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»Zu den Sachen!« Das war die Devise und das Programm der von Edmund Husserl begründeten Phänomenologie. Die Art, wie Hans Blumenberg an sie anknüpft, wird bereits im Titel seines Buches deutlich genug. Neben und nach der Unmittelbarkeit der Anschauung muß auch die Distanz zu ihrem Recht kommen: der Begriff, das Symbol, die Metapher, alle Formen der Indirektheit und der Delegation. Ausgangspunkte der Beschreibungen sind immer wieder Manuskripte aus Husserls Nachlaß. Wo man dem Phänomenologen beim frischen Ausprobieren, bei riskanten überlegungen und freimütiger Selbstkorrektur zuschauen kann,…mehr

Produktbeschreibung
»Zu den Sachen!« Das war die Devise und das Programm der von Edmund Husserl begründeten Phänomenologie. Die Art, wie Hans Blumenberg an sie anknüpft, wird bereits im Titel seines Buches deutlich genug. Neben und nach der Unmittelbarkeit der Anschauung muß auch die Distanz zu ihrem Recht kommen: der Begriff, das Symbol, die Metapher, alle Formen der Indirektheit und der Delegation.
Ausgangspunkte der Beschreibungen sind immer wieder Manuskripte aus Husserls Nachlaß. Wo man dem Phänomenologen beim frischen Ausprobieren, bei riskanten überlegungen und freimütiger Selbstkorrektur zuschauen kann, lassen sich auch die Anfänge jener Wege finden, die zu beschreiten Husserl dann doch zurückschreckte.
Zu den Themen Blumenbergs, die sich daraus ergeben, gehört das Verhältnis von Tastsinn und Sehsinn, von Aufmerksamkeit und Auffälligkeit, von Reflexion und Reduktion, von Retention und Erinnerung, von Subjektivität und Intersubjektivität. Immer wieder überrascht Blumenberg den Lesermit erhellenden Einblendungen, in denen Kant und Wittgenstein, Schopenhauer, Nietzsche und Freud zu Wort kommen. Zu den Sachen und zurück erweist sich als eine philosophische Grundlegung für Blumenbergs Projekt einer im Gegenzug zu Heidegger konzipierten genuin phänomenologischen Anthropologie.
Autorenporträt
Hans Blumenberg wurde am 13. Juli 1920 in Lübeck geboren und starb am 28. März 1996 in Altenberge bei Münster. Nach seinem Abitur im Jahr 1939 durfte er keine reguläre Hochschule besuchen. Er galt trotz seiner katholischen Taufe als 'Halbjude'. Folglich studierte Blumenberg zwischen 1939 und 1947 mit Unterbrechungen Philosophie, Germanistik und klassische Philosophie in Paderborn, Frankfurt am Main, Hamburg und Kiel. 1947 wurde Blumenberg mit seiner Dissertation Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit der mittelalterlich-scholastischen Ontologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel promoviert. Hier habilitierte er sich 1950 mit der Studie Die ontologische Distanz. Eine Untersuchung über die Krisis der Phänomenologie Husserls. Sein Lehrer während dieser Zeit war Ludwig Landgrebe. Im Jahr 1958 wurde Blumenberg in Hamburg außerordentlicher Professor für Philosophie und 1960 in Gießen ordentlicher Professor für Philosophie. 1965 wechselte er als ordentlicher Professorfür Philosophie nach Bochum und ging im Jahr 1970 an die Westfälische Wilhelms-Universität Münster, wo er 1985 emeritiert wurde. Blumenberg war Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz (seit 1960), des Senats der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Mitgründer der 1963 ins Leben gerufenen Forschungsgruppe »Poetik und Hermeneutik«.

Manfred Sommer, geboren 1945, war bis zu seiner Pensionierung 2010 Professor für Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Er ist u. a. Herausgeber zahlreicher Schriften Hans Blumenbergs aus dem Nachlass.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2002

Schalen Genüssen mußt du entsagen
Wie Hans Blumenberg sich von seinem Lehrmeister Husserl löst / Von Ralf Konersmann

Einmal, in seinen Bemerkungen zu einer Theorie der Unbegrifflichkeit, bezeichnet der 1996 verstorbene Philosoph Hans Blumenberg sein eigenes Denken resümierend als "historische Phänomenologie". Die Formel fällt fast beiläufig, bleibt ohne erkennbare Emphase, erst recht ohne Bestimmtheit einer erschöpfenden Definition.

