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Für manche Menschen ist jede Zeit eine Zeit der Gefahr, in der das Leben intensiver wird, sich konzentriert auf den gegenwärtigen Augenblick, das Jetzt. Lebenshunger zeichnet sie aus und eine Unersättlichkeit, der fast alles geopfert wird. Stein, österreicher in Kalifornien, der zwischen Neuer und Alter Welt pendelt, ist einer dieser ängstlich Verwegenen. Er lädt Stéphane, seinen Freund aus Pariser Studententagen, zu dessen fünfzigstem Geburtstag an die Westküste ein. Ihr einwöchiges Zusammensein wird zu einer Fahrt ins Blaue, einem Erinnerungs- und Bilanztrip, der sie zuletzt in das Kasino…mehr

Produktbeschreibung
Für manche Menschen ist jede Zeit eine Zeit der Gefahr, in der das Leben intensiver wird, sich konzentriert auf den gegenwärtigen Augenblick, das Jetzt. Lebenshunger zeichnet sie aus und eine Unersättlichkeit, der fast alles geopfert wird.
Stein, österreicher in Kalifornien, der zwischen Neuer und Alter Welt pendelt, ist einer dieser ängstlich Verwegenen. Er lädt Stéphane, seinen Freund aus Pariser Studententagen, zu dessen fünfzigstem Geburtstag an die Westküste ein. Ihr einwöchiges Zusammensein wird zu einer Fahrt ins Blaue, einem Erinnerungs- und Bilanztrip, der sie zuletzt in das Kasino Viejas führt. Stéphane schreibt dort einen Brief an die verlorenen Menschen seines Lebens, in dem er jede Untreue und Herzlosigkeit einräumt und sich für nichts entschuldigt. Die Freunde, die außer der Vergangenheit und ihrem Hunger nicht viel verbindet, sprechen einander Mut zu. Vieles war falsch, aber die Fahrt der zwei schrägen Vögel Richtung Hölle geht weiter.
Einmal in Paris, genau dort, wo Stein vor nicht allzu langer Zeit mit der jungen Sophie, die »reine Zerbrechlichkeit« war, in einem endlos langen Kuß vereint gestanden hatte, stürzten bei Erdarbeiten Särge und Skelette ans Licht. »Wer waren die Toten der Place Baudoyer?« wunderte sich Stein. »Er ergriff Sophies Hand, und sie verließen die gaffende Menge. Festlichkeit erfüllte ihn.« »Denn diese Toten, sie sprechen zu ihm: Kümmere dich, jetzt ist die Zeit zu leben.«
Kindlich genug, fragt ein nicht mehr junger Mann, warum die Welt nicht so ist, wie er sie haben will. Rastlos fliegt Stein zwischen Amerika und Europa hin und her. Hellwach, aber unbelehrbar folgt er seiner Augenblickslust, die, wie bekannt, Ewigkeit will, in jedes neue Abenteuer. Bis der Besuch eines Freundes aus Paris ihn zum Stocken bringt.
Autorenporträt
Skwara, Erich WolfgangErich Wolfgang Skwara wurde am 4. November 1948 in Salzburg geboren.Nach zwei Jahren an einer österreichischen Universität übersiedelte der Autor 1968 zum Studium der Musikgeschichte und Romanistik nach Paris und wurde dort zum Vertrauten der großen Geiger Henryk Szeryng und Ivry Gitlis, als deren Privatsekretär er u.a. arbeitete. 1972 studierte Skwara in Italien und arbeitete sodann als Redakteur eines Journals für klassische Musik für die Deutsche Grammophon Gesellschaft in Hamburg. 1975 übersiedelte er in die USA, wo er als Dozent für deutsche Sprache und Literatur an verschiedenen Universitäten der Ostküste tätig war und daneben mit der ersten Monographie zu Hans Sahl zum Dr. phil. promovierte. Das Buch wurde ein wichtiger Anstoß zur späten Wiederentdeckung und endlichen Anerkennung Hans Sahls, mit dem Skwara über mehr als ein Jahrzehnt eine enge Freundschaft verband. Von 1984 bis 1986 lebte der Autor als freier Schriftsteller wieder in Salzburg. 1986 erh

ielt er eine Professur in Kalifornien und verlegte seinen Hauptwohnsitz erneut in die USA. Seither ist Erich Wolfgang Skwara neben seiner vorrangigen schriftstellerischen Arbeit Professor of Humanities and German an der San Diego State University, hat aber auch einen festen Wohnsitz in Paris und verbringt dort sowie in Italien alljährlich an die sechs Monate. Er ist neben seiner Übersetzerarbeit auch als Literaturkritiker und Essayist für europäische und amerikanische Zeitungen/Zeitschriften tätig und leitet seit 1970 Kulturreisen durch Westeuropa und den Mittelmeerraum.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2002

