Paris 2002: Die Schauspielerin Marie Trintignant und Bertrand Cantat, Sänger der Rockband "Noir Désir", lassen sich als frisch Verliebte durch die Nächte treiben. Um sich nicht trennen zu müssen, begleitet er sie zu Dreharbeiten nach Vilnius. Sie spielt unter der Regie ihrer Mutter in einer Verfilmung des Lebens der Schriftstellerin Colette. Es kommt zu Eifersuchtsexzessen zwischen den beiden, er erschlägt sie und schläft umstandslos neben ihr ein. In einer Villa an der Côte d'Azur liegt Cathy auf dem Bett, sie scheint zu schlafen. Neben ihr Gilles, ihr Mann. Er hat den Auftrag zu einem Drehbuch über das Paar Marie-Bertrand. Gilles fällt es immer schwerer, zwischen Wirklichkeit und Fiktion zu unterscheiden, zwischen den Schnitten ins Herz und denen seines Filmscripts, er überblendet, was er wahrnimmt, mit dem, was er vor seinem inneren Kameraauge sieht. Sein Leben läuft wie ein Film an ihm vorüber. Ist er selbst auch ein Mörder, oder schreibt er sich diese Rolle nur zu? Albert Ostermaiers erster Roman ist ein faszinierendes Vexierspiel, erzählt im raschen Perspektivenwechsel, ein rasantes Gegenstück zum "Film Noir", ein dunkler Liebessong, dessen Rhythmus und Refrain den Leser in den Sog einer Geschichte ziehen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2008Ein Mann schlägt zu
Und Albert Ostermaier fühlt sich ein / Von Verena Lueken
Eine Frau trifft einen Mann. Beide sind sie berühmt und schön und Franzosen, sie ist Schauspielerin, Tochter eines legendären Vaters, er Rockmusiker, seine Gruppe nennt sich Noir Désir. Sie verlieben sich. Er verlässt seine schwangere Frau. Marie und Bertrand, so heißen die beiden, können nicht voneinander lassen. Er reist ihr nach, als sie in Vilnius unter der Regie ihrer Mutter einen Film dreht, der Film hat den Titel "Colette". Beide trinken viel, und dabei bleibt es nicht. Marie ist überarbeitet, ihr Exfreund ruft sie an. Bertrand wird eifersüchtig, fühlt sich ausgeschlossen. Eines Abends schlägt er Marie tot.
Das war im Sommer 2003. Marie Trintignant lebte noch ein paar Tage, nachdem Bertrand Cantat sie ins Koma geprügelt hatte und dann neben ihr eingeschlafen war. Am 1. August 2003 starb sie. Bertrand Cantat versuchte sich das Leben zu nehmen, was misslang. Er wurde wegen Totschlags verurteilt, saß einige Jahre im Gefängnis und wurde im Oktober 2007 wegen guter Führung vorzeitig entlassen. Er hat die Tat nie geleugnet, aber immer auch erklärt: Er liebe Marie.
Die Öffentlichkeit romantisiert solche Geschichten gern zur amour fou zwischen dem Mädchen und dem maßlos liebenden Killer, und so war es auch in diesem Fall. Doch Marie Trintignant war kein Mädchen, sie war einundvierzig und Mutter von vier Kindern. Und wer ist Bertrand? Führt Leidenschaft zum Verbrechen? Totale Liebe in den Totschlag?
Albert Ostermaier, der bisher Theaterstücke, Reportagen und Gedichte geschrieben ist, stellt sich diese Fragen in seinem ersten Roman, der "Zephyr" heißt - so wie ein Pariser Lokal, das für seine Austern bekannt ist, so wie der Westwind, der den Frühling bringt. In der griechischen Mythologie hat Zephyr außerdem mehrere Frauen, darunter die Nymphe Chloris, und aus Eifersucht tötet Zephyr den Hykinthos, den er einmal liebte.
