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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.02.1995

Keine Peanuts

Für Erfolglosigkeit im Amt gibt es manchen Ausgleich. Jimmy Carter, ehemaliger Präsident der Vereinigten Staaten, hat sich nach seiner glücklosen Amtsführung eine zweite Laufbahn geschaffen, als Ratgeber und Vermittler, kurz: als kluger Mann. Nun kommt noch der Erfolg als Lyriker hinzu. Der Respekt vor Jimmy Carter ist mit den Jahren stetig gewachsen. Dazu hat auch menschliche Teilnahme beigetragen, wie die, die Carter dem angesehenen Biologen und erfolgreichen Autor naturgeschichtlicher Bücher, Stephen Jay Gould, zuteil werden ließ. Als dieser vor Jahren an Krebs erkrankte und dies in einem seiner monatlich erscheinenden Aufsätze in der Zeitschrift "Natural History" erwähnte, kam ein Telefonanruf des ehemaligen Präsidenten, um dem geschätzten Autor Genesungswünsche zu sagen: "Please hold the line, President Carter would like to speak with you."

Es blieb nicht dabei. Auf seinen Reisen durch Afrika las Jimmy Carter Stephen Jay Goulds Buch "Wonderful Life" (Zufall Mensch, Carl Hanser Verlag, München 1991), das auf eindrucksvolle Weise einen raffiniert modernisierten Darwinismus vorstellt. Es ist eine Art Reflexionsroman, der die Deutungsabenteuer einer bedeutenden erd- und lebensgeschichtlichen Fundstätte, des Burgess Shale, erzählt. Die "Botschaft" des Buches läuft, kurz gesagt, darauf hinaus, daß die menschliche Evolution sich wohl niemals so wiederholen würde, wie sie abgelaufen ist, wenn wir das Band noch einmal zu einem Anfangspunkt im vielzelligen Leben zurückspulen würden: zu viel Kontingenz, vor allem aber keine erkennbare Tendenz, den Menschen in seiner Sonderrolle heraus-, durch- und hochzubringen. Das Ganze eine Partie, in deren Verlauf der Mensch an vielen Stellen seine Entwicklungschance hätte verpassen können.

Durch dieses Szenario fühlte sich Carter, wie Stephen Jay Gould in seinem zuletzt auf deutsch erschienenen Buch "Bravo Brontosaurus" (Hoffmann und Campe, Hamburg 1994) berichtet, zu einer Antwort herausgefordert. In einem Brief fügte er der inzwischen langen Geschichte der Versuche, die Evolutionstheorie mit religiösen Überzeugungen auf höherer Stufe verträglich zu machen, ein Argument hinzu. "Sie scheinen unbedingt beweisen zu wollen", schrieb Carter, "daß alles, was einem evolutionären Ablauf vorausgegangen ist, bloßer Zufall war und daß, wollte man das Lebensband auf unzählige verschiedene Weisen zurückspulen, die Entstehung oder Erschaffung denkender Geschöpfe höchst unwahrscheinlich sei. Es könnte aber sein, daß, wenn man ,eine Chance unter Millionen' in die vierte oder fünfte Potenz erhebt, irgendwann eine Zeit kommt, wo der pure ,Zufall' in Frage gestellt werden kann. Ich habe den Eindruck, daß Sie sich mit einer Chance eins zu zehn in der dreißigsten Potenz einfach wohler fühlen als mit dem Begriff eines Schöpfers, der (who/that) alles ein wenig orchestriert."

Kann die Unwahrscheinlichkeit unserer Evolution, so übersetzt Gould das Präsidentenargument, nicht so groß werden, daß die bloße Tatsache, daß sie geschieht, eine irgendwie geartete göttliche Absicht anzeigt? Stephen Jay Gould ist ein brillanter Wissenschaftshistoriker, der es sich in seinen naturgeschichtlichen Essays immer auch zur Aufgabe macht, wissenschaftlich überholten oder chancenlos scheinenden Auffassungen ihr Recht widerfahren zu lassen.

So hat er die Überlegung Carters mit einer Episode aus der Geschichte der amerikanischen Biologie beantwortet, in der neben einem weitgehend vergessenen Harvard-Biologen, der Carters Argument vorweggenommen hatte, der Philosoph William James die Hauptrolle spielt. Dieser wies darauf hin, daß wir in die Zufälle der Geschichte Gott deswegen nicht hineinlesen können, weil es für ein einmaliges Geschehen, das erst im nachhinein erkannt wird, keine Wahrscheinlichkeitskalkulation geben könne. Nur wenn ein Plan vorhergehe, lasse sich von der Wahrscheinlichkeit seiner Verwirklichung reden. "Aber die Welt hat sich nur einmal ereignet, der Zeuge dieses Geschehens kommt nach dem Geschehen und kann es nur billigen . . . Wo nur eine Tatsache in Frage steht, kann es keine ,Wahrscheinlichkeitsrelation' geben."

Jimmy Carter ist nicht der einzige amerikanische Präsident, der sich gelegentlich in die Wissenschaft eingemischt hat. Teddy Roosevelt hat, ebenfalls als Ex-Präsident, im Jahre 1911 mit einer über hundert Seiten starken Abhandlung ("Revealing and Concealing Coloration in Birds and Mammals") gar eine Kampagne gegen einen Forscher geführt, der glaubte, das Rätsel der Tarnfarben der Tiere gelöst zu haben.

Auch diese Geschichte wird von Stephen Jay Gould im selben Band ausführlich dargestellt. Roosevelt behielt recht gegen einen originellen Mann, Abbot H. Thayer, der - in seinem eigentlichen Beruf Maler ein bedeutsames Phänomen - das sogenannte "counter-shading" entdeckt hatte, aber nun alles aus einem Prinzip erklären wollte. Dadurch kam er zu kuriosen Ansichten, die er durch seine impressionistische Malerei bewies, indem er etwa einen Pfauen malte, der im Licht-und Farbenspiel der Büsche buchstäblich unsichtbar wurde. Thayer glaubte auch die rosa Färbung der Flamingos dadurch erklären zu können, daß sie bei aufgehender oder untergehender Sonne gegen den rosa Himmel unsichtbar würden und sich so gegen ihre Feinde am Boden schützten. Aber weil Roosevelt so recht hatte, waren es schließlich die Engländer und nicht die Amerikaner, die sich den Grundgedanken Abbot H. Thayer zunutze machten, als sie im Ersten Weltkrieg ihre Schiffe nach seinen Vorschriften tarnten. HENNING RITTER

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