»Zu den Sachen!« Das war die Devise und das Programm der von Edmund Husserl begründeten Phänomenologie. Die Art, wie Hans Blumenberg an sie anknüpft, wird bereits im Titel seines Buches deutlich genug. Neben und nach der Unmittelbarkeit der Anschauung muß auch die Distanz zu ihrem Recht kommen: der Begriff, das Symbol, die Metapher, alle Formen der Indirektheit und der Delegation.
Ausgangspunkte der Beschreibungen sind immer wieder Manuskripte aus Husserls Nachlaß. Wo man dem Phänomenologen beim frischen Ausprobieren, bei riskanten überlegungen und freimütiger Selbstkorrektur zuschauen kann, lassen sich auch die Anfänge jener Wege finden, die zu beschreiten Husserl dann doch zurückschreckte.
Zu den Themen Blumenbergs, die sich daraus ergeben, gehört das Verhältnis von Tastsinn und Sehsinn, von Aufmerksamkeit und Auffälligkeit, von Reflexion und Reduktion, von Retention und Erinnerung, von Subjektivität und Intersubjektivität. Immer wieder überrascht Blumenberg den Lesermit erhellenden Einblendungen, in denen Kant und Wittgenstein, Schopenhauer, Nietzsche und Freud zu Wort kommen. Zu den Sachen und zurück erweist sich als eine philosophische Grundlegung für Blumenbergs Projekt einer im Gegenzug zu Heidegger konzipierten genuin phänomenologischen Anthropologie.
Ausgangspunkte der Beschreibungen sind immer wieder Manuskripte aus Husserls Nachlaß. Wo man dem Phänomenologen beim frischen Ausprobieren, bei riskanten überlegungen und freimütiger Selbstkorrektur zuschauen kann, lassen sich auch die Anfänge jener Wege finden, die zu beschreiten Husserl dann doch zurückschreckte.
Zu den Themen Blumenbergs, die sich daraus ergeben, gehört das Verhältnis von Tastsinn und Sehsinn, von Aufmerksamkeit und Auffälligkeit, von Reflexion und Reduktion, von Retention und Erinnerung, von Subjektivität und Intersubjektivität. Immer wieder überrascht Blumenberg den Lesermit erhellenden Einblendungen, in denen Kant und Wittgenstein, Schopenhauer, Nietzsche und Freud zu Wort kommen. Zu den Sachen und zurück erweist sich als eine philosophische Grundlegung für Blumenbergs Projekt einer im Gegenzug zu Heidegger konzipierten genuin phänomenologischen Anthropologie.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2002Schalen Genüssen mußt du entsagen
Wie Hans Blumenberg sich von seinem Lehrmeister Husserl löst / Von Ralf Konersmann
Einmal, in seinen Bemerkungen zu einer Theorie der Unbegrifflichkeit, bezeichnet der 1996 verstorbene Philosoph Hans Blumenberg sein eigenes Denken resümierend als "historische Phänomenologie". Die Formel fällt fast beiläufig, bleibt ohne erkennbare Emphase, erst recht ohne Bestimmtheit einer erschöpfenden Definition.
Eine Monographie dieses Titels ist nie zustande gekommen. Das mußte wohl so sein, da die Perspektive einer historischen Phänomenologie allen Versuchen widerstanden hätte, sie in die Form einer separaten Systematik zu überführen und strikt als Methode darzulegen. Die einmal ausgegebene Formel war gleichwohl aufschlußreich. Mochte sie auch gerade jene Fragen dahingestellt sein lassen, deren Beantwortung dem spezifischen "Ansatz" Blumenbergs zu den in der scientific community beliebten Etikettierungen verholfen hätte, so war doch jedem Kenner sofort klar, daß ein solches Unterfangen vor sich selbst nur im Erfolg seiner Erprobung bestehen würde. Das schloß auch die Anforderung mit ein, sich der Konkurrenz der Deutungen zu stellen. Philosophie, wie Blumenberg sie verstand und praktizierte, entspringt nicht aus der Selbstgenügsamkeit einsamer Weltbeschreibung, sondern aus der Verständigung der Beobachter darüber, was sie gesehen und, vermittelt durch Sprache, einander zu sehen zu geben haben.
