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St. Petersburg, März 1914. An einem stürmischen Morgen wird der Zeitungsredakteur O. V. Gulko vor den Augen einer entsetzten Menge ermordet. Alles deutet darauf hin, dass die Täter zur Kampforganisation der Sozialrevolutionäre gehören, und die Frage, warum ausgerechnet Gulko niedergestochen wurde, beschäftigt ganz St. Petersburg. Fünf Tage später erhält der Psychoanalytiker Dr. Otto Spethmann Besuch von der Polizei. Es hat einen zweiten Mord gegeben, und man verdächtigt ausgerechnet ihn, darin verwickelt zu sein - ihn und seine rebellische Tochter Catherine. Sorge bereiten ihm auch zwei neue…mehr

Produktbeschreibung
St. Petersburg, März 1914. An einem stürmischen Morgen wird der Zeitungsredakteur O. V. Gulko vor den Augen einer entsetzten Menge ermordet. Alles deutet darauf hin, dass die Täter zur Kampforganisation der Sozialrevolutionäre gehören, und die Frage, warum ausgerechnet Gulko niedergestochen wurde, beschäftigt ganz St. Petersburg.
Fünf Tage später erhält der Psychoanalytiker Dr. Otto Spethmann Besuch von der Polizei. Es hat einen zweiten Mord gegeben, und man verdächtigt ausgerechnet ihn, darin verwickelt zu sein - ihn und seine rebellische Tochter Catherine.
Sorge bereiten ihm auch zwei neue Patienten: Anna Petrovna, eine wunderschöne Frau aus der gehobenen Gesellschaft, die von Albträumen geplagt wird - und in die er sich unpassenderweise verliebt. Und Avrom Rozental, ein genialer Schachspieler, der kurz vor seinem wichtigsten Wettkampf, dem Großmeisterturnier, die Nerven zu verlieren droht. Sie alle werden in ein Netz aus Intrigen, Verrat und Mord verwickelt. Und es ist an Spethmann, jeden Schachzug genau zu planen ...
Autorenporträt
Ronan Bennett wuchs in Belfast auf. Er hat bisher fünf Romane veröffentlicht, darunter Über den dunklen Fluss (2002) und Havoc in its Third Year (2004). Zugzwang erschien 2006 als Fortsetzungsroman in The Observer. Bennett lebt mit seiner Familie in London.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2007

