Marktplatzangebote
5 Angebote ab € 5,50 €
  • Buch mit Leinen-Einband

Runar Schildt ist ein scharfsichtiger Beobachter, der Menschen und Milieus mit wenigen Strichen treffend zu skizzieren versteht. In seinen Erzählungen geht es um die Erfahrung von Fremdheit - im sozialen wie im existenziellen Sinn. Die Menschen in Runar Schildts Erzählungen sind allesamt glücklose Existenzen, Deserteure vor sich selbst oder vor der grausamen Welt, Melancholiker, hin- und hergerissen zwischen Aufbegehren und Resignation. In "Zoja" gilt die Aufmerksamkeit des Autors einer bitter unter ihrer Fremdheit leidenden Exilantin, in "Armas Fager" einem Operettenstatisten mit…mehr

Produktbeschreibung
Runar Schildt ist ein scharfsichtiger Beobachter, der Menschen und Milieus mit wenigen Strichen treffend zu skizzieren versteht. In seinen Erzählungen geht es um die Erfahrung von Fremdheit - im sozialen wie im existenziellen Sinn.
Die Menschen in Runar Schildts Erzählungen sind allesamt glücklose Existenzen, Deserteure vor sich selbst oder vor der grausamen Welt, Melancholiker, hin- und hergerissen zwischen Aufbegehren und Resignation. In "Zoja" gilt die Aufmerksamkeit des Autors einer bitter unter ihrer Fremdheit leidenden Exilantin, in "Armas Fager" einem Operettenstatisten mit aussichtslosen künstlerischen Ambitionen und in "Fleischwolf" einer jungen Frau zwischen den Fronten, die sich bei Waffenschiebereien plötzlich in Liebe, Erpressung und Verrat verstrickt sieht.
Es ist die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, die Zeit der Oktoberrevolution, der Erlangung der finnischen Unabhängigkeit und des Bürgerkriegs. Die Stimmung schwankt auf faszinierende Weise zwischen Verzauberung undIllusionslosigkeit, Wehmut und Ironie, Überschwang und Rohheit.
Wie seinen Figuren war auch Runar Schildt die Erfahrung der Vereinzelung, des Fremdseins vertraut. Seine Sprache war nicht die des einfachen Volkes, Finnisch, sondern die der gebildeten Oberschicht, Schwedisch. Aus einer verarmten Adelsfamilie in Helsinki stammend, blieb er sich zeitlebens seines Außenseitertums bewusst.
Autorenporträt
Runar Schildt (1888 - 1925) stammte aus einer verarmten Offiziersfamilie in Helsinki und wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Sein episches und dramatisches Werk, geschrieben in der Sprache der gebildeten Oberschicht - der schwedischen Minderheit -, kreist um das Motiv des gescheiterten Lebens.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.08.2001

Das Orakel in der Kugel
Runar Schildts Erzählungen aus Finnland · Von Heinrich Detering

Was kommt nach dem Fin de siècle? Von Hjalmar Söderberg, diesem Stockholmer Grandseigneur der Dekadenz, den Enzensberger jüngst für die "Andere Bibliothek" wiederentdeckt hat, stammt die kürzeste Antwort: Wenn das Ende vorbei ist, bleibt nur "das Seufzen und das Flüstern der Schatten". Diese Schattenwelt kann um 1920 vielerlei Ortsnamen tragen, Stockholm, Paris oder Wien. Oder Helsinki. Tatsächlich ist die finnische Metropole ein bevorzugter Ort der Schattenbeschwörer. Zu weltliterarischen Ehren gelangte Lyriker wie Edith Södergran gehören dazu, aber auch noch immer weniger bekannte wie der Geschichtenerzähler Runar Schildt, der jetzt zum ersten Mal in deutscher Sprache zu lesen ist; eine Entdeckung selbst für Liebhaber der nordischen Literatur.

Schildt ist der letzte Sproß einer verarmten Adelsfamilie aus jener finnlandschwedischen Minderheit, deren angestammte Vorherrschaft mit dem jungen finnischen Patriotismus in die Defensive gerät, ein schwedischer Bohemien in jenem Helsingfors, das neuerdings Helsinki heißt. Er ist noch keine dreißig Jahre alt, als nebenan in Petersburg die Bolschewiken an die Macht kommen. Nur knapp ein Jahrzehnt umfaßt seine schöpferische Lebenszeit, und in diesen Jahren entstehen neben einer Handvoll Schauspiele acht kleine Bändchen mit Erzählungen. Aber was für Erzählungen sind das! Fünf davon, durch wiederkehrende Schauplätze und Figuren lose miteinander verknüpft, enthält Aldo Keels Auswahl; zusammen bilden sie so etwas wie den Roman einer Epoche in Episoden. Hier, tatsächlich, gibt es einen Erzähler von europäischem Format zu entdecken, den vielleicht letzten aus dem Geschlecht der Schnitzler und Bang, der Tschechow, Maupassant und Söderberg. Vergliche man diese Gründergenerationen der Moderne mit der Familie Buddenbrook, Runar Schildt wäre ihr Hanno.

