Island einmal anders. Keine Geysire, keine Elfen. Kristof Magnusson erzählt eine wilde Großstadtgeschichte, spannend, mit subtilem Humor und hinreißenden Dialogen.
Mit großer Leichtigkeit, subtilem Humor und hinreißenden Dialogen erzählt Kristof Magnusson eine wilde Geschichte aus dem Großstadtleben am Polarkreis. Island einmal anders, ohne Geysire und Elfenfolklore. Fast eine Familiensaga, spannend wie ein Krimi und nebenbei das Portrait einer Generation, die ihr "Zuhause" erst noch finden muss.
Mit großer Leichtigkeit, subtilem Humor und hinreißenden Dialogen erzählt Kristof Magnusson eine wilde Geschichte aus dem Großstadtleben am Polarkreis. Island einmal anders, ohne Geysire und Elfenfolklore. Fast eine Familiensaga, spannend wie ein Krimi und nebenbei das Portrait einer Generation, die ihr "Zuhause" erst noch finden muss.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.08.2005Der innere Geysir
Isländische Wurzelbehandlung: Kristof Magnussons Romandebüt
Dies gleich vorweg: Ich war noch nie in Island. Oder sagt man: "auf Island"? Da fängt es schon an. Island war eben einfach nie ein Thema. Nicht in privater Hinsicht und auch nicht in der deutschen Gegenwartsliteratur. Rom ja, Florenz, ah, oder gleich griechische Inseln, Orient oder auch Kuba, der ganze warme südliche Wallungsraum eben. Um nach Reykjavík zu fahren, muß man schon besondere Gründe haben. Jaroslawa etwa ist Vulkanologin. In ihrer Heimat, der Slowakei, gibt es keine Vulkane. Deswegen ist sie hier. Raphael wiederum, der sich "dj différance" nennt, schätzt den Sinn fürs Experiment. In seiner Heimat, Frankreich, gibt es kein Publikum: "Die Leute in Paris wollen immer nur etwas, wozu man sich so bummbumm an Frauen reiben kann." Deswegen ist er hier.
Lárus aus Hamburg ist hier, weil er hier geboren ist, was vielleicht der dämlichste Grund ist, um in Island zu sein. Denn eigentlich müßte ja jeder junge Mensch froh sein, wenn er dort rauskommt (oder sagt man: "von dort runter"?). Der Dokumentarfilmer, der mit neun Jahren nach dem Tod seiner Mutter mit dem Vater nach Norddeutschland zog, wollte eigentlich nach Island fahren, um mit seinem Lebensgefährten Milan, seiner Sandkastenfreundin Matilda und deren Freund Weihnachten zu feiern. Doch schrumpft das Quartett gewissermaßen über Nacht zu einem recht disharmonischen Duo: Matilda hat ihre Beziehung beendet - sehr zu Lárus' Ärger, der sich aus alter Verbundenheit als ihr Berater in Liebesdingen sieht; Lárus selbst, waidwund vor Liebeskummer, wurde gerade von seinem Freund verlassen. Seine Reise trägt den Charakter einer Flucht.
Der 1976 in Hamburg geborene Kristof Magnusson wählte für seinen Debütroman einen geschickt beiläufigen Einstieg, der den Leser in das Alltags- und Nachtleben eines Landes einweist, dessen Mischung aus Weltläufigkeit und verschrobener Provinzialität gewisse Reize hat - auch wenn Lárus seiner Freundin einmal vorrechnet, daß er als Homosexueller bei einer Gesamtzahl von knapp 140 000 isländischen Männern rein statistisch keine Chance hat, einen passenden Partner zu finden. Da Lárus sein Elend im Exzeß ertränken will, erscheint der Roman zunächst wie eine ins Nordmeer verlegte Variante von Benjamin von Stuckrad-Barres "Soloalbum" - jedenfalls in seiner durch sympathische Selbstironie und Sarkasmus überspielten Melancholie. Auch dies ist ein Buch für Verlassene und seine beträchtliche Komik keine selbstzweckhafte Witzelei auf Kosten eines wehrlosen Randvölkchens, sondern eher ein ähnlich preisgünstiger Trostspender wie der Alkohol, den man hier neben Ikea im staatlichen Geschäft kartonweise kauft.