"Du riechst nach Chlor, hatte sie gesagt", das ist einer der ersten Sätze des Romans, gesprochen in einem Haus in Ramatuelle an der Côte d'Azur von Cathy, verheiratet mit Gilles, der über den Fall Marie Trintignant und Bertrand Cantat ein Drehbuch schreiben will. Die Zeitenfolge zeigt uns an, dass der Satz vor einer Weile gefallen ist, tatsächlich liegt Cathy schlafend im Bett und wacht während des ganzen Buchs auch nicht auf. Nur manchmal agiert sie in der Phantasie oder der Erinnerung von Gilles, treibt seine Eifersucht an, lässt ihn über die Liebe sinnieren, über die Nähe zwischen ihnen, die irgendwann unerträglich geworden war, und die Distanz, die nicht zum Aushalten ist. Costello, sein bester Freund, rät ihm, mit ihr wegzufahren und auf der Reise die Liebe zu testen und das Drehbuch zu schreiben. Ob beides oder eins von beiden gelingt, ist nicht die Frage. Die Frage ist, ob Gilles dem Geschehen in Vilnius dadurch auf die Spur kommen kann, dass er es nachlebt, in der Phantasie, an der Côte d'Azur, vielleicht auch in der Wirklichkeit.
Eine Weile lang ist das packend zu lesen. Ostermaier ist ein mutiger Autor, er riskiert seitenlange Assoziationsketten, in denen immer wieder das Wort "schlagen" oder "Schlag" variiert werden, wie in Schlaganfall, Schlagseite, vorschlagen, aber auch Hammerklavier. Andere Passagen spielen, nicht immer subtil und manchmal direkt ausgesprochen, mit Szenen aus Filmen oder Genremotiven des Film noir. Einige der kurzen Kapitel lesen sich tatsächlich wie ein Drehbuch, einige sind wie ein französischer Kriminalfilm erzählt, mit einem melancholischen Kommissar, der Sätze sagt wie: "Dauernd bin ich vom Tod umgeben, in seiner ganzen Hässlichkeit und Banalität. Ich will mir den Tod nicht verderben lassen, verstehen Sie." Deshalb sammelt er Requien.
Die Zeiten vermischen sich wie die Gefühle, Filmbilder und Erinnerungen, und Gilles wird immer mehr Bertrand, immer mehr Zephyr, seine Ehe dem Verhältnis Bertrands zu Marie immer ähnlicher. Morde geschehen, und sei's im Traum, das lässt sich so genau nicht sagen, und man wartet auf den großen Schnitt oder Schlag, meinetwegen, mit dem wir zurückgeholt werden in eine Welt, in der Marie tot ist und Bertrand eben nicht. Doch dieser Schnitt kommt nicht.
Was als Versuch begann, eine tatsächliche Geschichte in ein fiktives Geschehen einzubinden (in dem es um die Erschaffung einer weiteren Fiktion geht), bleibt so eine Anstrengung mit teilweise rasenden Perspektiv- und Szenenwechseln, aber ohne Ergebnis. Das Buch ist da, aber was erzählt es? Von der Liebe wird zwar immer gesprochen, aber wir spüren sie nirgends. Von Bertrand wird auch viel gesprochen und zwar oft so, als sei Marie vielleicht selbst schuld gewesen an ihrem Schicksal - "diese fatale Unschuld ohne Unschuld". War nicht sie es, die Bertrand verführte? Kann nicht jeder, der so sehr liebt wie Bertrand, so gereizt wird wie er, zum Totschläger werden? Es könne nicht um Schuld gehen, heißt es einmal. Warum eigentlich nicht?
Am Ende wissen wir eigentlich nichts. Im Romangeschehen bleibt unklar, was Traum ist, was Erinnerung, was Projektion, was geradeheraus Lügen. Wir wissen nicht einmal, wer tot ist. Marie Trintignant ist tot, natürlich, damit fing alles an. Der Rest bleibt im Dunkeln, der Wind schlägt gegen die Fenster, und wahrscheinlich riecht Gilles immer noch nach Chlor.
Albert Ostermaier: "Zephyr". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 222 S., geb., 17,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und Albert Ostermaier fühlt sich ein / Von Verena Lueken
Eine Frau trifft einen Mann. Beide sind sie berühmt und schön und Franzosen, sie ist Schauspielerin, Tochter eines legendären Vaters, er Rockmusiker, seine Gruppe nennt sich Noir Désir. Sie verlieben sich. Er verlässt seine schwangere Frau. Marie und Bertrand, so heißen die beiden, können nicht voneinander lassen. Er reist ihr nach, als sie in Vilnius unter der Regie ihrer Mutter einen Film dreht, der Film hat den Titel "Colette". Beide trinken viel, und dabei bleibt es nicht. Marie ist überarbeitet, ihr Exfreund ruft sie an. Bertrand wird eifersüchtig, fühlt sich ausgeschlossen. Eines Abends schlägt er Marie tot.
