Zoli Lackowa ist Roma,geboren und aufgewachsen vor dem Zweiten Weltkrieg in der Nähe von Bratislava. Sie überlebt den Holocaust versteckt in den Wäldern und lernt dort, höchst ungewöhnlich für eine Zigeunerin, lesen und schreiben. In der kurzen politischen Aufbruchsstimmung nach Vertreibung der Nazis, beginnt sie - beobachtet von dem jungen Iren Stephen Swann, der sich sofort in sie verliebt -, die Gesänge ihres Volkes aufzuschreiben und ihre Erfahrungen in Gedichten festzuhalten. Die tschechoslowakische Regierung versucht sie als Büttel für die Sesshaftmachung der Roma und die "völkerverbindenden" Gedanken des Sozialismus zu vereinnahmen, worauf ihre Sippe sie verstößt. Hilfesuchend wendet sie sich an Stephen, doch der versagt und betrügt sie. Nun ist sie ganz allein, eine Verfemte in der eigenen Heimat. Mit nichts als dem, was sie am Leib hat, macht sie sich auf in jenen mythischen Westen, in dem es wahre Freiheit geben soll. Drei Jahre dauert ihre Reise; ihr Ziel ist ungewiss.
Und noch länger wird es dauern, bis sie ihren verräterischen Geliebten wieder trifft... "Zoli" ist eine Geschichte über inneres und äußeres Exil, eine Parabel Europas zur Zeit des Kalten Krieges und, nicht zuletzt, ein Buch über das Schreiben, über die Treue zu sich selbst und zu seiner individuellen Wahrnehmung der Welt. Es ist auch die Geschichte einer starken jungen Frau, die etwas unternimmt, was gewöhnlich nur Männern zugetraut wird.
Und noch länger wird es dauern, bis sie ihren verräterischen Geliebten wieder trifft... "Zoli" ist eine Geschichte über inneres und äußeres Exil, eine Parabel Europas zur Zeit des Kalten Krieges und, nicht zuletzt, ein Buch über das Schreiben, über die Treue zu sich selbst und zu seiner individuellen Wahrnehmung der Welt. Es ist auch die Geschichte einer starken jungen Frau, die etwas unternimmt, was gewöhnlich nur Männern zugetraut wird.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2007Sing, Frau, und dichte, aber schreibe nicht
Colum McCann erzählt Zolis Geschichte / Von Verena Lueken
Wenn man ein totes Pferd von einer auf die andere Seite dreht, gluckert das Blut in seinem Innern wie das Wasser in lange nicht benutzten Rohren. Das ist eine der erstaunlichen Beobachtungen, die Colum McCann in seinem neuen Roman "Zoli" mit uns teilt. Sie ist nur das, eine Beobachtung ohne Hintersinn, ohne metaphorischen Mehrwert, ohne Gefühlsüberwölbung. Und es ist eine Beobachtung aus einer anderen Welt. Wer hievt schon ein totes Pferd herum?
"Zoli" ist der Roman einer Flucht - erst im Wohnwagen, den das Pferd gezogen hatte, dann zu Fuß, manchmal mit dem Zug, manchmal einem Transporter, einem Motorrad, einem Jeep, über Land, in Städte und aus Städten hinaus, über Grenzen, Berge und weitere Grenzen, vor den Faschisten, vor den Kommunisten, vor den eigenen Leuten, vor Kindern, vor Bauern, vor einem Mann und vor der persönlichen Geschichte, die für einen Augenblick so glorreich schien. Zoli, die Titelfigur, flieht mit kurzen mehr oder weniger glücklichen Unterbrechungen ihr ganzes Leben lang. Sie ist eine Zigeunerin, am Anfang noch ein Kind, das mit seinem Großvater in der Tschechoslowakei den Hlinka-Banden entkommt, später eine junge Frau, die singt und dichtet und die Revolution vorantreiben soll, die ihre Lieder und Gedichte aufschreibt und damit die alten Bräuche verrät und die von ihren Freunden und einem Mann, der sie liebt, ihrerseits verraten wird; am Ende ist sie eine alte Frau, und sie findet endlich ihre Stimme.
