Nach dem unaufgeklärten Mord an seiner Frau hat sich der ehemalige Psychiater Aron Mulder in sein Ferienhaus zurückgezogen. Die Gerüchte, er sei in den Mordfall involviert, vertreiben die Patienten und auch seinen Sohn Alexander, der nach New Orleans gezogen ist und einen anderen Namen angenommen hat. Als Alexander jedoch verdächtigt wird, seine Freundin Nathalie Underwood in den Sümpfen von Louisiana ermordet zu haben, beschließt Aron, in die USA zu fliegen und seinem Sohn, von dem er seit Jahren nichts mehr gehört hat, zu helfen.Im Mordfall Underwood ermittelt die Polizistin Hanna Vincennes, die von ihren Vorgesetzten und den Medien zunehmend unter Druck gesetzt wird. Je mehr Antworten sie findet, desto größer werden ihre Zweifel an der offiziellen Version.Was hat dieser Mordfall mit dem Mord an Arons Frau zu tun? Und gelingt es Aron, die Unschuld seines Sohnes zu beweisen?
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buecher-magazin.deEin nie aufgeklärter Mord: Der Psychiater Aron Mulder wurde verdächtigt, seine Frau Nora erstochen zu haben. Mangels Beweisen ließ man ihn frei, sein Sohn Alexander verschwand in die USA. Fünf Jahre später macht sich Mulder auf den Weg nach New Orleans, als sein Sohn beschuldigt wird, seine Freundin erstochen zu haben. Beide Morde weisen Parallelen auf. Die Brüder Daan und Thomas Heerma van Voss entwerfen einen spannenden Wettlauf gegen die Zeit. Die ermittelnde Polizistin Hanna Vincennes kämpft gegen den Druck ihrer Vorgesetzten, weil sie den jungen Mann für unschuldig hält, während sein Vater mithilfe eines Ex-Polizisten Beweise sucht, die eine Verbindung zum Mord an seiner Frau belegen - und in die Irre führen. Oder doch nicht? Elegant und subtil steigert das Autorenpaar die Spannung, indem sich zwischen die Perspektiven von Aron und Hanna schließlich immer tückischer die des Mörders drängt. Bis hin zur Verurteilung Alexanders, der seine Unschuld beteuert, seinen Vater aber für schuldig hält, verstricken sich alle Beteiligten im bösen Spiel falscher Annahmen und rachsüchtiger Winkelzüge, in einer überhitzten Stadt, wo man den Mardi Gras gern im Skelettkostüm feiert.
© BÜCHERmagazin, Lore Kleinert
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.08.2018In den Sümpfen der Seele
Was für ein großartiges Genre der Thriller sein kann, zeigt „Zeuge des Spiels“ von den
Niederländern Daan und Thomas Heerma van Voss mit psychologischer Subtilität und Suspense
VON PETER HENNING
Wenn Sie New Orleans wirklich verstehen wollen, hören Sie unserer Musik zu!“, rät der Privatdetektiv O’Hara einem erstaunten Klienten . New Orleans – das musikverrückte Tollhaus Amerikas, wo die Sümpfe sich in Hochsommernächten in schwül-feuchte Gräber verwandeln, und an Mardi Gras die Untergangsseligen in schwarz-weißen Skelettkostümen zu Hunderttausenden in den Straßen tanzen. Wo „Satchmo“ Louis Armstrong zum Weltstar wurde und Buddy Bolden den Jazz mit der Muttermilch aufsog. Wer es hier zu etwas bringen – oder einfach nur überleben will, der lauscht der Musik so demütig wie ein Auswegloser einer Wahrsagerin. Denn in der Musik, so heißt es in einem legendären New-Orleans-Jazzklassiker, liegt die Wahrheit begraben.
Deshalb wahrscheinlich haben die niederländischen Brüder Daan und Thomas Heerma van Voss New Orleans zum Schauplatz des ersten Thrillers gemacht, den sie gemeinsam geschrieben haben: „Zeuge des Spiels“. Die Stadt im Mississippi-Delta muss ihnen mit ihrer besonderen Atmosphäre wie gemacht erschienen sein für die Geschichte eines Mannes, der in ihm völlig fremder Umgebung nach der Wahrheit sucht.
