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Zimzum steht in der Kabbala für die Selbstzusammenziehung Gottes vor der Erschaffung der Welt und zum Zweck der Weltschöpfung. Geprägt wurde dieser Begriff im 16. Jahrhundert durch die Lehren des jüdischen Mystikers Isaak Luria. Der vor der Schöpfung allgegenwärtige Gott muss sich im Zimzum von sich selbst in sich selbst zurückziehen und konzentrieren, um für die Erschaffung der Welt in seiner eigenen Mitte Platz zu machen. Dieses Buch spürt den Spuren des Zimzum quer durch die jüdische und christliche Geistesgeschichte in mehr als vier Jahrhunderten nach. Von den Kabbalisten in Safed bis zum…mehr

Produktbeschreibung
Zimzum steht in der Kabbala für die Selbstzusammenziehung Gottes vor der Erschaffung der Welt und zum Zweck der Weltschöpfung. Geprägt wurde dieser Begriff im 16. Jahrhundert durch die Lehren des jüdischen Mystikers Isaak Luria. Der vor der Schöpfung allgegenwärtige Gott muss sich im Zimzum von sich selbst in sich selbst zurückziehen und konzentrieren, um für die Erschaffung der Welt in seiner eigenen Mitte Platz zu machen. Dieses Buch spürt den Spuren des Zimzum quer durch die jüdische und christliche Geistesgeschichte in mehr als vier Jahrhunderten nach. Von den Kabbalisten in Safed bis zum Chassidismus, von den christlichen Hebraisten zu Newton und Schelling, von mystischen Handschriften bis zur Avantgarde von Else Lasker-Schüler oder Anselm Kiefer mischen und befruchten sich in den Deutungen und Aneignungen des Zimzum Göttliches und Menschliches, Jüdisches und Christliches, Mystik, Philosophie, Theologie, Literatur und Kunst. Im 20. Jahrhundert schließlich wird in der Idee der Selbstbegrenzung einerseits eine radikale Gottverlassenheit der modernen Welt erkannt, andererseits aber auch ein unverzichtbares Moment menschlicher Kreativität, innerer Freiheit und friedlicher Koexistenz.
Autorenporträt
Christoph Schulte, geboren 1958, ist Professor für Philosophie und Jüdische Studien an der Universität Potsdam und hat zahlreiche Werke zur neuzeitlichen Philosophiegeschichte, zur jüdischen Auf klärung und zur Wirkungsgeschichte der Kabbala publiziert.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Es wäre schade, wenn dieses Buch nur von Spezialisten gelesen würde, meint Rezensent Eberhard Geisler, der es dringend jedem empfiehlt, der die europäische Geistesgeschichte auch als Abenteuer begreift, in das man sich einfach hineinstürzen muss. Worum geht es? Im 16. Jahrhundert entwickelte Isaak Luria den Gedanken des Zimzum, mit dem er die Kabbala verändern sollte. Zimzum beschreibt, so der Rezensent, den Selbstrückzug Gottes. Dieser hat gewissermaßen einen Ort geräumt und für den Menschen freigesetzt, der hier seine eigenen - auch säkularen - Gedanken entwickeln kann. Diese Vorstellung inspirierte von Schelling bis Barnett Newman und Anselm Kiefer zahlreiche Intellektuelle und Künstler, so Geisler, der nur einen Wunsch gehabt hätte: Dass Schulte die Idee des Rabbi Marc-Alain Ouaknin, Zimzum mit dem Dekonstruktivismus zu verbinden, weiter ausgeführt hätte. Denn aus dieser Verbindung, so der Rezensent, ließe sich ein "Funken fröhlicher Dankbarkeit" schlagen für einen Gott, der uns die Leere selbst füllen lässt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.09.2014

Durch den Rückzug Gottes wurde die Welt möglich
Christoph Schulte zeigt, wie tief die Lehre der Kabbalisten in die europäische Gedankenwelt eingedrungen ist

Von den wenigen hebräischen Worten, die heutzutage zum gebildeten Wortschatz gehören, sind "Tora" und "Kabbala" die wohl am meisten bekannten. Verschwunden ist hingegen der Begriff "Zimzum", der "Begrenzung", "Selbstbeschränkung" oder "Konzentration" bedeutet und auch unter jüdischen Gelehrten nur noch selten Verwendung findet. Nun, es war nicht immer so. Das gerade erschienene Buch des Potsdamer Professors für Jüdische Philosophie Christoph Schulte ist eine umfassende Darstellung der zwischen dem siebzehnten und zwanzigsten Jahrhundert populären philosophischen und literarischen Traditionen des "Zimzum".

