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Afghanistan, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. In einer sternenklaren Nacht, zu Füßen der Buddha-Statuen von Bamiyan, verliebt sich die Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach in eine Archäologin. Es ist die Nacht, in der Deutschland Polen überfällt und die Welt für Jahre in Chaos versinkt.Berlin, 2016: Karsten, der sich für die Sprachen und Kulturen des Nahen Ostens begeistert, trifft in Berlin auf Nayla, eine syrische Geflüchtete, die sich mehr schlecht als recht durch Alltag und Behördenwirrwarr ihrer neuen Wahlheimat manövriert. Die beiden kommen sich näher, eine zarte Liebe…mehr

Produktbeschreibung
Afghanistan, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. In einer sternenklaren Nacht, zu Füßen der Buddha-Statuen von Bamiyan, verliebt sich die Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach in eine Archäologin. Es ist die Nacht, in der Deutschland Polen überfällt und die Welt für Jahre in Chaos versinkt.Berlin, 2016: Karsten, der sich für die Sprachen und Kulturen des Nahen Ostens begeistert, trifft in Berlin auf Nayla, eine syrische Geflüchtete, die sich mehr schlecht als recht durch Alltag und Behördenwirrwarr ihrer neuen Wahlheimat manövriert. Die beiden kommen sich näher, eine zarte Liebe entsteht.Anhand dieser beiden ungewöhnlichen, in sich verschachtelten Liebesgeschichten erzählen der Schriftsteller Mathias E nard und die Comicautorin Zeina Abirached, wie schwierig es ist, die Grenzen im Kopf und zwischen den Menschen aufzulösen und zu vereinen, was Tradition und Geschichte getrennt haben. Und sie erzählen von der Herausforderung, zu lieben und sich zu öffnen, ob gestern oder heute, ob in Kabul oder in Berlin.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2019

Am Ufer des Tigris nach anderen suchen

Mathias Énard ist ein großer Reisender der Weltliteratur. Mit einem neuen Gedichtband und dem Szenario für einen Comic geht er wieder auf Erkundungen aus.

Von Niklas Bender

Mathias Énard hat sich mit den Romanen "Zone" (2008) und "Kompass" (Prix Goncourt 2015) als zentraler Vermittler zwischen West und Ost aufgestellt - zwischen Okzident und Orient, zwischen West- und Osteuropa. Erzählend schlagen seine Romane Brücken, durch konkrete Schicksale, Erlebnisse und Motive, aber auch dank unzähliger Referenzen, die allen möglichen Künsten und Disziplinen entstammen: Literatur und Bildhauerei, Geschichte und Musikwissenschaft, Arabistik und Architektur. Westöstlichen Verbindungen spürt Énard zudem mit überraschenden literarischen und bildlichen Mitteln nach: Das zeigen die Übersetzungen dieses Herbstes, der Gedichtband "Letzte Mitteilung an die Proust-Gesellschaft von Barcelona" und der Comic "Zuflucht nehmen", dessen Szenario Frucht einer Kooperation zwischen Énard und der libanesischen Comic-Autorin Zeina Abirached ist.

Die Gedichte in "Letzte Mitteilung an die Proust-Gesellschaft von Barcelona" sind über gut zwanzig Jahre hin entstanden. Auch wenn die drei Teile bündig gruppiert wirken, sind die Texte geographisch, motivisch und atmosphärisch vielfältig. Der erste Teil mit dem Titel "Dem Tod Konkurrenz machen" setzt mit dem Langgedicht "Beirut" ein, dem eindrücklichsten Text des Bandes. Es ist eine laus urbis, ein Lob der Stadt, die zur Aussichtsplattform für eine Globalvision wird. Anklänge an "Zone", Guillaume Apollinaires großes Avantgarde-Gedicht (aus "Alcools", 1913), sind spürbar: Énard hat dessen Titel für einen Roman verwendet und zitiert es nun beiläufig mit dem Schlagwort "Weltlängenrekorde". Wie in Apollinaires "Zone" entzünden sich in "Beirut" Uraltes und im konkreten Wortsinn Brandneues wechselseitig: "Meine Gefährten / Immer zahlreicher, sind seit achthundert Jahren tot / Ich habe eine Laute aus gebogenem Holz / Die ich nicht spielen kann". So ist von dem persischen Dichter Hafis die Rede, oder vom Troubadour Wilhelm von Aquitanien - aber auch von Bars und Clubs, vom Geruch nach "Thymian und verbrannten Reifen", von israelischen Jagdfliegern: "Grillten zahllose Vögel in ihren Düsen / Kurz aufgewärmt auf Campingkochern / Aßen wir sie mit den Fingern / Sie schmeckten himmlisch / Nach Kerosin und Taratur".

"Beirut" ist mehr als ein dicht gewobenes, universelles Stadtgedicht, es ist dichterisches Programm: "Wieder / Diese alten Aufbrüche / Diese Pergamente / Diese spröden Abwandlungen / Zum wiederholten Male lasse ich mich / Von uralten Versen zum Aufbruch ermutigen / Um in den toten Gärten von Granada / Am Ufer des Tigris / Des Golfs / Nach anderen zu suchen." Literatur als Vermittlung im Geiste der Bibliothek: Anfang und Begegnung finden für Énard in und dank "Papierpalästen" statt. Konkret sieht man das am Schriftbild: Wie Glossen ziehen sich am Rand von "Beirut" Zitate aus den genannten mittelalterlichen Dichtern, aus Racine, Rumi, Salim Barakat oder Mahmoud Darwisch entlang. Dass man die Passagen zuordnen kann (es ist zu hoffen oder zu befürchten, dass der Text von weiteren Referenzen wimmelt!) ist den Übersetzern Holger Fock und Sabine Müller zu verdanken; im Original fehlen Nachweise.

