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Im August 1909 brachen Victor Segalen und Auguste Gilbert de Voisins von Peking aus zu einer abenteuerlichen zehn Monate dauernden Reise auf, die in südwestlicher Richtung in die Provinz Sichuan und von dort den Jangtse stromab bis ans Ostchinesische Meer und schließlich nach Japan führte. Auf dieser viele tausend Kilometer langen und gefahrvollen Route entstanden die von Segalen ironisch als "Briques & Tuiles" betitelten Aufzeichnungen. Über ihre literarische und theoretische Bedeutung hinaus sind Ziegel & Schindeln ein einzigartiger Bilderbogen, der ein bis ins 20. Jahrhundert…mehr

Produktbeschreibung
Im August 1909 brachen Victor Segalen und Auguste Gilbert de Voisins von Peking aus zu einer abenteuerlichen zehn Monate dauernden Reise auf, die in südwestlicher Richtung in die Provinz Sichuan und von dort den Jangtse stromab bis ans Ostchinesische Meer und schließlich nach Japan führte. Auf dieser viele tausend Kilometer langen und gefahrvollen Route entstanden die von Segalen ironisch als "Briques & Tuiles" betitelten Aufzeichnungen. Über ihre literarische und theoretische Bedeutung hinaus sind Ziegel & Schindeln ein einzigartiger Bilderbogen, der ein bis ins 20. Jahrhundert hineinreichendes archaisches China widerspiegelt, mit noch im Verborgenen liegenden monumentalen Grabanlagen und Tempeln, hinter verfallenen Mauern dämmernden Städten, spärlich besiedelten und im Westen noch weitgehend unbekannten Landstrichen sowie einer stupenden Vielfalt von Dschunken und Sampans auf dem Jangtse.
Autorenporträt
Segalen, VictorVictor Segalen wurde 1878 in Brest geboren. Ausbildung zum Marinearzt. 1903/04 Aufenthalt in Tahiti, der ihn zu Essays (über Gauguin und die Musik der Maori) und dem Roman Les Immémoriaux (1907) anregte (dt. Die Unvordenklichen, 1986). 1909-1914 erster China- Aufenthalt; Arbeit als Arzt, Schriftsteller, Ethnologe, Archäologe. Seine Prosagedichte Stèles veröffentlichte er 1912 in Peking in einem exquisiten Privatdruck (dt. Stelen, 2000). Segalen nimmt 1914 an einer archäologischen Forschungsreise teil, die ihn bis an die Grenzen Tibets führt (zahlreiche Aufzeichnungen und der fragmentarische Zyklus Thibet gehen daraus hervor). Als weitere Frucht seiner Beschäftigung mit chinesischer Kultur und Geschichte erscheint 1916 Peintures (Malereien). Segalen stirbt 1919 auf mysteriöse Weise im Wald von Huelgoat in seiner bretonischen Heimat.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2017

15. Segalen malt sich China aus

Sein berühmtestes Buch begann Victor Segalen 1914 mit dem Satz: "Das Buch wird es nicht geben." Aus all den Notizen, Gesprächen, Spekulationen, die in dem Roman "René Leys" dann folgen, habe er ein Buch machen wollen, aber die Mauern, hinter die er zu gelangen suchte - die Mauern der Verbotenen Stadt in Peking -, seien ihm verschlossen geblieben. "Schöner postumer Titel", fügt er in Klammern noch hinzu: "Das Buch, das nicht geschrieben wurde."

Diesen Titel könnte das ganze Werk dieses Zeitgenossen von André Gide und Paul Valéry tragen, dieses früh verstorbenen genialischen Schriftstellers, Arztes und Archäologen aus der Bretagne: Es ist ein Werk, das aus lauter Unfertigkeiten besteht, aus bloßen Vorbereitungen verschiedener Ordnung auf ein Werk, das sich, sobald es Gestalt annimmt, schon wieder selbst durchstreicht. Bei Segalen ist dies kein Ausdruck von Unvermögen und auch kein Kokettieren mit einem zaudernden Temperament, sondern die Essenz seines literarischen Blicks auf die Welt.

Es ging ihm um deren Vielfalt, die sich nur bewahren lasse, indem man sie nicht in fixen Zuschreibungen des Anderen zu bannen versucht. Wie Segalen sein Verfahren aus der eigenen Beobachtung entwickelte, lässt sich nun anhand seiner chinesischen Reisenotizen nachvollziehen, die unter dem Titel "Ziegel & Schindeln" zum ersten Mal auf Deutsch erschienen sind.