Das war im Sommer 2003. Marie Trintignant lebte noch ein paar Tage, nachdem Bertrand Cantat sie ins Koma geprügelt hatte und dann neben ihr eingeschlafen war. Am 1. August 2003 starb sie. Bertrand Cantat versuchte sich das Leben zu nehmen, was misslang. Er wurde wegen Totschlags verurteilt, saß einige Jahre im Gefängnis und wurde im Oktober 2007 wegen guter Führung vorzeitig entlassen. Er hat die Tat nie geleugnet, aber immer auch erklärt: Er liebe Marie.
Die Öffentlichkeit romantisiert solche Geschichten gern zur amour fou zwischen dem Mädchen und dem maßlos liebenden Killer, und so war es auch in diesem Fall. Doch Marie Trintignant war kein Mädchen, sie war einundvierzig und Mutter von vier Kindern. Und wer ist Bertrand? Führt Leidenschaft zum Verbrechen? Totale Liebe in den Totschlag?
Albert Ostermaier, der bisher Theaterstücke, Reportagen und Gedichte geschrieben ist, stellt sich diese Fragen in seinem ersten Roman, der "Zephyr" heißt - so wie ein Pariser Lokal, das für seine Austern bekannt ist, so wie der Westwind, der den Frühling bringt. In der griechischen Mythologie hat Zephyr außerdem mehrere Frauen, darunter die Nymphe Chloris, und aus Eifersucht tötet Zephyr den Hykinthos, den er einmal liebte.
"Du riechst nach Chlor, hatte sie gesagt", das ist einer der ersten Sätze des Romans, gesprochen in einem Haus in Ramatuelle an der Côte d'Azur von Cathy, verheiratet mit Gilles, der über den Fall Marie Trintignant und Bertrand Cantat ein Drehbuch schreiben will. Die Zeitenfolge zeigt uns an, dass der Satz vor einer Weile gefallen ist, tatsächlich liegt Cathy schlafend im Bett und wacht während des ganzen Buchs auch nicht auf. Nur manchmal agiert sie in der Phantasie oder der Erinnerung von Gilles, treibt seine Eifersucht an, lässt ihn über die Liebe sinnieren, über die Nähe zwischen ihnen, die irgendwann unerträglich geworden war, und die Distanz, die nicht zum Aushalten ist. Costello, sein bester Freund, rät ihm, mit ihr wegzufahren und auf der Reise die Liebe zu testen und das Drehbuch zu schreiben. Ob beides oder eins von beiden gelingt, ist nicht die Frage. Die Frage ist, ob Gilles dem Geschehen in Vilnius dadurch auf die Spur kommen kann, dass er es nachlebt, in der Phantasie, an der Côte d'Azur, vielleicht auch in der Wirklichkeit.
Eine Weile lang ist das packend zu lesen. Ostermaier ist ein mutiger Autor, er riskiert seitenlange Assoziationsketten, in denen immer wieder das Wort "schlagen" oder "Schlag" variiert werden, wie in Schlaganfall, Schlagseite, vorschlagen, aber auch Hammerklavier. Andere Passagen spielen, nicht immer subtil und manchmal direkt ausgesprochen, mit Szenen aus Filmen oder Genremotiven des Film noir. Einige der kurzen Kapitel lesen sich tatsächlich wie ein Drehbuch, einige sind wie ein französischer Kriminalfilm erzählt, mit einem melancholischen Kommissar, der Sätze sagt wie: "Dauernd bin ich vom Tod umgeben, in seiner ganzen Hässlichkeit und Banalität. Ich will mir den Tod nicht verderben lassen, verstehen Sie." Deshalb sammelt er Requien.
Die Zeiten vermischen sich wie die Gefühle, Filmbilder und Erinnerungen, und Gilles wird immer mehr Bertrand, immer mehr Zephyr, seine Ehe dem Verhältnis Bertrands zu Marie immer ähnlicher. Morde geschehen, und sei's im Traum, das lässt sich so genau nicht sagen, und man wartet auf den großen Schnitt oder Schlag, meinetwegen, mit dem wir zurückgeholt werden in eine Welt, in der Marie tot ist und Bertrand eben nicht. Doch dieser Schnitt kommt nicht.
