Die in Band 1 aufgeworfenen Fragen werden in dem vorliegenden Band weiterverfolgt, differenziert und durch neue Ansätze ergänzt.
In den 40 Jahren des Bestehens der DDR hat es einen erheblichen Wandel des Zivilrechts gegeben. Die Umgestaltung einer freiheitlichen Privatrechtsordnung zur Durchsetzung einer Ideologie war bereits wenige Dekaden zuvor erfolgt. Interessant erscheint daher auch die Frage, ob es eine Kontinuität in den Entscheidungszeiträumen zwischen 1933 und 1945 einerseits sowie in der DDR vor 1958 andererseits gegeben hat. Neu und sehr wichtig wurden im DDR-Zivilrecht das Eingabenwesen im Mietrecht, das neben den Mietprozessen steht, und die Eingaben an volkseigene Betriebe, die nicht selten Gewährleistungsklagen ersetzten. Die Vollstreckung hingegen war die Achillesferse des DDR-Zivilprozesses. Hier wird eine gravierende Effektivitätsgrenze des DDR-Zivilprozesses aufgezeigt. Selten finden sich Hinweise aus den Akten, die auf eine direkte Beeinflussung der DDR-Justiz hindeuten. Einige Früchte der Aktenstudien werden vorgestellt, die - wie nicht anders zu erwarten - nicht selten die Strafrechtspflege betrafen. Es werden neue methodische Wege beschritten, um dem Rechtsverständnis nahe zu kommen: Die Autoren werten literarische Zeugnisse aus, die Zivilprozesse zum Gegenstand haben sowie 101 Interviews, deren Thema das Selbstverständnis von DDR-Richtern ist. Ein Artikel zeigt die Bedeutung statistischer Verfahren für eine vollständige Erfassung der Prozeßwirklichkeit auf - gleichwohl die Schwierigkeiten der empirischen Sozialforschung für dieses Projekt Bände füllen könnten.
In den 40 Jahren des Bestehens der DDR hat es einen erheblichen Wandel des Zivilrechts gegeben. Die Umgestaltung einer freiheitlichen Privatrechtsordnung zur Durchsetzung einer Ideologie war bereits wenige Dekaden zuvor erfolgt. Interessant erscheint daher auch die Frage, ob es eine Kontinuität in den Entscheidungszeiträumen zwischen 1933 und 1945 einerseits sowie in der DDR vor 1958 andererseits gegeben hat. Neu und sehr wichtig wurden im DDR-Zivilrecht das Eingabenwesen im Mietrecht, das neben den Mietprozessen steht, und die Eingaben an volkseigene Betriebe, die nicht selten Gewährleistungsklagen ersetzten. Die Vollstreckung hingegen war die Achillesferse des DDR-Zivilprozesses. Hier wird eine gravierende Effektivitätsgrenze des DDR-Zivilprozesses aufgezeigt. Selten finden sich Hinweise aus den Akten, die auf eine direkte Beeinflussung der DDR-Justiz hindeuten. Einige Früchte der Aktenstudien werden vorgestellt, die - wie nicht anders zu erwarten - nicht selten die Strafrechtspflege betrafen. Es werden neue methodische Wege beschritten, um dem Rechtsverständnis nahe zu kommen: Die Autoren werten literarische Zeugnisse aus, die Zivilprozesse zum Gegenstand haben sowie 101 Interviews, deren Thema das Selbstverständnis von DDR-Richtern ist. Ein Artikel zeigt die Bedeutung statistischer Verfahren für eine vollständige Erfassung der Prozeßwirklichkeit auf - gleichwohl die Schwierigkeiten der empirischen Sozialforschung für dieses Projekt Bände füllen könnten.
Frankfurter Allgemeine ZeitungKultivierte Befangenheit
Das Zivilrechtssystem der DDR: Eingaben als Ersatzrechtsmittel und die richterliche Rechtsauskunft
Rainer Schröder (Herausgeber): Zivilrechtskultur der DDR. Band 1 Zeitgeschichtliche Forschungen, Band 2/1. Duncker & Humblot, Berlin 1999. 585 Seiten, 128,- Mark.
Rainer Schröder wurde 1988 durch sein Buch ". . . aber im Zivilrecht sind die Richter standhaft geblieben!" bekannt. Damals widerlegte er die herrschende Vorstellung von der Integrität des Zivilrechts im "Dritten Reich". Aufgrund dieses Buches wurde er von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit einem Projekt zur Erforschung der gerichtlichen Praxis des Zivilrechts in der DDR betraut.
