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Für manche Menschen ist jede Zeit eine Zeit der Gefahr, in der das Leben intensiver wird, sich konzentriert auf den gegenwärtigen Augenblick, das Jetzt. Lebenshunger zeichnet sie aus und eine Unersättlichkeit, der fast alles geopfert wird. Stein, österreicher in Kalifornien, der zwischen Neuer und Alter Welt pendelt, ist einer dieser ängstlich Verwegenen. Er lädt Stéphane, seinen Freund aus Pariser Studententagen, zu dessen 50. Geburtstag an die Westküste ein. Ihr einwöchiges Zusammensein wird zu einer Fahrt ins Blaue, einem Erinnerungs- und Bilanztrip. Vieles, finden die beiden heraus, war…mehr

Produktbeschreibung
Für manche Menschen ist jede Zeit eine Zeit der Gefahr, in der das Leben intensiver wird, sich konzentriert auf den gegenwärtigen Augenblick, das Jetzt. Lebenshunger zeichnet sie aus und eine Unersättlichkeit, der fast alles geopfert wird. Stein, österreicher in Kalifornien, der zwischen Neuer und Alter Welt pendelt, ist einer dieser ängstlich Verwegenen. Er lädt Stéphane, seinen Freund aus Pariser Studententagen, zu dessen 50. Geburtstag an die Westküste ein. Ihr einwöchiges Zusammensein wird zu einer Fahrt ins Blaue, einem Erinnerungs- und Bilanztrip. Vieles, finden die beiden heraus, war falsch, aber die Fahrt Richtung Hölle geht mit unverminderter Geschwindigkeit weiter.
Autorenporträt
Skwara, Erich WolfgangErich Wolfgang Skwara wurde am 4. November 1948 in Salzburg geboren.Nach zwei Jahren an einer österreichischen Universität übersiedelte der Autor 1968 zum Studium der Musikgeschichte und Romanistik nach Paris und wurde dort zum Vertrauten der großen Geiger Henryk Szeryng und Ivry Gitlis, als deren Privatsekretär er u.a. arbeitete. 1972 studierte Skwara in Italien und arbeitete sodann als Redakteur eines Journals für klassische Musik für die Deutsche Grammophon Gesellschaft in Hamburg. 1975 übersiedelte er in die USA, wo er als Dozent für deutsche Sprache und Literatur an verschiedenen Universitäten der Ostküste tätig war und daneben mit der ersten Monographie zu Hans Sahl zum Dr. phil. promovierte. Das Buch wurde ein wichtiger Anstoß zur späten Wiederentdeckung und endlichen Anerkennung Hans Sahls, mit dem Skwara über mehr als ein Jahrzehnt eine enge Freundschaft verband. Von 1984 bis 1986 lebte der Autor als freier Schriftsteller wieder in Salzburg. 1986 erh

ielt er eine Professur in Kalifornien und verlegte seinen Hauptwohnsitz erneut in die USA. Seither ist Erich Wolfgang Skwara neben seiner vorrangigen schriftstellerischen Arbeit Professor of Humanities and German an der San Diego State University, hat aber auch einen festen Wohnsitz in Paris und verbringt dort sowie in Italien alljährlich an die sechs Monate. Er ist neben seiner Übersetzerarbeit auch als Literaturkritiker und Essayist für europäische und amerikanische Zeitungen/Zeitschriften tätig und leitet seit 1970 Kulturreisen durch Westeuropa und den Mittelmeerraum.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.06.2002

Es fällt der Stein, und er zerbricht
Flieg, lahme Schildkröte, flieg: Erich Wolfgang Skwara verteidigt das Recht auf Absturz
So müde und misanthropisch hat schon lange keiner mehr einen Roman angefangen und sein untröstliches Programm vom ersten bis zum letzten Satz durchgehalten: „Die Dinge, die bald verschwinden würden, festzuhalten, es war ein unmögliches Unterfangen, und doch schien kein anderes der Mühe wert. Auf Menschen musste man dabei nicht zählen.” Das sitzt wie ein Schlag ins Literaturkontor, das jede Schwere, die sich den leichtfüßigen Regeln des Betriebs verweigert, mit der Vertreibung von der Prosecco-Bar ahndet: „Wenn Stein” – so heißt der bleischwere Held des neuen Romans von Erich Wolfgang Skwara – „einen Roman schriebe, würde er durchfallen bei der Kritik und allen Lesern.” Aber Stein schreibt keinen Roman, Stein schreibt nicht einmal eine Novelle, Stein schreibt gar nichts, und der Erzähler nennt uns auch den Grund: „Schreiben war Sehnsucht, und es gab in der Welt keine Sehnsucht mehr.” Das klingt wehleidig, und ist es auch, doch von Geigenklängen wird dieser Roman zum Glück nicht an jeder Stelle untermalt. Und außerdem: Seit wann müsste sich die Literatur für ihre angeborene Schmerzempfindlichkeit rechtfertigen?