Der Untergeher, der Hinreißer
Unser aller Maudit: Über den Erzähler Erich Wolfgang Skwara / Von Martin Walser

Am liebsten würde ich sagen: Das ist der wahre Beckett. Verglichen mit diesem Buch, kommt mir die Beckett-Prosa (nicht sein Theater) vor wie ein Motorfahrzeug mit Getriebeschaden, es steht, läßt sich nicht mehr bewegen, aber der Motor läßt sich auch nicht mehr abstellen, er läuft, bis der Tank leer ist. Das wäre der Prosa-Beckett. Das Skwara-Buch erzählt kundig, hell, gesten- und farbenreich von Italien ebenso genau wie von Paris, von Südkalifornien oder vom Salzkammergut, ist aber an Nichtigkeitserfahrung kein bißchen gelinder als Beckett. Also eine Weltzersetzung bei vollkommener Weltpräsenz. Eine Gier nach Welt, die um so größer wird, je mehr die Welt sich weigert, dieser Gier zu entsprechen. Also keine Leerezelebrierung, sondern Verzweiflung in Hülle und Fülle.

Professor Steins Studienfreund Stéphane, jetzt Anwalt in Paris, kommt in die Zweimillionenstadt nach Südkalifornien zu Stein - so heißt (natürlich) der Zerbrechlichkeits-Held. Steins Frau ist zur Beerdigung ihres Vaters nach Kanada geflogen, die zwei Töchter sind außer Haus, Stein und Stéphane fahren herum, die Vergangenheit Steins verfolgt sie, verfolgt Stein, Skwara erzählt sie. Stein ist Professor für Literatur. Alle Eigenschaftswörter, die man ihm anhängen würde, wären zuviel. Er verzehrt sich, könnte man sagen. Er ist der negativste Romanheld, den ich kenne. Und schon stimmt das Eigenschaftswort nicht. So gierig nach gesteigertem Leben, das ist doch nicht negativ. Das ist eine unbehebbare Unglücksbedingung. Aber ist Unglück negativ? Professor Stein verzehrt sich. Mindestens zwei große Liebesgeschichten durchleidet er. Einmal mit dem TGV von Paris nach London zu einem Vortrag. Seine Geliebte Sophie bleibt in Paris, geht nicht ans Telefon, er rast sofort zurück, Selbstmordversuch, er rettet sie, verliert sie später, sensationsloser. Spannender als dieser Sophie-Roman, ergreifender kann nichts sein.

Das wäre in einem anderen Buch überhaupt der Roman geworden und geblieben. Aber hier fängt rücksichtslos einfach noch ein ganz anderer Roman an: Giovanni. Stein fühlt sich verabredet mit Giovanni. Als Sechzehnjähriger hat er den vierzehnjährigen Giovanni geliebt. Jetzt, Jahrzehnte später, wartet er auf Giovanni im Hotel Universo in einer vom Mauerring zusammengepreßten italienischen Kleinstadt, in der die Welt eingeteilt ist in dentro le mura und fuori le mura. Außer ihm wartet in der Hotelhalle noch ein Greis. Der wartet auf seine Verlobte Rosanna. Sozusagen immer schon. Und für immer. Er hat, um hier warten zu können, das Hotel gekauft. Stein wartet von Sonntag bis Dienstag um halb fünf. Er hält sich für verabredet. Auf wie viele Arten man unglücklich sein kann, erzählen die beiden Wartegeschichten.

Das Buch ist voll von genau erzählten Begebenheiten, es wird genauso italienisch wie kalifornisch wie französisch gegessen, getrunken, gesprochen, erlebt. Der Autor - und das ist überhaupt die Voraussetzung für die Zerbrechlichkeit - ist vollkommen weltkundig, aber seine brillante Weltkundigkeit führt zu absolut nichts. Er verzehrt sich. Er ist eine einzige Gier nach allem, nach Männern und Frauen. Aber er kann nicht leben. Nur verzehren kann er sich.