Es wäre jedoch ein Mißverständnis, Magnussons Buch wegen der zahlreichen popkulturellen Referenzen - der Erzähler hat ständig (englische oder finnische) Liedzeilen im Ohr - als exotisch camouflierten Poproman einzusortieren. Ungefähr bis zur Hälfte ist es vor allem die Geschichte einer gescheiterten Liebe - die Homosexualität des Erzählers ist dabei so selbstverständlich, daß sie gar nicht thematisiert werden muß. Lárus betreibt selbst literarische Trauerarbeit, indem er seine Erinnerungen an glücklichere Tage niederschreibt, um sie einer in Zürich ansässigen "Gesellschaft für Liebeskranke" zu übersenden. Gleichzeitig, quasi zur Ablenkung, beginnt er eine Affäre mit seinem alten Schulkameraden Dagur, der als schwarzes Schaf eines mächtigen Industriellenclans zum steineschleudernden Globalisierungsgegner geworden ist. So cool manche Leute im Club auch daherkommen, in ihrem Innern brodelt nicht selten ein Geysir.
An dieser Stelle nimmt die Geschichte eine unerwartete - und insgesamt auch unbekömmliche - Wendung: Dagur nämlich ist besessen von der Geschichte seiner Familie, die ihre Geschichte bis in die Zeit der norwegischen Landnahme Ende des ersten Jahrtausends zurückverfolgen kann. Eine zentrale Rolle in dieser mythischen Genealogie spielt die berühmte altisländische Saga von Egil Skallagrímsson, die die Familie als Ahnengeschichte vereinnahmt, um ihre nationale Vorrangstellung historisch zu legitimieren. Dagur, psychisch hochgradig labil und von Selbsthaß zerfressen, glaubt, einem sorgsam gehüteten Familiengeheimnis auf die Spur gekommen zu sein. Das problematische Verhältnis mit Lárus eskaliert; doch als Dagur schließlich mit seinem Auto in den Tod rast, beginnt der nun doppelt Trauernde, sich ernsthaft mit Dagurs Verschwörungstheorien zu befassen und eigene Nachforschungen über das Familienimperium anzustellen - bis hin zum Einbruch in die Industriellenvilla.
In dem Maße, in dem sich der Roman zu einem Krimi mit genretypischen Elementen verengt, weitet er sich zu einer allegorischen Abrechnung mit der isländischen Abstammungsmanie und damit verbundenen nationalen Mythen. Die zunächst leichtfüßige und ironische Geschichte lädt sich damit Gewichte auf, die ihre Konstruktion kaum tragen kann: Wenn am Ende Lárus' Suche nach den eigenen Wurzeln mit der Recherche nach häßlichen Flecken der Familienlegende zusammenfällt, wird die Chronik einer Lebenskrise doch sehr in das Prokrustesbett des Plots gepreßt - und außerdem beträchtlich in die Länge gezogen, denn der dramatische Höhepunkt der Handlung ist bereits in der Mitte des Buchs erreicht. Beiläufige Details, die man anfangs fast überlas, entpuppen sich im weiteren Fortgang als Teilchen eines großen isländischen Epenpuzzles, in dem keine Lücken bleiben. Zufälle muß man in diesem Land offenbar mindestens so lange suchen wie den passenden Lebensgefährten. Dieses insgesamt bemerkenswerte Debüt hält so leider am Ende nicht ganz, was es am Anfang gerade durch sein Understatement verspricht.
