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Zum 50. Todestag von Franz Baermann Steiner am 27. November 2002 erscheint sein in Form und Bedeutung äußerst vielfältiges theoretisches Werk erstmals in deutscher Sprache.
Franz Baermann Steiners, in Form und Bedeutung äußerst vielfältiges, theoretisches Werk erscheint erstmals in deutscher Sprache.Der Ruf von Franz Baermann Steiner (1909-1952) steht heute außer Zweifel. Als Anthropologe gehörte er zur Gruppe um E. E. Evans-Pritchard, aus der die moderne angelsächsische Sozialanthropologie hervorging. Sein postum erschienenes Buch »Taboo« ist zu einem Standardwerk geworden. Mit dem Begriff…mehr

Produktbeschreibung
Zum 50. Todestag von Franz Baermann Steiner am 27. November 2002 erscheint sein in Form und Bedeutung äußerst vielfältiges theoretisches Werk erstmals in deutscher Sprache.
Franz Baermann Steiners, in Form und Bedeutung äußerst vielfältiges, theoretisches Werk erscheint erstmals in deutscher Sprache.Der Ruf von Franz Baermann Steiner (1909-1952) steht heute außer Zweifel. Als Anthropologe gehörte er zur Gruppe um E. E. Evans-Pritchard, aus der die moderne angelsächsische Sozialanthropologie hervorging. Sein postum erschienenes Buch »Taboo« ist zu einem Standardwerk geworden. Mit dem Begriff des Tabus hatte Steiner die Distribution und Bewältigung der Gefahr als Zentrum der Gesellschaftsbildung erkannt: Tabu und Gefahr erlauben es einer Gesellschaft zuallererst, ihre Werte zu formulieren. Naturbeherrschung als Ziel des »Prozesses der Zivilisierung« hielt Steiner nach dem Krieg für einen Mythos: Nur von Macht über Menschen lasse sich reden, von Ausbeutung und Vernichtung - »Der Zivilisierungsprozeß ist die Eroberung des Menschen durch die Naturkräfte, die Dämonen. Es ist der Marsch der Gefahr ins Herz der Schöpfung.«Der Band »Zivilisation und Gefahr« enthält die klassischen Texte zum Tabu, zur Theorie der Arbeit und der Wirtschaft sowie Steiners Gedanken zur Erkenntnistheorie, Politik, Literatur und Religion. Auch seine Gedanken zur Sklaverei werden hier - durch Auszüge aus seiner unveröffentlichten Dissertation - zum ersten Mal in deutscher Sprache vorgelegt.In ihrem umfangreichen Nachwort zeigen die Herausgeber den Ursprung von Steiners Denken auf und untersuchen seine nachhaltige Wirkung auf die moderne Anthropologie; des weiteren enthält es die erste vollständige, auf neue Quellen gestützte Biographie Steiners.»Es ist ein Symptom des Weltzustandes, daß man von einem solchen Mann, dem man sich wirklich bis ins Innerste verbunden fühlt, erst nach seinem Tode etwas erfährt (...). Selbstverständlich muß alles geschehen, damit Steiners Nachlaß an die Öffentlichkeit kommt.«Theodor W. Adorno
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Autorenporträt
Franz Baermann Steiner (1909-1952) gehörte nicht nur zu den letzten großen Dichtern der Prager deutschen Literatur, sondern machte sich in England auch als führender Sozialanthropologe einen Namen.

Jeremy Adler, geb. 1947, ist der Sohn des Schriftstellers H. G. Adler (1910-1988) und Professor Emeritus für Germanistik am King's College London. Er veröffentlichte 1987 eine Monographie zu Goethes »Wahlverwandtschaften« und (mit Ulrich Ernst) den Katalog »Text als Figur. Visuelle Poesie von der Antike bis zur Moderne« (3. Auflage, 1989). Seine Edition der »Dichtungen« von August Stramm erschien 1990, den Roman »Eine Reise« von H. G. Adler edierte er 1999. Mit Richard Fardon gab er eine zweibändige Ausgabe der »Selected Writings« von Franz Baermann Steiner heraus (Oxford und New York, 1999 - auf Deutsch 2008 bei Wallstein unter dem Titel »Zivilisation und Gefahr« erschienen). Außerdem publizierte er mehrere selbständige Lyrik-Bände, darunter »At the Edge of the World« (1994).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.08.2008

Robinson und die umtriebigen Tropen

Die Rede vom faulen Eingeborenen und von den Naturkindern hat dafür gesorgt, dass sich die Völkerkunde kaum mit Arbeit als sozialer Erscheinung in einfachen Gesellschaften beschäftigt hat.

