Zorro ist der maskierte Reiter, der in Kalifornien Anfang des letzten Jahrhunderts Freunde wie Feinde in Atem hält. Seinen Gegnern ritzt er mit der Spitze seines Degens ein Z in die Haut. Für die Bevölkerung ist er ein Held, weil er gegen die Großgrundbesitzer zu Felde zieht. Als der amerikanische Robin Hood 1819 erstmals in Aktion trat, war eine Legende geboren.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997Der Rächer ging auf Stelzen
Zum Lesen und Genießen: Hier ist Zorro, das Original / Von Ingeborg Harms
Zorro, das ist der dunkle Rächer aller Schwachen und Mißbrauchten, der seinen Mantel um den schlanken Leib zusammenrafft und sich durchs Fenster in die Freiheit rettet. Er ist der grausam schnelle Reiter, dessen Pferd sich in die Gafferreihen bäumt, und der verwegene Fechter, der mit der Degenspitze ein blutiges Z als Markenzeichen in die Stirnen seiner Gegner schlitzt. Mehr weiß man nicht von ihm, denn er trägt eine Maske. Daß die junge Lolita Pulido mit dem Maskenträger in den Tod zu gehen bereit ist, beweist, daß Frauen nicht um der bloßen Schönheit willen fallen, denn eine Pulido liebt nur einmal, und das ist wahr.
Wir kennen den guten Wilden, die fremde, aus der Nacht der Geschichte hervorbrechende Gestalt, deren Herz am rechten Fleck schlägt. Doch bei Johnston McCulley ist der gerechte Naive Kaliforniens größter Landbesitzer. Unwillens, seine politische Macht in direkter Weise einzusetzen, wählt er den anonymen Weg des anonymen Abenteurers. "Angefangen hat es vor zehn Jahren, als ich noch ein Knabe war, erklärt er seinen verblüfften Zuhörern beim operettenhaften Finale: "Ich hörte Geschichten von Verfolgung und Unterdrückung. Ich sah Soldaten einen alten Indianer, der mein Freund war, verprügeln. Und dann beschloß ich, dieses Spiel zu spielen." Heimlich erlernt Don Diego das Fechten, Reiten und Flirten. Bei Tage spielt er den verweichlichten Adelssprößling, der über alles Schießen lamentiert, das seine lyrischen Lektüren stört. Zum Ständchen schickt er der Señorita gar einen Diener unters Fenster, einen Mann, der, wie Don Diego lammfromm versichert, "Unglaubliches auf der Gitarre vollbringt".
Gut und Böse sind klar verteilt bei McCulley, doch die Trennungslinie verläuft nicht zwischen den Armen und den Reichen. Die Bösen sind die Individuen aller Art, die das Klassengefälle in diesem märchenhaften Kalifornien des frühen neunzehnten Jahrhunderts erbarmungslos zu ihrem Wohle nutzen. Gut sind jene, die der Versuchung widerstehen. Zorro zeigt in dieser Hinsicht mehr als nur Zivilcourage. Durch sein Maskenspiel versetzt er das Land am Meer in heroische Zeiten. Gerechtigkeit erhält noch einmal den Anschein, glänzend, präzise und augenblicklich zu sein wie der göttlich geschleuderte Blitz. Um diesen Effekt zu erzeugen, bedarf es der List und der Umsicht. Unablässig sammelt Zorro als Don Diego für sein Alter ego Informationen. So gelingt es ihm, sich im Moment der höchsten Not gleichsam aus dem Nichts heraus zu materialisieren. Es sind wohlvorbereitete Theatertricks, die das Volk für ihn begeistern. Und hier liegt die politische Parabel. Dem begeisternden Schauspiel gelingt, woran politisches Ränkespiel gescheitert wäre: die Macht im Staat herumzureißen. Den Höhepunkt der Erzählung bildet Zorros Wahlrede bei einem Gastmahl junger Adeliger. Der Maskierte gibt sich als einer der Ihren zu erkennen. "Das hat er uns versichert", erklärt einer der Getreuen später, "und wir glaubten ihm, denn es lag kein Falsch in seiner Stimme."
Das ist nicht eben unironisch. Natürlich verstellt Don Diego als Zorro seine Stimme, um sich nicht zu verraten. Doch gerade die Verstellung macht die Wahrhaftigkeit möglich. Alle schütteln den Kopf über die Brutalität des Gouverneurs. Doch nur Zorro läßt den Gefühlen Taten folgen. Klugheit muß geschmeidig und naturgleich sein, um sich selber treu zu bleiben. Der Maskierte nimmt das Böse wie ein Serum in sich auf und ist so dagegen gefeit. Die Philosophie nennt das Dialektik.