Was als Versuch begann, eine tatsächliche Geschichte in ein fiktives Geschehen einzubinden (in dem es um die Erschaffung einer weiteren Fiktion geht), bleibt so eine Anstrengung mit teilweise rasenden Perspektiv- und Szenenwechseln, aber ohne Ergebnis. Das Buch ist da, aber was erzählt es? Von der Liebe wird zwar immer gesprochen, aber wir spüren sie nirgends. Von Bertrand wird auch viel gesprochen und zwar oft so, als sei Marie vielleicht selbst schuld gewesen an ihrem Schicksal - "diese fatale Unschuld ohne Unschuld". War nicht sie es, die Bertrand verführte? Kann nicht jeder, der so sehr liebt wie Bertrand, so gereizt wird wie er, zum Totschläger werden? Es könne nicht um Schuld gehen, heißt es einmal. Warum eigentlich nicht?
Am Ende wissen wir eigentlich nichts. Im Romangeschehen bleibt unklar, was Traum ist, was Erinnerung, was Projektion, was geradeheraus Lügen. Wir wissen nicht einmal, wer tot ist. Marie Trintignant ist tot, natürlich, damit fing alles an. Der Rest bleibt im Dunkeln, der Wind schlägt gegen die Fenster, und wahrscheinlich riecht Gilles immer noch nach Chlor.
Albert Ostermaier: "Zephyr". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 222 S., geb., 17,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.08.2008Jeder Pool fordert sein Opfer
Dieser Geruch von Chlor: Albert Ostermaiers Roman „Zephyr” verherrlicht die Amour fou
Man kann verstehen, dass Albert Ostermaier vom Fall Trintignant fasziniert ist. Ein dunkler Stoff aus einer mondänen Welt, mit zwei Stars des französischen Kulturbetriebs in den Hauptrollen und mit fast allem, was extreme Gefühlslagen zwischen Liebe und Wahn, Sucht und Gewalt an fatalen Folgen auslösen können. Im Juli 2003 hat der Rocksänger Bertrand Cantat seine Geliebte, die Schauspielerin Marie Trintignant, im Streit erschlagen. Das Drama trug sich in Vilnius zu, wo sich Trintignant zu Dreharbeiten – sie verkörperte in einem französischen Film die Schriftstellerin Colette – aufhielt. Über die Umstände der Gewalttat, ihre Vor- und Nachgeschichte, haben die Medien ausführlich berichtet. Marie Trintignant wurde auf dem Pariser Friedhof „Père Lachaise” im Beisein der französischen Kulturintelligenz beigesetzt, und Cantat saß eine Haftstrafe wegen Totschlags ab, aus der er 2007 wegen guter Führung entlassen wurde. Kriminalistisch betrachtet, ist der Fall abgeschlossen, aber seine dunkle Faszination dauert an – wovon „Zephyr”, der erste Roman des Lyrikers Ostermaier, ein Zeugnis ablegt.
Ostermaier hätte einen Roman über den Mord (oder besser: Totschlag) von Vilnius schreiben können, der sich eng an die Aktenlage anlehnt oder, von ihr ausgehend, die eine oder andere Mutmaßung anstellt. Statt dessen hat er sich entschieden, die tragische Beziehung von Cantat und Trintignant in einer anderen Paarkonstellation zu spiegeln und so seiner literarischen Freiheit einen größeren Spielraum zu geben. In einem Haus an der sommerlichen Côte d’Azur hat sich Gilles eingemietet, ein junger Filmautor, der an einem Skript über die Tat von Vilnius schreibt und selbst von ähnlichen Furien gehetzt wird wie Cantat, der Sänger der Band Noir Désir – „schwarzes Begehren”. Er trinkt zu viel, er taumelt von einer Schaffenskrise in die nächste, und er ist maßlos eifersüchtig in seiner Liebe zu Cathy, der jungen Frau, die zu Beginn des Romans schon tot sein könnte. „Du riechst nach Chlor, hatte sie gesagt”, heißt es da, aber wann Cathy das gesagt hat, und warum Gilles nach Chlor roch, und was seither geschehen ist, erfahren wir nicht zuverlässig.