Die beiden scheinen ohnehin ein Faible für Erzählungen über isolierte, aus ihren sozialen Zusammenhängen gefallene Typen zu haben. Der jüngere von beiden, der 1990 in Amsterdam geborene Thomas Heerma van Voss veröffentlichte mit „Stern geht“ 2016 einen Roman, in dem beschrieben wird, wie ein Mann namens Hugo Stern gegen seinen Willen in den Vorruhestand geschickt wird, wie sein Leben zu erodieren und langsam zu zerfallen beginnt. Der jüngste Roman von Daan Heerma van Voss, Jahrgang 1986, wird unter dem Titel „Abels letzter Krieg“ im Dezember auf Deutsch erscheinen und erzählt ebenfalls die Geschichte eines Mannes, der aus allen sozialen Bindungen gestürzt ist und sein Heil in der Rettung eines jungen Flüchtlings sucht.
In „Stern geht“ rollte das Tempo bewusst gedrosselt an, „Zeuge des Spiels“ beginnt dagegen mit der klassischen Eröffnung eines Thrillers, knallig, schnell und ziemlich blutig. An Mardi Gras, jenem Faschingsdienstag, an dem die Menschen in New Orleans das Ende von „sieben fetten Tagen“ feiern, kommt in den Sümpfen vor den Toren der Stadt eine junge Frau, Nathalie Underwood, durch mehrere Messerstiche ums Leben. Dann macht die Kamera der Erzählperspektive einen riesigen Schwenk zurück nach Europa, in die Niederlande. Dort erreicht den ehemaligen Psychiater Aron Mulder die Nachricht, dass sein Sohn Alexander, der fünf Jahre zuvor nach Amerika gegangen ist, in New Orleans des Mordes an der jungen Frau beschuldigt wird. Und schnell ist für Mulder klar: „Er muss etwas tun. Für Alexander, für sich selbst auch.“
Mulder packt ein paar Sachen und fliegt nach New Orleans, ohne eine genaue Vorstellung zu haben, was ihn dort erwartet. Und sobald er amerikanischen Boden betritt und den Detektiv O’Hara beauftragt, ihm zu helfen, die Unschuld seines Sohnes zu beweisen, steckt er in einer Kriminalgeschichte, die ihn an den Rand seiner Vorstellungskraft bringt. Denn er hat das ja alles schon einmal erlebt: Eine Frau ist getötet worden, und man hält den, der dem Opfer am nächsten stand, für den Täter. Damals ihn, Mulder – nun Alexander, seinen Sohn. „Fünf Jahre her, denkt Aron, und fast identisch.“ Damals wurde Mulders Frau Nora unter nie geklärten Umständen getötet, und er selbst eine Zeit lang für ihren Mörder gehalten und in Untersuchungshaft genommen. Am Ende wurde er zwar aus Mangel an Beweisen freigesprochen, stand aber trotzdem mit leeren Hände da. Sein altes Leben existierte nicht mehr, sein Sohn wandte sich von ihm ab und floh in die USA.
Mulder hat damals seinen Beruf auf gegeben, seine Praxis verkauft und sich in sein Ferienhaus zurückgezogen. Ein Mann im permanenten Widerstreit mit sich selbst. Einer, der nicht aufhören kann, nach Antworten zu suchen: „Er nimmt fünf Magentabletten pro Tag, kriegt keinen Bissen runter. Er greift nach einem Stapel Kreuzworträtsel, starrt auf die leeren Kästchen, versucht mit großer Mühe, Wörter zusammenzubringen. Aber die Spannung hinter seinen Schläfen ist zu groß.“ Nur die Beziehung zu einer Frau namens Marie gibt seinem Leben noch ein wenig Halt. Von New Orleans aus schickt er ihr unbeholfene Nachrichten, Botschaften eines Mannes, der in der Fremde auf der Stelle tritt und gefressen zu werden droht, von den Gespenstern der Vergangenheit.
