Die Revolution der poetischen Sprache: Dafür steht der Name Mallarmé. Mit ihm begann die Verskunst ebenso reflexiv wie abstrakt zu werden. Mit Mallarmé hat in der Poesie die Herrschaft der Kunst im Allgemeinen begonnen, das heißt der individuelle, autonome Menschen, losgelöst von jedem vorgegeben System (einschließlich dem des Individualismus). Auch in der deutschsprachigen Lyrik des 20. Jahrhunderts wurde dieses erste wirklich moderne dichterische Werk breit und kontrovers rezipiert. Von den über 3300 überlieferten Briefen aus der Feder Mallarmés sind rund 200 in diese erste deutschsprachige Edition seiner Korrespondenz aufgenommen worden. Es werden Fragen der Literatur diskutiert, die nicht selten in regelrechte Abhandlungen zu einer möglichen Dichtkunst münden. In den Briefen wird aber auch ein Leben anschaulich, das in seinem Werk ebenso aufging, wie jenes aus seinem Leben bestand. Lesbar werden in dieser Ausgabe auch die zahlreichen Missverständnisse und Angleichungen eines im Laufe des 20. Jahrhunderts entstandenen »deutschen« Mallarmé. Seine vermeintlich weltabgewandte Poetik erscheint in einem ganz anderen Licht. Der Dichter kommt ebenso zu Wort wie der mitten im Zeitgeschehen stehende gesellige Zeitgenosse, der Mensch, der er war - eine schwindelerregende Chronik zu einem halben Jahrhundert überbordender Kreativität, alltäglicher Sorgen und Beschäftigungen, Ambivalenzen und Leidenschaften. Ein verbrieftes Leben, das die Kunst nicht weniger nachahmt als diese das Leben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2023Er war stets auf der Suche nach dem perfekten Buch
Eine große Briefauswahl kommt diesem Ideal des Dichters Stéphane Mallarmé nun entgegen: Ein Leben entsteht da aus der Korrespondenz.
Von Niklas Bender
Von Niklas Bender
Der Verehrer des Ideals konnte auch anders: "Ich habe hier das Haus eigenhändig auf Vordermann gebracht, mit roten, lila oder grünen Händen, und mich also wirklich mit dem Thema beschäftigt. Ich reiche Ihnen trotzdem eine, von Herzen", schreibt Stéphane Mallarmé (1842 bis 1898) dem Dichter und Essayisten Charles Morice im Jahr 1896, nachdem der ihn zum Thema "Das Schöne und das Nützliche" befragt hatte. Offensichtlich wollte Mallarmé sich beim Anstreichen seines (gemieteten) Landhauses in Valvins südlich von Paris nicht auf Azurblau, geliebte Chiffre des Ideals, beschränken. Zugespitzt zeigt sich hier der Reiz von Mallarmés Briefen, die nun in einer großen Auswahl auf Deutsch erschienen sind: Einerseits entwickeln sie die lebenspraktische Seite, andererseits geben sie einen Einblick in Mallarmés Dichtungskonzeption - und sie erlauben ein Verständnis des Übergangs zwischen beiden.
Die handfeste Seite der Existenz des Dichters ist kein Zuckerschlecken. Mit nur einundzwanzig heiratet Mallarmé die um sieben Jahre ältere deutsche Gouvernante Maria Gerhard. Beruflich entscheidet sich der Sohn einer "seit der Revolution in ununterbrochener Folge zum Beamtentum der Finanzbehörden" gehörenden französischen Familie für die Schullaufbahn: Wie sein Zeitgenosse und Dichterkollege Paul Verlaine wird er Englischlehrer. Nach der Heirat 1863 unterrichtet er in der Provinz, in Tournon, Besançon und Avignon, bevor es 1871 endlich nach Paris geht.
