Zum ersten Mal darf Binbin die Pekingoper besuchen! Sogleich wird er hineingezogen in die Geschichte von Zhong Kui, der, weil er sich nicht bestechen lässt, bei einer Prüfung falsch behandelt wird. Daraufhin sieht ihn der Herrscher der Unsterblichen dafür vor, künftig "für die Gerechtigkeit auf der Erde zu kämpfen und das Böse zu bezwingen". Gebannt verfolgt Binbin die Opernhandlung, die damit endet, dass Zhong Kuis Schwester Rosenduft den guten Feng Yi heiratet. Der in Paris lebende chinesische Künstler Chen Jianghong, nutzt das Bilderbuch als Bühne. Jeder Seite gibt er eine Überschrift, ähnlich einem Theaterakt. So gelingt es ihm die fremde Magie der maskenreichen Pekingoper aufs Bilderbuch zu übertragen. Die auf Reispapier gemalten Bilder gehören zum Ungewöhnlichsten, was derzeit an Bilderbuchkunst in Europa entsteht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.01.2002Wedle ihn hinfort, Geist
Chen Jianghongs großartiges Bilderbuch zur Peking-Oper
Der Wedel ist nicht derselbe. Das ist schade, denn damit beweist Chen Jianghong, daß er doch nicht perfekt recherchiert hat. Denn die sogenannte Peking-Oper, die in westlichen Ohren meist nur als seltsam gedehnter, unmelodischer Gesang in hohen Tonlagen zu eigenartig gezupften Instrumenten wahrgenommen wird, ist eine der wahrhaft großen Theaterleistungen - und das nicht zuletzt durch die Schlichtheit ihrer Mittel. Bühnenbilder beschränken sich auf ein Minimum, wichtiger als die Kostüme sind die kunstvoll bemalten Gesichter der Akteure, und die Requisite ist bewußt klein gehalten. Deshalb ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß ein Abgesandter des reichen Herrn Zhang in einer der ersten Szenen einen anderen Wedel bei sich trägt als der Geist von Zhong Kui, der zum Höhepunkt des Stücks die Bühne betritt. Doch die beiden Requisiten sind auf den jeweiligen Bildern leicht unterschiedlich gezeichnet, und da man Chen Jianghong gewiß nicht Achtlosigkeit vorwerfen kann, muß das wohl auch gewollt sein.
Ansonsten leistet sein Bilderbuch "Zhong Kui", das den Stoff eines beliebten alten Theaterstücks aus China erzählt, Erstaunliches: Es läßt verstehen, worin der Reiz der Peking-Oper liegt, und das liegt nicht zuletzt daran, daß notgedrungen der Gesang im Buch keine Rolle spielt. Dadurch gerät das wahre Faszinosum in den Blick: die ritualisierten Gesten, das stoische Mienenspiel, der Aufwand an Schminke, die wenigen Stellschirme, die als Kulissen fungieren, und nicht zuletzt die grandiose Eleganz der kargen Ausstattung. Da wird aus ein paar Schnüren ein langer Bart, mit Qualm aus Dufttöpfen werden Wolken simuliert, und selbst die auf den ersten Blick opulenten Gewänder erweisen sich beim näheren Hinsehen als ganz einfache Kostümierungen, die einem nur durch ihre Farbenpracht und die Exotik der Muster so reich vorkommen.
Das alles hat Chen Jianghong akribisch gezeichnet - eher in der Art japanischer Holzschnitte als nach chinesischen Tuschebildern - und in eine etwas banale Rahmenhandlung gepackt, die dem Leser im Knaben Binbin eine Identifikationsfigur an die Hand geben soll. Das ist natürlich Unsinn, denn zur Identifikation gibt das Stück, das sich Binbin dann auf der Bühne ansieht, selbst genug Anlaß. Die immergrüne Geschichte um Neid und Ehrlichkeit, wahre Liebe und Belohnung für das Gute erfüllt alle Erwartungen, die man an Sagen und Märchen haben kann, und aus Chens Feder sind dazu so zauberhafte Motive auf das Reispapier geflossen, daß man sich doch wieder an die fernöstlichen Meisterwerke der Zeichenkunst erinnert, denn die Strenge der Kompositionen wird der Körpersprache der Peking-Oper vollauf gerecht. Nur dieser Wedel - aber wer braucht denn schon ein rundum perfektes Bilderbuch?
ANDREAS PLATTHAUS.