An einer Stelle holt Segalen dort gegen all jene aus, die "die chinesische Seele" zu fassen versuchen. Die Polemik hat an Aktualität nichts verloren: "Dieser Starrsinn, letztgültig niederschreiben zu wollen, was er (der Chinese) ist & was er nicht ist! Verwegene & verquere Dummheit! Definieren, katalogisieren, quantifizieren, klassifizieren! (. . .) Aber nein! es geht darum, sehen zu lassen. Es geht nicht darum zu sagen, was ich von den Chinesen denke - (ich denke von ihnen, ehrlich gesagt, gar nichts) -, sondern was ich mir von ihnen ausmale; nicht in der falschen Funzel eines ,dokumentarischen' Buches, sondern in der, jenseits jeder Realität, starken & realen Form eines Kunstwerkes."

Was bei diesem Selbstanspruch herauskommt, ist eine Art Anti-Reisebuch, eine ebenso unsystematische wie großartige Reflexion darüber, was es überhaupt heißen kann, ein fremdes Land zu "sehen". Von fast allem, was Victor Segalen erlebt, als er 1909 zum ersten Mal nach China kommt, ist er enttäuscht. Die Halle, in der alte konfuzianische Stelen aufgestellt sind, "gleicht einer öffentlichen Bedürfnisanstalt"; der Gottesdienst in einem buddhistischen Kloster erscheint ihm, alles "in Gold & in staubigen & öligen Farben", wie eine einzige "mystische Maschinerie"; im Inneren des Ackerbautempels in Peking findet er "nur noch nichtswürdigen Flitter in einem nichtswürdigen Maskenspiel irgendeines Bauernvolkes" vor. Selten kann die sichtbare Wirklichkeit mit der Erhabenheit mithalten, die sie zitiert und verwaltet.

Doch das Eigentümliche ist: Das tut Segalens Stimmung kaum einen Abbruch; so trist der Augenschein auch ist, so setzt er doch immer eine Kette von Resonanzen frei und hebt so den ihn ständig verarbeitenden Geist des Beobachters. "Oh! dieses Spektakel ist so jämmerlich & verwirrend", schreibt er von der Feier im Kloster, "wie es umfassend, köstlich & melancholisch ist. Keine Dissonanz." Und im Ackerbautempel hält er programmatisch fest: "Man muss die unermessliche & Kaiserliche Geste von neuem erfinden; man muss sich daran halten wie an das starke Symbol der ungeheuren Sache, die in die offensichtliche Ärmlichkeit hier eingeschlossen ist."

Die Kritik an Versuchen, das Fremde naiv-direkt abzubilden, hat Segalen auch am Beispiel anderer Orte, vor allem Tahitis, unternommen. Doch China eignet sich für dieses Programm aus einem besonderen Grund. Anders als die europäische hat die chinesische Kultur nie den Ehrgeiz gehabt, durch ihre Bauten zu überdauern.

"Wissen sie denn nicht?", lässt Segalen daher den Kaiser von China den Europäern entgegenrufen: "Nichts widersteht dem scharfen Zahn der Zeitalter!" Die Formulierung taucht später in Segalens Gedichtsammlung "Stelen" wieder auf. Nicht in der Architektur oder sonst etwas Sichtbarem überlebt die chinesische Kultur seiner Auffassung nach, sondern allein im menschlichen Geist - und dies sah Segalen schon so, als das alte China noch existierte, dessen Spuren man in den heutigen chinesischen Metropolen kaum noch findet.

Segalen war daher vor allem an Gesten interessiert, am "Widerhall von Räumen und Dingen auf seine Annäherung", wie die Übersetzerin Maria Zinfert in ihrem lehrreichen Nachwort schreibt. "Gegenstrophen" wollte er das Buch nennen, für das die Fragmente, Prosatexte und Einfälle, die er während seiner Chinareise auf lose Blätter notierte, die Materialien abgeben sollten. Auch dieses Buch blieb natürlich ungeschrieben.

Mark Siemons

Victor Segalen: "Ziegel & Schindeln. Eine Reise durch China und Japan 1909/10". Aus dem Französischen von Maria Zinfert. Matthes & Seitz, 328 Seiten, 28 Euro

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