Wenn wir noch eine literarische Gesellschaft wären, dann würde dieses Buch dazu führen, alles, wofür man zwei Namen, zwei Biographien, zwei Menschen brauchte - de Sade und Masoch -, jetzt in einen Namen zu packen: Skwara. Der Skwaraismus ist die Leidenschaft, die ihre Unerfüllbarkeit zum Programm macht. Das Buch ist eine Hochmuts- und Erniedrigungsorgie. Das kann man, wenn man nicht anders kann, auch nicht mögen. Es ist ein Entsetzlichkeitskatalog, grell bebildert.

Verglichen mit diesem Österreicher Skwara, kommt mir Thomas Bernhard (in der Prosa, nicht in den Stücken) wie Folklore vor, hübsch böse, staatstragend böse. Bei Skwara läßt sich nichts auf die Österreicher oder die Deutschen schieben, wenn es auch an krassem Aufprall nicht fehlt, aber bei ihm landet alles bei ihm selber. Bei Bernhard sind es immer die anderen und nur die anderen. Bei Skwara ist es letzten Endes immer er selbst. Diesmal eben der Skwara-Professor Stein, der sich nach dem Leben Verzehrende, der in alles gierig Hineinbeißende, der in allem hemmungslos Untergehende, der von allem Angeekelte, der Unglückliche par excellence.

Ich habe von Erich Wolfgang Skwara gelesen "Schwarze Segelschiffe", "Pest in Siena", "Die heimlichen Könige", "Tristan Island" und "Anruf aus Rom". Ich habe mich immer wieder darüber gewundert, daß Skwara von unseren Kritikern durch Nicht-wahrgenommen-Werden auf eine vernichtende Weise geschont wird. Das Zerbrechlichkeits-Buch erklärt das. Man will bestätigt werden beim Lesen. Auch der Kritiker, der professionelle Leser will unwillkürlich einen Daseinsgewinn schöpfen aus einem Buch. Das ist verständlich. Aber weniger verständlich ist für mich, warum die Daseinssteigerung durch Lesen nicht auch im zutiefst Abträglichen stattfinden kann.

Da ich dann und wann ein Skwara-Leser bin und weiß, daß andere das offenbar nicht sein wollen, möchte ich verstehen, was da vorliegt. Die ästhetischen Größen Beckett und Bernhard vollbringen ihre Weltnegationen mit wenig Wirklichkeit, um die Wirklichkeit schlechtzumachen. Der negative Gestus ist viel eindrucksvoller als das Material, mit dem er sich vorführt. Das Material, der Stoff sind eher dürftig. Skwaras Unglücksfuror erinnert viel mehr an Strindberg, der vor lauter Unglücksandrang, der aber stofflich brutal weithaltig ist, den Ausdruck gar nicht mehr ästhetisch steuern kann und der so öfter zum bloßen Protokollanten des Unglücksandrangs wird. Strindberg und Skwara sind keine souveränen Verfertiger ästhetischer Genießbarkeiten. Sie gehen eher unter in ihren Unglücksmassen. Deshalb fühlt sich vielleicht dieser oder jener feine Geist bei souverän extremen Gesten mit harmlosen, fast keimfreien Stoffen wohler als bei dem immer bis ins Peinlichste hineingerissenen Skwara.

Einer, der zum Feinsten zählt, was die Szene hergibt, beendete einmal eine Unterhaltung über Skwara, bevor sie beginnen konnte, mit: "Quatsch". Skwara erzählt darauflos, das stimmt. Aber das kann er sich, weil er durch Erfahrung weltvoll, welthaltig ist, leisten. Aber es besteht dann nichts. Es bleibt nichts positiv. Seine Existenz ist eine Art Säure, die alles Begegnende auflöst. Dabei geht es aber durchaus prächtig zu oder spannend oder lasziv oder elend gemein. An Farben und Klängen ist kein Mangel, aber eben an Befriedigendem. Und das ist vielleicht das Abträgliche.