Noch einmal flackert in diesen Novellen aus der Zwischenkriegszeit eine schon zum Absterben verurteilte Welt auf. Noch einmal liest man hier Huysmans und Oscar Wilde in Sommervillen am einsamen See; noch einmal blühen auf der Fensterbank schwer duftende Heliotrope; noch einmal durchtanzt man ein Sommerfest, bei dem "die Lichtmanschetten an den Silberkandelabern klirren". Aber der Mond, der über diesen Szenerien aufgeht, ist schon "trocken und glanzlos" geworden; und was sich im Mondlicht zeigt, ist die Nachtseite einer triumphierenden Moderne.

Im nordischen Zwielicht geben die impressionistischen Landschafts- und Seelenbilder sich selbst schon als Restbestände einer untergehenden Epoche zu erkennen. Runar Schildts Helsinki ist eine Stadt der weltgeschichtlichen Gespenster, der Kriegsgewinnler und Waffenschieber, der exilierten russischen Aristokraten; und bei Nacht hört man die Schüsse des beginnenden Bürgerkriegs. Unversehens finden sich hier die vor der Revolution geflohenen Emigranten mit den finnischen Weiß- und Rotgardisten im selben Kino und bestaunen amerikanische Stummfilme, deren Tricktechnik das Weltende als komische Nummer inszeniert. Von den Grammophonplatten erklingen Caruso-Arien im Wechsel mit "Hawaiimusik, dem neuesten Weltsuccess". (Hier wie überhaupt zeigt Gisbert Jaenickes Übersetzung ein feines Gespür für sprachliche Zeitgeistnuancen.) So weltfern sich die finnische Spätwelt drapiert - an ihrem Horizont erheben sich der Newskij-Prospekt und die Champs-Élysées, und in der Ferne Manhattan und Moskau. Das ist die verwirrende Doppelperspektive dieser Texte: Ein finnischer Dichter blickt aus dem Fenster, und ein Zeitalter wird besichtigt.

Soviel Zeitgeschichte auch eindringt in diese Novellen, so gleichgültig bleiben ihre Frontstellungen am Ende doch, weil sie immer nur neue Bestätigungen einer ererbten Untergangsgewißheit liefern. Während auf den Straßen Helsinkis Rote und Weiße gegeneinander mobil machen, bringt hinter abgedunkelten Fenstern der Sohn exilierter russischer Aristokraten seine Tage mit dem obsessiven Versuch zu, ein Schachspiel gegen sich selbst zu gewinnen. Was Schlagworte wie die vom "Weltbürgerkrieg" oder von der "Unrettbarkeit des Ich" eher zudecken - in solchen knappen Szenen ist es als Lebensgefühl zu ahnen.

Von der bittersüßen Sentimentalität der Jahrhundertwende ist bei Schildt nur die Bitterkeit geblieben, mit einer letzten, mildernden Restsüße. Was dieser Prosa ihr eigenartiges Aroma verleiht, ist ein gleichsam potenziertes Fin de siècle: eine Décadence, die sich selbst durchschaut hat und nun die eigene Desillusionierungskunst als letzte Illusion denunziert. Vorbei die diffusen Erlösungshoffnungen, um die noch bei Söderberg die Salongespräche der einsamen Seelen kreisten. Vorbei auch die vitalistischen Übermenschenträume der Generation, die sich an der demonstrativen Verachtung von Armut und Schwäche berauschte und wüsten Träumen von Eugenik und Sozialhygiene nachhing. Vorbei sogar die selbstverliebte Melancholie Tonio Krögers, der im Erkenntnisekel doch wenigstens die eigene Erwähltheit bestätigt fand.

Wie diese Vorgänger, so leiden auch Runar Schildts hoffnungslose Helden an dem, was sie ihr "krankes Selbstgefühl" nennen. Aber es macht ihnen keinen Spaß mehr. Wo die Außenseiter der Jahrhundertwende ihrer Ausgeschlossenheit dem "Leben" noch die traurigen Triumphe der Einsamkeit abgewannen, bleibt hier nur Katzenjammer. Wo der Ennui zur Gewohnheit geworden ist, beginnt die Selbstverachtung. Wenn sie doch einmal der Liebe nachgeben, durchschauen sie diese trügerischste aller Illusionen sogleich als "Auerhahnbalz auf einem Kirchhof". Armas Fager ist ein solcher Held, der Operettenstatist im Sommertheater; ein anderer ist Jacob Casimir, der erkennbar als Selbstporträt gezeichnete Schriftsteller in der Meistererzählung vom Hexenwald. Wie Tonio Kröger sieht er sich abgetrennt von "den anderen", den "Gewöhnlichen", in der Welt Heimischen. Anders aber als sein eloquenter Vorgänger sitzt er einsam "vor dem uferlosen Meer des weißen Blattes", auf dem er nicht einmal den abgebrochenen Roman mehr fortzusetzen vermag. Erst das Scheitern der Balz, auf die er sich dann doch eingelassen hat, läßt die poetischen Quellen unverhofft wieder sprudeln - und ebenjene Erzählung entstehen, die nun als Geschichte Jacob Casimirs vor uns liegt.

