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Hermann Kesten (1900-1996) ist eine Jahrhundertgestalt. Er prägte die Literaturszene der Weimarer Republik, war eine zentrale Figur des Exils und trug wesentlich zu den Debatten der jungen Bundesrepublik bei. Er verfasste zahlreiche Romane und Erzählungen, versuchte sich als Dramatiker und schrieb Gedichte. Als Essayist machte er sich vor allem nach dem 2. Weltkrieg einen Namen. Unvergessen sind seine Porträts berühmter Kollegen, die unter dem Titel "Meine Freunde die Poeten" erschienen. Bis zuletzt blieb er ein kritischer Geist, der das Zeitgeschehen pointiert kommentierte. Im galizischen…mehr

Produktbeschreibung
Hermann Kesten (1900-1996) ist eine Jahrhundertgestalt. Er prägte die Literaturszene der Weimarer Republik, war eine zentrale Figur des Exils und trug wesentlich zu den Debatten der jungen Bundesrepublik bei. Er verfasste zahlreiche Romane und Erzählungen, versuchte sich als Dramatiker und schrieb Gedichte. Als Essayist machte er sich vor allem nach dem 2. Weltkrieg einen Namen. Unvergessen sind seine Porträts berühmter Kollegen, die unter dem Titel "Meine Freunde die Poeten" erschienen. Bis zuletzt blieb er ein kritischer Geist, der das Zeitgeschehen pointiert kommentierte. Im galizischen Podwolozyska geboren, verbrachte Kesten seine Kindheit und Jugend in Nürnberg. Nach einem abgebrochenen Studium zog er nach Berlin, wo er als Lektor für den legendären Kiepenheuer Verlag arbeitete und Erfolg mit seinen ersten Romanen fand. 1933 sah er sich gezwungen, Deutschland zu verlassen. Die nächsten sieben Jahre lebte er in Frankreich und betreute von Paris aus die deutsche Abteilung des Amsterdamer Verlags Allert de Lange. 1940 floh er in die USA, wo er Hunderten die Einreise nach Amerika ermöglichte. 1949 wurde er amerikanischer Staatsbürger, zog aber Mitte der 50er Jahre nach Rom. Dort lebte er bis zum Tod seiner Frau im Jahr 1977. Daraufhin übersiedelte er nach Basel und verbrachte sein letztes Lebensjahrzehnt in einem jüdischen Altersheim. Kesten gehört zu den großen Persönlichkeiten der deutschen Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Nach dem 2. Weltkrieg war er neben Thomas Mann und Lion Feuchtwanger der meistgelesene deutsche Autor in den USA. Bleibende Verdienste erwarb er sich zudem durch die Werkausgaben von Joseph Roth und René Schickele sowie durch literarische Porträts und Briefsammlungen zum Exil.
Albert M. Debrunner hat sich über mehr als 25 Jahre mit Hermann Kesten beschäftigt, um dessen spannendes und vielfältiges Leben erzählen zu können. "Zu Hause im 20. Jahrhundert" ist die erste
Biographie über den Autor. Sie liest sich wie ein Roman
Autorenporträt
Debrunner, Albert M.
Albert M. Debrunner, geboren 1964, hat Englisch, Deutsch und Philosophie studiert; er promovierte mit einer Arbeit über den Schweizer Auf klärer Johann Jakob Bodmer und ist Gymnasiallehrer. Von 2006 bis 2014 war er Präsident der Allgemeinen Lesegesellschaft Basel. Außerdem ist er Stiftungsrat der dortigen Hebel-Stiftung. Er publizierte verschiedene Bücher, u.a. «Freunde, es war eine elende Zeit! René Schickele in der Schweiz 1915-1919» (2004), den «Literaturführer Thurgau» (2008), die «Literarischen Spaziergänge durch Basel» (2011) so wie zahlreiche Artikel zu literaturhistorischen Themen. In den1990er Jahren ist er Hermann Kesten noch persönlich begegnet. Albert M. Debrunner lebt in Basel.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.07.2017