Das schwarze Begehren
Warum, fragt man sich, hat Ostermaier diese zweite Ebene eingezogen, auf der sich fiktionale Personen undeutlich in Konstellationen begegnen, die denen von Vilnius überdeutlich ähneln? Auf diese Weise, könnte man vermuten, entgeht er der Realismusfalle – denn wer will schon einen Fall literarisch nachempfinden, der journalistisch weitestgehend auserzählt ist? Statt der belegbaren Fakten scheint es Ostermaier um die Erzeugung einer starken Atmosphäre zu gehen, um die Erzeugung von „schwarzem Begehren”. Die Leidenschaft ist darin das eine: Die Amour fou, die der Tat von Vilnius und ebenso den unklaren Geschehnissen in der Villa am Mittelmeer offenbar zugrunde lag, und die Schwärze ist das andere: Es ist dunkel, und man kann nichts erkennen. Ostermaiers „Zephyr” ist kein guter Roman für Leser, die etwas genau wissen wollen, aber vielleicht einer für alle, die Andeutungen, Ungewissheiten und erlesen Metaphorisches lieben. Das hört sich dann so an: „Costello hätte mit ihr geschlafen, als sie beide hier allein gewesen waren. Gilles konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass Costello sie berührt hätte, dass sich Costellos Hände in das Gedächtnis ihres Körpers eingeschrieben hätten und ihr Körper nun, ihn, Gilles, vergessen hätte.” Hat Ostermaier zu viel de Sade gelesen, zu viel Foucault, oder hat er auch zu viel vom Lieblingsautor von Trintignant und Cantat, von Louis-Ferdinand Céline, abbekommen? Jedenfalls hat er mit Eifer den dunkel-schwelgerischen Ton aus Gewalt und Begehren reproduziert, den man von den genannten Autoren kennt.
„Zephyr” heißt der Roman, und das ist seit Homer das Wort für den West-, den Abendwind, und für den Gott des Windes, der, wie Theophrast erzählt, Frauen und Kinder hat und aus Eifersucht zum Mörder eines Liebhabers wird. „Zephyr” heißt auch ein Pariser Restaurant, das für seine Austern berühmt ist, und irgendwie ist der Roman als Ganzer atmosphärisch und metaphorisch zwischen der Welt Pariser Austernbars und jener des klassischen Altertums angesiedelt. Als Lyriker ist Ostermaier beschlagen in der Kunst der atmosphärischen Verdichtung; mit wenigen Worten ist er in der Lage, ein suggestives Ungefähres zu umreißen: „Die Umrandung des Pools. Seine Küsten. Jede Küste schuldet dem Chlor einen Toten.” Der Chlor fungiert im Roman als eine Art Köder für die Neugier des Lesers. Wir sollen daran erinnert werden, dass im Pool oder um ihn herum ein Geheimnis lauert: Hat Gilles, der verwirrte Drehbuchschreiber, sich dort seines Nebenbuhlers entledigt? Ist er, in einer Art Imitation der Bluttat von Vilnius, zum Mörder seiner Frau geworden? Manchmal läuft ein Kommissar durchs Bild, aber er trägt außer einigen Simenon-haften Sätzen zur Erhellung des Geschehens nichts bei.
Peu à peu wird uns, während die Sinnestrübung des Hauptdarstellers voranschreitet, von den Vorkommnissen in jener Julinacht in Vilnius erzählt, und das ist, auch wenn wir es schon aus dem Spiegel und anderen Medien kennen, noch immer interessanter als das ganze aufwendig verschleierte Handlungsspiel, das Ostermaier am südfranzösischen Pool inszeniert hat. Was nicht im Spiegel stand, hat Ostermaier erfunden, und es klingt etwa so. „Andrius bewunderte Bertrand, er hatte das gleiche Charisma wie Marie. Beide waren sie schwarze Engel, Fallwind in den Augen und unter den Achseln, beide zogen sie alles in die Tiefe und wollten doch nur fliegen, leicht die Flügel schlagen und aufsteigen zu den Wolken, im Azur gleiten, der Sonne zustreben” und so weiter. Das kann man als Lyrik goutieren, wenn man mag, aber für die Wirklichkeit des Falles, der Ostermaier so fasziniert, und für die Wirklichkeit des Wahns dahinter, hat dieser Roman leider weder Augen noch Worte.CHRISTOPH BARTMANN
ALBERT OSTERMAIER: Zephyr. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 222 Seiten, 17,80 Euro.