Eiskalt ist dies Märchen
Am Vorabend eines Weltkriegs genügt es nicht, die Stellung zu halten: Ronan Bennett macht in seinem Roman „Zugzwang” aus dem epochalen St. Petersburger Schachturnier des Jahres 1914 einen Verschwörungsthriller
Mit Schach hat die Literatur ein ähnliches Problem wie das Kino mit Baseball. Denn Schach ist eine eigene Sprache, die unendliche Tiefen kennt, deren Tragik unübersetzbar ist. Um die Faszination des Spiels für Schach-Analphabeten plastisch werden lassen, greifen Autoren meist auf die Schilderung des schrullig-wahnsinnigen Spielers zurück, wie Stefan Zweig in der „Schachnovelle” oder Nabokov in „Lushins Verteidigung”.
Jetzt hat sich der Brite Ronan Bennett mit „Zugwang” an einem historischen Schach-Thriller versucht. Der Begriff Zugzwang bezeichnet eine Spielsituation, in der jede mögliche Handlung die eigene Lage verschlechtern wird. In Bennetts Roman wird dies für den Psychoanalytiker Otto Spethmann zum beherrschenden Phänomen: Zugzwang prägt Spethmanns private Schachpartie, deren Fortschreiten der Leser in Diagrammen verfolgt, wie den Lauf der Welt.
Bennett mischt Historie und Fiktion: Ich-Erzähler Spethmann wird in eine Verschwörung verwickelt, die während des epochalen St. Petersburger Schachturniers von 1914, bei dem erstmals Großmeister ermittelt wurden, die Ermordung des Zaren zum Ziel hat. Der verhaltensauffällige Schachmeister Rozental, vom Autor nach dem Vorbild Akiba Rubinsteins geschaffen, ist die Marionette, von der das Gelingen des Attentats abhängt. Zwecks Herstellung einer präsentablen Turnierform landet er auf Spethmanns Couch, wie so ziemlich das gesamte übrige illustre St. Petersburg.
Ja, alle Figuren in den Salons und auf den Straßen der verschneiten Stadt sind exaltierte Charaktere, ob priapistischer Star-Violinist, innerlich zerrissener Revolutionär oder posttraumatisch belastete Gesellschaftsdame, die beim Sex auf Dirty Talk steht. Für Treffen verabreden sie herrlich abwegige Termine, etwa „heute um Mitternacht im Kaiserlichen Yachtclub”. Zudem ist hier jeder Schach-verrückt, vom Terroristen bis zum Gefängniswärter: Schach ist 1914 in St. Petersburg das, was Fußball 2006 in Deutschland war – ein eiskaltes Frühlingsmärchen.
Das ist zwar völlig übertrieben, aber meistens amüsant. Doch leider verschont uns Analytiker Spethmann nicht mit seiner Befindlichkeit vorm 50. Geburtstag und den Fallgeschichten seiner Patienten, mit denen er Träume und Kindheitserinnerungen aufarbeitet. Auf Schach als Hauptmotiv will Ronan Bennett sich nicht verlassen und verschenkt deshalb viel von den „schwindelerregenden Tiefen der Vorstellungskraft”, die er seiner Grundidee im Roman bescheinigt.
„Zugzwang” will zugleich Räuberpistole, tiefgründige Erkundung von Schach und Psychoanalyse und historischer Exkurs über die politische Gemengelage im St. Petersburg am Vorabend des Ersten Weltkriegs sein. Übrig bleibt von dieser leicht hysterischen Agenda ein solider Kultur-Thriller, ohne die stilistischen Zumutungen von Dan Browns „Da Vinci Code”, aber auch weit entfernt von der kompromisslos brillanten Angriffsschach-Prosa eines Zweig oder Nabokov. Das Schachturnier fügt sich in die atmosphärische Kulisse von Dampfbad, Markthallen und Prospekten, und man fragt sich, ob man den Autor dafür bewundern soll, dass er die Oberflächen großer Geisteswelten ohne Brüche in einem flotten Roman unterbringt, oder tadeln, weil Rubinstein, Freud oder Lenin nur Beiwerk bleiben in einem Thriller in St.-Kitsch-Petersburg.
2006 ist „Zugzwang” als Fortsetzungsroman im „Observer” erschienen, wovon in der Buchfassung die spannenden Kapitelübergänge zeugen, die für Tempo sorgen: Das Buch will in einem Rutsch gelesen werden. Wegen der bilderreichen Sprache und der seitenfüllenden Dialoge fühlt man sich danach, als hätte man einen Spielfilm gesehen, frei ab 16 (wegen expliziter Gewaltdarstellungen und Dirty Talk). Doch den trostlosen Schluss, der die Zugzwang-Metapher strapaziert, bis das Schachbrett wackelt, hätte man in Hollywood sofort neu gedreht: Im Gewirr seiner Figuren und überhöhten Motive setzt sich der Autor am Ende seiner Romanpartie selbst schachmatt.
CHRISTIAN KORTMANN
Ronan Bennett
Zugzwang
Roman. Aus dem Englischen von Stefanie Röder. Bloomsbury Berlin, Berlin 2007. 315 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Enttäuscht an diesem Buch hat Rezensent Christian Kortmann das Ende. Da geht der Autor etwas zu zwanghaft und überdreht zu Werke und setzt sich "selbst schachmatt". Zuvor aber hat Kortmann sich mit diesem "historischen Schach-Thriller" ganz gut unterhalten, hat die "illustre" Petersburger Gesellschaft des Jahres 1914 beim "Dirty Talk" belauscht und sich von der "bilderreichen Sprache" und der szenischen Rasanz des Textes mitreißen lassen. Schade findet Kortmann, dass Ronan Bennett sich damit nicht zufrieden geben und dem Schach-Motiv nicht allzu viel zutrauen wollte. Die "hysterische Agenda" aus Krimi, Psychoanalyse, Vorkriegspolitik und Brettspielkunst sprengt den Text, so dass dieser Kortmann letztlich zwar stilistisch besser als Dan Browns "Da Vinci Code", doch lange nicht so "kompromisslos brillant" erscheint wie Zweigs "Schachnovelle".

© Perlentaucher Medien GmbH
"Eine Sprache so schneidend wie ein Peitschenhieb, und doch zart und poetisch."(The Evening Standard über Über den Fluss)