Wenn Schröder den Zwischenbericht über das Projekt mit "Zivilrechtskultur der DDR" betitelt, so erscheint das als ein diametral abweichendes Fazit für die DDR. In Wahrheit ist es nur das Programm eines umfassenden Forschungsansatzes, der neben der deutlich geringeren Prozessfreudigkeit in der DDR auch die Funktion und die Bedeutung von Zivilrecht in Diktaturen erfassen soll. Es wird der Frage nachgegangen, wieweit es im Zivilrecht der DDR einen Bereich von Normalität gegeben hat.
Die Mitarbeiter des Projekts behandeln typische Zivilprozesse, die Rekrutierung und Sozialisation des Rechtsstabs, Zivilrechtsverwirklichung ohne Gerichtsverfahren, außergerichtliche Institutionen des Zivilrechts und die Theorie des Zivilrechtskonflikts in der DDR. Fred Bär gibt einen Überblick über die Entnazifizierung der Berliner Justiz und deren Kontrolle durch die Besatzungsmächte. Eine Untersuchung von 300 Zivilprozessakten konnte keinen Einfluss der Besatzungsmächte auf die Rechtsprechung feststellen. Rainer Schröder ermittelt eine erheblich niedrigere Prozessrate in der DDR gegenüber der Bundesrepublik und sieht die Ursache vor allem in der Überweisung in Sonderverfahren sowie der Möglichkeit, bei Gericht vor Einreichung einer Klage Rechtsauskunft über deren Aussichten einzuholen. Leider wird diese ebenso attraktive wie problematische Einrichtung nicht näher diskutiert. Immer wieder kommt Schröder auf Parallelen zum "Dritten Reich", verwahrt sich aber gegen den Verdacht der Gleichsetzung.
Bettina Hoefs untersucht die Kaderpolitik des Ministeriums der Justiz 1945 bis 1960 und kann die bereits vorliegenden reichhaltigen Forschungsergebnisse noch ergänzen - so um den bemerkenswerten Nachweis, dass schon 1950 Referendare an der "Deutschen Akademie für Staat und Recht" ihre Ausbildung wegen familiärer und freundschaftlicher Bindungen nach Westdeutschland abbrechen mussten. Ulrike Müller schildert hauptsächlich die Rechtsgrundlagen der Beteiligung von Schöffen an der Ziviljustiz. Ihre Aussage, dass der große theoretische Anspruch hinsichtlich der Beteiligung der Schöffen in der Praxis nicht eingehalten werden konnte, bleibt unbelegt. Das Institut der Eingaben in der DDR war ursprünglich als Instrument zur Mitgestaltung der Bürger bei gesellschaftlichen und staatlichen Aufgaben und als Kontrollmittel geschaffen worden, entwickelte sich aber immer mehr zu einem Ersatzrechtsmittel. Ulrich Löffler behandelt allerdings nur Eingaben an das Ministerium der Justiz, die naturgemäß vor allem Vorgänge im Bereich der Justiz betrafen. Dadurch wirkt dieser Beitrag etwas heterogen.
Jürgen Krug gelingt es, zwar nicht für die Tätigkeit der Konfliktkommissionen in den Betrieben, aber immerhin für die Tätigkeit der ihnen gleichgeordneten Schiedskommissionen in den Wohnblocks umfangreiches rechtstatsächliches Material zu ermitteln - ein Vorhaben, das der Enquêtekommission des Deutschen Bundestages für die Aufarbeitung der SED-Diktatur nicht gelungen war. Krug konnte auch einige Vorsitzende von Schiedskommissionen und Leiter von Beratungen interviewen. Wie schon andere zuvor stellt allerdings auch er fest, dass als Vorsitzende der Schiedskommissionen häufig geprüfte Rechtskundige gewonnen wurden, die nicht in der Rechtspflege tätig waren - ein bemerkenswerter Beitrag zur Möglichkeit, Laien an der Rechtspflege zu beteiligen. Wertvolles statistisches Material enthält auch der Beitrag über die richterliche Rechtsauskunft. Er zeigt, dass das Problem der durch eine solche Auskunft entstehenden Befangenheit der Richter in der DDR nur unzulänglich gelöst wurde.
