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Traditionelle Darstellungen der deutschen Geschichte gehen meist davon aus, die Deutschen seien besonders staatsorientiert. Diese Sichtweise verkennt, dass Deutschland um 1900 eine Weltmacht war, wenn es um das stifterische Engagement seiner Bürger ging: Stiftungen finanzierten öffentliche Museen, förderten die Wissenschaften, unterhielten Gymnasien wie Universitäten und stellten Sozialleistungen zur Verfügung. Dieses Buch, die erste umfassende Darstellung des Stiftungswesens in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, behandelt dieses bislang als Randphänomen der Vormoderne verkannte…mehr

Produktbeschreibung
Traditionelle Darstellungen der deutschen Geschichte gehen meist davon aus, die Deutschen seien besonders staatsorientiert. Diese Sichtweise verkennt, dass Deutschland um 1900 eine Weltmacht war, wenn es um das stifterische Engagement seiner Bürger ging: Stiftungen finanzierten öffentliche Museen, förderten die Wissenschaften, unterhielten Gymnasien wie Universitäten und stellten Sozialleistungen zur Verfügung. Dieses Buch, die erste umfassende Darstellung des Stiftungswesens in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, behandelt dieses bislang als Randphänomen der Vormoderne verkannte zivilgesellschaftliche Handeln in allen seinen Aspekten. Thomas Adam verdeutlicht eindrucksvoll, dass Stiftungen mit ihren ungeheuren Finanzressourcen der modernen deutschen Gesellschaft einen spezifischen Charakter gaben, der nicht nur durch Adel oder Staat, sondern ganz wesentlich auch durch selbstbewusste Bürger bestimmt wurde.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2018

Als die Bürger stiften gingen
Thomas Adam kennt die Absichten der Philanthropen

Zu den schillerndsten Begriffen der sozialwissenschaftlichen Debatte gehört jener der Zivil- oder Bürgergesellschaft. Relative Einigkeit herrscht zwar darüber, dass es sich um den Teil der Gesellschaft handelt, der nicht durch den Staat und seine Organe gesteuert wird. Ob es freilich richtig ist, seine Existenz normativ an die eines demokratisch organisierten Gemeinwesens zu knüpfen und damit Zivilgesellschaft und Demokratie als zwei Seiten derselben Medaille zu betrachten, kann man in Frage stellen.

Gewiss trifft es zu, dass private Initiative vor allem in den Vereinigten Staaten maßgeblich dazu beigetragen hat, stabile demokratische Verhältnisse zu gewährleisten. Kein Wunder, wenn amerikanische Sozialwissenschaftler im Anschluss an die klassische Beschreibung der amerikanischen Gesellschaft durch Tocqueville bis heute davon ausgehen, dass es eine kausale Verknüpfung zwischen Zivilgesellschaft und Demokratie gebe. Aber eignen sich die Vereinigten Staaten, die seit ihrer Gründung keinen echten politischen Systemwechsel erlebten, wirklich als empirischer Beleg dieser These? Kann sich eine Zivilgesellschaft im Sinne selbstorganisierter Akteure nicht auch in autoritären politischen Ordnungen entwickeln, ohne notwendig in Opposition zu ihnen zu treten? Können gemeinwohlorientierte Bürger solche Systeme gleichsam "bürgerlich ausgestalten", ohne sie überwinden zu wollen?

In einer lesenswerten Monographie über das Deutsche Stiftungswesen im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert ist der deutsche Historiker Thomas Adam, Professor an der University of Texas in Arlington, diesen Fragen nachgegangen. Vornehmlich am Beispiel der Museumsfinanzierung, der Einrichtung von Stipendienstiftungen sowie der Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum für Arbeiterfamilien durch gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften weist Adam nach, dass es bereits im deutschen Kaiserreich nahezu keinen gesellschaftlichen Raum gab, der nicht durch bürgerliche Philanthropie geprägt war.

