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Nach der Wende stürzten in den ehemals sozialistisch regierten Staaten die Lenin- und Stalindenkmäler gleich reihenweise vom Sockel. Damit erlangte das Thema Bildersturm unverhofft neue Aktualität und Brisanz. Der ideologisch motivierten Zerstörung von Kunstwerken, wie sie unter den Nationalsozialisten einen verheerenden Höhepunkt erlebte, mangelte es dabei nie an guten Argumenten für die Vernichtung von Gemälden, Skulpturen und auch Bauwerken, deren Verlust wir heute beklagen.

Produktbeschreibung
Nach der Wende stürzten in den ehemals sozialistisch regierten Staaten die Lenin- und Stalindenkmäler gleich reihenweise vom Sockel. Damit erlangte das Thema Bildersturm unverhofft neue Aktualität und Brisanz. Der ideologisch motivierten Zerstörung von Kunstwerken, wie sie unter den Nationalsozialisten einen verheerenden Höhepunkt erlebte, mangelte es dabei nie an guten Argumenten für die Vernichtung von Gemälden, Skulpturen und auch Bauwerken, deren Verlust wir heute beklagen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.04.2001

Die Geburt des Kulturerbes aus dem Geist der Zerstörung
Dialektik des Bewahrens: Während die Axt des Vandalismus wütet, wird in der Französischen Revolution der moderne Denkmalschutz erfunden

Im August 1986 wurde aus dem Museum des australischen Bundesstaates Victoria Picassos Gemälde "Weinende Frau" gestohlen, damals geschätzt auf 2,6 Millionen Mark. Die Diebe meldeten sich unter dem Namen "Australian Cultural Terrorists" und forderten für die Rückgabe des Gemäldes, das Picasso 1937 als Protest gegen die Brutalität des Spanischen Bürgerkriegs gemalt hatte, die Anhebung des Kulturetats des Bundesstaates um zehn Prozent und die Ausschreibung von fünf Jugendkulturpreisen, die mit je sechstausend Mark dotiert sein sollten. Die selbsternannten "Kulturterroristen" drohten, das Gemälde zu verbrennen, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt würden. Die Bedrohung eines musealen Kulturgutes sollte der lebenden Kultur zugute kommen. Auch wenn die Bilderdiebe ihr Ziel nicht erreichten, haben sie immerhin ein neues Wort in die Welt gesetzt: "Kulturterrorismus". Zeitgemäß ist dieses Wort bis heute.

Einige Jahre später, 1993, kam es zu dem ersten Sprengstoffanschlag auf ein Museum, als eine Autobombe in unmittelbarer Nähe der Uffizien detonierte und im Südflügel drei Gemälde bedeutender Caravaggisten (Honthorst, Notti, Manfredi) und im Westflügel zwei Dutzend Gemälde beschädigte, darunter Werke von Rubens und van Dyck. Außerdem wurde die Bibliothek des Landwirtschaftsministeriums mit vierzigtausend Bänden vernichtet. Zu ähnlichen Anschlägen kam es auf das Civico Museo d'Arte Contemporanea in Mailand und in Rom auf die Kirchen San Giovanni in Laterano und San Giorgio di Valabro und den Palazzo del Vicariato. Das Ziel solchen Kulturterrorismus sind, so Dario Gamboni, Verfasser eines intelligenten Buches über "Zerstörte Kunst" (Dumont 1998), "symbolische Orte, Wahrzeichen der Kultur und der Identität von Staat und Nation". Es sind Anschläge auf "lieux de mémoire", wie der in denselben Jahren populär werdende Begriff von Pierre Nora lautet, der das Gedächtnis der Völker und Nationen bezeichnet.

Das ist wohl auch die Bedeutung des Begriffs der "Kulturgüter", die seit der Charta der Vereinten Nationen von 1945, seit der Konvention zum Schutz von Kulturgütern von 1954, vor allem aber seit der Einrichtung eines Kanons des "Weltkulturerbes" die besondere Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit finden. Daß die Buddha-Statuen, die unlängst von den Taliban in Afghanistan demoliert wurden - wohl zum erstenmal wurde für diesen Zweck modernes Kriegsgerät eingesetzt -, zum Weltkulturerbe gehören, hat sie möglicherweise für die fundamentalistischen Vandalen besonders interessant gemacht und war gewiß der Grund für das große internationale Echo auf diesen Vandalismus.