Hassliebe zu Nürnberg
Albert M. Debrunners Hermann-Kesten-Biographie

Als der Schriftsteller Hermann Kesten 1996 starb und in Basel beigesetzt wurde, stand am Grab auch der damalige Nürnberger Oberbürgermeister Ludwig Scholz (CSU). Er sagte: "Kesten musste als Jude 1933 Nürnberg verlassen." Das war zwar richtig, aber es war doch auch nur ein Bruchteil der Wahrheit. "Nie hört man von solchen Beamten ein privates Wort der Beteiligung, des wirklichen Interesses, nie einen Aufschrei, die Reden gleichen einander, sie sind austauschbar, sie sind leer, eine Aneinanderreihung von Daten und Floskeln, eine zu erledigende Pflicht, ohne echte Teilnahme", zitiert der Schweizer Germanist Albert M. Debrunner in seiner gerade erschienenen und überhaupt ersten Kesten-Biographie "Zu Hause im 20. Jahrhundert" die Autorin Hilde Ziegler: "Die vielen Ehrungen können die Unehre nicht vergessen machen, die Nürnberg mit seinen berühmten fürchterlichen Gesetzen auch Kesten angetan hat."

In diesen empörten Sätzen spiegelt sich eine Tragik, die prägend war für das Leben des Hermann Kesten, der am 28. Januar 1900 in einem galizischen Dorf am hintersten Rand der österreichisch-ungarischen Monarchie als Sohn jüdischer Eltern geboren wurde. Nürnberg, die Stadt, in die er 1904 mit seinen Eltern kam und in der er eine idyllische Kinder- und Jugendzeit verlebte, hat er nicht einfach so "verlassen", als Hitler an die Macht kam: Er musste fliehen, weil es um sein Leben ging. Kesten hat Nürnberg nach dem Krieg einige Besuche abgestattet - die Zerstörung der Straßen und Häuser, also seiner guten Erinnerungen, schockierte ihn, den Menschen traute er nicht. Bleiben wollte und vor allem konnte er nicht, auch nicht sonstwo in Deutschland. Trotzdem wird man in Debrunners großer, detailgenauer Biographie oft auf den Namen Nürnbergs stoßen, und das hat eben seinen "guten" Grund darin, dass Kesten der Schmerz des Verlustes nie verließ: Nicht das arme Galizien mit seiner anderen Sprache und seinen seltsamen (jüdischen) Sitten vermisste er, sondern den romantischen Ort in Franken, in dem er seine Lehrjahre verbrachte, deutsche Dichter las und erste Schreibversuche wagte.

Egal ob er in Berlin war, wo er in literarische Kreise kam, bei Kiepenheuer Lektor wurde und mit Texten und Erzählungen (unter anderem für die "Frankfurter Zeitung") über Liebe, Affären und andere Widrigkeiten auffiel, die Kritiker als "unmoralisch im prüden Sinn" lobten, oder in Frankreich, der ersten Station des Emigranten, wo der unermüdliche Paris-Flaneur wieder freie Luft atmen konnte. Egal ob er dann im großen New York war, wo sich der aus kleinbürgerlichen Verhältnissen Stammende erstaunlich wohl und sicher fühlte, oder später in Rom, wo ihn und seine innigst geliebte Frau und unerlässliche Ratgeberin Toni die Kunst und das Flair die harten Jahre des Herumirrens fast vergessen ließen. Und egal, ob er schließlich in der Schweiz einen langen ruhigen Lebensabend verbrachte: Nürnberg, die alte, die noch "unschuldige" Stadt, hatte ihren Platz im Gefühl, in der Seele dieses Unsteten.

Aber zum Tragischen an und um Hermann Kesten gehört auch, dass man ihn als den, der er eigentlich sein wollte, heute kaum mehr wahrnimmt: als Dichter. Kesten hat mehr als ein Dutzend Romane geschrieben (von "Josef sucht die Freiheit" über "Die Zwillinge von Nürnberg" bis "Ein Mann von 60 Jahren"), zahlreiche Novellen (die in ihrer knappen, skurril-pointierten Form zum Besten im OEuvre gehören, was auch ein anderer Nürnberger, Hans Magnus Enzensberger, zu schätzen wusste: "Er ist mir voraus") und Theaterstücke, die es allerdings selten über die Uraufführung hinausbrachten. Der wirklich große Erfolg beim Publikum blieb ihm schon zu Lebzeiten versagt; Veritable Bestseller wurden allein seine Biographien, etwa über Kopernikus oder Casanova. Tatsächlich liest sich seine Prosa heute etwas schwerfällig, sie kommt weitschweifig und nur in wenigen Passagen, wenn Kesten beobachtend Atmosphären einfängt, allzu menschliche Eigenarten seziert oder sich über die Absurditäten des Alltags amüsiert, originell daher.