Lässt sich diese Geschichte jenseits der Klischees erzählen? Es ist dieselbe Frage, die sich schon bei McCanns letztem Roman "Der Tänzer", einer fiktiven Biographie von Rudolf Nurejew, stellte, und damals hieß die Antwort: Ja, McCann gelingt das. Der irische Autor, der seit langem in New York lebt, hat sein Schriftstellerleben lang gegen Klischees angeschrieben und es sich dabei nicht leichtgemacht. Das erste Klischee, das er bekämpfte, war das des "irischen Schriftstellers", und also schrieb er über alles Mögliche, über Mexiko etwa und den Hoch- und Tiefbau in New York, bevor er zum ersten Mal (in der starken Erzählsammlung "Wie alles in diesem Land") aus seinem Heimatland erzählte. Jetzt hat er sich, wie beim "Tänzer", wieder mit aller Vorstellungskraft und Recherchearbeit in ein Thema und eine Welt hineingewühlt, die so weit von Irland entfernt liegt wie der Mond, die Welt der Roma im östlichen Europa. Und doch ist das Thema, um das es im Innern geht, in McCanns Werk nicht neu. Es sind die Exilierten und was sie zurücklassen, was McCann interessiert. Aber dass es hier eine Roma ist, deren Geschichte sich von den dreißiger Jahren bis ins Jahr 2003 streckt, eine Roma, die singen kann und dichten und das Schreiben von ihrem Großvater gelernt hat, was allein sie schon zur Außenseiterin macht, und die, weil sie aufschreibt, was nur zur mündlichen Überlieferung und damit zur ständigen Veränderung gedacht war, verstoßen wird - das ist für einen Schriftsteller schon eine Mutprobe angesichts der lauernden Kitschfallen.
McCann tappt in einige, aber nicht in alle. Die Frauen tragen viele lange Röcke übereinander, flechten Münzen in ihr Haar, waschen sich nur in fließenden Gewässern oder gar nicht, tanzen, trinken, binden ihren Babys rote Bänder ums Handgelenk, es riecht nach Holzrauch und feuchter Erde, wie sollte es auch anders sein in einer solchen Geschichte? In dieser vielleicht unvermeidlichen, für den Leser mühsamen Folklore aber hält McCann verschiedene Bewegungen und Gegenbewegungen in Gang, die "Zoli" dann doch interessant machen. Er folgt der Bewegung Zolis aus der nur mündlichen Tradition, in der Frauen nicht viel gelten, in die Welt der Schrift, was eine Befreiungsbewegung ist und ein Verlust. Er zeigt, wie der Verstoß Zolis aus ihrer Sippe sie zu dem macht, was wie vorher gar nicht war, nämlich zu einer waschechten Zigeunerin, die Hühner stiehlt und für Kunden Steine wirft, um in ihnen die Zukunft zu lesen. Er folgt der Begeisterung für die Revolution, aus der heraus Zoli von einem Dichter und seinem Freund und Übersetzer gleichsam als "neue Frau" entdeckt wird - "wir schufen uns unsere Avantgarde", heißt es einmal -, über ironische Brüche - "Zigeuner, reiht Euch ein!" - in die vollkommene Entzauberung. Er zeichnet Zolis Liebe zu den Traditionen und die Unschuld, mit der sie aus ihnen heraustritt, und die unmögliche Versöhnung. Wer auch immer die Roma zu verstehen versucht in diesem Roman, ist schon dabei, ihr Leben zu zerstören, ihr Erbe zu enteignen.
In "Zoli" sprechen verschiedene Erzähler aus verschiedenen Zeiten, und Zoli selbst sagt als erwachsene Frau auf Seite 255 zum ersten Mal "ich". Für diesen Augenblick lebt der Roman. Doch es gibt Geschichten, die sind besser im Dokumentarischen aufgehoben als in der Fiktion. Das trifft nicht auf alle wahren Geschichten zu, "Der Tänzer" etwa war ein Beispiel dafür. Nach Lektüre von "Zoli" aber scheint es, als sei die Geschichte der Roma-Verfolgung doch eher Stoff für eine klassische, kühle Reportage.
Colum McCann: "Zoli". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Dirk van Gunsteren. Rowohlt Verlag, Reinbeck 2007. 383 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Colum McCann erzählt Zolis Geschichte / Von Verena Lueken
Wenn man ein totes Pferd von einer auf die andere Seite dreht, gluckert das Blut in seinem Innern wie das Wasser in lange nicht benutzten Rohren. Das ist eine der erstaunlichen Beobachtungen, die Colum McCann in seinem neuen Roman "Zoli" mit uns teilt. Sie ist nur das, eine Beobachtung ohne Hintersinn, ohne metaphorischen Mehrwert, ohne Gefühlsüberwölbung. Und es ist eine Beobachtung aus einer anderen Welt. Wer hievt schon ein totes Pferd herum?
