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"ich kam zur welt mit diesem wanderzirkus in mir. einem zirkus, denk mal an, in einem polessischen dorf. jongleure, akrobaten, bärtige jungfrauen ... diese schande!
mein wanderzirkus wuchs gemeinsam mit mir, wie ein wolfsjunges fleisch will, wollten sie budenzauber und freie bahn. (...)"
Die erste Gedicht-Sammlung der belarussischen Lyrikerin auf Deutsch. Mit einem Nachwort von Valzhyna Mort.

Produktbeschreibung
"ich kam zur welt
mit diesem wanderzirkus in mir.
einem zirkus, denk mal an,
in einem polessischen dorf.
jongleure, akrobaten,
bärtige jungfrauen ...
diese schande!

mein wanderzirkus
wuchs gemeinsam mit mir,
wie ein wolfsjunges fleisch will,
wollten sie budenzauber
und freie bahn. (...)"

Die erste Gedicht-Sammlung der belarussischen Lyrikerin auf Deutsch. Mit einem Nachwort von Valzhyna Mort.
Autorenporträt
Julia Cimafiejeva Dichterin und Übersetzerin, geboren 1982 in der Nähe von Brahin, Belarus. Bisher zwei Bücher mit Gedichtsammlungen, ihre Arbeiten wurden auch ins Polnische und Englische übersetzt. Cimafiejeva gehört zu den Gründerinnen des Internet-Literaturmagazins PrajdziSvet (prajdziSvet.org). Sie lebt und arbeitet in Minsk.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.02.2020

Hört den Golem kommen
Die Lyriksammlung "Zirkus" der Belarussin Julia Cimafiejeva

Die wohl bekannteste Weißrussin der Gegenwart, Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch, schreibt auf Russisch. Literarische Texte in Belarussisch zu verfassen ist nach wie vor etwas Besonderes, vielleicht sogar ein Bekenntnis oder Politikum. Als Julia Cimafiejeva 1982 geboren wurde, hatte das Weißrussische in der damaligen Sowjetrepublik einen schweren Stand. Das änderte sich nach der Perestroika, doch nachdem Mitte der neunziger Jahre das Russische offiziell zur Amtssprache des nunmehr unabhängigen Weißrusslands erklärt worden war, kam dem Belarussischen im eigenen Land erneut nur nachrangige Bedeutung zu. Selbst heute ist es fast eine Art Geheimcode der Intelligenzija. Immer, heißt es bei Cimafiejeva, "werde ich in allen verfügbaren / sprachen sprechen und fehler machen".

Ein paar Details zu diesem sprachlichen Hintergrund hätte man sich im Nachwort gewünscht, doch dessen Verfasserin, Valzhyna Mort, beschränkt sich auf angesagte Schlagworte wie "kolonialen Kontext", "patriarchale Welt" und "die Frau als Immigrantin", ohne diese zu konkretisieren, so dass sie völlig leer bleiben. Dergleichen hätte sie gar nicht nötig, denn die gebürtige Weißrussin, die heute in den Vereinigten Staaten lebt, hat einige Gedichte ganz hervorragend ins Englische übersetzt; bei der Wiedergabe rhythmischer und klanglicher Besonderheiten übertrifft sie sogar das Duo Thomas Weiler und Tina Wünschmann, dem die deutsche Fassung zu verdanken ist. Im Unterschied zu der englischen Variante wählen die beiden auch eine konsequente Kleinschreibung, die so im Original nicht gegeben ist.

Der Band "Zirkus" ist von der Autorin selbst zusammengestellt worden und in drei Abschnitte unterteilt. Sie können grob den Themenbereichen Natur, Zivilisation und Stadt sowie Kultur und Literatur zugeordnet werden, wobei "Natur" in allen drei Teilen einen konstanten Fixpunkt der Bildsprache darstellt. In dem Gedicht "Celan lesend" variiert Cimafiejeva das Golemmotiv, akzentuiert dabei aber weniger den schöpferischen Aspekt des Mythos, sondern eben den schmatzenden Lehm, wenn sie von den Menschen spricht, "die als erste / aus dieser erde geformt sind". Indem sie zuvor explizit den Mann nennt, umgeht sie eine ebenso simple wie ärgerliche Gleichsetzung von "Frau" und "Natur".

Die Natur versinnbildlicht ferner die klaustrophische Umwelt, die "stimme des ortes", vor der es "kein entrinnen" gibt. Der Mensch wird bei Cimafiejeva zum Spielball dieser Natur, wie die Stadt oder die Zivilisation frisst auch die Feldarbeit ihn. Damit stellt sich die Autorin zum einen in die Tradition der belarussischen Folklore, konterkariert sie aber im gleichen Atemzug durch moderne Sichtweisen. Dieser absurde Ansatz hat System. Im titelgebenden Gedicht beherbergt das lyrische Ich einen Wanderzirkus "im zelt meines Körpers", bis die Schausteller diesen Körper irgendwann aufessen - und dann ihre Vorstellung beginnen. Selten wurden groteske Bilder mit einer solchen Präzision entworfen.

Aus Weißrussland gelangt wenig Literarisches ins Deutsche, und originär Belarussisches schon gar nicht. Cimafiejeva lüpft den Vorhang, gibt den Blick frei auf Tschernobyl, ihre toten Großeltern, auf die Lektüre von literarischen Vorgängern aus ganz Europa und Reflexionen über die eigene Sprache. An sehr wenigen Stellen wird sie unnötig explizit - "jeder mensch / sollte mindestens einen baum pflanzen / und mindestens eine sprache lernen" -, dann schwächelt sie. Sobald sie aber auf die Kraft ihrer Bilder vertraut, besticht sie durch überraschende Verknüpfungen. Dann gelingt ihr, was sich das lyrische Ich in "zeit der gemüsegärtnerin" wünscht: aus der Wohnung einen Acker zu machen, dabei jedoch eins zu vermeiden: "ich will nicht das vertrocknete / wortlaub rechen". Vertrocknet ist bei Cimafiejeva rein gar nichts.

CHRISTIANE PÖHLMANN

Julia Cimafiejeva: "Zirkus". Gedichte.

Aus dem Belarussischen von Thomas Weiler und Tina Wünschmann.

edition.fotoTAPETA, Berlin 2019. 96 S.,

Klappenbroschur, 10,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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