Eine Monographie dieses Titels ist nie zustande gekommen. Das mußte wohl so sein, da die Perspektive einer historischen Phänomenologie allen Versuchen widerstanden hätte, sie in die Form einer separaten Systematik zu überführen und strikt als Methode darzulegen. Die einmal ausgegebene Formel war gleichwohl aufschlußreich. Mochte sie auch gerade jene Fragen dahingestellt sein lassen, deren Beantwortung dem spezifischen "Ansatz" Blumenbergs zu den in der scientific community beliebten Etikettierungen verholfen hätte, so war doch jedem Kenner sofort klar, daß ein solches Unterfangen vor sich selbst nur im Erfolg seiner Erprobung bestehen würde. Das schloß auch die Anforderung mit ein, sich der Konkurrenz der Deutungen zu stellen. Philosophie, wie Blumenberg sie verstand und praktizierte, entspringt nicht aus der Selbstgenügsamkeit einsamer Weltbeschreibung, sondern aus der Verständigung der Beobachter darüber, was sie gesehen und, vermittelt durch Sprache, einander zu sehen zu geben haben.

Philosophie, dieser plakativen Bestimmung hätte auch der Filigranarbeiter Blumenberg seine Zustimmung nicht versagt, ist unter allen Umständen ein intersubjektives Geschehen. Die nun dem Nachlaß des Philosophen entnommenen Reflexionen über Husserl, die durch vergleichende Seitenblicke auf Freud und Wittgenstein, auf Schopenhauer und Heidegger interpunktiert werden, sind eine einzige Bestätigung dieser These. Im Zuge ihrer sukzessiven Entfaltung stellt sich heraus, daß die denkgeschichtliche Leistung des Neugründers der philosophischen Phänomenologie gerade hier, bei der dem Austausch verpflichteten Verbalisierung der gewonnenen Einsichten, mit einem Wort: auf dem für die phänomenologische Tätigkeit so bedeutsamen Feld der "Beschreibung", an ihre für Husserl nicht mehr bezwingbaren Grenzen stieß. Lediglich als Mittel der Deskription geduldet, blieb die Sprache für ihn eine Verlegenheit, die zur Anschauung und zum Gewinn der philosophischen Erkenntnis nicht nur nichts beizutragen hatte, sondern ihr im Zweifelsfall sogar im Weg stand.

Es ist freilich nicht eigentlich der Ertrag, mithin die Pointierung der Husserl-Kritik selbst, die den Nachvollzug dieser Einblicke in die phänomenologische Praxis zum Erlebnis macht; es ist die Art und Weise, wie die Resultate gewonnen werden. Blumenberg selbst nennt seine hart am Textmassiv der Husserliana entlanggeführten Reflexionen "Beobachtung am Phänomenologen", und die mit dieser Fügung heraufbeschworene Gedankenverbindung zu Autopsie und Vivisektion ist zweifellos gewollt. Wer in solcher Eindringlichkeit etwas Ungebührliches, gar einen Brutalismus der Interpretation ausmachen möchte, verkennt, daß Husserl selbst beständig hinter seiner philosophischen Arbeit, vor allem aber hinter seinen immensen, schon in den gewaltigen Dimensionen ihres Umfangs dokumentierten Anstrengungen der Verschriftlichung auf der Lauer gelegen hat. Die in den überlieferten Manuskripten ausgestreuten Selbstkommentare sind unmißverständlich, und nicht selten erreichen sie die selbstkritische Schärfe und Unnachsichtigkeit puritanischer Selbstbezichtigung. "Das wäre näher zu studieren", heißt es da oder: "Das muß viel besser ausgeführt werden." Energischer die Bleistiftnotiz: "Nein! . . . das ergibt keinen Sinn" oder: "ich habe mich wieder in Verwirrung führen lassen". Schließlich dann, mit Rotstift: "Höchst wichtig als Schutzabwehr gegen manche große Verwirrungen, die ich in diesem Monat März-April 1912 begangen habe."