Philosophie, dieser plakativen Bestimmung hätte auch der Filigranarbeiter Blumenberg seine Zustimmung nicht versagt, ist unter allen Umständen ein intersubjektives Geschehen. Die nun dem Nachlaß des Philosophen entnommenen Reflexionen über Husserl, die durch vergleichende Seitenblicke auf Freud und Wittgenstein, auf Schopenhauer und Heidegger interpunktiert werden, sind eine einzige Bestätigung dieser These. Im Zuge ihrer sukzessiven Entfaltung stellt sich heraus, daß die denkgeschichtliche Leistung des Neugründers der philosophischen Phänomenologie gerade hier, bei der dem Austausch verpflichteten Verbalisierung der gewonnenen Einsichten, mit einem Wort: auf dem für die phänomenologische Tätigkeit so bedeutsamen Feld der "Beschreibung", an ihre für Husserl nicht mehr bezwingbaren Grenzen stieß. Lediglich als Mittel der Deskription geduldet, blieb die Sprache für ihn eine Verlegenheit, die zur Anschauung und zum Gewinn der philosophischen Erkenntnis nicht nur nichts beizutragen hatte, sondern ihr im Zweifelsfall sogar im Weg stand.
Es ist freilich nicht eigentlich der Ertrag, mithin die Pointierung der Husserl-Kritik selbst, die den Nachvollzug dieser Einblicke in die phänomenologische Praxis zum Erlebnis macht; es ist die Art und Weise, wie die Resultate gewonnen werden. Blumenberg selbst nennt seine hart am Textmassiv der Husserliana entlanggeführten Reflexionen "Beobachtung am Phänomenologen", und die mit dieser Fügung heraufbeschworene Gedankenverbindung zu Autopsie und Vivisektion ist zweifellos gewollt. Wer in solcher Eindringlichkeit etwas Ungebührliches, gar einen Brutalismus der Interpretation ausmachen möchte, verkennt, daß Husserl selbst beständig hinter seiner philosophischen Arbeit, vor allem aber hinter seinen immensen, schon in den gewaltigen Dimensionen ihres Umfangs dokumentierten Anstrengungen der Verschriftlichung auf der Lauer gelegen hat. Die in den überlieferten Manuskripten ausgestreuten Selbstkommentare sind unmißverständlich, und nicht selten erreichen sie die selbstkritische Schärfe und Unnachsichtigkeit puritanischer Selbstbezichtigung. "Das wäre näher zu studieren", heißt es da oder: "Das muß viel besser ausgeführt werden." Energischer die Bleistiftnotiz: "Nein! . . . das ergibt keinen Sinn" oder: "ich habe mich wieder in Verwirrung führen lassen". Schließlich dann, mit Rotstift: "Höchst wichtig als Schutzabwehr gegen manche große Verwirrungen, die ich in diesem Monat März-April 1912 begangen habe."
Es darf bezweifelt werden, ob die Nachwelt von derlei Textspuren jemals Kenntnis erhalten hätte, wären nicht maßgebliche Werke Husserls statt von ihm selbst aus dem Nachlaß ediert worden. Um so nachdrücklicher stellt sich die Frage, was es damit auf sich hat. Blumenberg regt an, in den Selbstermahnungen Husserls den Zusammenhang zu sehen. Weit mehr als nur Merkposten für in unbestimmter Zukunft auszuführende Nachbesserungsarbeiten, seien Husserls Rituale der Selbstkritik und der "Selbstverblüffung" symptomatisch. Sie verweisen, so Blumenberg, auf den blinden Fleck in der von Husserl durchgehaltenen und an die Grenzen ihrer Möglichkeit geführten philosophischen Ambition.
Blumenbergs replikartiges "und zurück" im Titel ist Erwiderung und Ergänzung zugleich. Beide beziehen sich auf eine Bemerkung Nietzsches, die Blumenberg vergleichsweise spät einführt. Diese Bemerkung ist denkbar lapidar und lautet: "Für ein rein erkennendes Wesen wäre die Erkenntnis gleichgültig." Blumenberg nimmt den Satz als Relevanzbehauptung von Kontingenz und damit als Hervorkehrung gerade dessen, was die phänomenologische Reduktion in der Erwartung des Evidenzgewinns entschlossen beiseite läßt: Dasein, "Existenz". Vor die Wahl zwischen "Sachen" und "Welt" gestellt, hatte sich der Phänomenologe für die "Weltvernichtung" (Husserl) entschieden. Der Preis, den er dafür zahlen mußte, bestand in einer dreifachen Verfehlung: der Verfehlung der historischen, der kommunikativen sowie der anthropologischen Implikation des philosophischen Denkens.
