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Ein Mann mittleren Alters sitzt allein mit seinem Kaninchen in einem Einfamilienhaus, das ihm die Frau nach der eben erfolgten Trennung leer geräumt hat. Auch die Tochter ist ausgezogen. Der Mann sitzt vor einer Tasse Tee und beobachtet seine nächste Umgebung, verstimmt und so erschöpft, daß er es kaum schafft, sich vom Stuhl zu erheben, geschweige denn am nächsten Automaten eine Packung Zigaretten zu ziehen.

Produktbeschreibung
Ein Mann mittleren Alters sitzt allein mit seinem Kaninchen in einem Einfamilienhaus, das ihm die Frau nach der eben erfolgten Trennung leer geräumt hat. Auch die Tochter ist ausgezogen. Der Mann sitzt vor einer Tasse Tee und beobachtet seine nächste Umgebung, verstimmt und so erschöpft, daß er es kaum schafft, sich vom Stuhl zu erheben, geschweige denn am nächsten Automaten eine Packung Zigaretten zu ziehen.
Autorenporträt
Schleef, EinarEinar Schleef wurde am 17. Januar 1944 in Sangerhausen geboren und starb am 21. Juli 2001 in Berlin. Er ist heute hauptsächlich als Dramatiker und Regisseur bekannt, arbeitete aber auch als Bühnenbildner, Maler und Schauspieler. Zu seinen zentralen Werken zählen der Roman Gertrud und das Theaterstück Nietzsche Trilogie. Er wurde mit seinen Stücken mehrfach zum Theatertreffen eingeladen und erhielt neben zahlreichen anderen Preisen auch den Mülheimer Dramatikerpreis 1995.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.1998

Reine Freude hinter Gittern
Einar Schleefs gesellschaftskritische Einsamkeitslitanei

Einem Mann widerfuhr, was heute keine besondere Begebenheit mehr ist: Seine Frau und seine Tochter trennten sich von ihm. Nun sitzt er in der Küche seines leeren Einfamilienhauses, träumt und erinnert sich. Der Strom von Gedanken und Beobachtungen führt zu Bildern der Isolierung und Depersonalisierung, denen der Mann nicht traut: "Er war einsam, aber das Alleinsein zog ihm einfach den Fußboden weg und ließ ihn in einen tiefen Schacht stürzen. Bei allen Gedanken war ihm klar, daß die dafür gefundenen Bilder nicht stimmten."

Der Diskurs des Alleinseins ist immer auch Sprachreflexion, Versuch, sich aus dem "Gefängnis seiner Sprache" zu befreien, die Vorstellungen der gedeuteten Welt in einem Pathos der Sachlichkeit zu zerschlagen. Aber das will nicht gelingen: "Er setzte die Formulierungen hoch an, um sie gleich in Stücke zu sägen und schon im nächsten Satz diese Stücke aneinanderzuflicken, um die Höhe des verlorenen Satzes wiederzugewinnen." Auch die Phantasmagorie, sich gut nietzscheanisch jenseits von Gut und Böse als Tier und Verbrecher zu begreifen, um endlich ins Offene blicken zu können, verstrickt den Protagonisten in altbekannte Widersprüche.

Hugo von Hofmannsthal beklagte 1927, im deutschen Schrifttum sei die "Einsamkeit zum natürlichen Spielraum des Geistigen" geworden, im Gegensatz zum französischen sei der deutsche Geist unfähig, sich im Geselligen zu spiegeln. Schleefs Text ist ein Musterbeispiel für diese These. Er stellt jene Fragen noch einmal, die Albert Camus 1942 in dem Roman "Der Fremde" gestaltete. Während sich jedoch bei Camus die existentialistischen Zweifel an der Gültigkeit menschlicher Konstruktionen vor dem Hintergrund realer gesellschaftlicher Konflikte entwickeln, erscheint die Gesellschaft bei Einar Schleef, in einer sehr deutschen antizivilisatorischen Tradition, als dumpfes und amorphes Allgemeines: "Eine vor der Glotze zusammenschrumpfende Masse benotete Fakten, je nach Parteigebundenheit wurde der Blickwinkel verändert, bis der benotete Matsch überschwappte, eine Nation unter sich begrub, gleich der Lawine, die sich für die opferbergenden Leithunde bereithielt."

Schleefs gesellschaftskritische Einsamkeitslitanei spielt kurz vor Schluß auf Camus an. In seiner Zelle auf seine Hinrichtung wartend, hatte sich der Fremde "angesichts dieser Nacht voller Zeichen und Sterne zum erstenmal der zärtlichen Gleichgültigkeit der Welt", ja ihrer Brüderlichkeit und Ähnlichkeit mit dem Ich geöffnet. Auch Schleefs Protagonist erkennt, "daß der Mensch eine Aufgabe hat, daß es Sterne gibt und daß es sich darum lohnt zu leben. Auch in einer Zelle. Für jeden. Die reine Lebensfreude hinter Gittern wäre kein Problem in seinen Augen." Dieser Natur und Zivilisation aufs neue gegeneinander ausspielende Vitalismus stellt sich im Gegensatz zu Camus als reines Gedankenprodukt und ohne Vermittlung mit einer Handlung ein. Zu Recht wird daher auf eine Gattungsbestimmung verzichtet.

Schleefs Text ist in den Reflexions- und Imaginationspassagen über weite Strecken peinigend und - wohl bewußt - peinlich, sprachlich oft von erschütternd naiver Gewaltsamkeit. In besseren Momenten gelingt dem Regisseur und Autor eine Sachlichkeit der Beobachtung, die Entfremdung plastisch werden läßt und dem Begriff der Einsamkeit den elegischen Zuckerguß nimmt, der ihm in der deutschen Literatur häufig anklebte. FRIEDMAR APEL

Einar Schleef: "Zigaretten". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998. 170 S., br., 16,80 DM.

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