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In der Literaturgeschichte gibt es immer wieder Entdeckungen zu machen, und dieser kurze Roman aus dem Jahre 1930 ist gewiß eine der überraschendsten. Es gab in den zwanziger Jahren in der schwedischsprachigen Enklave Helsinkis eine Gruppe hochbegabter junger Lyriker und Erzähler, die nach neuen Formen und Ausdrucksmöglichkeiten suchten und sie in einem ganz eigenen Amalgam aus der lebensbejahenden Anarchie des Dada, dem übersteigerten Ausdruckswillen des Expressionismus, den Formspielen des Kubismus, der jungen Stummfilmkunst und den Rhythmen und Klängen des Jazz fanden. Einer von ihnen war…mehr

Produktbeschreibung
In der Literaturgeschichte gibt es immer wieder Entdeckungen zu machen, und dieser kurze Roman aus dem Jahre 1930 ist gewiß eine der überraschendsten. Es gab in den zwanziger Jahren in der schwedischsprachigen Enklave Helsinkis eine Gruppe hochbegabter junger Lyriker und Erzähler, die nach neuen Formen und Ausdrucksmöglichkeiten suchten und sie in einem ganz eigenen Amalgam aus der lebensbejahenden Anarchie des Dada, dem übersteigerten Ausdruckswillen des Expressionismus, den Formspielen des Kubismus, der jungen Stummfilmkunst und den Rhythmen und Klängen des Jazz fanden. Einer von ihnen war Henry Parland: 1908 im finnischen Viborg geboren, starb er 1930 im litauischen Kaunas an Scharlach. Er wuchs mehrsprachig auf, mit Deutsch, Englisch, Russisch und ab dem vierzehnten Lebensjahr Schwedisch. In dieser zuletzt erlernten Sprache hinterließ er ein frühvollendetes Werk, Gedichte, Erzählungen, Essays und den hier zum ersten Mal auf deutsch erscheinenden Roman Zerbrochen (Sönder - so der schwedische Titel), der erst 2005 von Per Stam in einer authentischen Fassung herausgegeben wurde. Zerbrochen ist eine Liebesgeschichte, die von Geld, Macht und von der Photographie erzählt: Ami ist schön, launisch und sorglos. Sie liebt Jazz und nächtliche Bummel durch die Lokale Helsinkis. Sie spielt und verspielt gern ihr Geld und das anderer. Und sie liebt Henry. Aber Amy ist tot. Mit Photos, die er von ihr gemacht hat, versucht Henry Stück für Stück seine Erinnerungen an sie und ihre Liebesgeschichte wieder zum Leben zu erwecken. Eine scheinbar leichte, kurzlebige Geschichte, mit kleinen Eifersüchteleien und Frivolitäten, in der keiner von beiden den anderen wirklich kennt. Und eine Geschichte vom Erinnern und vom Erzählen selbst: verblüfft entdeckt man, daß Henry Parland einen Anti-Roman geschrieben hat - zwanzig Jahre bevor diese Romanform in Frankreich entwickelt wurde.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.09.2007

Das Zittern der Zeit
"Zerbrochen (über das Entwickeln von Veloxpapier)": Henry Parlands Roman als Vorabdruck in der F.A.Z.

Welch ein sperriger Untertitel! "(Über das Entwickeln von Veloxpapier)" hat Henry Parland seinem kurzen Roman als Zweitnamen beigegeben und meint doch eigentlich "Über die Erinnerung". Das zu Beginn beschriebene Verfahren, wie man das Bild von belichteten Glasnegativplatten auf damals übliches Fotopapier überträgt, ist so prekär wie jeder Versuch, die Vergangenheit auf Befehl zu vergegenwärtigen: Die fehlende Schärfe des Bildes lässt sich zwar durch vorsichtiges Schwenken in der Entwicklerflüssigkeit wettmachen; man kann so die Kontraste intensivieren. Doch wartet man zu lange, entstehen Flecken, ja kann das ganze Bild verderben.