Das ist nicht leichthin gesprochen. Die Kritik resümiert eine jahrzehntelange Auseinandersetzung - die passionierteste vielleicht, die Blumenberg geführt hat. 1950 habilitierte er sich als Dreißigjähriger mit einer Arbeit über Husserl, dem auch seine erste Aufsatzpublikation gewidmet war. Die mittlerweile zugänglichen Teile des Nachlasses schließlich - vor allem "Ein mögliches Selbstverständnis" von 1997 und die "Lebensthemen" ein Jahr darauf - bestätigen den Eindruck einer lebenslangen Faszination. Um so schwerer wiegen die vorliegenden Distanzierungen. Sie lassen den Denkweg Blumenbergs als Ablösungsprozeß erscheinen, als einen mit Husserl begonnenen, von Husserl-Lektüren gesäumten Weg, der schließlich über Husserl und die Phänomenologie hinausführte.
Der Abstand wuchs, nachdem Blumenberg sich für "den Schritt auf anthropologisches Gelände" entschieden hatte - nicht mit dem Geltungsanspruch einer philosophischen Anthropologie, wohl aber im Sinne einer Heuristik, die der Philosophie die von ihr betrachtete Welt als eine Welt des Menschen vor Augen stellt. Die anthropologische Erweiterung ist die elementare Geste einer Phänomenologie, die essentiell "historisch" geworden ist, um den Wandel der Sinnwelten in der Zeit zu erfassen. Man kann, so erläutert Blumenberg den Abschied von den Reinheitsforderungen der phänomenologischen Anfangszeit, "das Ding nicht ohne die Welt haben".
Die Folgen dieses Einwandes für das Konzept einer philosophischen Phänomenologie können gar nicht überschätzt werden. Gleichwohl muß hier abschließend gesagt werden, daß der vorliegende Band als bloßes Dokument einer intellektuellen Biographie ebenso unterschätzt wäre wie als Sekundärliteratur zu Husserl. Viel wichtiger ist die eingenommene Haltung der, um ein Wort von Paul Valéry aufzunehmen, résistance au facile: des Widerstandes gegen den leichten Weg. Blumenberg hat daraus ein philosophisches Ethos geformt, das die disziplinierte Vermeidung alles Vagen und immer schon Geglaubten mit einer Freizügigkeit der Deutungspraxis verbindet, die der Lohn geduldig erarbeiteter Distanz ist. In den besten Passagen dieses Buches tritt der Autor an die Seite des Lesers und gewährt ihm großzügig Einblick in die philosophische Werkstatt.
Hans Blumenberg: "Zu den Sachen und zurück". Aus dem Nachlaß herausgegeben von Manfred Sommer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 360 S., geb., 35,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie Hans Blumenberg sich von seinem Lehrmeister Husserl löst / Von Ralf Konersmann
Einmal, in seinen Bemerkungen zu einer Theorie der Unbegrifflichkeit, bezeichnet der 1996 verstorbene Philosoph Hans Blumenberg sein eigenes Denken resümierend als "historische Phänomenologie". Die Formel fällt fast beiläufig, bleibt ohne erkennbare Emphase, erst recht ohne Bestimmtheit einer erschöpfenden Definition.
Eine Monographie dieses Titels ist nie zustande gekommen. Das mußte wohl so sein, da die Perspektive einer historischen Phänomenologie allen Versuchen widerstanden hätte, sie in die Form einer separaten Systematik zu überführen und strikt als Methode darzulegen. Die einmal ausgegebene Formel war gleichwohl aufschlußreich. Mochte sie auch gerade jene Fragen dahingestellt sein lassen, deren Beantwortung dem spezifischen "Ansatz" Blumenbergs zu den in der scientific community beliebten Etikettierungen verholfen hätte, so war doch jedem Kenner sofort klar, daß ein solches Unterfangen vor sich selbst nur im Erfolg seiner Erprobung bestehen würde. Das schloß auch die Anforderung mit ein, sich der Konkurrenz der Deutungen zu stellen. Philosophie, wie Blumenberg sie verstand und praktizierte, entspringt nicht aus der Selbstgenügsamkeit einsamer Weltbeschreibung, sondern aus der Verständigung der Beobachter darüber, was sie gesehen und, vermittelt durch Sprache, einander zu sehen zu geben haben.