Diese Epoche war eine fruchtbare und tolerante, in der sich auch christliche Philosophie und Theologie eine mystische Welt zu eigen gemacht haben, die im sechzehnten Jahrhundert in Galiläa in esoterischen jüdischen Gruppen und vom strengen Geheimnis geprägten kabbalistischen Schulen entstanden war. Hinter dem Begriff "Zimzum" verbirgt sich eine komplexe Schöpfungstheorie. Ihr Urheber ist der Kabbalist Isaak Luria (1534 bis 1572). Laut Luria erschuf die "Selbstverschränkung" Gottes einen leeren Raum, in den sich die Gottheit emanierte. Dabei beschreibt er den Prozess des "Zimzum" als Einatmen Gottes, gleich einem "Mann, der seinen Atem sammelt und zurückzieht".

Eine solche Auffassung des göttlichen Schöpfungsaktes wird in der lurianischen Lehre zum kosmologischen Grundprinzip erhoben und demzufolge - darin besteht die Originalität Lurias - die erste Stufe der Schöpfung nicht als Offenbarung Gottes, sondern als sein Rückzug präsentiert. Der Grundgedanke der Lehre des "Zimzum" ist es, dass aufgrund der Unendlichkeit Gottes kein Raum ohne Gott existieren kann, da diese "Einschränkung" letztendlich die Natur Gottes begrenzen würde.

Der erste Schöpfungsvorgang manifestiert sich somit durch einen Rückzug Gottes in sich selbst. Diese Handlung ermöglicht es Gott zugleich, etwas außerhalb seiner selbst Existierendes zu erschaffen, indem er in das Vakuum des frei gewordenen Raumes sein Licht ausstrahlt. Die Deutung des lurianischen Schöpfungsmythos ist nicht einfach - zumal Luria nichts Schriftliches hinterlassen hat.

Trotz ihres obskuren Charakters verbreitete sich Lurias Lehre des "Zimzum" durch seine Schüler rasch. Deren Auslegungen weichen jedoch deutlich voneinander ab: Während die einen "Zimzum" als realen Vorgang interpretieren, in dem Gott sich tatsächlich zurückgezogen habe, verstanden die anderen "Zimzum" symbolisch oder als Metapher. Man hat es also mit der Deutung und Rezeption einer Idee zu tun, die nicht auf eine Urschrift oder feststehende Lehrtradition zurückzuführen ist. In seinem monumentalen Werk "Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen" von 1957 bemerkt Gershom Scholem über den "Zimzum": "Eine Geschichte dieser Idee von Luria bis auf unsere Tage wäre eine der faszinierendsten Darstellungen originell jüdischen, mystischen Denkens."

Schulte hat sich nun dieser Aufgabe unterzogen und bietet dem Leser dabei einen beeindruckenden Überblick darüber, wie tief die mystische Lehre der Kabbalisten in die europäische Gedankenwelt eingedrungen ist. Seine Analyse verdeutlicht zudem, dass sich der "Zimzum" zu einer der populärsten Ideen der Kabbalisten in den Zentren jüdischen Lebens der frühen Neuzeit entwickelte - in Italien, in Amsterdam wie auch in Osteuropa.

Durch die christliche Lesart des "Zimzum", wie sie sich beispielsweise in der Kabbala Denudata ("Enthüllte Kabbala", 1677) des Barons Christian Knorr von Rosenroth nachweisen lässt, fand die Theorie Eingang in die christliche Philo- und Pansophie und bildete einen festen Topos in der gesamten Gelehrtenwelt. Durch Vertreter wie Henry Moore, Anne Conway, Joseph Raphson und Isaac Newton verbreitete sich das Konzept des "Zimzum" in Cambridge. Durch die Schriften Johann Georg Wachters, Johann Franz Buddes, Johann Jakob Bruckners und Friedrich Christoph Oetingers kehrte es nach Deutschland zurück.