Ami, die Geliebte des Erzählers, ist gestorben, und der Kaufmann und Hobby-Fotograf hat sich ein Jahr nach ihrem plötzlichen Tod vorgenommen, ein Buch über sie zu schreiben. Er verabredet sich zum nächtlichen Rendezvous, das eher den Charakter einer Geisterbeschwörung hat. Das Entwickeln der bisher unberührt gebliebenen Fotoplatten wird den Erinnerungsvorgang auslösen: "Ami kommt". Doch mit dem Bild der Geliebten kehren auch der Schmerz und die Verzweiflung zurück. Ans Licht gehoben wird die Geschichte einer gegenseitigen Verfehlung: Das flüchtige gemeinsame Glück wurde stets überschattet durch die Unmöglichkeit, vom anderen einen deutlichen Eindruck zu gewinnen: Alle Bilder bleiben unscharf, der Geliebte immer fremd.

Henry Parland, 1908 in Viborg geboren, gehörte Ende der zwanziger Jahre in der schwedischsprachigen Gemeinschaft Helsinkis zu einer Künstlergruppe, die Dada, Expressionismus, Filmkunst und Jazz aufsog und nach neuen Formen suchte. Parland schrieb Gedichte, Feuilletons und Essays; "Sönder", so der Originaltitel, ist sein einziges längeres Erzählwerk. Erst 2005 wurde der lange für unvollendet gehaltene Roman in einer authentischen Fassung herausgegeben, die dank der Übersetzerin Renate Bleibtreu und der Verlegerin Katharina Wagenbach-Wolff in der Friedenauer Presse erscheinen wird. Zu entdecken ist ein kleines, ungeheuer facettenreiches Meisterwerk der Klassischen Moderne, das den Fokus auf einen Ort abseits der üblichen Zentren richtet.

Gleich im vorangestellten Motto bezieht sich Parland selbstironisch auf das große Vorbild von Prousts "Recherche", deren Abschlussband kurz zuvor, 1927, erschienen war. Doch statt einer Nachahmung liefert Parland einen höchst originellen Beitrag zur Poetik des autobiographischen Romans. Neben die Fotometapher treten bald weitere Bilder, die die Rolle der Einbildungskraft ausleuchten, auch die eminente Bedeutung des Films für das moderne Bewusstsein wird erörtert. Ami liebt das "Kulissenhafte" des amerikanischen Films; der Erzähler die deutsche "Hervorbringung von Albträumen und Sadismus" - schon das ist eine Mesalliance.

Je tiefer die Erinnerung gräbt, desto schillernder wird das Bild eines Verhältnisses, das man wohl zähneknirschend moderne Liebe nennen muss. Die finanzielle Abhängigkeit Amis vom chronisch verschuldeten Inhaber des Kontors "Parland & Co.", seine rasende Eifersucht und Illusionen von einer dauerhaften Verbindung mit dem flatterhaften, stets nach Zerstreuung suchenden Mädchen, der beide zerrüttende Alkoholgenuss - "zerbrochen", kaputt ist hier vieles. Bestürzend ist, wie wenig der Erzähler selbst von Tragik zu wissen scheint, wie er etwa mitten in einem Zusammenbruch Amis von seinen Geschäftsplänen phantasiert oder sich am Badestrand vor dem entscheidenden Tête-à-tête erotischen Tagträumen hingibt.

"Zerbrochen" entstand im litauischen Kaunas, wo der verschuldete Künstler seit Mai 1929 am Konsulat arbeitete. Am 10. November 1930 stirbt Henry Parland dort, an Scharlachfieber, zweiundzwanzig Jahre alt und, wie man nun erkennt, eine der größten schriftstellerischen Begabungen seiner Generation. Es bleibt ein Buch aus hochempfindlichem Papier, in dem das Zittern seiner Zeit für immer festgehalten ist.

RICHARD KÄMMERLINGS

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nicht wirklich jubeln lässt der einzige, nach einem frühen Tod posthum veröffentlichte Roman "Zerbrochen" von Henry Parland (1908 bis 1930) den Rezensenten Lothar Müller. In schwedischer Sprache erzählt der in Finnland geborene Autor von dem, so der Rezensent, "nervösen Leben" eines jungen Fotografen aus Helsinkis Boheme, seiner wilden, kürzlich verstorbenen Freundin und seiner großen Liebe zu ihr, die er rückblickend kühl zur Illusion aburteilt. Der Rezensent deutet an, dass es da noch einen Gegenspieler gibt, verrät aber nicht, wie es genau weiter geht. Parlands Stil erntet sein Lob, dennoch diagnostiziert er das "Scheitern" dieses Liebesromans, dessen Versuch, der Moderne eine neue Form zu geben, in den Augen des Rezensenten zwar beachtlich, aber leider missglückt ist.

© Perlentaucher Medien GmbH