Die Brüder Heerma van Voss stellen ihm noch eine andere Frau gegenüber: Hanna Vincennes, die für das New Orleans Police Department ermittelt und an genialische, von ihren Ängsten und Neurosen geschüttelte Serien-Kommissarinnen erinnert, die ihre Jagd mit der Obsession der Heils- und Erlösungssüchtigen betreiben. Wie sie wandelt diese Frau auf dünnem Eis. Ihr Leben ist hinter der bürgerlichen Fassade ein einziges Provisorium.
Ihre beiden unterschiedlich motivierten Wahrheitssucher treiben die Autoren allmählich aufeinander zu und damit dem Finale ihrer dunklen echoreichen Geschichte entgegen. Da der ermittelnde Staatsanwalt sich früh auf Alexander als Nathalies Mörder festgelegt hat, wird das Ganze zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Als dann der von Mulder angeheuerte Detektiv O’Hara das zweite Opfer des Mörders wird, ist Mulder endgültig auf sich alleine gestellt.
Mit seinem Thriller-Debüt reiht sich das niederländische Autoren-Duo auf Anhieb ein in die illustre Riege der besonderen Genre-Schreiber, die – angefangen bei Raymond Chandler bis hin zu aktuellen deutschen Vertretern wie Andreas Pflüger oder Max Annas – den Kriminalroman als etwas begreifen, das der „verborgenen Wahrheit“, wie Chandler es leicht pathetisch nannte, „auf die Sprünge hilft“.
Zudem wuchern die van-Voss-Brüder mit einer geschmeidigen, bilderreichen Sprache, die nicht bloß als Transportmittel von Handlung fungiert, sondern die Wirklichkeit authentisch einfängt, birgt und wiedergibt. „Zeuge des Spiels“ ist die scharf an der Realität entlang erzählte Legende eines Mannes, der im Zwielicht der Großstadt nach Gerechtigkeit für seinen Sohn sucht.
Anders als die meisten Thrillerautoren, die psychologische Subtilität für knallige Effekte verheizen, senken die van-Voss-Brüder ihre Sätze wie Sonden in die Seelen ihrer Protagonisten, um selbst minimalste Regungen nachvollziehbar zu machen. So dringen sie mit ihren Sätzen aus dem Äußeren ins Innere vor und kommen wieder an die Außenwelt – zugunsten der psychologischen Verfeinerung. Auch was William S. Burroughs einmal – in Anlehnung an die Filmsprache – das Set nannte, stimmt hier bis ins Kleinste: Licht und Schatten, und jene Atmosphäre, die einen Schauplatz unverwechselbar macht, seine Gerüche, und Geräusche, die Art, wie dort gesprochen wird. Die Musik, die dort läuft, also Cajun, Brass und Zydeco.
All das fängt „Zeuge des Spiels“ detailversessen in einer Erzählung ein, die dadurch besticht, dass sie alles enthält, ihr Geheimnis aber bis zuletzt bewahrt. Das Resultat ist literarisches Kopfkino made in Holland – montiert aus Bildern, die wie von selbst im Hirn abrollen.
„Man kann keine Buletten machen, ohne zuvor ein bisschen Fleisch durch den Wolf zu drehen“, schrieb der amerikanische Hard-boiled-Schreiber Carroll John Daly in einem seiner frühen Romane mit Blick auf das Genre des Thrillers. Die Brüder Heerma van Voss haben das begriffen – und aus ihrem fein Gehackten auf langsam größer werdender Flamme etwas ganz Besonderes gebrutzelt.
Heerma van Voss & Heerma van Voss: Zeuge des Spiels. Thriller. Aus dem Niederländischen von Ulrich Faure. Schöffling, Frankfurt 2018. 304 Seiten, 18 Euro.
Ein Mann, der gefressen zu
werden droht, von den
Gespenstern der Vergangenheit
Man kann keine Buletten
machen, ohne Fleisch durch
den Wolf zu drehen
Genau die richtige Atmosphäre für einen Krimi: New Orleans am Morgen des Mardi Gras. Die traditionelle „Skull and Bones Gang“ weckt am Faschingsdienstag die Bewohner des Viertels Tremé auf.
