Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999Der Igel kann zaubern
Neue Gedichte von Walter Helmut Fritz / Von Thomas Poiss
Walter Helmut Fritz hat für seinen ersten Lyrikband nach den "Gesammelten Gedichten" (1994) einen schmalen Spielraum abgesteckt, den er zu nutzen weiß. Die kleinen Texte sind in drei Zyklen angeordnet, getrennt durch jeweils eine Gruppe von Einzelgedichten, so dass eine klare Struktur entsteht. Gemeinsam ist vielen Gedichten die Perspektive des von außen an die Welt Herangehenden, der meist gar nicht in der ersten Person spricht, sondern als ,er' beschrieben oder in ein ,man' zerstreut wird. Der Kunstgriff, das Ich wegzulassen, bewährt sich auch bei Fritz. Gleichsam vom Bildrand her dringt das Bewusstsein in die sprachliche Szene und konturiert die Dinge: "Vor Augen / und unerreichbar / metallischer Stengel, / Blattadern, Knoten / von einem Beben / durchlaufen / zugelassen / im Leben / die Distel / am Strand". Die titelgebende Wendung kehrt in mehrfacher Abwandlung wieder: "Jetzt ist er schweigend / hingenommen" heißt es etwa von einem Sechsjährigen, der gerade schreiben lernt und so beinahe ohne Wissen in die Sprachgemeinschaft aufgenommen wird, wie die Distel bewusstlos ins Lebendige ragt. Dieses Weglassen von Innerlichkeit zeitigt vor allem bei der Evokation von Landschaft glückliche Effekte: "Der Ort ist durchschienen / von verhangenem Licht, / das will, das man hinschaut". Das ist gültig gesagt, denn im weiteren Gedicht geschieht das, was ein anderes im "Klanglicht" sommerlichen Flötenspiels ausspricht: "Die Menschen . . . gewannen Zugang zu ihrem Leben". Das Weglassen der Subjektivität misslingt aber, sobald Dritte involviert sind: "Es ist Russo / das Dorf / am Ende des Tals. / Es ist die Frau, / die den Käse holt. / Es ist der Mann, / der den Wein bringt. / Es ist der Abend / der durch die Scheiben sieht. / Es ist dein Gesicht, / das deine Geschichte erzählt". Die manierierte Transposition ins unpersönliche "Es" erzeugt ein Hinterglas-Idyll mit stummen Statisten, deren sprachloses Einvernehmen weder durch Darstellung noch durch den Buchkontext plausibel, geschweige denn spürbar gemacht wird. Einen ebenso zwiespältigen Eindruck hinterlassen Gedichte über Rittersporn, Fliegenpilz und Igel, weil das Spiel mit dem Aussparen der Reflexion wirklich sehr knapp neben dem Niedlichen verläuft. Und doch macht man plötzlich eine Entdeckung am Igel, von dem es heißt: "stiller Magier auch er". Wieso "auch"? Hat Fritz das Bild des Dichters dahinter versteckt? Oder sind alle Bewohner von Rändern und Steinmauern wie der Igel "stille Magier"?
Existiert nicht alles auf irrationale Weise? Diese Irritation an Worten erfahrbar zu machen ist Fritz' Kunst, und sie gelingt gerade in den Gedichten, deren Bild nur indirekt aufgeht: "Es war Nacht / es war November, / Nebel bedeckte das Tal, / schimmerte herauf, Nebel, / der es etwas anderem nachtat / offenbar Blüten nachtat, / unzählige Blüten, / und auf neue Weise / in dem Grund wohnte". Was zunächst wie ein ungeschickter Vergleich anmutet, lässt sich als inszenierte Verwirklichung eines amorphen Vorgangs verstehen, die den Nebel "wohnen" lässt - im Sprachbild. Diese Genauigkeit im Irrationalen glückt auch im Schlussgedicht: "Das Gesicht auf der Scherbe, / das der Sand der Wüste / bewahrt hat, / besteht fort. / Dolmetsch. / Große Augen. / Sie bauen mit ihrer Glut, / was man nicht sieht". Das schroff gesetzte Wort "Dolmetsch" macht aus der Scherbe ein Gedicht, indem es den Worten die Richtung eines Blicks verleiht. Die besten Texte von Fritz zeigen solch ein Auge für das Unsichtbare.