"Zoli" ist der Roman einer Flucht - erst im Wohnwagen, den das Pferd gezogen hatte, dann zu Fuß, manchmal mit dem Zug, manchmal einem Transporter, einem Motorrad, einem Jeep, über Land, in Städte und aus Städten hinaus, über Grenzen, Berge und weitere Grenzen, vor den Faschisten, vor den Kommunisten, vor den eigenen Leuten, vor Kindern, vor Bauern, vor einem Mann und vor der persönlichen Geschichte, die für einen Augenblick so glorreich schien. Zoli, die Titelfigur, flieht mit kurzen mehr oder weniger glücklichen Unterbrechungen ihr ganzes Leben lang. Sie ist eine Zigeunerin, am Anfang noch ein Kind, das mit seinem Großvater in der Tschechoslowakei den Hlinka-Banden entkommt, später eine junge Frau, die singt und dichtet und die Revolution vorantreiben soll, die ihre Lieder und Gedichte aufschreibt und damit die alten Bräuche verrät und die von ihren Freunden und einem Mann, der sie liebt, ihrerseits verraten wird; am Ende ist sie eine alte Frau, und sie findet endlich ihre Stimme.
Lässt sich diese Geschichte jenseits der Klischees erzählen? Es ist dieselbe Frage, die sich schon bei McCanns letztem Roman "Der Tänzer", einer fiktiven Biographie von Rudolf Nurejew, stellte, und damals hieß die Antwort: Ja, McCann gelingt das. Der irische Autor, der seit langem in New York lebt, hat sein Schriftstellerleben lang gegen Klischees angeschrieben und es sich dabei nicht leichtgemacht. Das erste Klischee, das er bekämpfte, war das des "irischen Schriftstellers", und also schrieb er über alles Mögliche, über Mexiko etwa und den Hoch- und Tiefbau in New York, bevor er zum ersten Mal (in der starken Erzählsammlung "Wie alles in diesem Land") aus seinem Heimatland erzählte. Jetzt hat er sich, wie beim "Tänzer", wieder mit aller Vorstellungskraft und Recherchearbeit in ein Thema und eine Welt hineingewühlt, die so weit von Irland entfernt liegt wie der Mond, die Welt der Roma im östlichen Europa. Und doch ist das Thema, um das es im Innern geht, in McCanns Werk nicht neu. Es sind die Exilierten und was sie zurücklassen, was McCann interessiert. Aber dass es hier eine Roma ist, deren Geschichte sich von den dreißiger Jahren bis ins Jahr 2003 streckt, eine Roma, die singen kann und dichten und das Schreiben von ihrem Großvater gelernt hat, was allein sie schon zur Außenseiterin macht, und die, weil sie aufschreibt, was nur zur mündlichen Überlieferung und damit zur ständigen Veränderung gedacht war, verstoßen wird - das ist für einen Schriftsteller schon eine Mutprobe angesichts der lauernden Kitschfallen.
McCann tappt in einige, aber nicht in alle. Die Frauen tragen viele lange Röcke übereinander, flechten Münzen in ihr Haar, waschen sich nur in fließenden Gewässern oder gar nicht, tanzen, trinken, binden ihren Babys rote Bänder ums Handgelenk, es riecht nach Holzrauch und feuchter Erde, wie sollte es auch anders sein in einer solchen Geschichte? In dieser vielleicht unvermeidlichen, für den Leser mühsamen Folklore aber hält McCann verschiedene Bewegungen und Gegenbewegungen in Gang, die "Zoli" dann doch interessant machen. Er folgt der Bewegung Zolis aus der nur mündlichen Tradition, in der Frauen nicht viel gelten, in die Welt der Schrift, was eine Befreiungsbewegung ist und ein Verlust. Er zeigt, wie der Verstoß Zolis aus ihrer Sippe sie zu dem macht, was wie vorher gar nicht war, nämlich zu einer waschechten Zigeunerin, die Hühner stiehlt und für Kunden Steine wirft, um in ihnen die Zukunft zu lesen. Er folgt der Begeisterung für die Revolution, aus der heraus Zoli von einem Dichter und seinem Freund und Übersetzer gleichsam als "neue Frau" entdeckt wird - "wir schufen uns unsere Avantgarde", heißt es einmal -, über ironische Brüche - "Zigeuner, reiht Euch ein!" - in die vollkommene Entzauberung. Er zeichnet Zolis Liebe zu den Traditionen und die Unschuld, mit der sie aus ihnen heraustritt, und die unmögliche Versöhnung. Wer auch immer die Roma zu verstehen versucht in diesem Roman, ist schon dabei, ihr Leben zu zerstören, ihr Erbe zu enteignen.