Foto: Emily Kask/AFP
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Was für ein großartiges Genre der Thriller sein kann, zeigt „Zeuge des Spiels“ von den
Niederländern Daan und Thomas Heerma van Voss mit psychologischer Subtilität und Suspense
VON PETER HENNING
Wenn Sie New Orleans wirklich verstehen wollen, hören Sie unserer Musik zu!“, rät der Privatdetektiv O’Hara einem erstaunten Klienten . New Orleans – das musikverrückte Tollhaus Amerikas, wo die Sümpfe sich in Hochsommernächten in schwül-feuchte Gräber verwandeln, und an Mardi Gras die Untergangsseligen in schwarz-weißen Skelettkostümen zu Hunderttausenden in den Straßen tanzen. Wo „Satchmo“ Louis Armstrong zum Weltstar wurde und Buddy Bolden den Jazz mit der Muttermilch aufsog. Wer es hier zu etwas bringen – oder einfach nur überleben will, der lauscht der Musik so demütig wie ein Auswegloser einer Wahrsagerin. Denn in der Musik, so heißt es in einem legendären New-Orleans-Jazzklassiker, liegt die Wahrheit begraben.
Deshalb wahrscheinlich haben die niederländischen Brüder Daan und Thomas Heerma van Voss New Orleans zum Schauplatz des ersten Thrillers gemacht, den sie gemeinsam geschrieben haben: „Zeuge des Spiels“. Die Stadt im Mississippi-Delta muss ihnen mit ihrer besonderen Atmosphäre wie gemacht erschienen sein für die Geschichte eines Mannes, der in ihm völlig fremder Umgebung nach der Wahrheit sucht.
Die beiden scheinen ohnehin ein Faible für Erzählungen über isolierte, aus ihren sozialen Zusammenhängen gefallene Typen zu haben. Der jüngere von beiden, der 1990 in Amsterdam geborene Thomas Heerma van Voss veröffentlichte mit „Stern geht“ 2016 einen Roman, in dem beschrieben wird, wie ein Mann namens Hugo Stern gegen seinen Willen in den Vorruhestand geschickt wird, wie sein Leben zu erodieren und langsam zu zerfallen beginnt. Der jüngste Roman von Daan Heerma van Voss, Jahrgang 1986, wird unter dem Titel „Abels letzter Krieg“ im Dezember auf Deutsch erscheinen und erzählt ebenfalls die Geschichte eines Mannes, der aus allen sozialen Bindungen gestürzt ist und sein Heil in der Rettung eines jungen Flüchtlings sucht.
In „Stern geht“ rollte das Tempo bewusst gedrosselt an, „Zeuge des Spiels“ beginnt dagegen mit der klassischen Eröffnung eines Thrillers, knallig, schnell und ziemlich blutig. An Mardi Gras, jenem Faschingsdienstag, an dem die Menschen in New Orleans das Ende von „sieben fetten Tagen“ feiern, kommt in den Sümpfen vor den Toren der Stadt eine junge Frau, Nathalie Underwood, durch mehrere Messerstiche ums Leben. Dann macht die Kamera der Erzählperspektive einen riesigen Schwenk zurück nach Europa, in die Niederlande. Dort erreicht den ehemaligen Psychiater Aron Mulder die Nachricht, dass sein Sohn Alexander, der fünf Jahre zuvor nach Amerika gegangen ist, in New Orleans des Mordes an der jungen Frau beschuldigt wird. Und schnell ist für Mulder klar: „Er muss etwas tun. Für Alexander, für sich selbst auch.“
Mulder packt ein paar Sachen und fliegt nach New Orleans, ohne eine genaue Vorstellung zu haben, was ihn dort erwartet. Und sobald er amerikanischen Boden betritt und den Detektiv O’Hara beauftragt, ihm zu helfen, die Unschuld seines Sohnes zu beweisen, steckt er in einer Kriminalgeschichte, die ihn an den Rand seiner Vorstellungskraft bringt. Denn er hat das ja alles schon einmal erlebt: Eine Frau ist getötet worden, und man hält den, der dem Opfer am nächsten stand, für den Täter. Damals ihn, Mulder – nun Alexander, seinen Sohn. „Fünf Jahre her, denkt Aron, und fast identisch.“ Damals wurde Mulders Frau Nora unter nie geklärten Umständen getötet, und er selbst eine Zeit lang für ihren Mörder gehalten und in Untersuchungshaft genommen. Am Ende wurde er zwar aus Mangel an Beweisen freigesprochen, stand aber trotzdem mit leeren Hände da. Sein altes Leben existierte nicht mehr, sein Sohn wandte sich von ihm ab und floh in die USA.