Die Berichte über die Rechtsanwaltschaft und das staatliche Notariat in der DDR enthalten viele interessante neue Details. Der Beitrag über die Mitwirkung der Staatsanwaltschaft im Zivilverfahren bezieht sachgemäß deren Funktion als Surrogat des Verwaltungsrechtsschutzes ein. Nachdenklich stimmt ein Fall, in dem der Staatsanwalt vom Gericht die Abweisung einer Klage auf Freigabe der Beschlagnahme des Eigentumsanteils der geflüchteten Ehefrau verlangte, anschließend aber für eine außergerichtliche Einigung sorgte.
Die Beiträge über die theoretische und empirische Erforschung von Konflikten in der Zivilrechtslehre der DDR erbringen im Wesentlichen nur, dass sich die DDR mit ideologischen Vorgaben den Weg zu wahren Erkenntnissen verbaute. Den vom Herausgeber erwogenen Ursachen der niedrigen Prozessrate in der DDR wird im letzten Beitrag eine sehr simple hinzugefügt: massive Pressionen durch Aufforderungen der staatlichen Gläubiger (Handelsorganisation, Vermieter) an den staatlichen Arbeitgeber zur Einwirkung auf den Schuldner, Einschaltung der Betriebskollektive bei Scheidungsbegehren.
Der Band, dessen Fortsetzung bereits angekündigt ist, enthält zahlreiche wertvolle Erkenntnisse zum Funktionieren des Zivilrechtssystems der DDR. Die Erschließung der Akten eröffnet die Binnenperspektive der Beteiligten, die während der Zeit der Mauer und des Todesstreifens nur aus den Berichten geflüchteter Beteiligter mit entsprechend kritischem Ansatz ermittelt werden konnte. Überraschend ist allerdings, dass das sowjetische Zivilrecht in dem Band nicht vorkommt. Mag die These von der Sowjetisierung des DDR-Rechts auch übertrieben sein, so galt die Devise "Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen!" doch auch für die "Zivilrechtskultur".
FRIEDRICH-CHRISTIAN SCHROEDER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Zivilrechtssystem der DDR: Eingaben als Ersatzrechtsmittel und die richterliche Rechtsauskunft
Rainer Schröder (Herausgeber): Zivilrechtskultur der DDR. Band 1 Zeitgeschichtliche Forschungen, Band 2/1. Duncker & Humblot, Berlin 1999. 585 Seiten, 128,- Mark.
Rainer Schröder wurde 1988 durch sein Buch ". . . aber im Zivilrecht sind die Richter standhaft geblieben!" bekannt. Damals widerlegte er die herrschende Vorstellung von der Integrität des Zivilrechts im "Dritten Reich". Aufgrund dieses Buches wurde er von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit einem Projekt zur Erforschung der gerichtlichen Praxis des Zivilrechts in der DDR betraut.
Wenn Schröder den Zwischenbericht über das Projekt mit "Zivilrechtskultur der DDR" betitelt, so erscheint das als ein diametral abweichendes Fazit für die DDR. In Wahrheit ist es nur das Programm eines umfassenden Forschungsansatzes, der neben der deutlich geringeren Prozessfreudigkeit in der DDR auch die Funktion und die Bedeutung von Zivilrecht in Diktaturen erfassen soll. Es wird der Frage nachgegangen, wieweit es im Zivilrecht der DDR einen Bereich von Normalität gegeben hat.
Die Mitarbeiter des Projekts behandeln typische Zivilprozesse, die Rekrutierung und Sozialisation des Rechtsstabs, Zivilrechtsverwirklichung ohne Gerichtsverfahren, außergerichtliche Institutionen des Zivilrechts und die Theorie des Zivilrechtskonflikts in der DDR. Fred Bär gibt einen Überblick über die Entnazifizierung der Berliner Justiz und deren Kontrolle durch die Besatzungsmächte. Eine Untersuchung von 300 Zivilprozessakten konnte keinen Einfluss der Besatzungsmächte auf die Rechtsprechung feststellen. Rainer Schröder ermittelt eine erheblich niedrigere Prozessrate in der DDR gegenüber der Bundesrepublik und sieht die Ursache vor allem in der Überweisung in Sonderverfahren sowie der Möglichkeit, bei Gericht vor Einreichung einer Klage Rechtsauskunft über deren Aussichten einzuholen. Leider wird diese ebenso attraktive wie problematische Einrichtung nicht näher diskutiert. Immer wieder kommt Schröder auf Parallelen zum "Dritten Reich", verwahrt sich aber gegen den Verdacht der Gleichsetzung.