McCulleys Roman von 1919, der jetzt zum ersten Mal auf deutsch erscheint, ist auch ein Märchenbuch. Entgegen der landläufigen Ansicht sind die archaischen Modelle, die sich in Märchen wiederfinden lassen, durchaus nicht immer einfach. Vielleicht ist der bis zu den jüngsten Batman-Filmen anhaltende Einfluß des Zorro-Stoffes darauf zurückzuführen, daß sein Held die Schwierigkeiten und Widersprüche einer moralischen Existenz auf elegante Weise summiert. Aus der Grundkonstellation des Doppelgängers ergeben sich weitere bewegende Motive. Regeneration und Verwandlung, Liebestest und tragikomische Verwechslung sind wiederkehrende Ereignisse, die die Handlung strukturieren.
Ansonsten ist der Aufbau locker, Fallen, Konspirationen und Hinterhalte bringen niemanden zur Strecke, Macht und Ohnmacht bleiben eindeutig verteilt. Das führt zur ruckhaften Dramatik der Schattenspiele und Scherenschnitte. Unaufhörlich inszeniert der Text dasselbe Bravourstück, das Sich-Brüsten der Bösewichte und den tänzerischen Sieg des Señor Zorro. Unter dem Titel "Der Fluch von Capistrano" erschien die Zorro-Erzählung zunächst über mehrere Wochen verteilt in einer Zeitschrift. Grob sichtbar bleiben die Nähte, die das Geschehen notdürftig zusammenhalten. Das Typenhafte der Figuren ist wie für den Comic strip gemacht. Der Aufschneider, die feurige Schönheit, strahlender Held und gestrenger Vater sind Konstanten, die das Happy-End als Programm schon in sich tragen. Den mechanistischen Effekt unterstützen stereotypische Wendungen, geschraubte Redeweisen und ein vom Refrain zehrender Erzähler.
Warum hat dieser Thriller auf Stelzen so viele Liebhaber gefunden? Vielleicht gilt unsere tiefste Lesersehnsucht nicht der realistischen Wahrhaftigkeit und den glaubwürdigen Gefühlen. Vielleicht verlangen wir im Innersten nach dem Hauruckgeschäft des Kasperletheaters und der grotesken Zauberformel "Knüppel aus dem Sack!" Auch in der Welt der Literatur ist das Triumphgeheul vernehmbar, das die Fußballstadien durchdröhnt. Wir wollen Siegfried, wir wollen den Drachen und dann den Siegerpokal. Wenn das Ergebnis feststeht, drücken wir bei der Orchestrierung der nötigen Wunder gern ein Auge zu.
Johnston McCulley: "Zorro". Der Originalroman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Carsten Mayer. Nymphenburger Verlagsbuchhandlung, München 1997.
304 S., geb., 29,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zum Lesen und Genießen: Hier ist Zorro, das Original / Von Ingeborg Harms
Zorro, das ist der dunkle Rächer aller Schwachen und Mißbrauchten, der seinen Mantel um den schlanken Leib zusammenrafft und sich durchs Fenster in die Freiheit rettet. Er ist der grausam schnelle Reiter, dessen Pferd sich in die Gafferreihen bäumt, und der verwegene Fechter, der mit der Degenspitze ein blutiges Z als Markenzeichen in die Stirnen seiner Gegner schlitzt. Mehr weiß man nicht von ihm, denn er trägt eine Maske. Daß die junge Lolita Pulido mit dem Maskenträger in den Tod zu gehen bereit ist, beweist, daß Frauen nicht um der bloßen Schönheit willen fallen, denn eine Pulido liebt nur einmal, und das ist wahr.
Wir kennen den guten Wilden, die fremde, aus der Nacht der Geschichte hervorbrechende Gestalt, deren Herz am rechten Fleck schlägt. Doch bei Johnston McCulley ist der gerechte Naive Kaliforniens größter Landbesitzer. Unwillens, seine politische Macht in direkter Weise einzusetzen, wählt er den anonymen Weg des anonymen Abenteurers. "Angefangen hat es vor zehn Jahren, als ich noch ein Knabe war, erklärt er seinen verblüfften Zuhörern beim operettenhaften Finale: "Ich hörte Geschichten von Verfolgung und Unterdrückung. Ich sah Soldaten einen alten Indianer, der mein Freund war, verprügeln. Und dann beschloß ich, dieses Spiel zu spielen." Heimlich erlernt Don Diego das Fechten, Reiten und Flirten. Bei Tage spielt er den verweichlichten Adelssprößling, der über alles Schießen lamentiert, das seine lyrischen Lektüren stört. Zum Ständchen schickt er der Señorita gar einen Diener unters Fenster, einen Mann, der, wie Don Diego lammfromm versichert, "Unglaubliches auf der Gitarre vollbringt".