Mulder hat damals seinen Beruf auf gegeben, seine Praxis verkauft und sich in sein Ferienhaus zurückgezogen. Ein Mann im permanenten Widerstreit mit sich selbst. Einer, der nicht aufhören kann, nach Antworten zu suchen: „Er nimmt fünf Magentabletten pro Tag, kriegt keinen Bissen runter. Er greift nach einem Stapel Kreuzworträtsel, starrt auf die leeren Kästchen, versucht mit großer Mühe, Wörter zusammenzubringen. Aber die Spannung hinter seinen Schläfen ist zu groß.“ Nur die Beziehung zu einer Frau namens Marie gibt seinem Leben noch ein wenig Halt. Von New Orleans aus schickt er ihr unbeholfene Nachrichten, Botschaften eines Mannes, der in der Fremde auf der Stelle tritt und gefressen zu werden droht, von den Gespenstern der Vergangenheit.
Die Brüder Heerma van Voss stellen ihm noch eine andere Frau gegenüber: Hanna Vincennes, die für das New Orleans Police Department ermittelt und an genialische, von ihren Ängsten und Neurosen geschüttelte Serien-Kommissarinnen erinnert, die ihre Jagd mit der Obsession der Heils- und Erlösungssüchtigen betreiben. Wie sie wandelt diese Frau auf dünnem Eis. Ihr Leben ist hinter der bürgerlichen Fassade ein einziges Provisorium.
Ihre beiden unterschiedlich motivierten Wahrheitssucher treiben die Autoren allmählich aufeinander zu und damit dem Finale ihrer dunklen echoreichen Geschichte entgegen. Da der ermittelnde Staatsanwalt sich früh auf Alexander als Nathalies Mörder festgelegt hat, wird das Ganze zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Als dann der von Mulder angeheuerte Detektiv O’Hara das zweite Opfer des Mörders wird, ist Mulder endgültig auf sich alleine gestellt.
Mit seinem Thriller-Debüt reiht sich das niederländische Autoren-Duo auf Anhieb ein in die illustre Riege der besonderen Genre-Schreiber, die – angefangen bei Raymond Chandler bis hin zu aktuellen deutschen Vertretern wie Andreas Pflüger oder Max Annas – den Kriminalroman als etwas begreifen, das der „verborgenen Wahrheit“, wie Chandler es leicht pathetisch nannte, „auf die Sprünge hilft“.
Zudem wuchern die van-Voss-Brüder mit einer geschmeidigen, bilderreichen Sprache, die nicht bloß als Transportmittel von Handlung fungiert, sondern die Wirklichkeit authentisch einfängt, birgt und wiedergibt. „Zeuge des Spiels“ ist die scharf an der Realität entlang erzählte Legende eines Mannes, der im Zwielicht der Großstadt nach Gerechtigkeit für seinen Sohn sucht.
Anders als die meisten Thrillerautoren, die psychologische Subtilität für knallige Effekte verheizen, senken die van-Voss-Brüder ihre Sätze wie Sonden in die Seelen ihrer Protagonisten, um selbst minimalste Regungen nachvollziehbar zu machen. So dringen sie mit ihren Sätzen aus dem Äußeren ins Innere vor und kommen wieder an die Außenwelt – zugunsten der psychologischen Verfeinerung. Auch was William S. Burroughs einmal – in Anlehnung an die Filmsprache – das Set nannte, stimmt hier bis ins Kleinste: Licht und Schatten, und jene Atmosphäre, die einen Schauplatz unverwechselbar macht, seine Gerüche, und Geräusche, die Art, wie dort gesprochen wird. Die Musik, die dort läuft, also Cajun, Brass und Zydeco.
All das fängt „Zeuge des Spiels“ detailversessen in einer Erzählung ein, die dadurch besticht, dass sie alles enthält, ihr Geheimnis aber bis zuletzt bewahrt. Das Resultat ist literarisches Kopfkino made in Holland – montiert aus Bildern, die wie von selbst im Hirn abrollen.