Bettina Hoefs untersucht die Kaderpolitik des Ministeriums der Justiz 1945 bis 1960 und kann die bereits vorliegenden reichhaltigen Forschungsergebnisse noch ergänzen - so um den bemerkenswerten Nachweis, dass schon 1950 Referendare an der "Deutschen Akademie für Staat und Recht" ihre Ausbildung wegen familiärer und freundschaftlicher Bindungen nach Westdeutschland abbrechen mussten. Ulrike Müller schildert hauptsächlich die Rechtsgrundlagen der Beteiligung von Schöffen an der Ziviljustiz. Ihre Aussage, dass der große theoretische Anspruch hinsichtlich der Beteiligung der Schöffen in der Praxis nicht eingehalten werden konnte, bleibt unbelegt. Das Institut der Eingaben in der DDR war ursprünglich als Instrument zur Mitgestaltung der Bürger bei gesellschaftlichen und staatlichen Aufgaben und als Kontrollmittel geschaffen worden, entwickelte sich aber immer mehr zu einem Ersatzrechtsmittel. Ulrich Löffler behandelt allerdings nur Eingaben an das Ministerium der Justiz, die naturgemäß vor allem Vorgänge im Bereich der Justiz betrafen. Dadurch wirkt dieser Beitrag etwas heterogen.
Jürgen Krug gelingt es, zwar nicht für die Tätigkeit der Konfliktkommissionen in den Betrieben, aber immerhin für die Tätigkeit der ihnen gleichgeordneten Schiedskommissionen in den Wohnblocks umfangreiches rechtstatsächliches Material zu ermitteln - ein Vorhaben, das der Enquêtekommission des Deutschen Bundestages für die Aufarbeitung der SED-Diktatur nicht gelungen war. Krug konnte auch einige Vorsitzende von Schiedskommissionen und Leiter von Beratungen interviewen. Wie schon andere zuvor stellt allerdings auch er fest, dass als Vorsitzende der Schiedskommissionen häufig geprüfte Rechtskundige gewonnen wurden, die nicht in der Rechtspflege tätig waren - ein bemerkenswerter Beitrag zur Möglichkeit, Laien an der Rechtspflege zu beteiligen. Wertvolles statistisches Material enthält auch der Beitrag über die richterliche Rechtsauskunft. Er zeigt, dass das Problem der durch eine solche Auskunft entstehenden Befangenheit der Richter in der DDR nur unzulänglich gelöst wurde.
Die Berichte über die Rechtsanwaltschaft und das staatliche Notariat in der DDR enthalten viele interessante neue Details. Der Beitrag über die Mitwirkung der Staatsanwaltschaft im Zivilverfahren bezieht sachgemäß deren Funktion als Surrogat des Verwaltungsrechtsschutzes ein. Nachdenklich stimmt ein Fall, in dem der Staatsanwalt vom Gericht die Abweisung einer Klage auf Freigabe der Beschlagnahme des Eigentumsanteils der geflüchteten Ehefrau verlangte, anschließend aber für eine außergerichtliche Einigung sorgte.
Die Beiträge über die theoretische und empirische Erforschung von Konflikten in der Zivilrechtslehre der DDR erbringen im Wesentlichen nur, dass sich die DDR mit ideologischen Vorgaben den Weg zu wahren Erkenntnissen verbaute. Den vom Herausgeber erwogenen Ursachen der niedrigen Prozessrate in der DDR wird im letzten Beitrag eine sehr simple hinzugefügt: massive Pressionen durch Aufforderungen der staatlichen Gläubiger (Handelsorganisation, Vermieter) an den staatlichen Arbeitgeber zur Einwirkung auf den Schuldner, Einschaltung der Betriebskollektive bei Scheidungsbegehren.
Der Band, dessen Fortsetzung bereits angekündigt ist, enthält zahlreiche wertvolle Erkenntnisse zum Funktionieren des Zivilrechtssystems der DDR. Die Erschließung der Akten eröffnet die Binnenperspektive der Beteiligten, die während der Zeit der Mauer und des Todesstreifens nur aus den Berichten geflüchteter Beteiligter mit entsprechend kritischem Ansatz ermittelt werden konnte. Überraschend ist allerdings, dass das sowjetische Zivilrecht in dem Band nicht vorkommt. Mag die These von der Sowjetisierung des DDR-Rechts auch übertrieben sein, so galt die Devise "Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen!" doch auch für die "Zivilrechtskultur".
FRIEDRICH-CHRISTIAN SCHROEDER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main