Warum er jedoch in Erinnerung geblieben ist, hat eine andere, weniger poetische, für Kesten freilich programmatische Ursache: Er war ein "Freund der Poeten" (so der Titel seiner erfolgreichsten Essay-Sammlung), der den Dichterkollegen half, wo er konnte. Nach 1933 unterstützte er sie, wenn sie Deutschland auf der Flucht vor den Nazis verlassen mussten, mit Geld und Unterschlupfmöglichkeiten; er verschaffte ihnen in Amsterdamer Exilverlagen Aufträge und sorgte dafür, dass ihre Bücher, die in Deutschland nicht mehr erscheinen durften, gedruckt wurden; aufgrund seiner feinfühligen Porträts gerieten sie auch in den Jahren des Terrors und des Verschweigens nicht in Vergessenheit, fanden sich wieder in Anthologien, die Kesten unermüdlich zusammenstellte. Viele Autoren hatten ihm nicht weniger als die Existenz zu verdanken, und sie dankten es ihm: Kestens Briefverkehr mit Geistesgrößen des vergangenen Jahrhunderts, aus dem der Biograph ausführlich zitiert, zeugen von tiefen Freundschaften, unter anderem mit Klaus Mann, René Schickele und vor allem Joseph Roth, den er entdeckte, förderte und auch nach dem Krieg wieder den Lesern zugänglich machte. Lustig zu erfahren übrigens, dass Roth seinerseits für sich reklamierte, Kesten erst richtig bekannt gemacht zu haben.

Debrunner verschweigt nicht, dass es in den Intellektuellenkreisen, wo jeder eitel um Anerkennung buhlt, auch Neider gab, die Kesten unterstellten, mehr für den eigenen Ruhm zu arbeiten, als sich tatsächlich selbstlos für Kollegen in Schwierigkeiten einzusetzen. Nach 1945, so liest man nun nochmals mit Befremden, wurde Kesten - wie viele der überlebenden und nun zaghaft zurückkehrenden Emigranten, die wieder ihren Platz suchen mussten - von jungen Autoren angefeindet; auch die Gruppe 47 wollte ihn und somit die ganze Last der vergangenen Jahre nicht haben und hören. Etwas blumig, aber durchaus treffend schreibt Debrunner: "Er war ein Bote aus Deutschlands finsterster Nacht, an die man im Morgenglanz der Wirtschaftswunderjahre nicht mehr denken wollte."

Kesten haben diese Debatten (Uwe Johnson nannte ihn 1961 in einer Kontroverse schlichtweg einen "Lügner") verstört, aber nicht verbittert, er stritt engagiert und vielleicht auch ein wenig bockig - und lebte doch wohl wirklich weiter in einer anderen, verlorenen Zeit, saß in Gedanken noch in den alten Kaffeehäusern, in denen sich zuverlässig wie der bestellte Mokka die Geistesblitze einstellten. Er entschied sich nicht aus verbohrten ideologischen Gründen oder oberflächlich für oder gegen jemanden, seine tiefe Menschlichkeit prüfte den Charakter des Gegenübers: Erich Kästner zum Beispiel, der im "Dritten Reich" die innere Emigration wählte und in Deutschland ausharrte, blieb Kesten ohne Wenn und Aber eng verbunden.

Albert M. Debrunners Biographie ist ein faszinierender Gang durch ein Jahrhundert der Abstürze und Gegensätze. Es kann kaum einen besseren Begleiter durch das verschwundene Europa geben als Hermann Kesten, diesen "heiteren Moralisten, vorurteilsfreien Menschenfreund, verzweifelten Optimisten, Satiriker mit Herz, Spötter mit Sentiment". Wie Debrunner ihn nennt: "Sohn des Jahrhunderts".

BERND NOACK

Albert M. Debrunner: "Zu Hause im 20. Jahrhundert - Hermann Kesten". Biographie.

Nimbus Verlag, Wädenswil 2017. 450 S., geb., 36,- [Euro].

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