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Seit 1968 und den Konflikten um die Studentenbewegung wurde der Zivildienst mehr und mehr zum Politikum. Auf ihrem "langen Marsch durch die Institutionen" machte die APO die Kriegsdienstverweigerung zum politischen Kampfinstrument und zwang die sozialliberale Koalition unter Willy Brandt zu weitreichenden Reformen. Patrick Bernhard schildert nicht nur die Diskussion um die "Demokratisierung des Dienstes" und die Abschaffung des "inquisitorischen" Prüfungsverfahrens, die Öffentlichkeit und Parlament erregte. Als wichtiger Beitrag zur jüngeren Gesellschaftsgeschichte der Bundesrepublik…mehr

Produktbeschreibung
Seit 1968 und den Konflikten um die Studentenbewegung wurde der Zivildienst mehr und mehr zum Politikum. Auf ihrem "langen Marsch durch die Institutionen" machte die APO die Kriegsdienstverweigerung zum politischen Kampfinstrument und zwang die sozialliberale Koalition unter Willy Brandt zu weitreichenden Reformen. Patrick Bernhard schildert nicht nur die Diskussion um die "Demokratisierung des Dienstes" und die Abschaffung des "inquisitorischen" Prüfungsverfahrens, die Öffentlichkeit und Parlament erregte. Als wichtiger Beitrag zur jüngeren Gesellschaftsgeschichte der Bundesrepublik bilanziert die Studie auch, wie die Reformen den Sozialstaat langfristig veränderten.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Patrick Bernhard, geboren 1970, war von 1999-2003 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte, München-Berlin, danach Stipendiat am Istituto storico italiano-germanico, Trient, und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für osteuropäische Geschichte, Universität Erlangen-Nürnberg. Seit September 2005 ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Rom tätig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.06.2007

Im Zuge des Wertewandels
Wie aus dem Ersatzdienst der selbstverständliche Zivildienst wurde

Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre gingen die Zahlen der Kriegsdienstverweigerer in der Bundesrepublik plötzlich sprunghaft nach oben. Die Annahme liegt nahe, dass dies eine Auswirkung der Studentenrevolte, kurz: der ganzen "68er-Bewegung" war, zumal diese hartnäckig versuchte, die Kriegsdienstverweigerer zu politisieren und gegen das "repressive System" aufzuhetzen. Die Aufgabe von Geschichte als kritischer Wissenschaft ist es, solche Annahmen zu hinterfragen und anhand der verfügbaren Quellen zu verifizieren oder falsifizieren. Diese Aufgabe hat sich Patrick Bernhard gestellt. Zunächst skizziert er knapp die Entstehung des Artikels 4 Absatz 3 des Grundgesetzes, ohne den Zusammenhang mit Plänen zur Verstärkung der alliierten Truppen durch zwangsrekrutierte deutsche Soldaten zu sehen. Er hält sich an keine Chronologie in seiner Darstellung, so dass es manchmal bunt durcheinandergeht und deutsche Militärattachés Anfang der fünfziger Jahre etwas aus dem Ausland berichten - wo die, Jahre vor Entstehung der Bundeswehr, wohl hergekommen sein mögen? Es ist auch ungerecht, Bundesinnenminister Robert Lehr als ehemaliges Mitglied der rechtskonservativen DNVP darzustellen, ohne seine Rolle im Widerstand oder beim Braunschweiger Remer-Prozess 1952 zu erwähnen. Das aber sind Schönheitsfehler bei einer Arbeit, die nach einer verunglückten Vorgeschichte souverän das vorhandene Material ausbreitet und sicher interpretiert.

In einem ersten Teil schildert Bernhard den Wandel der Motive, die junge Männer in den sechziger Jahren veranlassen, den Dienst in der Bundeswehr zu verweigern. Wo zunächst nur verschwindend wenige Wehrpflichtige aus weit überwiegend religiösen Motiven heraus den Wehrdienst ablehnen, schieben sich bis zur Mitte der siebziger Jahre politische Motive weiter nach vorn. Dabei geht es den Verweigerern aber - zum Ärger der APO-Bewegung - weniger um grundsätzliche Kritik des politischen Systems als um eine kritische Sicht auf die aktuelle Nuklearstrategie im Lichte der seit 1966 verfolgten Entspannungspolitik. Nicht "dieses System muss man bekämpfen", sondern "Warum noch Bundeswehr, wenn wir doch die DDR anerkennen?", bekommen Befrager zu hören. Bernhard weist aber auch darauf hin, dass ein großer Teil jener jungen Männer, die das aufwendige, justizförmige Prüfungsverfahren auf sich nehmen, aus "privatistischen" Gründen verweigern: Für sie ist der Zivildienst einfach bequemer, und das im Laufe dieser Zeit deutlich ansteigende Sozialprestige des Zivildienstes tut ein Übriges. Wo früher von "Drückeberger" die Rede war, sind ältere Damen jetzt ganz fasziniert von dem netten jungen Mann, der ihnen ihr "Essen auf Rädern" bringt (ein mobiler sozialer Hilfsdienst, der ohne "Zivis" nicht denkbar gewesen wäre). Dabei ist auch eine soziale Verschiebung festzustellen: In Abiturienten- und Studentenkreisen gilt Verweigerung fortan als schick, so dass unter den Zivildienstleistenden die gehobenen Bildungsabschlüsse bald disproportional überwiegen.