Diese und jene Kritikerrunde würde sich auf ihre literarischen Schenkel schlagen und, vielleicht von einem Schweizer Feinfachmann sekundiert, entscheiden: Taugt nichts. Und das stimmt, wenn man es genauer faßt: Es taugt nicht zu etwas. Aber zu nichts schon. Da taugt es ganz schön. Finde ich. Und will das keinem einreden. Aber gestehen darf ich, daß ich anfällig bin für den Roman, der das Dasein erzählt als eine Gier nach etwas, was es nicht gibt. Als eine unbelehrbare Gier. Eine Disposition zum Unglück. Wer keinen Spaß am Unglück hat, sollte dieses Buch nicht lesen. Und wer es braucht zu seiner Selbstbefriedigung und -steigerung, daß an der unbehebbaren Misere immer die anderen schuld sind (die Österreicher, die Deutschen und so weiter), der sollte natürlich Bernhard lesen. Verglichen mit Skwara, ist Bernhard die reine Entlastungsliteratur. Narzißmusfutter. Aber wer seine eigene Unersättlichkeit einmal im angemessensten, also im vernichtendsten Licht erleben will, für den ist das Zerbrechlichkeits-Buch genau das richtige.

Über Bücher zu urteilen ist leichter, als von der Wirkung eines Buches zu berichten. Aber Loben und Tadeln sagt fast gleich wenig über ein Buch. Wenn Kritik auf Werbung (positive oder negative) reduziert wird, ist das eben nicht mehr Kritik, sondern Werbung (positive oder negative). Welche Wirkung ein Buch auf einen Leser hat, das hängt mindestens so sehr vom Leser ab wie vom Buch. Die Wirkung, die ein Buch auf mich hat, sagt über mich so viel wie über das Buch. Wer über ein Buch im Urteils- oder Bewertungsjargon schreibt, tut so, als sei dieses Buch unter allen Umständen so, wie er sagt, daß es sei.

Mir kommt diese herrschende Praxis eher komisch vor. Man kann, wenn man anderen etwas mitteilen will, überhaupt nicht von den eigenen Umständen absehen. Man sollte sie nennen oder gestehen oder andeuten oder doch spürbar werden lassen. Man sollte nicht unerwähnt lassen, daß man es selber ist, der diese Wirkung dieses Buches ermöglichte. Das kann noch immer etwas heißen über das Buch. Aber daß das, was man über das Buch sagt, auch ein Bekenntnis ist, sollte nicht verschwiegen werden.

Also: Erich Wolfgang Skwara hat wahrscheinlich auf mich gewirkt, weil ich von der kunstfertigen Zubereitung der Menschenmisere genug habe. Ich spüre eine Chance in der Nichtzubereitung der Misere, die Existenz dominiert. Einmal keine Unglücksverfälschung der Literatur zuliebe. Ich habe die Wirkung schon gestanden: das Dasein erzählt als eine Gier nach etwas, was es nicht gibt. Wenn ich Skwara aus ästhetischen Gelungenheitsübungen heraushalte, entferne ich ihn kein bißchen aus der Literatur. Er wirkt zwar eher kunstlos, aber daß er dem Unbefriedigenden so radikal treu bleibt, macht ihn zum Schriftsteller. Die Geschriebenheit macht das Schlimmste zum Schönsten. Aber nur, wenn man das Schlimmste nicht ästhetisch verharmlost. Literatur zwingt auch noch das Entsetzlichste, einen weißen Schatten zu werfen. Aber nur, wenn man das Entsetzlichste nicht ästhetisch verharmlost. Der weiße Schatten ist natürlich um so weißer, je dichter, je weithaltiger schwarz vor Gegenständlichkeit die jeweilige Literatur ist. Deshalb ist die schimpfende Leere, die monologisierende Öde, die vorsätzliche Negativität weniger hell als die Vorführung der Weltfülle in ihrer gloriosen, ihrer nicht genug zu rühmenden Armseligkeit.

Erich Wolfgang Skwara: "Zerbrechlichkeit oder die Toten der Place Baudoyer". Roman. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2002. 296 S., geb., 19,90 .

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Martin Walsers Weisung in der FAZ, diesen Autor über so erstklassige literarische Nihilisten wie Beckett und Bernhard zu stellen, will Andreas Breitenstein partout nicht folgen. Skwaras zwischen Euphorie und Depression pendelnde einsame Helden wie im vorliegenden Roman der Literaturdozent Stein, Breitenstein nennt sie "Reisende in Sachen eigener Befindlichkeit", illustrierten am Ende doch bloß die Midlife-Crisis des Autors. Zu wenig interpretatorische Freiheit bietet das Buch dem Leser, der Hang zum Schematischen, zum Wehleidigen (wo sich Leiden artikulieren müsste) verhindert die Verwandlung des Stoffes ins Allgemeine, meint der Rezensent. Was Breitenstein außerdem vermisst, findet er indessen sogar bei Walser: die Ironie als "zuverlässiges Widerlager" zum pathetischen Selbstbild der Figur.

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