As Saviano maps the international cocaine trade, he investigates the evolution of cocaine trafficking, from Mexican drug cartels to money laundering through Wall Street. He follows the human trail of users, victims and traffickers. The global sale and consumption of cocaine has radically altered economies over recent decades, and has impacted societies globally.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.03.2014Das profitabelste Produkt des Planeten
Der Stoff, den der Kapitalismus braucht: Roberto Saviano zeigt in "Zero Zero Zero" unsere Welt im Würgegriff der Kokain-Mafia.
Ich möchte mit meinen Händen in die Grausamkeit eintauchen, dort herumwühlen, wo es am meisten weh tut, und sehen, was mir an den Fingen kleben bleibt", schreibt Roberto Saviano, und genau das tut er in "Zero Zero Zero", dem neuen Buch, mit dem er zeigen will: Kokain ist die Achse, um die sich die Welt wirklich dreht. Der italienische Publizist nimmt seine Leser mit auf eine halb literarische, halb journalistische Höllenfahrt auf den Spuren des weißen Stoffes, mit dem sich, so Saviano, Geld machen lässt wie mit keinem anderen Produkt auf dieser Welt.
Sie beginnt in Mexiko und endet an den internationalen Finanzmärkten; unterwegs verwandelt sich Materie in Kapital, und Menschenleben werden zerstört. Stromstöße, abgeschnittene Gliedmaßen, aufgebohrte Schädel, Säure - der Autor mutet seinen Lesern die Methoden der mexikanischen und kolumbianischen Kartelle und die der kalabrischen Mafia zu. Er geht ins Detail, wenn Drogenkuriere Kokspäckchen hinunterwürgen, wenn es zum Tod durch Überdosis kommt, er nennt die Toten beim Namen und zeigt eigens für sein deutsches Publikum auf das Blut der 2007 in Duisburg erschossenen Italiener, Opfer eines Kriegs unter verfeindeten kalabrischen Clans der 'ndrangheta.
Dazwischen führt Saviano zusammen, was er jahrelang über den weltweiten Kokainhandel gesammelt hat: Anbau, Inhaltsstoffe, Wirkung, Vertriebswege, die Rollen von Paten, Brokern, Logistikern und Dealern und sogar Hunden. Sein ununterbrochener Redefluss - denn nichts anderes ist dieses Buch - erzeugt eine chaotische Totalität. Sein Autor sagt: "Manchmal glaube ich, es ist eine Obsession. Manchmal sage ich mir, dass diese Geschichten die Wahrheit ans Licht bringen werden." Sie aufzuschreiben sei, wie es wohl sein müsse, auf Koks zu sein.
Vielen anderen würde man Pose unterstellen, nicht Roberto Saviano. Seit der 1979 in Neapel geborene Journalist vor sieben Jahren seinen Tatsachenroman "Gomorrha" veröffentlichte, in dem er die Machenschaften der Camorra offenlegte, wird er von Mafiabossen mit dem Tod bedroht. Seitdem lebt er unter Polizeischutz, alle paar Tage wechselt er seinen Aufenthaltsort, tut keinen Schritt ohne Eskorte, keine Reise ohne langwierige Abstimmungen vorab. Welche Mühe es bereitet, unter diesen Umständen zu recherchieren, ist schwer vorstellbar.
Saviano veröffentlicht regelmäßig in "L'Espresso" und "La Repubblica", er hat Bücher geschrieben, die die Fährten von "Gomorrha" weiterverfolgten. Seine Geschichte der Camorra wurde verfilmt, eine Fernsehserie soll folgen, der Autor trat für kurze Zeit sogar mit einer eigenen Show im Fernsehen auf, auch da ging es um die Mafia. Eine Lokalzeitung prozessiert gegen ihn, weil er sie in seinem Camorra-Buch nicht als Quelle kenntlich gemacht habe. Er wird als Held verehrt und angefeindet, weil er keine Ruhe gibt.