Die Ironie des Schicksals will, dass Mallarmé, dieser poetische Leitstern mehrerer Generationen, pädagogisch gesehen so etwas wie ein Problembär ist: "Und dann vergiss nicht die fürchterliche Komplikation der Klassen, die mir meinen Tag entzweischneiden, mir auf die Nerven gehen, denn ich werde kaum geachtet, und manchmal sogar mit Papierkügelchen angegangen und ausgebuht.", schreibt er bereits 1865 an Henri Cazalis, seinen häufigsten Briefpartner. Über die Jahre hinweg gleichen sich Mallarmés Reden von "der schändlichen Arbeit des Pädagogen", Schulinspektoren hingegen bemängeln, dass die Schäfchen bei ihm nichts lernen. Nach den ersten lyrischen Veröffentlichungen des Lehrers drängen Eltern seiner Schüler auf dessen Versetzung; Dank Protektion kann Mallarmé sich aber immer wieder aus der Affäre ziehen.
Familiär ist die Lage angenehmer, die Ehe mit Maria bringt zwei Kinder hervor, Geneviève (geboren 1864) und Anatole (1871). Zwar werden manche Sommer getrennt verbracht, doch Mallarmé zeigt sich als Familienmensch, der seine Kinder liebt und das Vatersein genießt. Leider stirbt sein Sohn, "der arme geliebte Kleine", mit nur acht Jahren. In Mallarmés letzten Lebensjahren wird die eheliche Konstellation heikel durch die (platonische?) Geliebte Méry Laurent, die auch für Édouard Manet, Émile Zola (für Nana) und Marcel Proust (für Odette) Inspiration und - im Fall von Manet - Geliebte ist. Ein aufschlussreiches Detail: Mallarmé kam es darauf an, seine Kinder zweisprachig zu erziehen. "Dass Kätzchen und auch Tole nicht das Deutschsprechen vernachlässigen", wünscht er sich für die Sommerferien 1875, die seine Frau mit den Kindern in Camberg, ihrem Herkunftsort, verbringt. Mallarmé muss nicht nur wegen seiner Eheschließung ein intimes Verhältnis zum Deutschen gehabt haben.
Bei einem so sprachbewussten Dichter ist das bemerkenswert - und mehr noch angesichts der französischen Niederlage gegen Preußen wenige Jahre zuvor. Sie wird allerdings, wie politische Ereignisse allgemein, in den hier als Auswahl präsentierten Briefen kaum erwähnt.
Einerseits: Zu den Parteien, die sich während der Pariser Kommune gegenüberstehen, schreibt Mallarmé am 23. April 1871 an den Freund Cazalis, dass es, "ganz im Ernst, sinnlos ist, zwischen Hässlich und Hässlich abwägen zu wollen". Andererseits: Mallarmé sagt 1894 im "Procès des Trente" zugunsten des anarchistischen Literaten Félix Fénéon aus. An Zola schreibt er 1898, sechs Wochen nach dessen "J'accuse"- Artikel über den Dreyfus-Prozess, er sei "Durchdrungen von der Erhabenheit, die sich in ihrem [sic] Akt entladen hat". Mallarmés politisches Engagement ist ein radikal individuelles, das wenig Worte macht. "Alles, in der Literatur, bleibt individuell" - was dort gilt, das beherzigt ein Mallarmé generell.
Diese Biographie in Briefen erlaubt es, die Entwicklung vom obskuren Englischlehrer, der seine Mußestunden mit ebensolchen Gedichten verbringt, zum "Prince des poètes" zu verfolgen, zum Dichterfürsten, zu dem man ihn 1896 ernannte; zentrale Station ist das Jahr 1884, mit den Mallarmé gewidmeten Passagen in Joris-Karls Huysmans Roman "Gegen den Strich" und Mallarmés Aufnahme in Verlaines Sammlung "Die verfemten Dichter". Mallarmés Leben bietet einen jener Fälle, in denen die Fakten das Wagnis zu rechtfertigen scheinen: In der Rückschau wirkt sein Weg selbstverständlich, dabei hätte er einer von vielen unbekannten Schreiberlingen mit schlechtem Auskommen bleiben können.