Wenige Begriffe fassen so vielgestaltige und für ihre Mitglieder gleichzeitig so fundamentale Sachverhalte zusammen wie das Wort "Arbeit". Die Forschung zu diesem Begriff ist ebenso vielfältig wie widersprüchlich. Allerdings scheint sich die Ethnologie kaum für dieses Thema zu interessieren - ein zunächst überraschender Befund, denn Arbeit ist schließlich für das Überleben und die Ökonomie einer jeden Gesellschaft notwendig. Viele Menschen verbringen einen Großteil ihrer Zeit damit, zu lernen, wie man arbeitet, oder zu arbeiten. Doch während Aspekte wie Austausch, Magie, Heiratsregeln oder Nahrung von jeher zu den zentralen Themen der Ethnologie gehören, führt die Anthropologie der Arbeit bislang eine Aschenputtel-Existenz. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass das Fach lange eine Vorliebe für das Fremde im Sinne des Exotischen pflegte. Ein Alltagsphänomen wie Arbeit wird bis heute meist als unproblematisch angesehen. Arbeit ist demnach kein autonomes Handeln, sondern lässt sich aus anderen Faktoren ableiten.

Nur wenige Vertreter des Faches haben sich in diesem Bereich hervorgetan. Audrey Richards gehörte mit ihrer 1939 publizierten Studie "Land, Labour and Diet in Northern Rhodesia" zu den Ersten, die sich der Thematik von Ernährung und Arbeit zuwandten. Sie bezog landwirtschaftliche Arbeit nicht mehr funktional auf Ernährung und distanzierte sich deutlich vom kolonialen Diskurs des "faulen Eingeborenen". Ihre Studie blieb jedoch ein Einzelfall, der über Jahrzehnte wenig Beachtung fand. Die nach 1968 einflussreiche marxistische Ethnologie interessierte sich vorrangig für Produktions- und Reproduktionsverhältnisse, weniger für die Produktivkräfte. Arbeit als Handeln stand nicht auf ihrer Agenda. Die verschiedenen Darstellungen zum Wandel der Arbeit fügen sich, wie der inzwischen emeritierte Bayreuther Ethnologe Gerd Spittler vor einigen Jahren bilanzierte, nicht zu einem kohärenten Bild zusammen: "Während die einen die Zerstörung der Hausgemeinschaft beschreiben, sehen die anderen das anpassungsfähige und innovative Potential afrikanischer Bauern. Während die einen die Grenzen des magischen Denkens herausarbeiten, interpretieren andere das bäuerliche Wissen als ,people's science'." Hier zeige sich, so Spittler, der Mangel an Feldstudien, aber auch die Dürftigkeit der theoretischen Debatte, wo jeder sein eigenes Paradigma - oder was er dafür hält - verkünde.

Spittler selbst hat in zahlreichen, auf intensiver Feldforschung basierenden Studien systematisch Arbeit in westafrikanischen Hirtengesellschaften zum einen als Technik, zum anderen als soziales Handeln untersucht. Während die Arbeitstechnik auf das dingliche Ergebnis bezogen ist, geht das Arbeitshandeln vom Menschen aus. Zum Handeln gehören dabei nicht nur Kenntnisse, Fertigkeiten, Tatkraft und Ausdauer, sondern auch Gefühle wie Angst und Freude, das Erleben von Glück, Einsamkeit und Strapazen. Nun hat Spittler sich in einer stärker theoretischen und wissenschaftshistorischen Arbeit den Gründern einer Anthropologie der Arbeit gewidmet ("Founders of the Anthropology of Work. German Social Scientists of the 19th and Early 20th Centuries and the First Ethnographers", Berlin, LIT Verlag, 2008).