Vor allem aber ist Saviano ein Gefangener. Einer, der ungewollt physisch einsteht für seine Worte und im Weiterschreiben seinen einzigen Ausweg sieht - auch wenn ihn das in ein "Ungeheuer" verwandelt habe. Auch diese Verwandlung beschreibt er in diesem Buch. Es enthält viele autobiographische Passagen, und tatsächlich sind Recherche und Person, Geschichte und Autor in seinem Fall nicht zu trennen. Kein Wunder, dass der Körper die Leitmetapher von "Zero Zero Zero" ist: Vergesst New Economy und körperlose Datensätze. Worte können Leben kosten. Der Turbokapitalismus, so Saviano, wird immer noch von Menschen aus Fleisch und Blut gesteuert, die sich gegenseitig umbringen wollen. Zusammen bilden sie einen Megaorganismus auf Droge: "Die Welt ist wie ein Körper, dem ständig Kokain zugeführt werden muss."
Savianos Art zu schreiben grenzt an Paranoia, das weiß er selbst. Aber es hat Substanz. Denn seine Recherchen verbinden eine Flut einzelner Informationen, von denen man viele schon mal irgendwo gelesen haben könnte oder in den Nachrichten gehört, zu seiner großen Erzählung vom Narko-Kapitalismus. Oder besser: zu vielen kleinen Erzählungen, die eine große bilden. Und nur, was uns als Geschichte erzählt wird, können wir irgendwie begreifen.
Es ist die Geschichte vom profitabelsten multinationalen Unternehmen auf dem Planeten. Kokain ist der Stoff, mit dem sich weltweit die größten Gewinnspannen erzielen lassen. Denen, die sie abschöpfen, verleiht die Droge die Macht, ganze Demokratien in den Würgegriff zu nehmen - wie etwa in Mexiko - und die legale Wirtschaft in Abhängigkeit zu treiben. Denn was sei die Bankenkrise anderes gewesen als die Gelegenheit, riesige Summen von Drogengeldern zu waschen? Als die Banken nach Kapital lechzten, hätten sie auch das Geld der Drogenbosse genommen, ohne groß zu fragen. Sonst wäre nach der Lehman-Pleite alles noch viel schlimmer gekommen.
Seine größte Wucht entfaltet das Buch, wenn es Strukturen aufzeigt. Es gelingt am überzeugendsten in dem Kapitel über die 'ndrangheta, das, ausgehend von der Geschichte eines süditalienischen Steinmetz-Unternehmers, das komplexe Geflecht aufzeigt, welches die kalabrische Mafia mit den kolumbianischen Kartellen vernetzt - und wie dieses Netz immer weiter wächst. Bis es Australien, Deutschland, die Vereinigten Staaten und viele weitere Länder umspannt, so undurchschaubar wird wie das Gewirr der Äste jenes Baumes neben der Wallfahrtskirche von Polsi, zu der die Mafiosi von San Luca so gern pilgern.
Vom Kleinen zum Großen und wieder zurück - mit solcher Klarheit gelingt das Saviano selten. Oft erstickt er, was er sagen will, unter Namen, Orten und Geschehnissen. Seine Thesen sind steil. Zum Beispiel, dass der einzige Ausweg aus der Misere sei, Kokain zu legalisieren. Aber er legt die Finger in Wunden. Zum Beispiel die, dass es die Gesetzgebung in Deutschland Ermittlern schwermacht, gegen kriminelle Vereinigungen vorzugehen. Savianos Changieren zwischen Vorgestelltem - das er allerdings immer als solches kenntlich macht -, Recherchiertem und Erlebtem erzeugt eine Atmosphäre der Bedrängnis, nicht der nüchternen Aufklärung. Er habe einen wiederkehrenden Albtraum, schreibt er: Er schreie und schreie, und keiner höre ihn.
URSULA SCHEER
Roberto Saviano: "Zero Zero Zero". Wie Kokain die Welt beherrscht.