„Man kann keine Buletten machen, ohne zuvor ein bisschen Fleisch durch den Wolf zu drehen“, schrieb der amerikanische Hard-boiled-Schreiber Carroll John Daly in einem seiner frühen Romane mit Blick auf das Genre des Thrillers. Die Brüder Heerma van Voss haben das begriffen – und aus ihrem fein Gehackten auf langsam größer werdender Flamme etwas ganz Besonderes gebrutzelt.
Heerma van Voss & Heerma van Voss: Zeuge des Spiels. Thriller. Aus dem Niederländischen von Ulrich Faure. Schöffling, Frankfurt 2018. 304 Seiten, 18 Euro.
Ein Mann, der gefressen zu
werden droht, von den
Gespenstern der Vergangenheit
Man kann keine Buletten
machen, ohne Fleisch durch
den Wolf zu drehen
Genau die richtige Atmosphäre für einen Krimi: New Orleans am Morgen des Mardi Gras. Die traditionelle „Skull and Bones Gang“ weckt am Faschingsdienstag die Bewohner des Viertels Tremé auf.
Foto: Emily Kask/AFP
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2018Mord ist mehr als eine Tat
Für Leser, die gern Zuschauer sind: Das Thriller-Debüt der Brüder Daan und Thomas Heerma van Voss
Der Ort, an dem der Mord sich anbahnt, ist perfekt. Es ist Mardi Gras, Fastnachtsdienstag in New Orleans, alle Welt ist in Maskerade auf den Straßen. "Ein paar Sekunden standen sie einander reglos mitten in all dem Lärm gegenüber", heißt es gleich auf der ersten Seite, "Nathalie und der als Skelett verkleidete Mann. Schwarzer Stoff bedeckte seinen Körper, die aufgemalten Knochen waren fluoreszierend weiß." Nathalie Underwood kommt durch viele Messerstiche in den Sümpfen unweit der Stadt zu Tode. Schnell in Verdacht gerät ihr Freund Alexander van Zandt, der wie sie an der Universität von New Orleans studiert. Auf der Suche nach dem Täter beginnt ein ausgeklügeltes böses Spiel, in dem die Polizistin Hanna Vincennes, selbst mit privaten und beruflichen Konflikten belastet, die Ermittlungen leitet.
"Zeuge des Spiels" - im Original "Ultimatum" - heißt entsprechend auf Deutsch der erste Thriller, den die in Amsterdam lebenden Brüder Daan und Thomas Heerma van Voss gemeinsam geschrieben haben. Das junge Autorenduo, Jahrgang 1986 und 1990, entfaltet beachtliche Energien, um die Leser in ein komplexes System von scheinbar offensichtlichen wie verborgen insistierenden Zusammenhängen zu führen, ein Labyrinth von plausiblen Motiven und ihren Ungereimtheiten, in deren Auflösung sich vor allem die Ermittlerin immer tiefer verstrickt.
Damit nicht genug: Auch der Vater des Verdächtigen, der ehemalige Psychiater Aron Mulder, dessen Frau vor Jahren in Holland einem bis heute unaufgeklärten Gewaltverbrechen zum Opfer fiel, reist nach New Orleans, um auf eigene Faust die Unschuld des gemeinsamen, ihm entfremdeten Sohns zu beweisen, der sich dort eben Alexander van Zandt nennt. Denn Mulder will in den beiden Morden, auf psychologischer Ebene, Koinzidenzen erkannt haben.
In ständigen Wechseln der Perspektive setzt sich das Geschehen im Roman zusammen, wie in einem Kaleidoskop. Das studentische Umfeld des Verdächtigen kommt ins Visier; der seltsam uneindeutige Lebenswandel der Ermordeten wird ausgeleuchtet; die Ermittlerin kämpft um die Beziehung mit ihrem Lebenspartner. Haupt- und Nebenwege dieser inzwischen zweigleisigen Recherche werden verfolgt. Zumal der angereiste Vater Alexanders einen Privatdetektiv engagiert, der früher bei der Polizei gearbeitet hat.
