig Flaschen Schnaps. Der Schnaps ist ehrlich, der Fernseher nicht! Doch von den Zetteln mit der Telefonnummer des Anbieters wurde nicht ein einziger abgetrennt. Am Ende dieser Amnesie der kollektiven Erinnerung katapultieren sich die Europäer in eine Schicksalsstunde ihrer Geschichte zurück und zelebrieren ihr gigantisch-martialisches Reenactment mit Millionen von Statisten. Man wiederholt die Katastrophe, auf dass sie sich nicht wiederhole. Man muss kein Schelm sein, um dabei an wahrhaft Böses zu denken. SABINE BERKING
Georgi Gospodinov: "Zeitzuflucht". Roman.
Aus dem Bulgarischen von Alexander Sitzmann. Aufbau Verlag, Berlin 2022. 340 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Georgi Gospodinov schreibt ein erschreckend zeitgemäßes Buch über die Sucht nach Geschichtsklitterung
Zürich ist eine gute Stadt zum Altwerden. Und zum Sterben. Ein Ort mit Friedhofsruhe. Kein Wunder, dass in Georgi Gospodinovs Roman "Zeitzuflucht" ein kosmopolitischer Künstler und Therapeut namens Gaustín seine sehr spezielle Klinik für Alzheimer- und Demenzkranke ausgerechnet hier eröffnet, indem er Zimmer im Stil von Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts einrichtet. Wo, wenn nicht in der Schweiz, fänden sich dafür ausreichend Mäzene und Patienten? Das sorgsam zusammengestellte Interieur nebst originalen Zigaretten, Gerüchen, Zeitungen und vielem mehr soll wie ein Trank aus dem Fluss Mnemosyne die verlorenen Erinnerungen zurückholen, die Gedächtniszellen aufkeimen lassen wie trockene Samen nach einem auf lange Dürre folgenden Regen.
Im Gegensatz zu seinem bulgarischen Landsmann Christo ist Gaustín kein Verpackungs-, sondern ein Entpackungskünstler. Besonders greise Exilanten, die zum Zwecke der Assimilation alles Ehemalige lange verdrängt hatten, finden in der vertraut wirkenden Umgebung zu den oft traumatischen Geschichten aus Kindheit und Jugend zurück. Im Vergleich zur wiedererlangten Vergangenheit, so berichten Patienten, werde die Gegenwart schlagartig farblos. Eine Klinik, aus der man selbst bei Symptombesserung nicht entlassen werden möchte.
Doch die minutiös arrangierten Zeitzufluchten sind Segen und Fluch zugleich. Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten. Einem Virus mit gefährlichen Varianten gleich, breitet sich nicht nur dieses Klinikmodell, sondern auch die ganz banale Obsession mit der Vergangenheit überall in Europa aus. Es ist wie das rapide Schmelzen des Permafrostes, bei dem ein Matsch aus unterschiedlichsten Erdschichten und Epochen entsteht, der giftige Gase entweichen lässt. Während der Zeitenzauberer Gaustín in allen Äras und Historien agieren kann, so erfährt man aus dem Roman, verhielten sich die Normalsterblichen der eigenen Zeit gegenüber, als hätten sie Hunderte davon.
Mit den Nationalstaaten und Nationen sei es nicht viel anders. Einerseits haben die Europäer erfolgreich verdrängt, dass die Nation "ein weinerliches historisches Wickelkind ist, das einen auf biblischen Greis macht". Schließlich gab es ein Leben vor dem Nationalstaat! Andererseits, wenn sie sich schon nicht auf eine gemeinsame Zukunft einigen können, so doch vielleicht auf eine gemeinsame Vergangenheit? Auf ein Jahrzehnt, in das alle zurückwollen? Ein Referendum soll es richten, selbstredend in jedem Land der Europäischen Union ein eigenes, und auch der Schweiz. Und so überwuchern überall auf dem Kontinent die Vergangenheiten wie Unkraut die Gegenwart.
Sie werden wie der Erzähler des Romans, ein bulgarischer Schriftsteller, der als persönlicher Assistent Gaustíns arbeitet, am Beispiel seines Heimatlandes beobachtet, in einer regelrechten Reenactment-Flutwelle mit Statisten und Attrappen von Mausoleen, Diktatoren und Revolutionen inszeniert - egal, ob kommunistischer Totalitarismus oder nationalkonservativer Revanchismus, Hauptsache vorwärts in die Diktatur der Vergangenheit! Das erste Opfer dieses Vergangenheitstsunamis ist das Vergessen selbst. Je mehr Gesellschaften vergessen, desto mehr geschichtsklitternde Pseudo- und Ersatzerinnerungen werden produziert.