Tatsächlich belegt Adam, dass das Stiften vor dem Ersten Weltkrieg keineswegs - wie häufig vertreten - ein marginales Phänomen war. Vielmehr zeichnet er detailreich nach, dass sich vor allem bei der Finanzierung von Museen in Bürgerstädten wie Hamburg, Frankfurt am Main oder auch Leipzig und Bremen bereits in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts Modelle entwickelten, die man frühe Formen der heutigen "Public-private-Partnership" nennen kann. Allerdings ging mit dieser privaten Kunstförderung die Prägung bestimmter ästhetischer Standards einher, die man als bürgerliches Programm im Sinne einer "hidden agenda" bezeichnen könnte. Auf der Seite der Stipendienstiftungen wiederum korrespondierte ihr das Anliegen, durch gute Gaben die soziale und religiöse Zusammensetzung künftiger intellektueller Eliten zu beeinflussen.

Und selbst der nicht primär gewinnorientierte Wohnungsbau verfolgte offenbar ein gesellschaftspolitisches Ziel. Es ging nicht nur um preiswerte Wohnungen für Arbeiterfamilien. Es ging vielmehr auch um die Entwicklung einer Wohnarchitektur, die bürgerliche Wertvorstellungen wie den Schutz der Kernfamilie durch ihre räumliche und soziale Trennung von anderen Mietparteien sichern und damit sozial disziplinierend wirken sollte.

Adams Untersuchung ist breit angelegt. Sie basiert auf einem funktionalen Stiftungsverständnis. Folglich beschränkt sie sich nicht auf eine Analyse der Tätigkeit von Stiftungen im engeren, rechtlichen Sinne. Vielmehr schaut sie auf das tatsächliche Geschehen freigebiger Zweckzuwendungen und schließt damit auch Vereine, Genossenschaften und vor allem gemeinnützige Aktiengesellschaften in ihre Betrachtung ein. Das ist ein moderner Ansatz, der inzwischen auch in den Rechtswissenschaften Anhänger hat. Nicht nur historisch, sondern auch aktuell stellt sich die Frage, ob eine Stärkung der Zivilgesellschaft es hierzulande womöglich erfordert, das Stiften - vor allem im Steuerrecht - unabhängig von der konkreten Rechtsform, die es annimmt, zu betrachten.

Freilich hat Adams Arbeit auch Schwächen. Wo er Ausflüge ins Juristische macht, werden Zusammenhänge zuweilen unzutreffend hergestellt. Durchweg - und nicht nur in rechtlichen Kontexten - greift er zu häufig auf Sekundärliteratur zurück. Manche Behauptungen wie diejenige, Stiftungen in Westdeutschland seien in der Nachkriegszeit (die Adam anders als die Wilhelminische Ära sogar für stiftungsfeindlich hält) Enteignungen ausgesetzt gewesen, belegt er erst gar nicht. Insgesamt leidet Adams Buch überdies unter einem mäßigen Lektorat. Anders lassen sich ständige Wiederholungen, die den Leser ermüden, kaum erklären. Die im Kern aufschlussreiche Erkenntnis wäre ohne solche Sonderpädagogik herübergekommen: Schon zu Kaisers Zeiten gab es die Zivilgesellschaft - lange bevor es Herrn Kaiser gab.

PETER RAWERT

Thomas Adam:

"Zivilgesellschaft oder

starker Staat?".

Das Stiftungswesen in

Deutschland (1815-1989).

Campus Verlag, Frankfurt am Main 2018.

300 S., br., 39,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Lesenswerte Monographie.« Peter Rawert, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.11.2018 »Indem Adam recht detailliert das grundsätzliche Umsetzen des Gedankens der Gemeinnützigkeit nachzeichnet, sollte das Buch auch andere als historisch interessierte Leser ansprechen. Ersichtlich wird nicht nur die Rolle der Stiftungen, sondern darüber hinaus die von Gesellschaften und Vereinen als Akteure des zivilgesellschaftlichen Handels - und dies für mehr als den vorgestellten Zeitraum von über eineinhalb Jahrhunderten.« Prof. Dr. Gerhard Lingelbach, Zeitschrift für Stiftungs- und Vereinswesen, 11.04.2019 »Die Lektüre ist empfehlenswert und gewinnbringend. Die Studie hebt die oft verkannte Bedeutung des deutschen Stiftungswesens im 19. und 20. Jahrhundert für die gesellschaftliche Entwicklung hervor und pointiert sie mit einer überzeugenden These.« Stiftung & Sponsoring, 25.09.2019