Walter Helmut Fritz: "Zugelassen im Leben". Gedichte. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1999. 80 Seiten, geb., 29,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Neue Gedichte von Walter Helmut Fritz / Von Thomas Poiss
Walter Helmut Fritz hat für seinen ersten Lyrikband nach den "Gesammelten Gedichten" (1994) einen schmalen Spielraum abgesteckt, den er zu nutzen weiß. Die kleinen Texte sind in drei Zyklen angeordnet, getrennt durch jeweils eine Gruppe von Einzelgedichten, so dass eine klare Struktur entsteht. Gemeinsam ist vielen Gedichten die Perspektive des von außen an die Welt Herangehenden, der meist gar nicht in der ersten Person spricht, sondern als ,er' beschrieben oder in ein ,man' zerstreut wird. Der Kunstgriff, das Ich wegzulassen, bewährt sich auch bei Fritz. Gleichsam vom Bildrand her dringt das Bewusstsein in die sprachliche Szene und konturiert die Dinge: "Vor Augen / und unerreichbar / metallischer Stengel, / Blattadern, Knoten / von einem Beben / durchlaufen / zugelassen / im Leben / die Distel / am Strand". Die titelgebende Wendung kehrt in mehrfacher Abwandlung wieder: "Jetzt ist er schweigend / hingenommen" heißt es etwa von einem Sechsjährigen, der gerade schreiben lernt und so beinahe ohne Wissen in die Sprachgemeinschaft aufgenommen wird, wie die Distel bewusstlos ins Lebendige ragt. Dieses Weglassen von Innerlichkeit zeitigt vor allem bei der Evokation von Landschaft glückliche Effekte: "Der Ort ist durchschienen / von verhangenem Licht, / das will, das man hinschaut". Das ist gültig gesagt, denn im weiteren Gedicht geschieht das, was ein anderes im "Klanglicht" sommerlichen Flötenspiels ausspricht: "Die Menschen . . . gewannen Zugang zu ihrem Leben". Das Weglassen der Subjektivität misslingt aber, sobald Dritte involviert sind: "Es ist Russo / das Dorf / am Ende des Tals. / Es ist die Frau, / die den Käse holt. / Es ist der Mann, / der den Wein bringt. / Es ist der Abend / der durch die Scheiben sieht. / Es ist dein Gesicht, / das deine Geschichte erzählt". Die manierierte Transposition ins unpersönliche "Es" erzeugt ein Hinterglas-Idyll mit stummen Statisten, deren sprachloses Einvernehmen weder durch Darstellung noch durch den Buchkontext plausibel, geschweige denn spürbar gemacht wird. Einen ebenso zwiespältigen Eindruck hinterlassen Gedichte über Rittersporn, Fliegenpilz und Igel, weil das Spiel mit dem Aussparen der Reflexion wirklich sehr knapp neben dem Niedlichen verläuft. Und doch macht man plötzlich eine Entdeckung am Igel, von dem es heißt: "stiller Magier auch er". Wieso "auch"? Hat Fritz das Bild des Dichters dahinter versteckt? Oder sind alle Bewohner von Rändern und Steinmauern wie der Igel "stille Magier"?
Existiert nicht alles auf irrationale Weise? Diese Irritation an Worten erfahrbar zu machen ist Fritz' Kunst, und sie gelingt gerade in den Gedichten, deren Bild nur indirekt aufgeht: "Es war Nacht / es war November, / Nebel bedeckte das Tal, / schimmerte herauf, Nebel, / der es etwas anderem nachtat / offenbar Blüten nachtat, / unzählige Blüten, / und auf neue Weise / in dem Grund wohnte". Was zunächst wie ein ungeschickter Vergleich anmutet, lässt sich als inszenierte Verwirklichung eines amorphen Vorgangs verstehen, die den Nebel "wohnen" lässt - im Sprachbild. Diese Genauigkeit im Irrationalen glückt auch im Schlussgedicht: "Das Gesicht auf der Scherbe, / das der Sand der Wüste / bewahrt hat, / besteht fort. / Dolmetsch. / Große Augen. / Sie bauen mit ihrer Glut, / was man nicht sieht". Das schroff gesetzte Wort "Dolmetsch" macht aus der Scherbe ein Gedicht, indem es den Worten die Richtung eines Blicks verleiht. Die besten Texte von Fritz zeigen solch ein Auge für das Unsichtbare.
Walter Helmut Fritz: "Zugelassen im Leben". Gedichte. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1999. 80 Seiten, geb., 29,90 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Uwe Pörksen stellt Fritz als einen Lyriker der "mittleren Tonlage" dar und vergleicht ihn in dieser Hinsicht mit Karl Krolow, der in diesem Spiel allerdings vielfältigere Masken aufsetze. Bei Fritz schätzt Pörksen dagegen das "bescheidene Schweigen", die Unabgeschlossenheit seiner Wahrnehmung, seine Stetigkeit, mit der er seit Jahren für ein kleines Publikum schreibt. Dabei sei er "vordergründig eigentlich klar", kein Hermetiker in der Schule Celans und keiner, der mit Sprache experimentiert. Seine Stärke sei viel mehr der Augenblick, die präzise "Weltwahrnehmung".
© Perlentaucher Medien GmbH
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