Der 1968 in Bulgarien geborene Georgi Gospodinov gehört zu den eigenwilligsten und scharfsinnigsten Stimmen der zeitgenössischen europäischen Literatur. Bereits in seinem letzten Roman, "Physik der Schwermut" (2014), entführte uns der zunächst als Lyriker bekannt gewordene Autor in ein Labyrinth der Erinnerungen. Äußerst kunstvoll verwoben, mit poetischer Verve und reichlich melancholischer Ironie wird dort von und aus Zeitkapseln berichtet, aus unterschiedlichsten Jahrhunderten, verstrickt mit Kindheits- und Familiengeschichten aus dem kommunistischen und post-kommunistischen Bulgarien und klassischer Mythologie. In seinem neuen Meisterwerk, das bereits in fünfzehn Sprachen übersetzt wurde und für das er im vergangenen Jahr den italienischen Literaturpreis Premio Strega Europeo erhalten hatte, wird die postapokalyptische geschichtsversessene europäische Landkarte von ihren Rändern her bis ins Zentrum schonungslos vermessen. Die Melange aus philosophischen Aperçus, burlesken Szenen und berührenden Biographien lassen die Lektüre nie langweilig werden.
Gospodinov ist ein sprachlicher Hochseilakrobat, dessen Kunst dank der frischen Übersetzung von Alexander Sitzmann sicher in der deutschen Sprache landet. So denkt der Erzähler beim Anblick eines nostalgisch reinszenierten kommunistischen Massenevents in Sofia an eine Tante, die 1968 zur Eröffnung der Weltjugendspiele inmitten einer Fahnenchoreographie ein "Barthaar in Lenins Schnauzer" sein durfte, die größte Rolle im Leben der verhinderten Aktrice. Ein paar Seitenstraßen weiter entdeckt der flanierende Erzähler einen an einem Baum gepinnt unscheinbaren Hilferuf: Tausche dreißig Zoll LCD-Fernseher gegen dreißig Flaschen Schnaps. Der Schnaps ist ehrlich, der Fernseher nicht! Doch von den Zetteln mit der Telefonnummer des Anbieters wurde nicht ein einziger abgetrennt. Am Ende dieser Amnesie der kollektiven Erinnerung katapultieren sich die Europäer in eine Schicksalsstunde ihrer Geschichte zurück und zelebrieren ihr gigantisch-martialisches Reenactment mit Millionen von Statisten. Man wiederholt die Katastrophe, auf dass sie sich nicht wiederhole. Man muss kein Schelm sein, um dabei an wahrhaft Böses zu denken. SABINE BERKING
Georgi Gospodinov: "Zeitzuflucht". Roman.
Aus dem Bulgarischen von Alexander Sitzmann. Aufbau Verlag, Berlin 2022. 340 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Jörg Plath ist begeistert. Georgi Gospodinovs Roman über nostalgische Vergangenheitsprojektionen und Geschichtsklitterung hält er angesichts des Krieges in der Ukraine nicht nur für hochaktuell, sondern auch für eine humorvolle Dekonstruktion populistischer Sehnsüchte. Der Ich-Erzähler wird in das Projekt eines Arztes hineingezogen, der Demenzpatienten heilen will, indem er für sie die Umgebung an deren Vergangenheit angleicht. Doch die therapeutische Idee wird zum politischen Programm, von dem bald ganz Europa befallen wird. Plath hält das für einen spöttelnden und kühnen Kommentar zur Gegenwart. Er lobt zudem, dass der Roman trotz seiner Konzentration auf Wiederholung von Vergangenem nicht in eine lineare oder gar sachliche Erzählweise verfällt, sondern mit gewitzten Kniffen die Vorhersehbarkeit der Ereignisse unterläuft.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Georgi Gospodinov schreibt ein erschreckend zeitgemäßes Buch über die Sucht nach Geschichtsklitterung« Frankfurter Allgemeine Zeitung 20220407
»Witzig, liebevoll und erschreckend veranschaulicht Gospodinov: Wir müssen zurück in die Zukunft - die Vergangenheit ist vorbei.« Rike Hug NZZ 20241124