RICHARD KÄMMERLINGS
Kristof Magnusson: "Zuhause". Roman. Verlag Antje Kunstmann, München 2005. 320 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Isländische Wurzelbehandlung: Kristof Magnussons Romandebüt
Dies gleich vorweg: Ich war noch nie in Island. Oder sagt man: "auf Island"? Da fängt es schon an. Island war eben einfach nie ein Thema. Nicht in privater Hinsicht und auch nicht in der deutschen Gegenwartsliteratur. Rom ja, Florenz, ah, oder gleich griechische Inseln, Orient oder auch Kuba, der ganze warme südliche Wallungsraum eben. Um nach Reykjavík zu fahren, muß man schon besondere Gründe haben. Jaroslawa etwa ist Vulkanologin. In ihrer Heimat, der Slowakei, gibt es keine Vulkane. Deswegen ist sie hier. Raphael wiederum, der sich "dj différance" nennt, schätzt den Sinn fürs Experiment. In seiner Heimat, Frankreich, gibt es kein Publikum: "Die Leute in Paris wollen immer nur etwas, wozu man sich so bummbumm an Frauen reiben kann." Deswegen ist er hier.
Lárus aus Hamburg ist hier, weil er hier geboren ist, was vielleicht der dämlichste Grund ist, um in Island zu sein. Denn eigentlich müßte ja jeder junge Mensch froh sein, wenn er dort rauskommt (oder sagt man: "von dort runter"?). Der Dokumentarfilmer, der mit neun Jahren nach dem Tod seiner Mutter mit dem Vater nach Norddeutschland zog, wollte eigentlich nach Island fahren, um mit seinem Lebensgefährten Milan, seiner Sandkastenfreundin Matilda und deren Freund Weihnachten zu feiern. Doch schrumpft das Quartett gewissermaßen über Nacht zu einem recht disharmonischen Duo: Matilda hat ihre Beziehung beendet - sehr zu Lárus' Ärger, der sich aus alter Verbundenheit als ihr Berater in Liebesdingen sieht; Lárus selbst, waidwund vor Liebeskummer, wurde gerade von seinem Freund verlassen. Seine Reise trägt den Charakter einer Flucht.
Der 1976 in Hamburg geborene Kristof Magnusson wählte für seinen Debütroman einen geschickt beiläufigen Einstieg, der den Leser in das Alltags- und Nachtleben eines Landes einweist, dessen Mischung aus Weltläufigkeit und verschrobener Provinzialität gewisse Reize hat - auch wenn Lárus seiner Freundin einmal vorrechnet, daß er als Homosexueller bei einer Gesamtzahl von knapp 140 000 isländischen Männern rein statistisch keine Chance hat, einen passenden Partner zu finden. Da Lárus sein Elend im Exzeß ertränken will, erscheint der Roman zunächst wie eine ins Nordmeer verlegte Variante von Benjamin von Stuckrad-Barres "Soloalbum" - jedenfalls in seiner durch sympathische Selbstironie und Sarkasmus überspielten Melancholie. Auch dies ist ein Buch für Verlassene und seine beträchtliche Komik keine selbstzweckhafte Witzelei auf Kosten eines wehrlosen Randvölkchens, sondern eher ein ähnlich preisgünstiger Trostspender wie der Alkohol, den man hier neben Ikea im staatlichen Geschäft kartonweise kauft.
Es wäre jedoch ein Mißverständnis, Magnussons Buch wegen der zahlreichen popkulturellen Referenzen - der Erzähler hat ständig (englische oder finnische) Liedzeilen im Ohr - als exotisch camouflierten Poproman einzusortieren. Ungefähr bis zur Hälfte ist es vor allem die Geschichte einer gescheiterten Liebe - die Homosexualität des Erzählers ist dabei so selbstverständlich, daß sie gar nicht thematisiert werden muß. Lárus betreibt selbst literarische Trauerarbeit, indem er seine Erinnerungen an glücklichere Tage niederschreibt, um sie einer in Zürich ansässigen "Gesellschaft für Liebeskranke" zu übersenden. Gleichzeitig, quasi zur Ablenkung, beginnt er eine Affäre mit seinem alten Schulkameraden Dagur, der als schwarzes Schaf eines mächtigen Industriellenclans zum steineschleudernden Globalisierungsgegner geworden ist. So cool manche Leute im Club auch daherkommen, in ihrem Innern brodelt nicht selten ein Geysir.