Sozialwissenschaftler des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts wie Karl Marx, Wilhelm Heinrich Riehl, Eduard Hahn und Max Weber verglichen industrielle mit nichtindustrieller Arbeit und waren an dem vielfältigen Charakter von Arbeit als Performanz, Spiel oder rationaler Tätigkeit interessiert. Die empirische Basis ihrer Forschungen zu nichtindustriellen Gesellschaften blieb in der Regel jedoch dünn. Gleichwohl übten sie einen wichtigen Einfluss auf eine spätere Generation von Ethnographen wie Bronislaw Malinowski und Raymond Firth aus, die verstärkt auf Feldforschung setzten. In diesem Zusammenhang hebt Spittler insbesondere das heute weitgehend vergessene Werk von Karl Bücher (1847 bis 1930) hervor. Bücher lehrte in Leipzig und gehörte zur Historischen Schule der Nationalökonomie, zeichnete sich aber durch eine starke theoretische Orientierung aus. Einige seiner Studien widmete er der Wirtschaft von "Naturvölkern". In diesem Zusammenhang interessierte er sich besonders für den Zusammenhang von Arbeit und Rhythmus, für die soziale Organisation von Arbeit und die Institution der häuslichen Ökonomie. Technik und Arbeit gehören bei Bücher eng zusammen, die Technik ist der Arbeit als Handeln untergeordnet.

Ein deutschsprachiger Ethnologe, der sich ebenfalls ausführlich mit dem Thema Arbeit befasst hat, wird von Spittler nicht erwähnt: Franz Baermann Steiner wuchs in Prag auf, musste nach einem Studium unter anderem in Wien, Jerusalem und London als Jude vor den Nationalsozialisten nach England flüchten und wurde kurz vor seinem frühen Tod 1952 Dozent für Sozialanthropologie in Oxford. Viele seiner Manuskripte blieben ungedruckt, sein postum erschienenes Buch "Tabu" ist zu einem Standardwerk geworden.

Nun liegt ein exzellent edierter Band nachgelassener Schriften vor, der auch Texte zur Theorie der Arbeit enthält (Franz Baermann Steiner, Zivilisation und Gefahr. Wissenschaftliche Schriften, hrsg. von Jeremy Adler und Richard Fardon, Wallstein Verlag, Göttingen 2008). Die entsprechenden Ausführungen sind Teil umfassender Reflektionen über die Sklaverei. Sie haben das Ziel, einige der typischen Organisationsformen von "Arbeit" zu klassifizieren und so die Aufmerksamkeit auf die verbreiteten Merkmale von Sklavenarbeit zu lenken. Steiner verweist mit Nachdruck auf die vielfältigen Bedeutungen des Arbeitsbegriffs, attestiert den gängigen Definitionsversuchen allerdings auch, sie seien "verworren" und "ermüdend".

Er selbst sieht vier Zusammenhänge, in denen die Kategorie der Arbeit sinnvoll gebraucht wurde: als Tätigkeit, die gesellschaftlichen Status definiert; als sozialer Prozess; als Teil ökonomischer Prozesse und als berechenbarer Wert. Problematisch werde es, wenn Definitionen von Arbeit versuchten, mehr als einem dieser Zusammenhänge gerecht zu werden. Steiner plädiert dafür, Arbeit vor allem als sozial integrierende Tätigkeit zu fassen, und schließt seine Darlegungen ironisch: "Und sollte der Ökonom und Möchtegernphilosoph des neunzehnten Jahrhunderts oder seine Nachkommen uns gewichtige Fragen von der Art stellen wie ,Was ist mit Robinson Crusoe, arbeitet er nicht in seiner Abgeschiedenheit? Ist das keine Arbeit?' und so weiter und so fort - dürfen wir sie zurückweisen und antworten, dass wir nur an sozialen Phänomenen interessiert sind."

ANDREAS ECKERT

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Der hier rezensierende Sven Hanuschek stellt uns Franz Baermann Steiner als einen Universalgelehrten vor, der zu Unrecht in Deutschland in Vergessenheit geraten ist. Aber wie wir seiner biografischen Skizze entnehmen, hatte Steiner in seinem Leben zu allem erlittenen Unglück (seine Familie wurde in Theresienstadt ermordet), auch noch sehr viel Pech (seine Doktorarbeit wurde ihm gestohlen, Iris Murdoch wollte lieber doch nicht). Eine gehörige "Dankesschuld" sieht Hanuschek also von den beiden Herausgebern Jeremy Adler und Richard Fardon mit dieser Edition abgetragen, in der Steiner als Ethnologe zu erleben ist, der ebenso scharfsinnig über polynesische Tabus wie über Freud, den Zionismus oder die Religion zu schreiben versteht. Und dabei "voller Volten und satirischer Schärfe", wie Hanuschek staunt.

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