Das gilt natürlich für viele Literaten - die Voraussetzungen sind aber erschwert für einen Dichter, der komplex ist und als dunkel gilt. Mallarmé strebt nach nichts Geringerem als dem idealen "BUCH", dem perfekten Werk: Mit den Jahren wird dessen Realisierung ausgesetzt, der Begriff wird eine "regulative Idee", wie der Apparat treffend anmerkt. Was bleibt, ist "ein ausgeführtes Fragment": "Durch die hervorgebrachten Abschnitte beweisen, dass dieses Buch existiert, und dass ich gekannt habe, was ich nicht werde vollenden können." Mallarmé visiert nunmehr "ein Album" an, "wie man Probenkollektionen von gewöhnlichen oder kostbaren Stoffen anlegt" - eine radikale Einsicht in die Unrealisierbarkeit literarischer Absolutheit.
Die Absage öffnet jedoch neue Felder, etwa ein innovatives Gespür für die Räumlichkeit der Schrift. Das "Weiß des Papiers: bedeutsames Schweigen, das nicht weniger schön zu komponieren ist als die Verse". Auch bietet ausgerechnet Mallarmés extrem selbstreflexive Sprache einen zwanglosen Übergang zu Themen prosaischer Art - der Dichter hat die Zeitschrift "Die Neuste Mode" tapfer mit Texten bestückt.
Als Verteidiger einer extrem verdichteten Sprache und angesichts grassierender Wagner-Verehrung muss sich der Dichter an der Musik messen. Mallarmé dreht den Spieß um, ihm ist die Literatur "eine der Phasen der Musik, die subtilste und die einzig vollständige!" Eine umfassende Vereinnahmung: "Ich mache MUSIK, und nenne so nicht diejenige, die man der euphonischen Fügung der Wörter entnehmen kann, diese erste Bedingung versteht sich von selbst; sondern das Jenseits, magisch von gewissen Anordnungen der Rede erzeugt, wo diese nur noch im Zustand eines Mittels materieller Kommunikation mit dem Leser verbleibt wie die Tasten eines Klaviers."
Die gut zweihundert von Leo Pinke und Tim Trzaskalik ausgewählten, übersetzten und kommentierten Briefe bieten zahlreiche Einblicke, vom Banalsten bis zur quasi hermetischen Dichtungslehre. Repräsentativ wird aus Mallarmés großem Bekanntenkreis geschöpft, von James McNeill Whistler bis André Gide, von Alfred Jarry bis Claude Monet. Diese Edition - die erste umfassende Ausgabe von Mallarmés Briefen auf Deutsch - kann in Sorgfalt und Detailliertheit überzeugen: Am Anfang sagt sich der Leser noch, es sei zu viel der Anmerkungen, mit fortschreitender Lektüre zeigt sich freilich, dass man (fast) all diese Details kennen muss. Nur so entdeckt man den ganzen Mallarmé, mit seinen Schwächen und Raffinessen, seinen Vorlieben und Abneigungen - etwa gegen Fahrräder, die eine "alberne und jeder Anmut bare Haltung" erforderten.
Einer der Genüsse ist, wie Mallarmé in seinen Dankesschreiben für Büchersendungen ebendiese traktiert. Ungetrübte Bewunderung - so etwa für Verlaine: "Statt die Saite mit der ganzen Kraft des Fingers in ihrer Fülle schwingen zu lassen, streicheln Sie sie mit dem Nagel" - ist hier die rare Ausnahme. Einigen wird Mallarmé gerecht, ohne sie zu verehren, vorneweg Zola. Vor allem jedoch ist er ein Meister der camouflierten Kritik: Er spießt Details auf, die essenziell sind, vernichtet höflich im Vorübergehen. Die vorliegende Auswahl hätte ihm indes keinen Anlass dazu geboten.
Stéphane Mallarmé: "Zu verwirklichen ist nur das Unmögliche". Briefe.