Es darf bezweifelt werden, ob die Nachwelt von derlei Textspuren jemals Kenntnis erhalten hätte, wären nicht maßgebliche Werke Husserls statt von ihm selbst aus dem Nachlaß ediert worden. Um so nachdrücklicher stellt sich die Frage, was es damit auf sich hat. Blumenberg regt an, in den Selbstermahnungen Husserls den Zusammenhang zu sehen. Weit mehr als nur Merkposten für in unbestimmter Zukunft auszuführende Nachbesserungsarbeiten, seien Husserls Rituale der Selbstkritik und der "Selbstverblüffung" symptomatisch. Sie verweisen, so Blumenberg, auf den blinden Fleck in der von Husserl durchgehaltenen und an die Grenzen ihrer Möglichkeit geführten philosophischen Ambition.

Blumenbergs replikartiges "und zurück" im Titel ist Erwiderung und Ergänzung zugleich. Beide beziehen sich auf eine Bemerkung Nietzsches, die Blumenberg vergleichsweise spät einführt. Diese Bemerkung ist denkbar lapidar und lautet: "Für ein rein erkennendes Wesen wäre die Erkenntnis gleichgültig." Blumenberg nimmt den Satz als Relevanzbehauptung von Kontingenz und damit als Hervorkehrung gerade dessen, was die phänomenologische Reduktion in der Erwartung des Evidenzgewinns entschlossen beiseite läßt: Dasein, "Existenz". Vor die Wahl zwischen "Sachen" und "Welt" gestellt, hatte sich der Phänomenologe für die "Weltvernichtung" (Husserl) entschieden. Der Preis, den er dafür zahlen mußte, bestand in einer dreifachen Verfehlung: der Verfehlung der historischen, der kommunikativen sowie der anthropologischen Implikation des philosophischen Denkens.

Das ist nicht leichthin gesprochen. Die Kritik resümiert eine jahrzehntelange Auseinandersetzung - die passionierteste vielleicht, die Blumenberg geführt hat. 1950 habilitierte er sich als Dreißigjähriger mit einer Arbeit über Husserl, dem auch seine erste Aufsatzpublikation gewidmet war. Die mittlerweile zugänglichen Teile des Nachlasses schließlich - vor allem "Ein mögliches Selbstverständnis" von 1997 und die "Lebensthemen" ein Jahr darauf - bestätigen den Eindruck einer lebenslangen Faszination. Um so schwerer wiegen die vorliegenden Distanzierungen. Sie lassen den Denkweg Blumenbergs als Ablösungsprozeß erscheinen, als einen mit Husserl begonnenen, von Husserl-Lektüren gesäumten Weg, der schließlich über Husserl und die Phänomenologie hinausführte.

Der Abstand wuchs, nachdem Blumenberg sich für "den Schritt auf anthropologisches Gelände" entschieden hatte - nicht mit dem Geltungsanspruch einer philosophischen Anthropologie, wohl aber im Sinne einer Heuristik, die der Philosophie die von ihr betrachtete Welt als eine Welt des Menschen vor Augen stellt. Die anthropologische Erweiterung ist die elementare Geste einer Phänomenologie, die essentiell "historisch" geworden ist, um den Wandel der Sinnwelten in der Zeit zu erfassen. Man kann, so erläutert Blumenberg den Abschied von den Reinheitsforderungen der phänomenologischen Anfangszeit, "das Ding nicht ohne die Welt haben".

Die Folgen dieses Einwandes für das Konzept einer philosophischen Phänomenologie können gar nicht überschätzt werden. Gleichwohl muß hier abschließend gesagt werden, daß der vorliegende Band als bloßes Dokument einer intellektuellen Biographie ebenso unterschätzt wäre wie als Sekundärliteratur zu Husserl. Viel wichtiger ist die eingenommene Haltung der, um ein Wort von Paul Valéry aufzunehmen, résistance au facile: des Widerstandes gegen den leichten Weg. Blumenberg hat daraus ein philosophisches Ethos geformt, das die disziplinierte Vermeidung alles Vagen und immer schon Geglaubten mit einer Freizügigkeit der Deutungspraxis verbindet, die der Lohn geduldig erarbeiteter Distanz ist. In den besten Passagen dieses Buches tritt der Autor an die Seite des Lesers und gewährt ihm großzügig Einblick in die philosophische Werkstatt.