Wie es sich gehört – Liebe bis auf den Tod: Marie Trintignant und Bertrand Cantat in Vilnius Foto: Gamma/laif
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Dieser Geruch von Chlor: Albert Ostermaiers Roman „Zephyr” verherrlicht die Amour fou
Man kann verstehen, dass Albert Ostermaier vom Fall Trintignant fasziniert ist. Ein dunkler Stoff aus einer mondänen Welt, mit zwei Stars des französischen Kulturbetriebs in den Hauptrollen und mit fast allem, was extreme Gefühlslagen zwischen Liebe und Wahn, Sucht und Gewalt an fatalen Folgen auslösen können. Im Juli 2003 hat der Rocksänger Bertrand Cantat seine Geliebte, die Schauspielerin Marie Trintignant, im Streit erschlagen. Das Drama trug sich in Vilnius zu, wo sich Trintignant zu Dreharbeiten – sie verkörperte in einem französischen Film die Schriftstellerin Colette – aufhielt. Über die Umstände der Gewalttat, ihre Vor- und Nachgeschichte, haben die Medien ausführlich berichtet. Marie Trintignant wurde auf dem Pariser Friedhof „Père Lachaise” im Beisein der französischen Kulturintelligenz beigesetzt, und Cantat saß eine Haftstrafe wegen Totschlags ab, aus der er 2007 wegen guter Führung entlassen wurde. Kriminalistisch betrachtet, ist der Fall abgeschlossen, aber seine dunkle Faszination dauert an – wovon „Zephyr”, der erste Roman des Lyrikers Ostermaier, ein Zeugnis ablegt.
Ostermaier hätte einen Roman über den Mord (oder besser: Totschlag) von Vilnius schreiben können, der sich eng an die Aktenlage anlehnt oder, von ihr ausgehend, die eine oder andere Mutmaßung anstellt. Statt dessen hat er sich entschieden, die tragische Beziehung von Cantat und Trintignant in einer anderen Paarkonstellation zu spiegeln und so seiner literarischen Freiheit einen größeren Spielraum zu geben. In einem Haus an der sommerlichen Côte d’Azur hat sich Gilles eingemietet, ein junger Filmautor, der an einem Skript über die Tat von Vilnius schreibt und selbst von ähnlichen Furien gehetzt wird wie Cantat, der Sänger der Band Noir Désir – „schwarzes Begehren”. Er trinkt zu viel, er taumelt von einer Schaffenskrise in die nächste, und er ist maßlos eifersüchtig in seiner Liebe zu Cathy, der jungen Frau, die zu Beginn des Romans schon tot sein könnte. „Du riechst nach Chlor, hatte sie gesagt”, heißt es da, aber wann Cathy das gesagt hat, und warum Gilles nach Chlor roch, und was seither geschehen ist, erfahren wir nicht zuverlässig.
Das schwarze Begehren
Warum, fragt man sich, hat Ostermaier diese zweite Ebene eingezogen, auf der sich fiktionale Personen undeutlich in Konstellationen begegnen, die denen von Vilnius überdeutlich ähneln? Auf diese Weise, könnte man vermuten, entgeht er der Realismusfalle – denn wer will schon einen Fall literarisch nachempfinden, der journalistisch weitestgehend auserzählt ist? Statt der belegbaren Fakten scheint es Ostermaier um die Erzeugung einer starken Atmosphäre zu gehen, um die Erzeugung von „schwarzem Begehren”. Die Leidenschaft ist darin das eine: Die Amour fou, die der Tat von Vilnius und ebenso den unklaren Geschehnissen in der Villa am Mittelmeer offenbar zugrunde lag, und die Schwärze ist das andere: Es ist dunkel, und man kann nichts erkennen. Ostermaiers „Zephyr” ist kein guter Roman für Leser, die etwas genau wissen wollen, aber vielleicht einer für alle, die Andeutungen, Ungewissheiten und erlesen Metaphorisches lieben. Das hört sich dann so an: „Costello hätte mit ihr geschlafen, als sie beide hier allein gewesen waren. Gilles konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass Costello sie berührt hätte, dass sich Costellos Hände in das Gedächtnis ihres Körpers eingeschrieben hätten und ihr Körper nun, ihn, Gilles, vergessen hätte.” Hat Ostermaier zu viel de Sade gelesen, zu viel Foucault, oder hat er auch zu viel vom Lieblingsautor von Trintignant und Cantat, von Louis-Ferdinand Céline, abbekommen? Jedenfalls hat er mit Eifer den dunkel-schwelgerischen Ton aus Gewalt und Begehren reproduziert, den man von den genannten Autoren kennt.