Chen Jianghong: "Zhong Kui". Ein Besuch in der Peking-Oper. Aus dem Französischen übersetzt von Erika und Karl A. Klewer. Moritz Verlag, Frankfurt am Main 2001. 36 S., geb., 17,50 [Euro]. Ab 5 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Chen Jianghongs großartiges Bilderbuch zur Peking-Oper
Der Wedel ist nicht derselbe. Das ist schade, denn damit beweist Chen Jianghong, daß er doch nicht perfekt recherchiert hat. Denn die sogenannte Peking-Oper, die in westlichen Ohren meist nur als seltsam gedehnter, unmelodischer Gesang in hohen Tonlagen zu eigenartig gezupften Instrumenten wahrgenommen wird, ist eine der wahrhaft großen Theaterleistungen - und das nicht zuletzt durch die Schlichtheit ihrer Mittel. Bühnenbilder beschränken sich auf ein Minimum, wichtiger als die Kostüme sind die kunstvoll bemalten Gesichter der Akteure, und die Requisite ist bewußt klein gehalten. Deshalb ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß ein Abgesandter des reichen Herrn Zhang in einer der ersten Szenen einen anderen Wedel bei sich trägt als der Geist von Zhong Kui, der zum Höhepunkt des Stücks die Bühne betritt. Doch die beiden Requisiten sind auf den jeweiligen Bildern leicht unterschiedlich gezeichnet, und da man Chen Jianghong gewiß nicht Achtlosigkeit vorwerfen kann, muß das wohl auch gewollt sein.
Ansonsten leistet sein Bilderbuch "Zhong Kui", das den Stoff eines beliebten alten Theaterstücks aus China erzählt, Erstaunliches: Es läßt verstehen, worin der Reiz der Peking-Oper liegt, und das liegt nicht zuletzt daran, daß notgedrungen der Gesang im Buch keine Rolle spielt. Dadurch gerät das wahre Faszinosum in den Blick: die ritualisierten Gesten, das stoische Mienenspiel, der Aufwand an Schminke, die wenigen Stellschirme, die als Kulissen fungieren, und nicht zuletzt die grandiose Eleganz der kargen Ausstattung. Da wird aus ein paar Schnüren ein langer Bart, mit Qualm aus Dufttöpfen werden Wolken simuliert, und selbst die auf den ersten Blick opulenten Gewänder erweisen sich beim näheren Hinsehen als ganz einfache Kostümierungen, die einem nur durch ihre Farbenpracht und die Exotik der Muster so reich vorkommen.
Das alles hat Chen Jianghong akribisch gezeichnet - eher in der Art japanischer Holzschnitte als nach chinesischen Tuschebildern - und in eine etwas banale Rahmenhandlung gepackt, die dem Leser im Knaben Binbin eine Identifikationsfigur an die Hand geben soll. Das ist natürlich Unsinn, denn zur Identifikation gibt das Stück, das sich Binbin dann auf der Bühne ansieht, selbst genug Anlaß. Die immergrüne Geschichte um Neid und Ehrlichkeit, wahre Liebe und Belohnung für das Gute erfüllt alle Erwartungen, die man an Sagen und Märchen haben kann, und aus Chens Feder sind dazu so zauberhafte Motive auf das Reispapier geflossen, daß man sich doch wieder an die fernöstlichen Meisterwerke der Zeichenkunst erinnert, denn die Strenge der Kompositionen wird der Körpersprache der Peking-Oper vollauf gerecht. Nur dieser Wedel - aber wer braucht denn schon ein rundum perfektes Bilderbuch?
ANDREAS PLATTHAUS.
Chen Jianghong: "Zhong Kui". Ein Besuch in der Peking-Oper. Aus dem Französischen übersetzt von Erika und Karl A. Klewer. Moritz Verlag, Frankfurt am Main 2001. 36 S., geb., 17,50 [Euro]. Ab 5 J.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ganz bezaubert ist Rezensent RJB von diesem Band. Wie hier Überirdisches und Alltägliches durch einen typischen Stoff einer Pekingoper miteinander vermischt werden, "immer getragen von einer zarten Poesie, die ganz ohne Anstrengung oder Gewaltanwendung auskommt", das findet er groß. Umso mehr, als der Autor fast ganz auf Worte verzichtet. Der "besondere Realismus", den der Rezensent feststellt, verdankt sich den mit kolorierter Tusche auf Reispapier gezeichneten Bildern, mit denen Jianghong die Pekingoper wiedergibt: "Die fein abgestuften Schattierungen der Schminkmasken ... die bunten Gewänder", alles findet der Rezensent "äußerst detailgetreu wie im wirklichen Theater". Ein so genaues und liebevolles Porträt einer fremden Kultur, schließt er seine Empfehlung, sei eine Seltenheit.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ein farbenfrohes Spektakel, das verblüffend leicht Einsicht in die chinesische Theaterwelt gibt." (Rolf Brockschmidt, Der Tagesspiegel, Berlin) "Die Schilderung des Besuches eines Knaben in der Pekingoper ist dem in Paris lebenden Chinesen selbst zur großen Oper geraten, voller Dramatik und geheimnisvoller Mächte. Unter den Neupublikationen dieses Jahres ist das Buch eine absolute Ausnahmeerscheinung." (Ursula Sinnreich, Neue Zürcher Zeitung)