Hans Blumenberg: "Zu den Sachen und zurück". Aus dem Nachlaß herausgegeben von Manfred Sommer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 360 S., geb., 35,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2002

Ein Stuhl für gewisse Stunden
Nur keine Übertreibungen: Hans Blumenberg erzählt, was der Anspruch der Philosophie ist
Vor der Schwelle, hinter der sich ein philosophisches Buch öffnet, gibt es nur Hinweisschilder. Nichts erspart dem Neugierigen den Durchgang durch das ganze Buch. Gäbe es dabei gangbare kürzere Wege, hätte der Philosoph als Autor sie genommen. Etwas anders verhält es sich mit den Auskünften der Philosophiegeschichte. Aber so weit sind wir mit Hans Blumenberg noch nicht.
Die Publikationsgeschichte seiner Schriften und Werke kennt vier Abschnitte. Auf eine lange frühe Phase – bis zu den „Paradigmen zu einer Metaphorologie” (1960) – folgt das akademische Werk – von der „Kopernikanischen Wende” (1965) bis zu den drei Bänden der „Genesis der kopernikanischen Welt” (1981). Nach der Emeritierung 1985 begannen die großen Bücher und die erstaunlichen Feuilletons zu erscheinen. Nach Blumenbergs Tod 1996 kamen die umfangreichen Sammlungen aus dem Nachlass heraus, darunter vorbereitete Bücher wie dieses, das der Kieler Phänomenologe Manfred Sommer ohne Kommentar herausgeben konnte. Nicht wenig aus den fast fünf Jahrzehnten von Blumenbergs Schaffen kommt in diesem Buch zusammen, dessen Titel „Zu den Sachen und zurück” auch über seiner Biografie stehen könnte, die er stets verbarg.
Das Buch ist in mehr als in einer Hinsicht bemerkenswert. Es breitet mit einer stupenden Kenntnis der Quellen die Probleme der Phänomenologie aus, die schon sehr früh ihren Gründungsheros Edmund Husserl beschäftigt hatten. Und es enthält Zeugnisse von der polemischen Heftigkeit des Autors, wie man sie in einem Werk von derart komplizierter Gelehrsamkeit nicht erwartet. Schließlich gibt es Züge von Bekenntnishaftem in manchen Wendungen, die sowohl zu dem einen wie zu dem anderen passen. Aus all dem mag verständlich werden, weshalb der in der Einsamkeit seiner westfälischen Studierstube arbeitende Philosoph zögerte, dieses offenbar zur Zeit des Rückzugs von seinem Münsteraner Lehrstuhl vereinbarte Werk aus der Hand zu geben.
Das dritte Stück des Buches beginnt mit einer flapsigen Bemerkung: „Höre ich die Frage ,Wozu Philosophie?‘, greife ich – einem unweisen Rat des dubiosen Dramatikers Hanns Johst folgend – nach meinem Revolver, um festzustellen, dass ich keinen habe.” Die fade Komik des Nachsatzes vermag das befremdlich Deplazierte des Zitats nicht aufzuheben. Auch scheint den Sprachmächtigen hier die Vokabelsicherheit verlassen zu haben, was ist an Johst dubios? Wer so daneben greift, ist von blanker Wut getrieben. Wie ist solche Wut verständlich? Aus dem Gefühl des Getäuschtseins, Verletztseins, um einer Hoffnung Betrogenseins. Philosophie täuscht, wenn sie auftritt, als könne sie mehr geben, als sie kann. Philosophie verletzt, wenn sie Erwartungen aufbaut, von denen sich niemand schmerzfrei zu verabschieden vermag. Das hat Blumenberg erfahren – und diese Erfahrung mit Prätention, Aufgeblasenheit, Wichtigtuerei kulminiert in der vermeintlich bedeutungsschweren Frage „Wozu Philosophie?” die, wie er darlegt, in der Absicht gestellt wird, „den Adressaten in Verlegenheit zu versetzen”.
Was jeder zugibt
