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George Eliot, die später zu einer der erfolgreichsten englischen Schriftstellerinnen werden würde, begleitete im Sommer 1854 ihren Lebensgefährten George Henry Lewes nach Deutschland, um mit ihm auf den Spuren Goethes zu wandeln. So weilten sie drei Monate in Weimar, deren Eindrücke George Eliot in zwei Essays festhielt. Die Stadt, die sie anfangs als langweilig lebloses Dorf ansah, schien ihre Erwartungen zu enttäuschen. Doch bald schon war sie begeistert von den Parklandschaften, der Schönheit der umgebenden Natur und vor allem der neuen Bekanntschaften, bspw. die mit Franz Liszt.

Produktbeschreibung
George Eliot, die später zu einer der erfolgreichsten englischen Schriftstellerinnen werden würde, begleitete im Sommer 1854 ihren Lebensgefährten George Henry Lewes nach Deutschland, um mit ihm auf den Spuren Goethes zu wandeln. So weilten sie drei Monate in Weimar, deren Eindrücke George Eliot in zwei Essays festhielt. Die Stadt, die sie anfangs als langweilig lebloses Dorf ansah, schien ihre Erwartungen zu enttäuschen. Doch bald schon war sie begeistert von den Parklandschaften, der Schönheit der umgebenden Natur und vor allem der neuen Bekanntschaften, bspw. die mit Franz Liszt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2019

Wer von allen Seiten schaut, ist klar im Vorteil

Zum 200. Geburtstag von George Eliot erscheint ihr großer Roman "Middlemarch" gleich zweimal auf Deutsch. Welche Fassung ist besser?

Sie entstammte den Midlands - dem ländlichen Umfeld der mittelenglischen Provinzstadt Coventry -, und ihren bekanntesten Roman nannte sie "Middlemarch", wie seinen Schauplatz, ein properes und saturiertes Städtchen in der Mitte Englands. Diese Mitte lässt sich gut verklären - Herz der Nation! Heimat Shakespeares! - und gilt dieser Autorin dennoch als Bedrohung. Das Mittlere, oder was sich gern dafür ausgibt, ist oftmals bloß das Mäßige, das Mittelmäßige eben, das jeden Drang zu Höherem und Weiterem, zu Aufbruch und zu neuem Leben durch Biederkeit ausbremst. Das wusste die Autorin allzu gut aus eigener Erfahrung. Ihren unkonventionellen Lebensweg ging sie mit Entschiedenheit und Mut, ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Meinung. Zu allem Radikalen aber hielt sie Abstand. Und gab daher, trotz aller Vorbehalte, die Idealvorstellung einer ausgleichenden Mitte, in der sich widerstreitende Kräfte treffen und fortentwickeln können, niemals auf.

Dieser Zwiespalt ist zentrales Thema ihres großen Romans, eines mehr als tausendseitigen, stimmen- sowie farbenreichen Epos, das ein ungemein nuanciertes Sittengemälde der englischen Gesellschaft um 1830 aufrollt, als sich der Umbruch ins Industriezeitalter in ersten Erschütterungen ankündigt. Vor dieser historischen Folie und eng mit ihr verbunden entsteht das Psychogramm einer Reihe von Protagonisten, darunter denkwürdigen Frauenfiguren, die sich auf ganz unterschiedliche Weise mit den Beharrungskräften und Veränderungsschüben ihrer Zeit auseinandersetzen müssen. Ein dichtes Geflecht verschiedener Handlungsstränge knüpft sich so, die sich in der Dramaturgie einer komplexen Serie - der Roman erschien 1871 zuerst als Fortsetzungsprojekt in einer Zeitschrift - über acht Folgen fortspinnen.

Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen zwei Figuren, deren Lebenswege parallel und kontrastiv erzählt werden: die junge, bildungshungrige Dorothea Brooke und der ambitionierte Landarzt Lydgate. Beide suchen sie nach Wegen in ein neues, sinnerfülltes Leben ihrer Stadtgemeinschaft, beide verstricken sich dabei in Schwierigkeiten und erkennen schließlich, dass sie Middlemarch verlassen müssen: ein Ausweg aus der kleingeistigen Enge und Begrenztheit, doch noch lange kein Triumph. Beide scheitern sie mit ihren hochfliegenden Hoffnungen und Plänen, finden aber gerade darin Würde, dass sie mit kleinen Schritten und auf ihre Weise unbeirrbar weitermachen. Auch wer von den Mittelmäßigen verachtet und vertrieben wird, muss seine eigene Mitte nicht verleugnen.