Selbst der Antisemit Clemens Brentano ließ sich davon inspirieren. Sowohl im Judentum als auch im Christentum, bei den Sabbatianern und deren Gegnerschaft, bei den chassidischen Juden, den Anhängern der jüdischen Aufklärung (Haskala) und den Vertretern der Wissenschaft des Judentums, im deutschen Idealismus und in der Romantik - "Zimzum" fand in unterschiedlichsten Zusammenhängen Verwendung. Im zwanzigsten Jahrhundert findet sich die Idee der Selbstbegrenzung Gottes in der Philosophie von Franz Rosenzweig; als zentraler Forschungsgegenstand taucht er im Werk Gershom Scholems sowie in den Schriften von Hans Jonas und Harold Bloom auf.

Das philosophische und theologische Wissen des Lesers wird sicherlich auf die Probe gestellt, wenn es um die Raffinessen dieser Schöpfungstheorie in ihren vielfältigen Ausformungen geht. Die Anstrengung zahlt sich aber aus. Die Lektüre des Buches ist eine faszinierende Reise durch vier Jahrhunderte Philosophie und Theologie.

GIUSEPPE VELTRI.

Christoph Schulte: "Zimzum". Gott und Weltursprung".

Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 501 S., geb., 35,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.12.2014

Das Licht, das sich freiwillig zurückzieht
Wirkungsmacht einer Idee – Christoph Schultes Studie über das jüdische „Zimzum“
Gern formuliert man bei bestimmten Werken, sie schlössen eine Forschungslücke. Im vorliegenden Fall wäre eine solche Feststellung aber zu gleichgültig und beliebig – man müsste eher von Dringlichkeit sprechen, von der notwendig gewordenen Rekapitulierung einer bedeutenden geistesgeschichtlichen Strömung, von der Einladung, eine dem breiteren Publikum gleichwohl erst nahe zu bringende theologische Tradition in ihrer Faszination wahrzunehmen und sich von ihr gar neu anregen zu lassen.
  Christoph Schulte, Professor für Philosophie und Jüdische Studien in Potsdam, hat mit „Zimzum. Gott und Weltursprung“ ein detailliertes Werk vorgelegt, in dem er die Geschichte eines bestimmten kabbalistischen Gedankens rekonstruiert und in seinen verschiedenen Ausdeutungen nachverfolgt. Es ist der Gedanke des Zimzum, mit dem der 1534 in Jerusalem geborene Isaak Luria die bisherigen Lehren der Kabbala einschneidend veränderte. Luria hat selbst nichts Schriftliches hinterlassen, wollte seine Lehre, die er offenkundig selbst als neuartig begriff, geheim halten und auch von seinen Schülern nicht veröffentlicht wissen. Trotz dieses Verbots fertigten einige der Schüler Nachschriften an, die in handschriftlichen Formen die Runde machten und nach Lurias frühem Tod 1572 unterschiedliche Interpretationen auslösten, die von rivalisierenden Gruppen verfochten wurden. Später wurden Darstellungen der lurianischen Kabbala auch in gedruckter Form präsentiert, so dass deren Inhalte unter den europäischen Gelehrten verbreitet werden konnten und nicht länger esoterisch blieben.
  Der Gedanke des Zimzum besteht im Selbstrückzug Gottes. Das unendliche Licht des Allmächtigen in seiner Überfülle zieht sich zurück, um einen Ort leer zu räumen, an welchem dann die Schöpfung möglich wird und sich gleichsam in säkularer Freisetzung entwickeln kann. Durch das Übermaß an Licht zerbrechen in diesem Innenraum die zehn Sefirot, zehn Gefäße, die hernach nur noch wenige Lichtfunken im Dunkel zurücklassen. Schulte beschreibt, wie diese Idee über die Jahrhunderte rezipiert wurde, dabei sowohl als tatsächliches kosmologisches Geschehen wie auch bloß als Metapher oder Mythos aufgefasst wurde.