Keine Übertreibungen mit der Philosophie, empfiehlt Blumenberg. Der erste Satz dieses Buches lautet dementsprechend: „Philosophie ist, worauf man beinahe von selbst gekommen wäre.” Man heißt: jeder. Was Blumenberg hier auch thematisiert, ist etwas, was er lebenslang als Herausforderung verstand, eine große Kontroverse.Gemeint ist die Kontroverse – oder Konkurrenz – zwischen der Phänomenologischen Methode Edmund Husserls und der Philosophie des Husserl-Schülers Martin Heidegger, von dessen bekanntestem Werk „Sein und Zeit” der Lehrer sagte, er habe damit seine Phänomenologie verdorben. Husserl hatte seine Schule auf die Parole verpflichtet: „Zu den Sachen!” Heidegger hatte in seinem Husserl gewidmeten Buch mit hohem Pathos die Frage nach dem Sinn von Sein gestellt. Er habe dies, schreibt Blumenberg nun, getan „im Hinblick auf die Unüberbietbarkeit” dieser Frage, „die eine der Radikalität ist: Weiter als bis zum Sinn des Seienden kann den ,Sachen‘, auf die zurückzugehen die Phänomenologie zum unveränderlichen Programm hatte, nicht auf den Grund und an die Wurzel gegangen werden”. Heidegger versprach, das zu überbieten. Aber, fährt Blumenberg fort: „Dafür schien sich hinnehmen zu lassen, dass bis zum letzten Zuge ihrer daseinsanalytischen Vorantreibung offen blieb, was genau sie bedeutete und zu erreichen verlangte. Der Rang des Gegenstandes, der sich mit den an Gewichtigkeit unübertrefflichen Wörtern , Sinn‘ und ,Sein‘ vorstellte, ließ mit Leichtigkeit vergessen nachzufragen, welche Art Aussagen über ihn zu erwarten wäre.”
Über die längsten Stücke seines Buches hinweg spürt Blumenberg den Zielen der phänomenologischen Methode nach und den Schwierigkeiten, mit denen sie es in ihrem eigenen Programm zu tun hat. Er tut dies oft anhand von Aufzeichnungen aus dem Nachlass Husserls, notiert auf Zetteln aus dem ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts. Hier ruft sich Husserl selbst zur Ordnung, stellt sich Aufgaben, bedenkt seine Vorgehensweise.Blumenberg zeigt, wo Husserl selbst von dem Programm seiner Phänomenologie abweicht, dessen Ziele Blumenberg immer wieder in einfachen Sätzen vorstellt, etwa: „Phänomenologie ist definiert als Überführung von Selbstverständlichkeiten in Verständlichkeiten.” Was selbstverständlich ist, wird kaum Gegenstand des Nachdenkens; was verstanden ist, darüber muss zuvor nachgedacht worden sein. Ein Stuhl ist etwas Alltägliches, zumeist unbedachtes, sofern vom Wesen eines solchen Sitzmöbels die Rede sein darf. Dies Wesen des Gegenstandes, unabhängig von seiner Form, seinem Material, seiner Brauchbarkeit ist vielleicht eines Gedankens wert, keines großartigen, aber er könnte zur verstandenen Welt gehören.
„Im Grunde”, sagt Blumenberg mit einem Wort Wittgensteins, „arbeitet der Phänomenologe für sich selbst und in der Mitteilung an andere mit der Unterstellung, er biete in seinen Beschreibungen nur Einsichten und Wahrheiten an, die zu dem gehören, was jeder zugibt.”Auf welchen Weg diese Methode vertraut, das sagt Blumenberg ebenfalls mit einem Wort Wittgensteins: „Die philosophische Unbefriedigung verschwindet dadurch, dass wir mehr sehen.”
Blumenbergs Werk ist reich an historischer Gelehrsamkeit. Sowohl seine Bemühungen um eine Neubewertung der Rhetorik als auch seine Forschungen zur Bedeutung der Metaphern dienen dem Ziel, das Denken aus der historisch überlieferten Entwicklung des Menschen zu verstehen.Beim Thema Geschichte vermeidet der Philosoph auch in diesem Buch nicht, seinen aufklärerisch- nüchternen Blick auf das Schicksal der Welt mit Einsichten der modernen Physik zu erläutern. Die Bedeutung des Menschen, seiner Werke, seiner Erinnerung schrumpft angesichts der „stupenden Größe der Zeiträume” zu einer nicht mehr fassbaren Winzigkeit.