Erich Wolfgang Skwara, 1948 in Salzburg geboren und schon lange fern von Österreich, in San Diego und Paris lebend, schreibt seit einem Vierteljahrhundert schwerblütige Romane, Erzählungen, Gedichte und Essays. Daneben übersetzte er Werke von Tennessee Williams, Thomas Wolfe, Jean-Jacques Rousseau und Gustave Flaubert ins Deutsche. In den achtziger Jahren promovierte Skwara mit der ersten größeren Arbeit über den Exilautor Hans Sahl, dem er in New York begegnet war, als man ihn in Deutschland längst vergessen hatte. Außerdem ist Skwara, dem am heutigen Tag der Hermann-Lenz-Preis – kein Preis für leichte Literatur – verliehen wird, Literaturprofessor in San Diego. Die Berufung für die überflüssigen Dinge teilt er mit Stein, über den Skwara den Roman mit dem Titel „Zerbrechlichkeit oder Die Toten der Place Baudoyer” geschrieben hat.
Das Recht auf Schwermut
Stein ist einer, für den das Leben und sogar das Lesen von Büchern Schwerstarbeit ist, ein Zeitbetrüger, ein Rückwärtsgänger, ein ewig Wartender, ein permanent Abwesender, der auf Vergangenheit bestand und auf das „Recht auf Schwermut eines jeden”, auch wenn er wie jeder ordentliche Narziss vorzugsweise mit den Dramen seines eigenen Kopfes befasst ist. Als schonungsloser Beobachter seiner selbst weiß er jedoch nicht nur um die eigene Fragilität, sondern auch um die Zerbrechlichkeit der Menschen und Dinge, die ihn umgeben. Wenn er liebt – und die Frauen liebt er nicht weniger als die Städte –, so liebt er auf den letzten Blick, denn diese Liebe hält länger. So lange wie der Schmerz, von dem es heißt, dass er Stein immer erst dann erreichte, „wenn andere Menschen schon mit dem Vergessen beschäftigt waren”. Einen sterbenden Schwan wollen wir ihn nicht nennen, denn dafür ist er nicht mehr jung und nicht mehr schön genug, doch kehrt mit ihm eine Figur in die Literatur zurück, die zum Stammpersonal des modernen Romans gehört: der Dandy, der ewige Durchgänger einer jeden zu Tode gelangweilten Epoche. Nur führt er keine lahmen Schildkröten mehr spazieren, sondern benutzt die schnellen Fortbewegungsmittel. Aber wie seine Vorgänger weiß er, dass die Zeit gar keine Wunden heilt.
„Ich bin nur ein Kind meiner Zeit, das leidet”, lautet seit Alfred de Mussets „Bekenntnissen eines jungen Zeitgenossen” aus dem Jahr 1836 die Schmerzensmelodie des Dandy, in dessen Nachfolge sich aller Generationen Müdigkeiten im europäischen Roman versammeln. Aber etwas muss sich seither verändert haben, denn „ein Kind seiner Zeit” zu sein, heißt für Stein, der zwischen den Betten und Kongressen dieser Welt hin und her hetzt, „treu in der Fünfminutendimension” zu leben und zu leiden. Und er ist auch kein junger Zeitgenosse mehr, sondern teilt mit seinem Sparringspartner Stéphane die Zugehörigkeit zu einer Generation von Frühvergreisten: Beide, so heißt es frei nach Italo Svevo, seien einander durch „jugendliche Senilität” verbunden.