Obwohl alles dafür spricht, daß auch hier mit der Hochschätzung die Gefährdung wächst, hat man immer wieder behauptet, daß Bilderstürme keine Zukunft hätten. So schrieb Martin Warnke 1973: "Der Bildersturm hat heute Bedeutung nur noch auf dem Niveau der politischen Praxis von Entwicklungsländern." Das hat sich in Afghanistan bestätigt. Doch die weiter gehende These Warnkes, daß die Geschichte der Bilderstürme als abgeschlossen gelten könne, dürfte kaum zutreffen, auch wenn es richtig ist, daß die Visualisierung der Macht "einen Grad von Allgemeinheit" angenommen hat, der sie den klassischen Bilderstürmern unerreichbar mache. Sie gehen nämlich immer gegen Einzelwerke vor. Verbreitet ist auch die Auffassung, daß Bilderstürme einen Bilderglauben voraussetzen, der sich mit der fortschreitend rationalen Organisation der Gesellschaft abschwäche. Doch schon die Erfahrungen der historischen Bilderstürme zeigen, daß Bildpolemik in handgreifliche Zerstörung übergehen kann, ohne dazu einer religiösen, bildtheoretischen Fundierung zu bedürfen. Der Vandalismus der Französischen Revolution, der besonders unter den Kultbildern wütete, griff diese in erster Linie wegen ihrer Verquickung mit der politischen Symbolik der Monarchie an. Auch heute sind Akte des Vandalismus - soweit sie nicht einer privaten Pathologie entspringen - in erster Linie von politischen Zielen bestimmt, greifen die Zeugnisse der Kultur feindlicher Gruppen und Völker an und wollen mit ihren Zerstörungen die gegenwärtige Bedeutung und den gegenwärtigen Gebrauch von Bildern treffen. Ein Glaube an die Wirkung der Bilder stellt sich dann von selbst ein. Meist ist der Feind des Bilderglaubens selbst ein Bildgläubiger.

Der Ikonoklasmus richtet sich in der Regel auf den "Gegenwartswert" (Alois Riegl) der Werke und beweist damit, daß die Vergangenheit nicht vergeht. Die Zerstörung des kulturellen Erbes in der nicht-westlichen Welt richtet sich deswegen meist gegen die westliche Auffassung des kulturellen Erbes. So klagten die chinesischen Zerstörer der Zeugnisse der tibetischen Kultur den "westlichen bürgerlichen Modernismus" an, erklärten aber gleichzeitig, daß sie die Denkmäler der tibetischen Kultur zerstörten, weil sie ein Zeichen der Rückständigkeit waren. Und für die Rechtfertigung ihres Vorhabens bedienten sie sich des Schlagworts der Modernisierung. Diese Widersprüchlichkeit ist für den Ikonoklasmus bezeichnend: Er zieht die Vergangenheit und ihre kulturellen Zeugnisse in die Auseinandersetzung um die Gegenwart hinein.

Programmatisch und ausdrücklich ist diese Auseinandersetzung mit der Vergangenheit aus der Sicht der Gegenwart wohl zuerst während der Französischen Revolution geführt worden. Damals wurde, in direkter Beziehung aufeinander, sowohl der Begriff des "Vandalismus" geprägt wie auch der des "kulturellen Erbes", der bis heute seine Bedeutung behalten hat. Der Vandalismus ist der stärkste denkbare Ausdruck der Verneinung einer Vergangenheit. Das Wort wurde 1794 vom Abbé Grégoire, dem verfassungstreuen Bischof von Blois, verwendet. Er wollte damit die Zerstörung von Denkmälern und Kirchen, Kunstwerken, Büchern und Urkunden ins öffentliche Bewußtsein heben und dadurch bekämpfen. Man sprach von der "Axt des Vandalismus" oder der "Raserei des Vandalismus" und meinte damit eine diffuse Menge von Aktionen gegen öffentliche Denkmäler, die Skulpturen von Bouchardon in Paris, das Grabmal von Turenne in der Kirche von Saint-Denis, den Verfall der Kathedrale von Chartres, die Auflösung der Bibliotheken von Klöstern und Schlössern, eine Marienstatue von Houdon, die in Verdun zerstört wurde, eine antike Jupiterbüste in Versailles, Orangenbäume im Departement Indre, die verkauft wurden, weil Republikaner Kartoffeln, aber keine Orangen benötigen. Eine "Welle der Zerstörung" ergoß sich über das ganze Land.