Derweil bleibt die längste Zeit der Täter unbekannt; aus dessen Perspektive heißt es an zentraler Stelle, nach gut hundert Seiten: "Die Leute glauben, dass ein Mord nur eine Tat ist. Das ist ein Irrtum. Mord ist in erster Linie ein Gedanke. Ein Gedanke, den man anfangs noch von sich weist. Was man aber auch tun mag, der Gedanke wird immer zu einem zurückfinden, es ist die permanente Einflüsterung von etwas Sublimem. Täglich werden Hunderte Mörder geboren, sie warten auf den einen überspringenden Funken." Da wird also in den verqueren Hirnwindungen des Täters nichts Geringeres als das Erhabene heruntergebrochen auf das, wie sich zeigen wird, buchstäblich Banale des Tötens aus Eifersucht.
Doch selbst wer sehr aufmerksam gelesen hat, kann keine erste Ahnung vom Killer bekommen, um sich jetzt an seine Fersen zu heften - worin doch ein Hauptreiz des klassischen Thrillers besteht, zumal wenn er mit seelischen Abgründen operiert. Zu wenig eingeführt und herausgearbeitet ist er, zu blass bleibt als Person das inkarnierte Böse im Skelettkostüm. Fast am Schluss offenbart sich der Täter selbst, nach welchem Geschehen, wie und wem, das sei nicht verraten, so viel doch: "Aber worin besteht der Nutzen eines Spiels, wenn niemand gewonnen hat? Sie sind mein Zeuge", sagt der Mörder da zu seinem Gegenüber.
Wem diese Zuschauerrolle als Leser genügt, der ist mit dem Roman gut bedient. Alle anderen mögen sich von den Brüdern Heerma van Voss am Ende - bei aller sprachlichen Verspieltheit, die Ulrich Faures Übersetzung transportiert, und bei allem Suspense nach den Regeln des Genres über dreihundert Seiten hin - doch ähnlich alleingelassen fühlen wie Aron Mulder. Sein verzweifeltes Gefühl des Scheiterns schlägt als seltsame Leere auf sie zurück.
ROSE-MARIA GROPP
Daan Heerma van Voss und Thomas Heerma van Voss: "Zeuge des Spiels". Thriller.
Aus dem Niederländischen von Ulrich Faure.
Schöffling Verlag,
Frankfurt am Main 2018.
304 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Für Leser, die gern Zuschauer sind: Das Thriller-Debüt der Brüder Daan und Thomas Heerma van Voss
Der Ort, an dem der Mord sich anbahnt, ist perfekt. Es ist Mardi Gras, Fastnachtsdienstag in New Orleans, alle Welt ist in Maskerade auf den Straßen. "Ein paar Sekunden standen sie einander reglos mitten in all dem Lärm gegenüber", heißt es gleich auf der ersten Seite, "Nathalie und der als Skelett verkleidete Mann. Schwarzer Stoff bedeckte seinen Körper, die aufgemalten Knochen waren fluoreszierend weiß." Nathalie Underwood kommt durch viele Messerstiche in den Sümpfen unweit der Stadt zu Tode. Schnell in Verdacht gerät ihr Freund Alexander van Zandt, der wie sie an der Universität von New Orleans studiert. Auf der Suche nach dem Täter beginnt ein ausgeklügeltes böses Spiel, in dem die Polizistin Hanna Vincennes, selbst mit privaten und beruflichen Konflikten belastet, die Ermittlungen leitet.
"Zeuge des Spiels" - im Original "Ultimatum" - heißt entsprechend auf Deutsch der erste Thriller, den die in Amsterdam lebenden Brüder Daan und Thomas Heerma van Voss gemeinsam geschrieben haben. Das junge Autorenduo, Jahrgang 1986 und 1990, entfaltet beachtliche Energien, um die Leser in ein komplexes System von scheinbar offensichtlichen wie verborgen insistierenden Zusammenhängen zu führen, ein Labyrinth von plausiblen Motiven und ihren Ungereimtheiten, in deren Auflösung sich vor allem die Ermittlerin immer tiefer verstrickt.
Damit nicht genug: Auch der Vater des Verdächtigen, der ehemalige Psychiater Aron Mulder, dessen Frau vor Jahren in Holland einem bis heute unaufgeklärten Gewaltverbrechen zum Opfer fiel, reist nach New Orleans, um auf eigene Faust die Unschuld des gemeinsamen, ihm entfremdeten Sohns zu beweisen, der sich dort eben Alexander van Zandt nennt. Denn Mulder will in den beiden Morden, auf psychologischer Ebene, Koinzidenzen erkannt haben.