Gut und Böse sind klar verteilt bei McCulley, doch die Trennungslinie verläuft nicht zwischen den Armen und den Reichen. Die Bösen sind die Individuen aller Art, die das Klassengefälle in diesem märchenhaften Kalifornien des frühen neunzehnten Jahrhunderts erbarmungslos zu ihrem Wohle nutzen. Gut sind jene, die der Versuchung widerstehen. Zorro zeigt in dieser Hinsicht mehr als nur Zivilcourage. Durch sein Maskenspiel versetzt er das Land am Meer in heroische Zeiten. Gerechtigkeit erhält noch einmal den Anschein, glänzend, präzise und augenblicklich zu sein wie der göttlich geschleuderte Blitz. Um diesen Effekt zu erzeugen, bedarf es der List und der Umsicht. Unablässig sammelt Zorro als Don Diego für sein Alter ego Informationen. So gelingt es ihm, sich im Moment der höchsten Not gleichsam aus dem Nichts heraus zu materialisieren. Es sind wohlvorbereitete Theatertricks, die das Volk für ihn begeistern. Und hier liegt die politische Parabel. Dem begeisternden Schauspiel gelingt, woran politisches Ränkespiel gescheitert wäre: die Macht im Staat herumzureißen. Den Höhepunkt der Erzählung bildet Zorros Wahlrede bei einem Gastmahl junger Adeliger. Der Maskierte gibt sich als einer der Ihren zu erkennen. "Das hat er uns versichert", erklärt einer der Getreuen später, "und wir glaubten ihm, denn es lag kein Falsch in seiner Stimme."
Das ist nicht eben unironisch. Natürlich verstellt Don Diego als Zorro seine Stimme, um sich nicht zu verraten. Doch gerade die Verstellung macht die Wahrhaftigkeit möglich. Alle schütteln den Kopf über die Brutalität des Gouverneurs. Doch nur Zorro läßt den Gefühlen Taten folgen. Klugheit muß geschmeidig und naturgleich sein, um sich selber treu zu bleiben. Der Maskierte nimmt das Böse wie ein Serum in sich auf und ist so dagegen gefeit. Die Philosophie nennt das Dialektik.
McCulleys Roman von 1919, der jetzt zum ersten Mal auf deutsch erscheint, ist auch ein Märchenbuch. Entgegen der landläufigen Ansicht sind die archaischen Modelle, die sich in Märchen wiederfinden lassen, durchaus nicht immer einfach. Vielleicht ist der bis zu den jüngsten Batman-Filmen anhaltende Einfluß des Zorro-Stoffes darauf zurückzuführen, daß sein Held die Schwierigkeiten und Widersprüche einer moralischen Existenz auf elegante Weise summiert. Aus der Grundkonstellation des Doppelgängers ergeben sich weitere bewegende Motive. Regeneration und Verwandlung, Liebestest und tragikomische Verwechslung sind wiederkehrende Ereignisse, die die Handlung strukturieren.
Ansonsten ist der Aufbau locker, Fallen, Konspirationen und Hinterhalte bringen niemanden zur Strecke, Macht und Ohnmacht bleiben eindeutig verteilt. Das führt zur ruckhaften Dramatik der Schattenspiele und Scherenschnitte. Unaufhörlich inszeniert der Text dasselbe Bravourstück, das Sich-Brüsten der Bösewichte und den tänzerischen Sieg des Señor Zorro. Unter dem Titel "Der Fluch von Capistrano" erschien die Zorro-Erzählung zunächst über mehrere Wochen verteilt in einer Zeitschrift. Grob sichtbar bleiben die Nähte, die das Geschehen notdürftig zusammenhalten. Das Typenhafte der Figuren ist wie für den Comic strip gemacht. Der Aufschneider, die feurige Schönheit, strahlender Held und gestrenger Vater sind Konstanten, die das Happy-End als Programm schon in sich tragen. Den mechanistischen Effekt unterstützen stereotypische Wendungen, geschraubte Redeweisen und ein vom Refrain zehrender Erzähler.
Warum hat dieser Thriller auf Stelzen so viele Liebhaber gefunden? Vielleicht gilt unsere tiefste Lesersehnsucht nicht der realistischen Wahrhaftigkeit und den glaubwürdigen Gefühlen. Vielleicht verlangen wir im Innersten nach dem Hauruckgeschäft des Kasperletheaters und der grotesken Zauberformel "Knüppel aus dem Sack!" Auch in der Welt der Literatur ist das Triumphgeheul vernehmbar, das die Fußballstadien durchdröhnt. Wir wollen Siegfried, wir wollen den Drachen und dann den Siegerpokal. Wenn das Ergebnis feststeht, drücken wir bei der Orchestrierung der nötigen Wunder gern ein Auge zu.
Johnston McCulley: "Zorro". Der Originalroman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Carsten Mayer. Nymphenburger Verlagsbuchhandlung, München 1997.
304 S., geb., 29,90 DM.
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