Interview mit Michael Tsokos
Zu Beginn des neuen Thrillers muss Fred Abel Opfer des Terroranschlags in Istanbul untersuchen, der tatsächlich im Januar 2016 stattfand und bei dem es auch deutsche Opfer gab. Sie waren als Rechtsmediziner an der Obduktion beteiligt. Wie schwer ist es, Opfer von Bombenanschlägen zu untersuchen? Nimmt einen das mehr mit als "gewöhnliche" Mordopfer?
Michael Tsokos: Jedes Opfer, das bei mir auf dem Obduktionstisch landet, hat ein tragisches Schicksal ereilt, und die Hinterbliebenen haben einen Verlust erlitten, mit dem sie denRest ihres Lebens leben und irgendwann zurechtkommen müssen. Wenn aber Menschen Opfer eines terroristischen Anschlags werden in einem Moment, in dem sie eigentlich gerade nichts anderes als glücklich und mit ihren Liebsten zusammen sein wollen - wie die im Januar 2016 in Istanbul getöteten Mitglieder der deutschen Reisegruppe oder die am 19. Dezember 2016 auf einem Berliner Weihnachtsmarkt von Anis Amri Getöteten, die ich auch obduziert und identifiziert habe -, dann bekommt dieses Grauen auch für mich noch einmal eine ganz neue, viel intensivere Dimension.
Der neue Thriller heißt "Zerbrochen". Auch weil der Held der Geschichte, Fred Abel, mit den Traumata eines Mordanschlags auf ihn selbst kämpft. Sein privates Glück leidet. Und zu guter Letzt werden auch noch seine Kinder entführt. Wir gehen davon aus, dass dieser Teil der Geschichte nicht auf einer wahren Begebenheit beruht.Aber gestaltet sich Ihre Arbeit auch manchmal so bedrohlich, dass Sie Angst um sich selbst oder Ihre Familie haben müssen?
Michael Tsokos: Rechtsmediziner und ihre Familien werden, wenn sie es wünschen, vom Staat besonders geschützt. So gibt es zum Beispiel, was unsere persönlichen Datenanbelangt, eine Melde- und Auskunftssperre in den entsprechenden Registern der Behörden, damit man den Wohnort der Betreffenden nicht ohne Weiteres in Erfahrung bringen kann. Es gibt auch noch andere Schutzmaßnahmen für uns, auf die ich hier verständlicherweise nicht näher eingehen kann. Ganz aus der Luft gegriffen ist der Plot um Fred Abel also nicht.
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Die Szenen, die Abel bei der Arbeit des Sezierens der Mordopfer zeigt, sind wieder einmal großartig realistisch und informativ geraten, wie es wohl nur jemand vermag, der tatsächlich als Rechtsmediziner arbeitet. Ist es Ihnen ein Anliegen, auch ein wenig "Aufklärungsarbeit" über die Arbeit des Rechtsmediziners zu leisten?
Michael Tsokos: Absolut. Ich versuche mit meinen Büchern, ein Gegengewicht zu der allgegenwärtigen verzerrten Darstellung der Arbeit von Rechtsmedizinern in Film und Buch herzustellen. Rechtsmedizin ist auch ohne fiktive, rasend schnelle und immer computergestützte Untersuchungsmethoden, wie bei "CSI" suggeriert, schon spannend genug.
Im Zentrum des neuen Thrillers steht ein sogenannter Darkroom-Killer. Das Vorbild zu dieser literarischen Figur trieb 2012 tatsächlichsein Unwesen inBerlin. War esfür Sie als Rechtsmediziner damals schwierig herauszufinden, wie der Mörder seine Opfer tötete?
Michael Tsokos: Als wir einen Verdacht hatten, wen und vor allen Dingen wie er seine Opfer getötet hatte, und dann die Toten untersuchen konnten, war es nicht mehr schwierig.Dann konnten wir das Mordgift in unserem toxikologischen Labor im Blut der Opfer nachweisen. Aber: Der Verdacht muss erst einmal überhaupt bestehen, und wenn ein Täter seine Spuren so gut verwischt, dass eine Obduktion seiner Opfer nicht erfolgt, dann wird es schwierig bis unmöglich. Denn ohne Untersuchungsmaterial haben wir nichts in der Hand, womit wir einen Giftmord nachweisen können.
Die Rechtsmedizin hat ihren Ursprung ja tatsächlich in Deutschland und Österreich - und sie gilt hier bis heute weltweit als führend. Dennoch dürfte das Publikum einschlägiger US-amerikanischer Fernsehserien, die das Bild der Rechtsmedizin in den vergangenen Jahren geprägt haben, dies kaum wissen. Stört Sie das?
Michael Tsokos: Nein. Solche Serien dienen der Unterhaltung und nicht der Aufklärung. Interessierte Laien können sich zum Beispiel mit meinen Sachbüchern zu den verschiedenenrechtsmedizinischen Themen auf dem Laufenden halten, wenn ihnen die Fiktion zu bunt wird.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Andreas Gößling, mit dem Sie die Abel-Reihe schreiben? Entwickeln Sie Plot und literarische Ausarbeitung der Geschichte zusammen?
Michael Tsokos: MitAndreas Gößling arbeite ich mittlerweile schon viele Jahre zusammen, und das sehr gerne. Die Grundideen sind immer reale Fälle aus meiner rechtsmedizinischen Praxis, um die herum wir dann die Figuren, den Plot, die Seitenstränge und das Grande Finale entwickeln.
Lesen Sie in Ihrer Freizeiteigentlich selbst Thriller oder Krimis, oder flüchten Sie lieber in ein anderes Genre, um von der Arbeit als Rechtsmediziner abschalten zu können?
Michael Tsokos: Ich lese gerne Simon Beckett, Tom Callaghan, Don Winslow und Sam Eastland - insofern: ja, sehr gerne lese ich Thriller und Krimis!
Als Rechtsmediziner der Charité werden Sie auch häufig zu Auslandseinsätzen beordert. Sie schreiben Bücher, halten Vorträge. Sie haben eine Familie mit fünf Kindern, und demnächst sind Sie mit Ihrem neuen Thriller auf Lesetour. Darf man fragen, ob Sie über übernatürliche Kräfte verfügen?
Michael Tsokos: Der Schlüssel zu alldem ist ein sehr hohes energetisches Potenzial mit wenig Schlafbedürfnis, gepaart mit großer Neugier und Spaß an der Arbeit, sei es im Sektionssaal oder mit meinen Lesern.
Die Reihe um Fred Abel ist als Trilogie angekündigt worden. War es dasnun mit Thrillern, oder haben Sie bereits ein neues literarisches Projekt in Planung?
Michael Tsokos: Literarisch geht es jetzt erst einmal wieder mit Sachbüchern über echte Fälle, die ich selbst untersucht habe, weiter - ganzin der Tradition von "Dem Tod auf der Spur". Im Herbst erscheint bei Droemer "Die Zeichen des Todes". Und abseits vonmeinen literarischen Projekten soll die Fred-Abel-Trilogie verfilmt werden. Die Planung ist schon recht konkret, mehr wird aber noch nicht verraten.