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Ein Platz, Cafes und Bars, Tische und Stühle auf den Trottoirs. Leute, Autos, Kreisverkehr. Happy Hour, die Stunde nach dem Strand und vor dem Essen. Leute sitzen zusammen, reden, trinken, Urlaubstage auf einer spanischen Insel, Horror vacui, die Leere, voll und fett. Wer sind die sechs Leute, die da reden? Freunde derer, die sie beobachtet? Oder erfundene Figuren derer, die sie erzählt? Spiegelbilder von denen, die unseren Alltag besetzen und sich gegen die innere Leere alles einverleiben, von Vitamin Koks bis Vitamin Dirt? Während die Erzählerin Szene um Szene beobachtet, gerät sie immer…mehr

Produktbeschreibung
Ein Platz, Cafes und Bars, Tische und Stühle auf den Trottoirs. Leute, Autos, Kreisverkehr. Happy Hour, die Stunde nach dem Strand und vor dem Essen. Leute sitzen zusammen, reden, trinken, Urlaubstage auf einer spanischen Insel, Horror vacui, die Leere, voll und fett. Wer sind die sechs Leute, die da reden? Freunde derer, die sie beobachtet? Oder erfundene Figuren derer, die sie erzählt? Spiegelbilder von denen, die unseren Alltag besetzen und sich gegen die innere Leere alles einverleiben, von Vitamin Koks bis Vitamin Dirt? Während die Erzählerin Szene um Szene beobachtet, gerät sie immer tiefer in innere Existenzmuster hinein. Aus freigelegten Tiefenschichten steigt ein Blick auf die Welt nach oben, der keine Schranken kennt.
Autorenporträt
Berkéwicz, UllaUlla Berkéwicz wurde in Gießen geboren. Sie studierte an der Hochschule für Musik in Frankfurt, an der sie auch ihre Schauspiel- und Gesangsausbildung absolvierte. Ab 1971 Engagements am Staatstheater Stuttgart, den Städtischen Bühnen Köln, an den Münchner Kammerspielen, dem Residenztheater München, Hamburger Schauspielhaus, Bochumer Schauspielhaus und der Freien Volksbühne Berlin. Seit 1982 freie Schriftstellerin und Übersetzerin von Theaterstücken. Einige ihrer zwölf Bücher wurden in neun Sprachen übersetzt. Sie heiratete 1990 den Verleger Siegfried Unseld und war nach seinem Tod von 2002 bis 2015 Verlegerin der Verlage Suhrkamp und Insel. Sie ist Vorsitzende der Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung und seit Dezember 2015 Vorsitzende des Aufsichtsrats des Suhrkamp Verlags. Ulla Berkéwicz wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit der LutherRose 2015. Für ihr Wirken als Schriftstellerin und Suhrkamp-Verlegerin erhielt sie die Moses Mendelssohn-

Medaille 2016. Ulla Berkéwicz lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.05.1997

Gott am Tresen suchen
Ulla Berkéwicz erzählt vom Zimzum · Von Hermann Kurzke

Ein versponnenes, aber sorgfältig gemachtes Werkchen, bitter, traurig, kraß und beinahe hoffnungslos. Der Zimzum kommt nur ein einziges Mal vor, auf Seite 104. Wenn die Autorin ihn nicht durch den Titel geadelt hätte, könnten wir ihn für eine der zahlreichen Halluzinationen des Buches halten. Das Innenleben wird stets übermächtig, wo es kein rechtes Außenleben gibt. Jeder Punkt enthält die Welt. Aus einem Punkt ihres seidenen Hemds ist der Erzählerin eines Nachts ihre jüdische Großmutter erwachsen, die von dem zu erzählen weiß, der alles aus dem Nichts erschaffen hat, sich dann aber zurückzog von sich selber auf sich selbst, wobei ein bißchen von seinem Goldstaub in unseren vier Wänden zurückblieb - und das ist wohl der Zimzum, ganz klar wird es nicht.

Wenn es hier eine Botschaft gibt, dann die verrätselte der Großmutter. Blase hinein in den Goldstaub, sagt sie, damit er sich verteilt. "Schlucks", sagt sie vom Zimzum, "spekulier nicht", die Wirkung kommt "von sich selber auf sich selbst". Und, besonders zweideutig: "Mach dir Nichts draus" - denn das Nichts ist Gott.