Philosophie, dieser plakativen Bestimmung hätte auch der Filigranarbeiter Blumenberg seine Zustimmung nicht versagt, ist unter allen Umständen ein intersubjektives Geschehen. Die nun dem Nachlaß des Philosophen entnommenen Reflexionen über Husserl, die durch vergleichende Seitenblicke auf Freud und Wittgenstein, auf Schopenhauer und Heidegger interpunktiert werden, sind eine einzige Bestätigung dieser These. Im Zuge ihrer sukzessiven Entfaltung stellt sich heraus, daß die denkgeschichtliche Leistung des Neugründers der philosophischen Phänomenologie gerade hier, bei der dem Austausch verpflichteten Verbalisierung der gewonnenen Einsichten, mit einem Wort: auf dem für die phänomenologische Tätigkeit so bedeutsamen Feld der "Beschreibung", an ihre für Husserl nicht mehr bezwingbaren Grenzen stieß. Lediglich als Mittel der Deskription geduldet, blieb die Sprache für ihn eine Verlegenheit, die zur Anschauung und zum Gewinn der philosophischen Erkenntnis nicht nur nichts beizutragen hatte, sondern ihr im Zweifelsfall sogar im Weg stand.
Es ist freilich nicht eigentlich der Ertrag, mithin die Pointierung der Husserl-Kritik selbst, die den Nachvollzug dieser Einblicke in die phänomenologische Praxis zum Erlebnis macht; es ist die Art und Weise, wie die Resultate gewonnen werden. Blumenberg selbst nennt seine hart am Textmassiv der Husserliana entlanggeführten Reflexionen "Beobachtung am Phänomenologen", und die mit dieser Fügung heraufbeschworene Gedankenverbindung zu Autopsie und Vivisektion ist zweifellos gewollt. Wer in solcher Eindringlichkeit etwas Ungebührliches, gar einen Brutalismus der Interpretation ausmachen möchte, verkennt, daß Husserl selbst beständig hinter seiner philosophischen Arbeit, vor allem aber hinter seinen immensen, schon in den gewaltigen Dimensionen ihres Umfangs dokumentierten Anstrengungen der Verschriftlichung auf der Lauer gelegen hat. Die in den überlieferten Manuskripten ausgestreuten Selbstkommentare sind unmißverständlich, und nicht selten erreichen sie die selbstkritische Schärfe und Unnachsichtigkeit puritanischer Selbstbezichtigung. "Das wäre näher zu studieren", heißt es da oder: "Das muß viel besser ausgeführt werden." Energischer die Bleistiftnotiz: "Nein! . . . das ergibt keinen Sinn" oder: "ich habe mich wieder in Verwirrung führen lassen". Schließlich dann, mit Rotstift: "Höchst wichtig als Schutzabwehr gegen manche große Verwirrungen, die ich in diesem Monat März-April 1912 begangen habe."
Es darf bezweifelt werden, ob die Nachwelt von derlei Textspuren jemals Kenntnis erhalten hätte, wären nicht maßgebliche Werke Husserls statt von ihm selbst aus dem Nachlaß ediert worden. Um so nachdrücklicher stellt sich die Frage, was es damit auf sich hat. Blumenberg regt an, in den Selbstermahnungen Husserls den Zusammenhang zu sehen. Weit mehr als nur Merkposten für in unbestimmter Zukunft auszuführende Nachbesserungsarbeiten, seien Husserls Rituale der Selbstkritik und der "Selbstverblüffung" symptomatisch. Sie verweisen, so Blumenberg, auf den blinden Fleck in der von Husserl durchgehaltenen und an die Grenzen ihrer Möglichkeit geführten philosophischen Ambition.
Blumenbergs replikartiges "und zurück" im Titel ist Erwiderung und Ergänzung zugleich. Beide beziehen sich auf eine Bemerkung Nietzsches, die Blumenberg vergleichsweise spät einführt. Diese Bemerkung ist denkbar lapidar und lautet: "Für ein rein erkennendes Wesen wäre die Erkenntnis gleichgültig." Blumenberg nimmt den Satz als Relevanzbehauptung von Kontingenz und damit als Hervorkehrung gerade dessen, was die phänomenologische Reduktion in der Erwartung des Evidenzgewinns entschlossen beiseite läßt: Dasein, "Existenz". Vor die Wahl zwischen "Sachen" und "Welt" gestellt, hatte sich der Phänomenologe für die "Weltvernichtung" (Husserl) entschieden. Der Preis, den er dafür zahlen mußte, bestand in einer dreifachen Verfehlung: der Verfehlung der historischen, der kommunikativen sowie der anthropologischen Implikation des philosophischen Denkens.