Ausgewählt, kommentiert und aus dem Französischen übersetzt von Leo Pinke und Tim Trzaskalik. Matthes & Seitz, Berlin 2023.
639 S., geb., 48,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine große Briefauswahl kommt diesem Ideal des Dichters Stéphane Mallarmé nun entgegen: Ein Leben entsteht da aus der Korrespondenz.
Von Niklas Bender
Von Niklas Bender
Der Verehrer des Ideals konnte auch anders: "Ich habe hier das Haus eigenhändig auf Vordermann gebracht, mit roten, lila oder grünen Händen, und mich also wirklich mit dem Thema beschäftigt. Ich reiche Ihnen trotzdem eine, von Herzen", schreibt Stéphane Mallarmé (1842 bis 1898) dem Dichter und Essayisten Charles Morice im Jahr 1896, nachdem der ihn zum Thema "Das Schöne und das Nützliche" befragt hatte. Offensichtlich wollte Mallarmé sich beim Anstreichen seines (gemieteten) Landhauses in Valvins südlich von Paris nicht auf Azurblau, geliebte Chiffre des Ideals, beschränken. Zugespitzt zeigt sich hier der Reiz von Mallarmés Briefen, die nun in einer großen Auswahl auf Deutsch erschienen sind: Einerseits entwickeln sie die lebenspraktische Seite, andererseits geben sie einen Einblick in Mallarmés Dichtungskonzeption - und sie erlauben ein Verständnis des Übergangs zwischen beiden.
Die handfeste Seite der Existenz des Dichters ist kein Zuckerschlecken. Mit nur einundzwanzig heiratet Mallarmé die um sieben Jahre ältere deutsche Gouvernante Maria Gerhard. Beruflich entscheidet sich der Sohn einer "seit der Revolution in ununterbrochener Folge zum Beamtentum der Finanzbehörden" gehörenden französischen Familie für die Schullaufbahn: Wie sein Zeitgenosse und Dichterkollege Paul Verlaine wird er Englischlehrer. Nach der Heirat 1863 unterrichtet er in der Provinz, in Tournon, Besançon und Avignon, bevor es 1871 endlich nach Paris geht.
Die Ironie des Schicksals will, dass Mallarmé, dieser poetische Leitstern mehrerer Generationen, pädagogisch gesehen so etwas wie ein Problembär ist: "Und dann vergiss nicht die fürchterliche Komplikation der Klassen, die mir meinen Tag entzweischneiden, mir auf die Nerven gehen, denn ich werde kaum geachtet, und manchmal sogar mit Papierkügelchen angegangen und ausgebuht.", schreibt er bereits 1865 an Henri Cazalis, seinen häufigsten Briefpartner. Über die Jahre hinweg gleichen sich Mallarmés Reden von "der schändlichen Arbeit des Pädagogen", Schulinspektoren hingegen bemängeln, dass die Schäfchen bei ihm nichts lernen. Nach den ersten lyrischen Veröffentlichungen des Lehrers drängen Eltern seiner Schüler auf dessen Versetzung; Dank Protektion kann Mallarmé sich aber immer wieder aus der Affäre ziehen.
Familiär ist die Lage angenehmer, die Ehe mit Maria bringt zwei Kinder hervor, Geneviève (geboren 1864) und Anatole (1871). Zwar werden manche Sommer getrennt verbracht, doch Mallarmé zeigt sich als Familienmensch, der seine Kinder liebt und das Vatersein genießt. Leider stirbt sein Sohn, "der arme geliebte Kleine", mit nur acht Jahren. In Mallarmés letzten Lebensjahren wird die eheliche Konstellation heikel durch die (platonische?) Geliebte Méry Laurent, die auch für Édouard Manet, Émile Zola (für Nana) und Marcel Proust (für Odette) Inspiration und - im Fall von Manet - Geliebte ist. Ein aufschlussreiches Detail: Mallarmé kam es darauf an, seine Kinder zweisprachig zu erziehen. "Dass Kätzchen und auch Tole nicht das Deutschsprechen vernachlässigen", wünscht er sich für die Sommerferien 1875, die seine Frau mit den Kindern in Camberg, ihrem Herkunftsort, verbringt. Mallarmé muss nicht nur wegen seiner Eheschließung ein intimes Verhältnis zum Deutschen gehabt haben.