Apropos "Zivildienst" - der Begriff ist ja ursprünglich keineswegs vorgesehen; das Grundgesetz spricht vielmehr von "Ersatzdienst". Der neue Name ist Teil jener Zivildienstreform, die in der zweiten Hälfte dieses Buches vorgestellt wird. Hier geht es um Koalitionsvereinbarungen zwischen SPD und FDP, die Rolle Walter Scheels als Bundespräsident (der die Zivildienstnovelle wegen verfassungsrechtlicher Bedenken nicht ausfertigte) und letztlich die Rolle des Bundesverfassungsgerichts (das die Zivildienstnovelle im zweiten Anlauf als verfassungswidrig verwarf). Der Autor zeichnet auch die parteiinternen Diskussionen innerhalb der SPD nach, etwa zwischen einem Verteidigungsminister (später Bundeskanzler) Helmut Schmidt, für den die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte im Vordergrund steht, und dem Nachwuchspolitiker Björn Engholm, der auf das jedem staatlichen Handeln vorgängige Individualrecht auf Kriegsdienstverweigerung pocht. Auch das "hochrangige Juso-Mitglied Rudolf Scharping" erwähnt Autor Bernhard mit feinem Gespür für Ironie. Nein, die Veränderungen im Zivildienst sind nicht Folge der 68er-Bewegung gewesen, sondern speisten sich nur - teilweise - aus ähnlichen Quellen wie diese. Der Wandel vom "Ersatzdienst" als Ausnahmetatbestand hin zu einer selbstverständlichen und gleichrangigen Möglichkeit der Lebensgestaltung entspringt vielmehr dem in der Gesamtgesellschaft weitverbreiteten Wertewandel weg von kollektiven und hin zu individuellen Zielvorstellungen, dem auch die Politik in den siebziger Jahren folgen musste.

Der vorliegende Band fängt schwach an, steigert sich dann aber in eine quellenmäßig gut belegte, flüssig geschriebene und klug argumentierende Spezialstudie, die ihr Thema am Ende im Gesamtzusammenhang der sechziger und siebziger Jahre zu verorten weiß und die damit einen wichtigen und zugleich lesenswerten Beitrag zur Sozialgeschichte dieser Zeit liefert.

WINFRIED HEINEMANN

Patrick Bernhard: Zivildienst zwischen Reform und Revolte. Eine bundesdeutsche Institution im gesellschaftlichen Wandel 1961-1982. R. Oldenbourg Verlag, München 2006. 462 S., 49,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Winfried Heinemann ärgert sich zwar über einige Ungenauigkeiten und Fehler im Detail in Patrick Bernhards Studie zur Geschichte des Zivildienstes, beurteilt sie aber insgesamt als "wichtig" und "lesenswert". Lobenswert findet er dabei, dass es dem Autor in einem ersten Teil der Studie gelingt darzulegen, dass der sprunghafte Anstieg der Ersatzdienstleistenden Ende der sechziger Jahre nicht nur Folge der 68er-Bewegung war, sondern dass die Motive für eine Verweigerung oft auf einer Kritik der Nuklearstrategie fußten beziehungsweise zunehmend private Hintergründe hatten. Der zweite Teil der Studie belegt, wie der Rezensent findet, souverän und fundiert, die politischen Diskussionen um die Wandlung vom "Ersatzdienst" als Ausnahme, zum anerkannten "Zivildienst". Das Verdienst Bernhards Studie sieht der Rezensent vor allem darin zu zeigen, dass die Entwicklung des Zivildienstes einen gesellschaftlichen Wertwandel spiegele, der zunehmend individuelle Ziele in den Vordergrund stellt.

© Perlentaucher Medien GmbH