Allerdings folgt in der Erzählung keiner dieser Botschaft, so daß es auch dem Leser an Anschauung fehlt, was er denn nun eigentlich tun soll. Er kann es allenfalls aus dem Gegenteil erfahren. Das Gott- und Zimzumsuchen ist gebrochen durch eine ziemlich makabre Urlaubsszenerie. Eine Anzahl reicher "Freunde" der Erzählerin, Wohlstandsverwahrloste, Zyniker, Simulanten, Psychoanalytiker, Cyberspace-Zombies, impotente Intellektuelle und ethische Wracks erleben die Leere, erproben die Leere, bereden die Leere.

An Scharfsinn fehlt es ihnen nicht. Ihr Nihilismus ist zwar existentiell entsetzlich, aber sprachstolz noch bis kurz vor der Volltrunkenheit, die die Gespräche zu beenden pflegt. Man lebt zusammen sehr allein, pflegt Suff und Sex, klammert sich aus Angst aneinander und stößt doch jeden weg, der sich in die heiligen Innenräume der Einsamkeit drängen will, wo die reinen Kindheitsträume wohnen.

Doch Halt kommt nicht von der Reiche-Leute-Mystik dieser alkoholisierten Décadence, sondern von einer derben Gegenwelt. Den verkommenen Urlaubern trotzen die einfachen Frauen mittleren Alters, die mit ihren harten Wolljacken und schwarzen Kopftüchern in den Kirchen anzutreffen sind, wo sie mit knotigen Händen im Gesangbuch blättern. Eine davon, sei sie nun erlebt oder erfunden, stellt sich täglich auf eine Kreuzung, eine Hand zwischen den Schenkeln bewegend, die andere in der Bluse, alles gafft, der Verkehr stockt. Danach geht sie in den umliegenden Cafés bei den Voyeuren sammeln. Sie faseln in ihrem empfindungsgestörten Intellektuellenjargon von taboo-cracking als Volkssport, aber geben nichts. Die Frau prostituiert sich, aber angesichts der Gaffer erscheint sie dennoch rein. Am Schluß der Geschichte, der ein wenig undeutlich bleibt, wird sie von der aufgeheizten Menge imaginär zerrissen, ein blutiges Opferlamm. Wer es noch kann, schämt sich.

Wir werden älter, der näher kommende Tod steigert den Metaphysikbedarf. Am besten verstehen so ein Buch Menschen jenseits der Fünfzig, deren Kindheit die Nachkriegsarmut noch kennt und deren Erinnerung in ein Zeitalter zurückreicht, als man die Kinder noch das Beten lehrte. Sie tragen eine unstillbare Sehnsucht im Herzen nach der Einfachheit der Frühe, nach Demut, nach Barfußlaufen im Mist, nach Herdfeuer und lateinischem Gemurmel in dämmerkühlen Kirchen. In "Zimzum" finden sie Geistesverwandte. Die Hauptpersonen der Erzählung sind Romantiker, das heißt, sie sind zwar erzunglücklich, würden aber niemals ernsthaft einen Schritt zur Verwirklichung ihrer Träume tun. Sie ziehen das Schwelgen in unberührbaren Traumreichen jeder Wirklichkeit vor. Ist das mit träumerischer Präzision formulierte Leiden am Luxus nicht selbst ein Luxus? Warum ein Zimzum anstelle des menschgewordenen Gottes? Warum geht keiner (außer der Erzählerin) in eine wirkliche Kirche, anstatt narzißtische Palaver zu zelebrieren über Gott und das Nichts? Warum hat hier niemand Kinder? Warum verläßt keiner den verseuchten Ort? Die Gott am Tresen suchen, denen müssen freilich Welt und Geschichte abhanden kommen.

Aber man soll erfundenen Figuren keine moralischen Vorhaltungen machen. Was die Figuren nicht tun, kann ja der Leser tun. Ein Buch, das auf unterhaltsame, wenngleich hoffnungslose Weise gute Fragen hinterläßt, ist wohl wert, gelesen zu werden.

Ulla Berkéwicz: "Zimzum". Erzählung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997. 122 S., geb., 32,- DM.

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