Aus dem Italienischen von Walter Kögler und Rita Seuß. Carl Hanser Verlag, München 2014. 480 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Stoff, den der Kapitalismus braucht: Roberto Saviano zeigt in "Zero Zero Zero" unsere Welt im Würgegriff der Kokain-Mafia.
Ich möchte mit meinen Händen in die Grausamkeit eintauchen, dort herumwühlen, wo es am meisten weh tut, und sehen, was mir an den Fingen kleben bleibt", schreibt Roberto Saviano, und genau das tut er in "Zero Zero Zero", dem neuen Buch, mit dem er zeigen will: Kokain ist die Achse, um die sich die Welt wirklich dreht. Der italienische Publizist nimmt seine Leser mit auf eine halb literarische, halb journalistische Höllenfahrt auf den Spuren des weißen Stoffes, mit dem sich, so Saviano, Geld machen lässt wie mit keinem anderen Produkt auf dieser Welt.
Sie beginnt in Mexiko und endet an den internationalen Finanzmärkten; unterwegs verwandelt sich Materie in Kapital, und Menschenleben werden zerstört. Stromstöße, abgeschnittene Gliedmaßen, aufgebohrte Schädel, Säure - der Autor mutet seinen Lesern die Methoden der mexikanischen und kolumbianischen Kartelle und die der kalabrischen Mafia zu. Er geht ins Detail, wenn Drogenkuriere Kokspäckchen hinunterwürgen, wenn es zum Tod durch Überdosis kommt, er nennt die Toten beim Namen und zeigt eigens für sein deutsches Publikum auf das Blut der 2007 in Duisburg erschossenen Italiener, Opfer eines Kriegs unter verfeindeten kalabrischen Clans der 'ndrangheta.
Dazwischen führt Saviano zusammen, was er jahrelang über den weltweiten Kokainhandel gesammelt hat: Anbau, Inhaltsstoffe, Wirkung, Vertriebswege, die Rollen von Paten, Brokern, Logistikern und Dealern und sogar Hunden. Sein ununterbrochener Redefluss - denn nichts anderes ist dieses Buch - erzeugt eine chaotische Totalität. Sein Autor sagt: "Manchmal glaube ich, es ist eine Obsession. Manchmal sage ich mir, dass diese Geschichten die Wahrheit ans Licht bringen werden." Sie aufzuschreiben sei, wie es wohl sein müsse, auf Koks zu sein.
Vielen anderen würde man Pose unterstellen, nicht Roberto Saviano. Seit der 1979 in Neapel geborene Journalist vor sieben Jahren seinen Tatsachenroman "Gomorrha" veröffentlichte, in dem er die Machenschaften der Camorra offenlegte, wird er von Mafiabossen mit dem Tod bedroht. Seitdem lebt er unter Polizeischutz, alle paar Tage wechselt er seinen Aufenthaltsort, tut keinen Schritt ohne Eskorte, keine Reise ohne langwierige Abstimmungen vorab. Welche Mühe es bereitet, unter diesen Umständen zu recherchieren, ist schwer vorstellbar.
Saviano veröffentlicht regelmäßig in "L'Espresso" und "La Repubblica", er hat Bücher geschrieben, die die Fährten von "Gomorrha" weiterverfolgten. Seine Geschichte der Camorra wurde verfilmt, eine Fernsehserie soll folgen, der Autor trat für kurze Zeit sogar mit einer eigenen Show im Fernsehen auf, auch da ging es um die Mafia. Eine Lokalzeitung prozessiert gegen ihn, weil er sie in seinem Camorra-Buch nicht als Quelle kenntlich gemacht habe. Er wird als Held verehrt und angefeindet, weil er keine Ruhe gibt.