Darin mag viel von der Autorin selbst liegen, einer Intellektuellen, Non-Konformistin und Kosmopolitin, die dem viktorianischen England abverlangte, seine heuchlerische Doppelmoral zu bekennen. Geboren 1819 als Mary Anne Evans, nannte sie sich als Autorin "George Eliot" und wählte damit einen Vornamen des verheirateten Mannes, George Henry Lewes, mit dem sie bis zu seinem Tod fast drei Jahrzehnte zusammenlebte (aus rechtlichen Gründen konnte Lewes sich nicht scheiden lassen). Von Kirche und Christentum hatte sie sich da schon losgesagt. Sie übersetzte kritische Geister wie David Friedrich Strauß und Feuerbach, hielt regen Austausch mit den Philosophen und Naturwissenschaftlern ihrer Zeit und gab eine Zeitschrift, Organ des neuen Freidenkertums, heraus. Dass die skandalisierte Gesellschaft sie erst wieder akzeptierte, als sich die Bucherfolge einstellten, hat sie ebenso wenig beirrt wie die spätere Verklärung zu einer Art öffentlichem Weisheitsidol.

Ausgleich fand sie immer schon im Schreiben und im Reisen. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten verbrachte sie viel Zeit an den Stätten europäischer Kultur, darunter vielen deutschen, beispielsweise Weimar, wo das Paar sich 1854 drei Monate lang aufhielt und den Spuren Goethes, über den Lewes eine Biographie schrieb, nachging. (Ihre Weimar-Eindrücke und Begegnungen mit Persönlichkeiten wie Liszt hat die Autorin, damals kurz vor Beginn der eigenen schriftstellerischen Laufbahn, in einem lebendigen und lesenswerten Bericht festgehalten, der jetzt erstmals auf Deutsch vorliegt.) Gleichwohl ist sie hierzulande niemals wirklich populär geworden und hat nie so viele deutsche Leser wie etwa die Brontë-Schwestern gefunden, von Jane Austen ganz zu schweigen. Zum Schwelgen, Träumen oder Schaudern laden ihre Großromane in der Tat nicht ein, dafür zum Nachdenken und Welterkennen. Virginia Woolf nannte "Middlemarch" einen der "wenigen englischen Romane, der für erwachsene Leser geschrieben wurde".

Was das bedeuten mag, lässt sich jetzt gleich zweifach in Erfahrung bringen. Aus Anlass des 200. Geburtstags am 22. November erscheint der Roman in einer vollständigen Neuübersetzung von Melanie Walz und zugleich in einer überarbeiteten Neuausgabe der Version von Rainer Zerbst, die schon 1985 herauskam. Ob man sich ein derart umfangreiches Werk in verschiedenen Fassungen vornehmen kann, ist gewiss eine Frage der verfügbaren Lesezeit. Genauso gewiss aber wäre der Gewinn.

Zerbst erklärt im Nachwort, dass es ihm darum gegangen sei, die komplexen Satzstrukturen ins Deutsche hinüberzuretten, was der Lektüre durchaus nicht nur entgegenkommt. Walz dagegen findet viele plastische und prägnante Formulierungen und scheut sich nicht, auch mal farbige Akzente zu setzen: So lesen wir bei ihr, wie die Stadtbürger Lydgate "scheel ansahen" (bei Zerbst: "merkwürdig"), wie Dorothea über "die Umstände eines beengenden gesellschaftlichen Korsetts" nachdenkt (bei Zerbst: "Bedingungen einer unvollkommenen Gesellschaft") oder über die "Weichenstellungen im Leben" (bei Zerbst: "Taten, die ihr Leben bestimmten") - letzteres im beginnenden Eisenbahnzeitalter, das der Roman reflektiert, eine besonders schöne Pointe.

Man braucht die beiden Übersetzungen aber gar nicht wertend gegeneinander zu halten, sondern kann sie als notwendig verschiedene Sichtweisen auf denselben Sachverhalt verstehen - auch dies ein Thema des Romans. Wie die ebenso lebenskluge wie ironische Erzählerin an einer Stelle anmerkt: "Nur engstirnige Geister sind nicht imstande einen Gegenstand von mehreren Standpunkten aus zu betrachten" (bei Zerbst: "der Geist, der eine Sache nicht unter verschiedenen Aspekten betrachten kann, ist ein beschränkter Geist"). Nicht nur in diesem Roman, in George Eliots Werken überhaupt wird Lesezeit zu Lebenszeit.

Dabei sind Hauptwerke von ihr wie der überragende letzte Roman "Daniel Deronda" (1876), der im 19. Jahrhundert ebenso bedeutsam wirkte wie "Nathan der Weise" im 18., derzeit auf Deutsch gar nicht lieferbar. So bleibt zum runden Jubiläum nur zu wünschen, dass sich endlich ein Verlag um eine deutsche Gesamtausgabe dieser großen englischen Autorin, der die deutsche Kultur so viel galt, verdient macht.

TOBIAS DÖRING

George Eliot: "Middlemarch. Eine Studie über das Leben in der Provinz". Roman.

Aus dem Englischen mit Anmerkungen und Nachwort von Melanie Walz. Rowohlt, Hamburg 2019. 1264 S., geb., 45,- [Euro].

George Eliot: "Middlemarch. Eine Studie über das Leben in der Provinz". Roman.

Aus dem Englischen von Rainer Zerbst. Dtv, München 2019. 1150 S., geb., 28,- [Euro].

George Eliot: "Zu Gast in Weimar".

Aus dem Englischen von Nadine Erler. Bertuch Verlag, Weimar 2019. 40 S., br., 4,- [Euro].

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