Bei einem so sprachbewussten Dichter ist das bemerkenswert - und mehr noch angesichts der französischen Niederlage gegen Preußen wenige Jahre zuvor. Sie wird allerdings, wie politische Ereignisse allgemein, in den hier als Auswahl präsentierten Briefen kaum erwähnt.
Einerseits: Zu den Parteien, die sich während der Pariser Kommune gegenüberstehen, schreibt Mallarmé am 23. April 1871 an den Freund Cazalis, dass es, "ganz im Ernst, sinnlos ist, zwischen Hässlich und Hässlich abwägen zu wollen". Andererseits: Mallarmé sagt 1894 im "Procès des Trente" zugunsten des anarchistischen Literaten Félix Fénéon aus. An Zola schreibt er 1898, sechs Wochen nach dessen "J'accuse"- Artikel über den Dreyfus-Prozess, er sei "Durchdrungen von der Erhabenheit, die sich in ihrem [sic] Akt entladen hat". Mallarmés politisches Engagement ist ein radikal individuelles, das wenig Worte macht. "Alles, in der Literatur, bleibt individuell" - was dort gilt, das beherzigt ein Mallarmé generell.
Diese Biographie in Briefen erlaubt es, die Entwicklung vom obskuren Englischlehrer, der seine Mußestunden mit ebensolchen Gedichten verbringt, zum "Prince des poètes" zu verfolgen, zum Dichterfürsten, zu dem man ihn 1896 ernannte; zentrale Station ist das Jahr 1884, mit den Mallarmé gewidmeten Passagen in Joris-Karls Huysmans Roman "Gegen den Strich" und Mallarmés Aufnahme in Verlaines Sammlung "Die verfemten Dichter". Mallarmés Leben bietet einen jener Fälle, in denen die Fakten das Wagnis zu rechtfertigen scheinen: In der Rückschau wirkt sein Weg selbstverständlich, dabei hätte er einer von vielen unbekannten Schreiberlingen mit schlechtem Auskommen bleiben können.
Das gilt natürlich für viele Literaten - die Voraussetzungen sind aber erschwert für einen Dichter, der komplex ist und als dunkel gilt. Mallarmé strebt nach nichts Geringerem als dem idealen "BUCH", dem perfekten Werk: Mit den Jahren wird dessen Realisierung ausgesetzt, der Begriff wird eine "regulative Idee", wie der Apparat treffend anmerkt. Was bleibt, ist "ein ausgeführtes Fragment": "Durch die hervorgebrachten Abschnitte beweisen, dass dieses Buch existiert, und dass ich gekannt habe, was ich nicht werde vollenden können." Mallarmé visiert nunmehr "ein Album" an, "wie man Probenkollektionen von gewöhnlichen oder kostbaren Stoffen anlegt" - eine radikale Einsicht in die Unrealisierbarkeit literarischer Absolutheit.
Die Absage öffnet jedoch neue Felder, etwa ein innovatives Gespür für die Räumlichkeit der Schrift. Das "Weiß des Papiers: bedeutsames Schweigen, das nicht weniger schön zu komponieren ist als die Verse". Auch bietet ausgerechnet Mallarmés extrem selbstreflexive Sprache einen zwanglosen Übergang zu Themen prosaischer Art - der Dichter hat die Zeitschrift "Die Neuste Mode" tapfer mit Texten bestückt.