In ständigen Wechseln der Perspektive setzt sich das Geschehen im Roman zusammen, wie in einem Kaleidoskop. Das studentische Umfeld des Verdächtigen kommt ins Visier; der seltsam uneindeutige Lebenswandel der Ermordeten wird ausgeleuchtet; die Ermittlerin kämpft um die Beziehung mit ihrem Lebenspartner. Haupt- und Nebenwege dieser inzwischen zweigleisigen Recherche werden verfolgt. Zumal der angereiste Vater Alexanders einen Privatdetektiv engagiert, der früher bei der Polizei gearbeitet hat.
Derweil bleibt die längste Zeit der Täter unbekannt; aus dessen Perspektive heißt es an zentraler Stelle, nach gut hundert Seiten: "Die Leute glauben, dass ein Mord nur eine Tat ist. Das ist ein Irrtum. Mord ist in erster Linie ein Gedanke. Ein Gedanke, den man anfangs noch von sich weist. Was man aber auch tun mag, der Gedanke wird immer zu einem zurückfinden, es ist die permanente Einflüsterung von etwas Sublimem. Täglich werden Hunderte Mörder geboren, sie warten auf den einen überspringenden Funken." Da wird also in den verqueren Hirnwindungen des Täters nichts Geringeres als das Erhabene heruntergebrochen auf das, wie sich zeigen wird, buchstäblich Banale des Tötens aus Eifersucht.
Doch selbst wer sehr aufmerksam gelesen hat, kann keine erste Ahnung vom Killer bekommen, um sich jetzt an seine Fersen zu heften - worin doch ein Hauptreiz des klassischen Thrillers besteht, zumal wenn er mit seelischen Abgründen operiert. Zu wenig eingeführt und herausgearbeitet ist er, zu blass bleibt als Person das inkarnierte Böse im Skelettkostüm. Fast am Schluss offenbart sich der Täter selbst, nach welchem Geschehen, wie und wem, das sei nicht verraten, so viel doch: "Aber worin besteht der Nutzen eines Spiels, wenn niemand gewonnen hat? Sie sind mein Zeuge", sagt der Mörder da zu seinem Gegenüber.
Wem diese Zuschauerrolle als Leser genügt, der ist mit dem Roman gut bedient. Alle anderen mögen sich von den Brüdern Heerma van Voss am Ende - bei aller sprachlichen Verspieltheit, die Ulrich Faures Übersetzung transportiert, und bei allem Suspense nach den Regeln des Genres über dreihundert Seiten hin - doch ähnlich alleingelassen fühlen wie Aron Mulder. Sein verzweifeltes Gefühl des Scheiterns schlägt als seltsame Leere auf sie zurück.
ROSE-MARIA GROPP
Daan Heerma van Voss und Thomas Heerma van Voss: "Zeuge des Spiels". Thriller.
Aus dem Niederländischen von Ulrich Faure.
Schöffling Verlag,
Frankfurt am Main 2018.
304 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rose-Maria Gropp lässt dieser Thriller des niederländischen Autorenduos Daan und Thomas Heerm van Voss unbefriedigt zurück. Die beiden Brüder arbeiten mit viel Suspense und sprachlichen Spielereien, um vom Mord an einer Studentin in New Orleans zu erzählen. Schön und gut. Aber ein bisschen abgeschreckt ist Gropp doch von aller der Erhabenheit, die hier beschworen wird, um eigentlich nur von einem Verbrechen aus Eifersucht zu erzählen. Und dass sich der Täter zwar immer wieder aus der Ich-Perspektive raunend dazwischenschaltet, aber eigentlich völlig unbekannt bleibt, lässt sie ratlos zurück.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Ein hochliterarischer Thriller, der die schreiberische Subtilität großer niederländischer Gegenwartsautoren (...) mit dem psychologischen Thrill und der umrissscharfen Figurenzeichnung einer Patricia Higsmith vereint.«Peter Henning, Schweiz am Wochenende