Neben dem "wilden" Vandalismus gab es auch einen offiziellen, der in Beschlüssen der Nationalversammlung, des Konvents und in Kommissionsberichten seine Chronik hat. So beschloß die Nationalversammlung am 28. September 1789, die Kirchen auszuräumen; ein Erlaß der Gesetzgebenden Versammlung verfügte am 14. August 1792, daß die "geheiligten Prinzipien der Freiheit und der Gleichheit" es nicht zuließen, "die dem Stolz, dem Vorurteil und der Tyrannei errichteten Denkmäler noch länger unter den Augen des französischen Volkes" zu lassen, aber kurze Zeit später wurde eine umfassende Inventarisierung der Reichtümer der Republik gefordert; und am 4. Juli 1793 beschloß man, daß auf öffentlichen Denkmälern alle skulptierten oder gemalten Attribute und Verherrlichungen des Königtums zu vernichten seien, desgleichen die Gräber und Mausoleen der früheren Könige, da diese "Denkmäler des Götzendienstes" den Aberglauben einiger Franzosen nähren könnten. Man machte sich damit die Auffassung zu eigen, die auch dem "wilden" Vandalismus zugrunde lag: Die Zeichen der Vergangenheit wirkten noch, nachdem diese Vergangenheit selbst besiegt war. Wenn die Denkmäler nicht als Ganzes vernichtet wurden, mußten wenigstens ihre Inschriften und Embleme ausgelöscht werden. Wie bei allen Revolutionen und Umwälzungen galt es auch hier, die Macht der Vergangenheit zu brechen. Und wie noch jüngst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde das gesamte Zeichensystem der Gesellschaft einer Revision unterzogen und der Manie von Umbenennungen von Regionen und Gemeinden, Plätzen, Straßen und öffentlichen Gebäuden ausgeliefert.

Weniger bekannt ist, daß man am 25. April 1793 die Bronzetafeln, in die man die Erklärung der Menschenrechte und die Verfassung von 1791 eingraviert hatte und die im Fundament des Denkmals für die Bastille hinterlegt worden waren, wieder hervorholte, demolierte und in diesem Zustand als historische Zeugnisse dem Nationalarchiv übergab: Als Zeugnisse einer überwundenen Phase der Revolution wurden sie exorzisiert und danach als Dokumente archiviert. Am 3. März 1794 drang der Wohlfahrtsausschuß darauf, die Spuren der Vergangenheit völlig zu verwischen: "Alle Zeichen des Königtums und des Feudalismus sollen entfernt werden, so daß es den Anschein hat, als hätten sie niemals existiert. Die Handwerker sollen die Lilien sogar so sorgfältig beseitigen, daß der Stein nicht die geringste Spur des geglätteten Reliefs zeigt." Nicht der geringste Anhaltspunkt sollte bleiben, an dem das Gedächtnis der verfemten Vergangenheit sich festmachen könnte. Die Auslöschung sollte so total und spurlos sein, daß das Ausgelöschte nicht wiederbelebt werden konnte.

Umstrittene Denkmäler wurden dem Anblick entzogen und zunächst in Depots und später, nach ihrer Umwandlung in ein Werk der Kunst, in ein Museum überführt, wo sie pädagogisch für den öffentlichen Unterricht genutzt werden konnten. Die Zeichen der entmachteten Vergangenheit wurden aber auch direkt als Mittel der Verfemung benutzt, indem man ungehorsame Schüler zur Strafe die Insignien des Königtums tragen ließ. Auch die Gegner des Vandalismus suchten nach Mitteln, die Wirkung der verfemten Vergangenheit zu bannen und den Werken einen neuen Sinn zu unterlegen, der mit der revolutionären Ideologie vereinbar war. So erklärte Abbé Grégoire im Herbst 1794, daß man die Denkmäler mit allen Zeichen des Despotismus erhalten und gleichsam zu einem "ewigen Pranger" verurteilen solle. Sie sollten sichtbar bleiben und von der Verdammungswürdigkeit der überwundenen Vergangenheit zeugen.