Die anderen Texte des ersten Teils sind Polen und dem Balkan gewidmet. Von einem würdig-lakonischen Gedicht zum Vernichtungslager Sobibor bis zur Groteske "Der französische Konsul betrunken auf dem Gehsteig vor seinem Konsulat" findet sich eine große Bandbreite an Themen und Stilen. Beide Texte belegen zudem Formenvielfalt: Das erste ist ein metrisch freier Fünfzeiler, während das zweite aus zehn Quartetten besteht, die mit Zehnsilbern und umarmenden Reimen einsetzen, dann aber Versmaß und Reimschema variieren. Die anderen zwei Teile "Steppenmaterial" und "Letzte Mitteilung an die Proust-Gesellschaft von Barcelona" sind ähnlich vielgestaltig. Letzterer ist auf der Iberischen Halbinsel angesiedelt, womit ein Verfahren angedeutet ist: Énard arbeitet topographisch, geht von Orten aus, die mal originell, mal über typische Eigenschaften beschworen werden. Das mag augenzwinkernd gemeint sein, wirkt jedoch ermüdend, wenn in "Trinken in Lissabon" Douro und Porto so wenig fehlen wie Pastel de Nata oder Fado. Da ist der Sprung ins "Weihnachtsmärchen" ("Tag") die bessere Methode, das dick Aufgetragene wieder abzuschaben. Manche von Énards Gedichte sind auf schlichte, andere auf raffinierte Weise schön - und manche gar nicht, wie auch nicht alle Romane des umtriebigen Autors gleichermaßen überzeugen.

Der Comic "Zuflucht nehmen" schlägt den erzählerischen Weg ein: Er verschachtelt zwei verhinderte Liebesgeschichten, eine im Berlin der Gegenwart, die andere im Afghanistan der Vergangenheit. In Berlin trifft der zurückhaltende Architekt Karsten auf die syrische Lehrerin Neyla, die aus Aleppo geflüchtet ist und seit zwei Monaten in einem Heim lebt. Sie nähern sich an, treffen aber auf enorme sprachliche und kulturelle Schwierigkeiten; vor allem fühlt Neyla sich längst nicht in Deutschland zu Hause. In diese Geschichte ist eine zweite eingelassen: Karsten liest "Zuflucht nehmen", ein fiktives Buch, das eine reale Episode der Reise berichtet, welche Annemarie Schwarzenbach (1908 bis 1942) und Ella Maillart (1903 bis 1997) im Jahr 1939 von Genf nach Kabul führte; Maillarts Roman "Der bittere Weg" hat die Erzählung, Schwarzenbachs Roman "Flucht nach oben" den Titel inspiriert. Im Tal von Bamiyan begegnen sie dem Archäologen-Ehepaar Hackin, zwischen einer der Frauen und Marie Hackin entspinnt sich eine zarte Bindung. Hitlers Überfall auf Polen zerstört die Idylle. Eine zentrale Rolle spielen die monumentalen Buddha-Statuen von Bamiyan: Sie werden von den Figuren bewundert und stellen bildlich das gesichtslose Kraftzentrum des Comics dar. Am Ende werden sie gesprengt (durch die Taliban 2001), eine Zerstörung, die zu einer Metamorphose führt.

Die Verwandlung liegt dem ornamentalen Ansatz von Abirached: Sie zeichnet großformatige Panels in Schwarzweiß und verwendet einen vereinfachenden, flächigen Stil. Der gestattet glatte Übergänge von eher realistischen zu rein symbolischen Darstellungen, das hat Abirached, deren Bände "Das Spiel der Schwalben" (2007) und "Piano Oriental" (2017) zu Recht viel Beachtung erfahren haben, mit Marjane Satrapi ("Persepolis") gemein. Mit Énard wiederum teilt sie das west-östliche Interesse. Énard, der Comics liebt und Comic-Rezensent bei "Le Monde" war, ist wohl das Berliner Setting zuzurechnen sowie vermutlich die Schwarzenbach-Episode, eine Figur, die Énard-Lesern ein Begriff ist. Mit der Haupthandlung ist diese Erzählung eher lose verbunden, über das Sternbild, das zweite Zentralmotiv des Bandes. Auch wenn daher Zweifel bleiben, ob der wunderschön gestaltete Comic wirklich ein konsequentes Ganzes darstellt: Die historische Verschachtelung macht aus "Zuflucht nehmen" eine komplexe Bilderwelt, die melancholisch stimmt, aber der Hoffnung poetischen Raum gibt.

Mathias Énard: "Letzte Mitteilung an die Proust-Gesellschaft von Barcelona". Gedichte.

Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. Hanser Berlin Verlag, Berlin 2019. 128 S., geb., 19,- [Euro].

Zeina Abirached, Mathias Énard: "Zuflucht nehmen".

Aus dem Französischen von Annika Wisniewski. Avant-Verlag, Berlin 2019. 345 S., br, 30,- [Euro].

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