Einmal, so erinnert sich der autobiographische Held in derselben Geschichte, hat er zu Weihnachten wie alle Kinder der Familie eine Schokoladenkugel bekommen, die ein Orakel enthielt. Während aber jedes Kind sein künftiges Schicksal auswickelte, erwies sich allein Jacobs Schokoladenkugel als leer. Doch nicht dieses Mißgeschick ist die Pointe der Erinnerung, sondern die Reaktion des Kindes, der unbedingte Entschluß, diese Leere "um jeden Preis geheimzuhalten". Während seine Faust sich um die leere Kugel schließt, gellt darum sein Triumphgeheul: "Niemand darf sehn, was ich gekriegt hab!" Sein Leben lang ist dieser Schrei nicht verhallt. Es ist, so lautet der Kehrreim dieser Geschichten, der Schrei eines Zeitalters.

Schönheit findet sich nur draußen, jenseits der Geschichte, nah und unerreichbar, in der Weite jener finnischen Landschaften, in deren Schilderung diese Prosa brilliert. "Hier sind dreißig Jahre wie ein Tag"; wo die Menschen nicht sind, sieht die Welt aus, als sei sie heil. "Wunderbar schön waren diese frühen Oktobertage. In den Wäldern hob sich das flammende Gold der Laubbäume gegen das ewige Grün der Kiefern ab, und in der Stadt badeten die himbeerroten Dachziegel auf den alten Häusern im milden Licht der weißen Herbstsonne." Während in der deutschen Literatur die Zeit der lärmenden Großstadtromane angebrochen ist und kunstseidene Mädchen über Alexanderplätze eilen, zelebriert Schildt seine traurigen Pointen noch einmal in einer Welt, die dem München Thomas Manns, dem Stockholm Söderbergs, dem Wien Arthur Schnitzlers eng benachbart ist - und die sich doch, mit ihrer politischen Szenerie nicht anders als mit der topographischen, als ein aufregend fremder Schauplatz erweist.

In dieser mit sich selbst zerfallenen Welt gibt es kein "Ganzes" mehr. Beiläufig taucht einmal dieses Wort auf, in Schildts Variation einer Urszene der Moderne. Es ist Nacht, der ausgeschlossene Held findet sich vor dem schmiedeeisernen Tor, das er überklettern will, um ein einziges Mal, und sei es als Zerstörer, einzudringen in die Welt der Liebenden dahinter. Als er die Gitterstäbe endlich erklommen hat, schlägt er sich jäh im Dunkel den Kopf an, stürzt zu Boden und begreift in diesem Augenblick "das Ganze". Es ist nichts als die Einsicht: "Da war überhaupt keine Lücke, das Tor reichte bis zur Decke hinauf."

Von der artistischen Brillanz, mit der Schildt solche Geschichten erzählt, führt kein Weg zurück in die Welt von gestern. Die aller Posen entledigte Melancholie endet im Elend. Erzählungen wie diese zu schreiben, glaubt Jacob Casimir, heiße "Ratten vorzuführen". Zu ihnen gehört auch das eigene Ich. Die Epoche als Rattenloch, der Erzähler als Rattenbändiger: Lebenslustige Leser schlagen solchen Autoren gern vor, sich doch am besten gleich das Leben zu nehmen. Bei Runar Schildt brauchten sie nicht viel Geduld. Am 24. September 1925 hat er den Ratschlag befolgt, siebenunddreißig Jahre alt.

Runar Schildt: "Zoja und andere Erzählungen". Geschichten aus Finnland. Aus dem Schwedischen übersetzt von Gisbert Jänicke. Herausgegeben von Aldo Keel. Manesse Verlag, Zürich 2001. 400 S., geb., 19,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Diesen Band mit fünf Erzählungen von Runar Schildt hält Benedikt Erenz für schön gelungen. Die Erzählungen erinnern ihn an die Welt Tschechows und Andrejews. Auch skandinavisches Fin de siècle sei in dem Buch zu spüren. Der Stil scheint ihm schwer zu fassen - eine "manieristische Mischung" aus Oberflächlichkeit und tiefer liegender Gebrochenheit. Geradezu mit Anteilnahme geht der Rezensent auf einige der gebrochenen Figuren der Erzählungen ein und resümiert, dass Schildt vor allem "Kippfiguren" interessieren: Der Spießer als Bohemien etwa oder seine brave Frau als Femme fatale.

© Perlentaucher Medien GmbH