  Abraham Cohen de Herrera verfasst im frühen 17. Jahrhundert ein spanischsprachiges Werk, in dem er den Zimzum als Übergang vom Unendlichen ins Endliche untersucht und als Vorgang begreift, durch den durch Begrenzung Differenz gesetzt und Vielheit ermöglicht wird. Bedeutendster christlicher Kabbalist in diesem Jahrhundert wird dann Christian Knorr von Rosenroth, dessen Hauptwerk „Kabbala Denudata“ für lange Zeit die beste und meistgelesene Quelle für die jüdische und insbesondere lurianische Theologie werden sollte. Spannend ist vor allem, wie der Zimzum im deutschen Idealismus und in der Romantik zu einer äußerst einflussreichen Vorstellung wird. Als Kontraktion Gottes hat sie einen zentralen Platz bei Schelling. Faszinierend schließlich, wie noch moderne Künstler wie Barnett Newman und Anselm Kiefer sich auf lurianisches Gedankengut berufen.
  Die vorliegende Studie ist überaus informativ und detailreich gearbeitet. Man kann höchstens bei Erwähnung Kierkegaards den Hinweis auf den Zimzum vermissen, der hat, freilich ohne das Wort beim Namen zu nennen, an einer Stelle von der überragenden Allmacht Gottes gesprochen, die, um wirklich ihrem eigenen Begriff zu entsprechen, den Menschen in die Freiheit entlässt, in die Entfernung schickt, ihn nicht als abhängigen, sondern als selbständigen will. Insgesamt ist hier ein beeindruckendes Panorama der vielfachen, bis in die Gegenwart andauernden Rezeption der lurianischen Denkfigur entstanden.
  Im Verlauf dieser Studie findet die Verbindung besondere Aufmerksamkeit, die der Zimzum in einem konkreten, von Schulte referierten Fall mit dem Dekonstruktivismus eingegangen ist – die möglicherweise noch konsequenter gefasst werden muss. Der französische Rabbi Marc-Alain Ouaknin hat in einem Werk über den Zimzum die von diesem bewirkte Sprengung des Identitätsprinzips – „um Platz zu machen für die Andersheit von Anderem und die Andersheit seiner selbst“ – hermeneutisch gewendet und zu immer neuen Lektüren der heiligen Texte aufgerufen. Der heilige Text ist selbst eigentlich sinnleer – ein endgültig fixierbarer göttlicher Logos hat sich aus ihm zurückgezogen –, und schafft gerade dadurch die Voraussetzung für immer neue Sinnbildungen und Lesarten.
  Werner Hamacher hat einmal im Blick auf die lodernde Sprache formuliert: der Dornbusch brennt, aber nur er. Die Sprache flammt weiter, nachdem Gott selbst aber nicht mehr da ist und sich nicht mehr im Innern des Busches verbirgt. Die Sprache spricht entleert weiter, ohne dass sie noch göttlich beseelt wäre. Bei Ouaknin handelt es sich aber um die Dekonstruktion heiliger Texte, das heißt das, was entleert und zum Weiterreden geführt wird, ist ein Heiliges. Eben diese Verbindung von Entleerung und Heiligem wäre wohl sinnvollerweise weiter auszuführen. Wenn es dem Heilsplan entspricht, Leere zu schaffen, das Göttliche also in der Abwesenheit noch präsent ist, dann könnte ein durch den Zimzum inspiriertes Denken den rein atheistischen Dekonstruktivismus sowohl in sich aufnehmen als auch gleichzeitig korrigieren.
  Ein derart kabbalistisch modifizierter Dekonstruktivismus könnte in der Freiheit, in der Gottferne, in der losgelassenen Kreativität, im entleert-entleerenden Weitersprechen möglicherweise einen Funken fröhlicher Dankbarkeit, gar von Überwältigung spürbar werden lassen dem gegenüber, der aus seiner übergroßen Lichtfülle heraus die Leere geschaffen hat. Zu derlei Gedanken regt Schultes Buch an. Es gehört jedenfalls nicht ins Regal der Spezialliteratur, sondern in die Hand eines jeden, der an den Abenteuern und Anstößen europäischer Geistesgeschichte interessiert ist.
EBERHARD GEISLER
Christoph Schulte: Zimzum. Gott und Weltursprung. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 501 Seiten, 35 Euro.
Dekonstruktion pur: Gott ist nicht
mehr da, aber der Dornbusch
brennt, die Sprache flammt weiter
Die Idee lebt nach, in modernen Gestalten: Barnett Newmans „Zim Zum II“, eine Stahlskulptur, 1985 (Gagosian Gallery, New York 1992).
Foto: aus d. bespr. Band
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»Schultes Buch ... gehört jedenfalls nicht ins Regal der Spezialliteratur, sondern in die Hand eines jeden, der an den Abenteuern und Anstößen europäischer Geistesgeschichte interessiert ist.« Eberhard Geisler Süddeutsche Zeitung 20141203