Vor allem aber ist Saviano ein Gefangener. Einer, der ungewollt physisch einsteht für seine Worte und im Weiterschreiben seinen einzigen Ausweg sieht - auch wenn ihn das in ein "Ungeheuer" verwandelt habe. Auch diese Verwandlung beschreibt er in diesem Buch. Es enthält viele autobiographische Passagen, und tatsächlich sind Recherche und Person, Geschichte und Autor in seinem Fall nicht zu trennen. Kein Wunder, dass der Körper die Leitmetapher von "Zero Zero Zero" ist: Vergesst New Economy und körperlose Datensätze. Worte können Leben kosten. Der Turbokapitalismus, so Saviano, wird immer noch von Menschen aus Fleisch und Blut gesteuert, die sich gegenseitig umbringen wollen. Zusammen bilden sie einen Megaorganismus auf Droge: "Die Welt ist wie ein Körper, dem ständig Kokain zugeführt werden muss."
Savianos Art zu schreiben grenzt an Paranoia, das weiß er selbst. Aber es hat Substanz. Denn seine Recherchen verbinden eine Flut einzelner Informationen, von denen man viele schon mal irgendwo gelesen haben könnte oder in den Nachrichten gehört, zu seiner großen Erzählung vom Narko-Kapitalismus. Oder besser: zu vielen kleinen Erzählungen, die eine große bilden. Und nur, was uns als Geschichte erzählt wird, können wir irgendwie begreifen.
Es ist die Geschichte vom profitabelsten multinationalen Unternehmen auf dem Planeten. Kokain ist der Stoff, mit dem sich weltweit die größten Gewinnspannen erzielen lassen. Denen, die sie abschöpfen, verleiht die Droge die Macht, ganze Demokratien in den Würgegriff zu nehmen - wie etwa in Mexiko - und die legale Wirtschaft in Abhängigkeit zu treiben. Denn was sei die Bankenkrise anderes gewesen als die Gelegenheit, riesige Summen von Drogengeldern zu waschen? Als die Banken nach Kapital lechzten, hätten sie auch das Geld der Drogenbosse genommen, ohne groß zu fragen. Sonst wäre nach der Lehman-Pleite alles noch viel schlimmer gekommen.
Seine größte Wucht entfaltet das Buch, wenn es Strukturen aufzeigt. Es gelingt am überzeugendsten in dem Kapitel über die 'ndrangheta, das, ausgehend von der Geschichte eines süditalienischen Steinmetz-Unternehmers, das komplexe Geflecht aufzeigt, welches die kalabrische Mafia mit den kolumbianischen Kartellen vernetzt - und wie dieses Netz immer weiter wächst. Bis es Australien, Deutschland, die Vereinigten Staaten und viele weitere Länder umspannt, so undurchschaubar wird wie das Gewirr der Äste jenes Baumes neben der Wallfahrtskirche von Polsi, zu der die Mafiosi von San Luca so gern pilgern.
Vom Kleinen zum Großen und wieder zurück - mit solcher Klarheit gelingt das Saviano selten. Oft erstickt er, was er sagen will, unter Namen, Orten und Geschehnissen. Seine Thesen sind steil. Zum Beispiel, dass der einzige Ausweg aus der Misere sei, Kokain zu legalisieren. Aber er legt die Finger in Wunden. Zum Beispiel die, dass es die Gesetzgebung in Deutschland Ermittlern schwermacht, gegen kriminelle Vereinigungen vorzugehen. Savianos Changieren zwischen Vorgestelltem - das er allerdings immer als solches kenntlich macht -, Recherchiertem und Erlebtem erzeugt eine Atmosphäre der Bedrängnis, nicht der nüchternen Aufklärung. Er habe einen wiederkehrenden Albtraum, schreibt er: Er schreie und schreie, und keiner höre ihn.
URSULA SCHEER
Roberto Saviano: "Zero Zero Zero". Wie Kokain die Welt beherrscht.
Aus dem Italienischen von Walter Kögler und Rita Seuß. Carl Hanser Verlag, München 2014. 480 S., geb., 24,90 [Euro].
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