Das ist nicht leichthin gesprochen. Die Kritik resümiert eine jahrzehntelange Auseinandersetzung - die passionierteste vielleicht, die Blumenberg geführt hat. 1950 habilitierte er sich als Dreißigjähriger mit einer Arbeit über Husserl, dem auch seine erste Aufsatzpublikation gewidmet war. Die mittlerweile zugänglichen Teile des Nachlasses schließlich - vor allem "Ein mögliches Selbstverständnis" von 1997 und die "Lebensthemen" ein Jahr darauf - bestätigen den Eindruck einer lebenslangen Faszination. Um so schwerer wiegen die vorliegenden Distanzierungen. Sie lassen den Denkweg Blumenbergs als Ablösungsprozeß erscheinen, als einen mit Husserl begonnenen, von Husserl-Lektüren gesäumten Weg, der schließlich über Husserl und die Phänomenologie hinausführte.
Der Abstand wuchs, nachdem Blumenberg sich für "den Schritt auf anthropologisches Gelände" entschieden hatte - nicht mit dem Geltungsanspruch einer philosophischen Anthropologie, wohl aber im Sinne einer Heuristik, die der Philosophie die von ihr betrachtete Welt als eine Welt des Menschen vor Augen stellt. Die anthropologische Erweiterung ist die elementare Geste einer Phänomenologie, die essentiell "historisch" geworden ist, um den Wandel der Sinnwelten in der Zeit zu erfassen. Man kann, so erläutert Blumenberg den Abschied von den Reinheitsforderungen der phänomenologischen Anfangszeit, "das Ding nicht ohne die Welt haben".
Die Folgen dieses Einwandes für das Konzept einer philosophischen Phänomenologie können gar nicht überschätzt werden. Gleichwohl muß hier abschließend gesagt werden, daß der vorliegende Band als bloßes Dokument einer intellektuellen Biographie ebenso unterschätzt wäre wie als Sekundärliteratur zu Husserl. Viel wichtiger ist die eingenommene Haltung der, um ein Wort von Paul Valéry aufzunehmen, résistance au facile: des Widerstandes gegen den leichten Weg. Blumenberg hat daraus ein philosophisches Ethos geformt, das die disziplinierte Vermeidung alles Vagen und immer schon Geglaubten mit einer Freizügigkeit der Deutungspraxis verbindet, die der Lohn geduldig erarbeiteter Distanz ist. In den besten Passagen dieses Buches tritt der Autor an die Seite des Lesers und gewährt ihm großzügig Einblick in die philosophische Werkstatt.
Hans Blumenberg: "Zu den Sachen und zurück". Aus dem Nachlaß herausgegeben von Manfred Sommer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 360 S., geb., 35,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dieses Buch, berichtet Jürgen Busche, stammt aus dem Nachlass des 1996 verstorbenen Philosophen, wurde aber von ihm selber noch vorbereitet. Busche findet es in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: zum einen stelle es eine überaus kenntnisreiche Studie zu den Problemen der Phänomenologie dar, letztere von Blumenberg folgendermaßen erklärt: "Phänomenologie ist definiert als Überführung von Selbstverständlichkeiten in Verständlichkeiten"; zum anderen enthalte der Band Bekenntnishaftes und Polemisches, wie man es von einem so gelehrten Mann kaum erwarten würde, staunt Busche. Für ihn schimmern an solchen Textstellen persönliche Verletzungen und Enttäuschungen Blumenbergs durch, die diesen dazu geführt haben, alles Prätentiöse und Hochmütige abzulehnen. Blumenberg war auf der Suche nach einfachen Erklärungen, klaren Sachen. Seine Philosophie-Definition lautet, zitiert ihn der Rezensent: "Philosophie ist, worauf man beinahe von selbst gekommen ist." Busche liefert verschiedene markante Zitate, die Lust machen, in diese einfach-komplizierte Materie einzutauchen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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