„Zephyr” heißt der Roman, und das ist seit Homer das Wort für den West-, den Abendwind, und für den Gott des Windes, der, wie Theophrast erzählt, Frauen und Kinder hat und aus Eifersucht zum Mörder eines Liebhabers wird. „Zephyr” heißt auch ein Pariser Restaurant, das für seine Austern berühmt ist, und irgendwie ist der Roman als Ganzer atmosphärisch und metaphorisch zwischen der Welt Pariser Austernbars und jener des klassischen Altertums angesiedelt. Als Lyriker ist Ostermaier beschlagen in der Kunst der atmosphärischen Verdichtung; mit wenigen Worten ist er in der Lage, ein suggestives Ungefähres zu umreißen: „Die Umrandung des Pools. Seine Küsten. Jede Küste schuldet dem Chlor einen Toten.” Der Chlor fungiert im Roman als eine Art Köder für die Neugier des Lesers. Wir sollen daran erinnert werden, dass im Pool oder um ihn herum ein Geheimnis lauert: Hat Gilles, der verwirrte Drehbuchschreiber, sich dort seines Nebenbuhlers entledigt? Ist er, in einer Art Imitation der Bluttat von Vilnius, zum Mörder seiner Frau geworden? Manchmal läuft ein Kommissar durchs Bild, aber er trägt außer einigen Simenon-haften Sätzen zur Erhellung des Geschehens nichts bei.
Peu à peu wird uns, während die Sinnestrübung des Hauptdarstellers voranschreitet, von den Vorkommnissen in jener Julinacht in Vilnius erzählt, und das ist, auch wenn wir es schon aus dem Spiegel und anderen Medien kennen, noch immer interessanter als das ganze aufwendig verschleierte Handlungsspiel, das Ostermaier am südfranzösischen Pool inszeniert hat. Was nicht im Spiegel stand, hat Ostermaier erfunden, und es klingt etwa so. „Andrius bewunderte Bertrand, er hatte das gleiche Charisma wie Marie. Beide waren sie schwarze Engel, Fallwind in den Augen und unter den Achseln, beide zogen sie alles in die Tiefe und wollten doch nur fliegen, leicht die Flügel schlagen und aufsteigen zu den Wolken, im Azur gleiten, der Sonne zustreben” und so weiter. Das kann man als Lyrik goutieren, wenn man mag, aber für die Wirklichkeit des Falles, der Ostermaier so fasziniert, und für die Wirklichkeit des Wahns dahinter, hat dieser Roman leider weder Augen noch Worte.CHRISTOPH BARTMANN
ALBERT OSTERMAIER: Zephyr. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 222 Seiten, 17,80 Euro.
Wie es sich gehört – Liebe bis auf den Tod: Marie Trintignant und Bertrand Cantat in Vilnius Foto: Gamma/laif
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Am Ende ist Christoph Bartmann doch enttäuscht von Albert Ostermaiers Romandebüt. Aufmerksam verfolgt er dessen Versuch, die Faszination des Falls Trintignant in neuer Figurenkonstellation und mittels atmosphärischer Verdichtung darzustellen. Die von Ostermaier gesäten Andeutungen und Metaphern und sein, wie Bartmann vermutet, an de Sade und Celine geschulter "dunkel-schwelgerischer" Ton machen dem Rezensenten allerdings zu schaffen. Wie wenig ihn Ostermaier letztlich überzeugen kann, erkennen wir daran, dass er die Ohren spitzt, wann immer im Buch Fakten des Trintignant-Mordes auftauchen und der dunkle Wahn, den Bartmann dahinter vermutet. Sobald allerdings der Autor seine schwelgerische Verschleierung betreibt, ist es für Bartmann allenfalls Lyrik und seine Faszination lässt nach.
© Perlentaucher Medien GmbH
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