Mit Stéphane begibt sich Stein zur Feier von dessen fünfzigstem Geburtstag auf eine Reise ohne Ziel. Genau genommen führt sie durch Südkalifornien, aber das ist beim näheren Hinsehen, das sich sogar der Ausblicke vom Observatorium auf dem Mount Palomar bedient, gar nicht so wichtig, denn in Wirklichkeit führt die Reise in die Vergangenheit und in die Imaginations- und Erinnerungsräume alter europäischer Städte.
Vor allem Paris und Lucca haben es Stein angetan, und die Übergänge zwischen den Romanepisoden werden im Fluss der Erzählung, die probehalber – als würde Stein zum Zeitpunkt einer bereits vergangenen Zukunft seinen eigenen Roman schreiben – auch einmal in die Ich-Form wechselt, wie im Flug, einmal sogar tatsächlich im Flug genommen: In einem fulminant geschilderten Wettlauf mit der Zeit zwischen Paris, London und wieder zurück rettet Stein seine Geliebte, die nach einem Selbstmordversuch hilflos im Koma liegt. Aber verlieren tut er sie doch.
Nur wer die Sehnsucht kennt
Was bleibt? Ein langer, langer Kuss zwischen Stein und Sophie an einem neunten Juli auf der Place Baudoyer im Marais und die Erinnerung an die Toten, die die beiden Verliebten zwei Tage darauf am Ort ihres ersten Kusses zu sehen bekommen: Sie stehen vor einem Absperrgitter, dahinter Baukräne menschliche Gebeine aus dem Erdboden ausheben, knochige Überreste eines längst vergangenen Geschlechts von Seine-Fischern aus karolingischen Zeiten. Einige fallen aus ihren Särgen, als sich die Greifarme der Baukräne heben. Stein bezieht aus dem Erlebnis ein tiefes Gefühl für die Dauer eines Kusses, der zu diesem Zeitpunkt bereits Erinnerung war: „Die Toten der Place Baudoyer hatten sie gemeinsam entdeckt. Es war ein Fliegen, das mit dem Absturz enden musste.” Und die Erinnerung, wie lange mag sie dauern? „Der Tag war nicht fern, an dem sie zum Zweifel wurde, habe ich dich wirklich umarmt, hat es dich wirklich gegeben?”
Alles fällt, und so viel Schwere wurde schon lange nicht mehr geschildert, dazu noch wörtlich genommen und in eine zeitgemäße Emblematik gefasst, die Stein und seiner Lebensweise – immer im Flug – angepasst ist. Absturz ist der Wunsch aller Masse, und allen festen Körpern eignet die Zerbrechlichkeit. Schon Baudelaire hatte den Dandy mit einem „fallenden Stern” verglichen. Doch welch fallender Narziss, welch stürzender Ikarus könnte strahlender und kälter sein als ein Überschallflieger? „lasst die Concorde wieder fliegen!” Mit diesem Aufschrei endet Skwaras Roman: „Sie hatte ein Recht auf ihren Absturz! Menschen und Dinge haben das Recht auf ihr Zerbrechen! Und jeder Bankrott wird zum Sieg, wenn wir ihn nur mit eigener Stimme eingestehen.” Das ist heroisch. Also gibt es doch noch Sehnsucht in der Welt. Und das Schreiben von Literatur kann nicht völlig verloren sein. VOLKER BREIDECKER
ERICH WOLFGANG SKWARA: Zerbrechlichkeit oder Die Toten der Place Baudoyer. Insel Verlag Frankfurt am Main 2002. 303 Seiten, 19,90 Euro.
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