Als Verteidiger einer extrem verdichteten Sprache und angesichts grassierender Wagner-Verehrung muss sich der Dichter an der Musik messen. Mallarmé dreht den Spieß um, ihm ist die Literatur "eine der Phasen der Musik, die subtilste und die einzig vollständige!" Eine umfassende Vereinnahmung: "Ich mache MUSIK, und nenne so nicht diejenige, die man der euphonischen Fügung der Wörter entnehmen kann, diese erste Bedingung versteht sich von selbst; sondern das Jenseits, magisch von gewissen Anordnungen der Rede erzeugt, wo diese nur noch im Zustand eines Mittels materieller Kommunikation mit dem Leser verbleibt wie die Tasten eines Klaviers."
Die gut zweihundert von Leo Pinke und Tim Trzaskalik ausgewählten, übersetzten und kommentierten Briefe bieten zahlreiche Einblicke, vom Banalsten bis zur quasi hermetischen Dichtungslehre. Repräsentativ wird aus Mallarmés großem Bekanntenkreis geschöpft, von James McNeill Whistler bis André Gide, von Alfred Jarry bis Claude Monet. Diese Edition - die erste umfassende Ausgabe von Mallarmés Briefen auf Deutsch - kann in Sorgfalt und Detailliertheit überzeugen: Am Anfang sagt sich der Leser noch, es sei zu viel der Anmerkungen, mit fortschreitender Lektüre zeigt sich freilich, dass man (fast) all diese Details kennen muss. Nur so entdeckt man den ganzen Mallarmé, mit seinen Schwächen und Raffinessen, seinen Vorlieben und Abneigungen - etwa gegen Fahrräder, die eine "alberne und jeder Anmut bare Haltung" erforderten.
Einer der Genüsse ist, wie Mallarmé in seinen Dankesschreiben für Büchersendungen ebendiese traktiert. Ungetrübte Bewunderung - so etwa für Verlaine: "Statt die Saite mit der ganzen Kraft des Fingers in ihrer Fülle schwingen zu lassen, streicheln Sie sie mit dem Nagel" - ist hier die rare Ausnahme. Einigen wird Mallarmé gerecht, ohne sie zu verehren, vorneweg Zola. Vor allem jedoch ist er ein Meister der camouflierten Kritik: Er spießt Details auf, die essenziell sind, vernichtet höflich im Vorübergehen. Die vorliegende Auswahl hätte ihm indes keinen Anlass dazu geboten.
Stéphane Mallarmé: "Zu verwirklichen ist nur das Unmögliche". Briefe.
Ausgewählt, kommentiert und aus dem Französischen übersetzt von Leo Pinke und Tim Trzaskalik. Matthes & Seitz, Berlin 2023.
639 S., geb., 48,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Zwischen 1862 und 1898 sind die Briefe Stéphane Mallarmés entstanden, die der von Leo Pinke und Tim Trzaskalik herausgegebene Band umfasst, erläutert Rezensentin Antje Allroggen. Sonderbar, so Allroggen, dass sich in mancher Korrespondenz des die Lyrik seiner Zeit revolutionierenden Dichters die Sehnsucht nach einem bürgerlichen Leben ausdrückt. Das könnte mit seiner von frühen Verlusten geprägten Familiengeschichte zusammenhängen, vermutet die Rezensentin, und eben dies erklärt vielleicht auch die wichtige Rolle, die Freundschaften in Mallarmés Leben gespielt haben. Auch Briefe an seine Frau Marie sind in der Sammlung enthalten, erfahren wir, insgesamt wollen die Herausgeber keinen kompletten Überblick über das Leben des Dichters geben, vielmehr orientieren sie sich eigenen Angaben zufolge an Fragen, die mit dem Werk zusammenhängen. Man lernt aus den Briefen manches über Mallarmés Dichtung, so Allroggen, außerdem finden sich Korrespondenzen mit berühmten Zeitgenossen wie Zola und Monet. Sehr hilfreich findet die Rezensentin eine beigefügte Chronologie sowie Kommentare der Herausgeber, die die Briefe zudem ausgezeichnet übersetzt haben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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