Blumenberg favorisiert „eine Kosmologie vom oszillatorischen Typus”. Das bedeutet: „Eine Weltgeschichte letztlich der ewigen Wiederkehr: Aussprenung einer Urmasse aus einem nahezu punktuellen Ausgangszustand mit ständiger Expansion, aber schließlicher Umwandlung zur Kompulsion und Implosion zum nahezu punktuellen Massenpunktzustand so großer Instabilität, dass eine neue Kosmogonie verbürgt erscheint.”
Auch hinter solchen Überlegungen ist eine Verarbeitungsenergie zu spüren, die den Philosophen ungeachtet aller in der Phänomenologie erworbenen Bescheidenheit drängt, etwas zu den so genannten großen Fragen zu sagen, woran man sich halten kann. Vermutlich hat Blumenbergs philosophisches Interesse hier seinen Anfang gehabt. Die Welt als Schöpfung Gottes und wie von ihr geredet wurde, taucht in unmittelbarem Zusammenhang zur Vorstellung der Oszillation auf. Philosophiegeschichte und Theologiegeschichte sind für Blumenberg kaum zu trennen – auch in diesem Buch nicht.
Über Blumenbergs intellektuelle Anfänge als Student an Theologisch- Philosophischen Hochschulen in Paderborn und Frankfurt am Main während des Krieges wissen auch Kenner seines Werkes fast nichts. Die – unveröffentlichte – Kieler Dissertation von 1947 trägt den Titel „Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit der mittelalterlich-scholastischen Ontologie”. Immerhin ist zu vermuten, dass es schon früh scharfe und bittere Gründe für das Gefühl des Getäuschtseins, Verletztseins, um einer Hoffnung Betrogenseins für Blumenberg gegeben hat, nicht alle aus der selben Quelle, aber umso schärfer und bitterer, je pathetischer etwa eine Philosophie von sich zu reden wusste.
„Zu den Sachen zurück” ist mehr als eine Studie zur Phänomenologie. Es ist ein Buch, das auf vielen Ebenen und in vielen Sprachen von Blumenbergs Haltung zur Philosophie erzählt – so, wie sie ihm einmal wichtig gewesen sein mag und wie er sie bei der Niederschrift dieser Seiten begriff: „Philosophie ist ein Angebot, das nicht ausschließen darf, dass die meisten anderes und sogar besseres zu tun haben oder tun zu sollen meinen... Erfahren (zu) wollen, was man kann, und noch gesteigert: was man aushalten kann. In der Philosophie, ohne Unterschied von Provenienz und Denomination, muss man etwas aushalten können.”
JÜRGEN BUSCHE
HANS BLUMENBERG: Zu den Sachen und zurück. Aus dem Nachlass herausgegeben von Manfred Sommer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt amMain 2002. 352 Seiten, 35, 90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dieses Buch, berichtet Jürgen Busche, stammt aus dem Nachlass des 1996 verstorbenen Philosophen, wurde aber von ihm selber noch vorbereitet. Busche findet es in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: zum einen stelle es eine überaus kenntnisreiche Studie zu den Problemen der Phänomenologie dar, letztere von Blumenberg folgendermaßen erklärt: "Phänomenologie ist definiert als Überführung von Selbstverständlichkeiten in Verständlichkeiten"; zum anderen enthalte der Band Bekenntnishaftes und Polemisches, wie man es von einem so gelehrten Mann kaum erwarten würde, staunt Busche. Für ihn schimmern an solchen Textstellen persönliche Verletzungen und Enttäuschungen Blumenbergs durch, die diesen dazu geführt haben, alles Prätentiöse und Hochmütige abzulehnen. Blumenberg war auf der Suche nach einfachen Erklärungen, klaren Sachen. Seine Philosophie-Definition lautet, zitiert ihn der Rezensent: "Philosophie ist, worauf man beinahe von selbst gekommen ist." Busche liefert verschiedene markante Zitate, die Lust machen, in diese einfach-komplizierte Materie einzutauchen.

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