In "Zoli" sprechen verschiedene Erzähler aus verschiedenen Zeiten, und Zoli selbst sagt als erwachsene Frau auf Seite 255 zum ersten Mal "ich". Für diesen Augenblick lebt der Roman. Doch es gibt Geschichten, die sind besser im Dokumentarischen aufgehoben als in der Fiktion. Das trifft nicht auf alle wahren Geschichten zu, "Der Tänzer" etwa war ein Beispiel dafür. Nach Lektüre von "Zoli" aber scheint es, als sei die Geschichte der Roma-Verfolgung doch eher Stoff für eine klassische, kühle Reportage.
Colum McCann: "Zoli". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Dirk van Gunsteren. Rowohlt Verlag, Reinbeck 2007. 383 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Yaak Karsunke schickt seiner Besprechung vorweg, dass er die Bezeichnung "Zigeuner" in keiner Weise abwertend meint, sondern allein historisch. Um die Geschichte einer jungen Zigeunerin geht es also in diesem neuen Roman Colum McCanns, den Karsunke geradezu bewunderungswürdig findet. McCann erzählt die Geschichte von Zoli, deren Eltern bei einem Pogrom der slowakischen Hlinka-Gardisten ermordet werden und die bei ihrem Großvater aufwächst, der ihr mit Karl Marx' "Kapital" das Lesen beibringt. Sie überlebt den Terror der slowakischen und schließlich deutschen Faschisten und reüssiert in der Nachkriegsslowakei als "proletarische Dichterin". Doch die revolutionäre Aufbruchstimmung verflüchtigt sich recht bald, erzählt Karsunke die Geschichte weiter nach, und Zoli dient nur noch der stalinistischen Kampagne zur Sesshaftmachung. Ihre Sippe verstößt sie, mit der Partei bricht sie selbst. Die Geschichte hat es dem Rezensenten angetan. Besonders bestechend findet er, wie McCann einer Lebensweise solch großen Respekt bezeugen kann, ohne sie zu "beschönigen oder gar zu idealisieren".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein großer Lesegenuss." -- Die Zeit
"Ein großartiges Buch und eine wunderbare Geschichte." -- Roddy Doyle
"Ein ganz großartiges Buch: frei, grausam, wild, schön, ernst." -- Elke Heidenreich
"Auch ein melancholisches Buch kann glücklich machen: Wenn die Sätze so schön sind, dass man sie ausschneiden möchte." -- Stern
"Eine wahrlich tolle Heldin für einen Roman." -- Neue Zürcher Zeitung
"Am Ende erzählt Zoli nicht nur die Geschichte der Roma, nicht nur eine Geschichte von Untergang und Überleben, sondern vor allem eine berückend schöne Geschichte vom unbändigen Willen der Menschen zum Glück." -- Frankfurter Neue Presse
"Ein großartiges Buch und eine wunderbare Geschichte." -- Roddy Doyle
"Ein ganz großartiges Buch: frei, grausam, wild, schön, ernst." -- Elke Heidenreich
"Auch ein melancholisches Buch kann glücklich machen: Wenn die Sätze so schön sind, dass man sie ausschneiden möchte." -- Stern
"Eine wahrlich tolle Heldin für einen Roman." -- Neue Zürcher Zeitung
"Am Ende erzählt Zoli nicht nur die Geschichte der Roma, nicht nur eine Geschichte von Untergang und Überleben, sondern vor allem eine berückend schöne Geschichte vom unbändigen Willen der Menschen zum Glück." -- Frankfurter Neue Presse
Ein großer Lesegenuss. Die Zeit