Es war wiederum der Abbé Grégoire, der im August 1794 die aktuelle Formulierung fand: "Alles soll für die Augen die republikanische Sprache sprechen." Um ein homogenes republikanisches Bewußtsein zu schaffen, mußten die gefährlichen Zeugnisse der Vergangenheit von den ungefährlichen getrennt werden. Schon zwei Jahre zuvor hatte es in einem Konventsbeschluß geheißen, daß alles, was in friedlicheren Zeiten ein ruhmreiches Denkmal werden und der Nachwelt bezeugen konnte, daß das französische Volk sogar in den Wirren einer beispiellosen Revolution alles bewahrt habe, was die Ehre der Künste, der Wissenschaften und den Ruhm einer empfindungsfähigen und aufgeklärten Nation ausmacht. Man ahnte, daß der ungeheure Verlust an Zeugnissen der Vergangenheit, den die Nation durch den Vandalismus erlitt, eines Tages als ein Mangel an Vergangenheit fühlbar werden konnte. Deshalb wurde die Französische Revolution zur Mutter der Inventarisierung der Denkmäler, und noch während der Zerstörungen begann man, nicht nur die unumstrittenen, sondern auch die zerstörten Denkmäler zu inventarisieren.

Aber nichts ging unverwandelt in die Gegenwart und Zukunft ein: Aus Dokumenten des königlichen Willens wurden historische Zeugnisse, aus Zeugnissen des Glaubens wurden Kunstwerke, aus historischen Überlieferungen wurden historische Quellen für die Geschichtsschreibung. Nach dem Abtransport der Statuen aus Notre-Dame im Juli 1795 wurde dort eine Inschrift angebracht: "Unter der Herrschaft der Gesetze hat die Freiheit, nachdem sie aus diesem Tempel alles verbannte, was die republikanischen Augen verletzen konnte, dieses Gebäude aus Achtung vor den Künsten bewahrt."

Die Denkmäler erfuhren eine Konversion der Zeichen und ihrer Bedeutungen, die in Zeichen der neuen Republik verwandelt wurden. Es regte sich vereinzelt aber auch Widerstand gegen diesen manipulativen Umgang mit der Vergangenheit. Die "Notwendigkeit, die Denkmäler der Literatur und der Künste zu bewahren", wurde nun damit begründet, daß es unmöglich sei zu bewirken, daß das, was war, nicht existiert habe. Die Devise der entschiedenen Fürsprecher der Bewahrung lautete dagegen: "Was gemacht ist, bleibt gemacht" (Romme, 24. Oktober 1793).

Eine wichtige Rolle bei der Neudefinition des Status all dieser Objekte spielte der Begriff des "patrimoine national", des nationalen Erbes, der im Kampf gegen den Vandalismus geprägt wurde. Er hat bis heute seine Funktion behalten. Am 4. Oktober 1791 sprach der Abgeordnete Puthod de Maisonrouge zum erstenmal vom "patrimoine national", vom nationalen Erbe. Es wurde der Leitbegriff in der Auseinandersetzung mit dem Vandalismus und trug dazu bei, ein neues Bewußtsein von der allgemeinen Gefährdung der Zeugnisse der Vergangenheit zu bilden. Die Gegenwart nahm sich der Relikte der Vergangenheit an und machte sie zum Gegenstand einer Bildungspolitik. Der Begriff des nationalen Erbes umfaßte alles Erhaltungswürdige und Schutzbedürftige. Wie der Vandalismus eine Politik des Vergessens gewesen war, so förderte der Begriff des nationalen Erbes eine Politik der Erinnerung. Ein neuer Gebrauch der Vergangenheit zeichnete sich ab, der den Bruch zwischen Gegenwart und Vergangenheit voraussetzte und zugleich die Kontinuität zwischen ihnen zu begründen erlaubte.

Im Gefolge der Vandalismusdebatte kam man zur Formulierung des modernen Verständnisses von Kultur und Kunst in einem weiten Spektrum von Funktionen: als nationales Erbe, als Bildungsgut, als Rechtsverhältnis, als Genuß für den einzelnen. Die Argumente, mit denen in modernen Gesellschaften die Schutz- und Förderungswürdigkeit der Zeugnisse der Vergangenheit und der Kunst durch den Staat begründet zu werden pflegen, tauchten in dieser Debatte über eine abgelehnte Vergangenheit zum erstenmal auf. Über die Grenzen der Nationen erweitert, sind es heute die wesentlichen Argumente, die für das "Weltkulturerbe" in Anspruch genommen werden. Ihre Herkunft aus dem Vandalismus während der Französischen Revolution macht freilich auch Angriffsflächen sichtbar, die sie nach wie vor überall dort bieten, wo Kulturen in einen Kampf um die Gegenwart verstrickt sind.

HENNING RITTER

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