An dieser Stelle nimmt die Geschichte eine unerwartete - und insgesamt auch unbekömmliche - Wendung: Dagur nämlich ist besessen von der Geschichte seiner Familie, die ihre Geschichte bis in die Zeit der norwegischen Landnahme Ende des ersten Jahrtausends zurückverfolgen kann. Eine zentrale Rolle in dieser mythischen Genealogie spielt die berühmte altisländische Saga von Egil Skallagrímsson, die die Familie als Ahnengeschichte vereinnahmt, um ihre nationale Vorrangstellung historisch zu legitimieren. Dagur, psychisch hochgradig labil und von Selbsthaß zerfressen, glaubt, einem sorgsam gehüteten Familiengeheimnis auf die Spur gekommen zu sein. Das problematische Verhältnis mit Lárus eskaliert; doch als Dagur schließlich mit seinem Auto in den Tod rast, beginnt der nun doppelt Trauernde, sich ernsthaft mit Dagurs Verschwörungstheorien zu befassen und eigene Nachforschungen über das Familienimperium anzustellen - bis hin zum Einbruch in die Industriellenvilla.
In dem Maße, in dem sich der Roman zu einem Krimi mit genretypischen Elementen verengt, weitet er sich zu einer allegorischen Abrechnung mit der isländischen Abstammungsmanie und damit verbundenen nationalen Mythen. Die zunächst leichtfüßige und ironische Geschichte lädt sich damit Gewichte auf, die ihre Konstruktion kaum tragen kann: Wenn am Ende Lárus' Suche nach den eigenen Wurzeln mit der Recherche nach häßlichen Flecken der Familienlegende zusammenfällt, wird die Chronik einer Lebenskrise doch sehr in das Prokrustesbett des Plots gepreßt - und außerdem beträchtlich in die Länge gezogen, denn der dramatische Höhepunkt der Handlung ist bereits in der Mitte des Buchs erreicht. Beiläufige Details, die man anfangs fast überlas, entpuppen sich im weiteren Fortgang als Teilchen eines großen isländischen Epenpuzzles, in dem keine Lücken bleiben. Zufälle muß man in diesem Land offenbar mindestens so lange suchen wie den passenden Lebensgefährten. Dieses insgesamt bemerkenswerte Debüt hält so leider am Ende nicht ganz, was es am Anfang gerade durch sein Understatement verspricht.
RICHARD KÄMMERLINGS
Kristof Magnusson: "Zuhause". Roman. Verlag Antje Kunstmann, München 2005. 320 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Der Halbisländer Kristof Magnusson ist lange schon in Deutschland zuhause. Er hat am Literaturinstitut in Leipzig studiert, zwei sehr erfolgreiche Theaterstücke vorgelegt und nun seinen ersten Roman. Dessen Ich-Erzähler mit Namen Larus ist ein Isländer, der lange schon in Deutschland zuhause ist. Ein Heimatroman, und zwar ein isländischer, ist es, findet die Rezensentin Anne Kraume, dennoch geworden. Das Island, das man kennenlernt, habe freilich mit den Klischees wenig zu tun: keine blubbernden Geysire, keine Elfen und Björk kommt auch nicht vor. Vielmehr geht es um Liebesgeschichten, die enden, um Landrover, die in Geschäfte fahren und zwischendurch geht es fast kriminalromanartig zu, erfahren wir. Und am Ende lässt sich Larus vom "Familienfimmel" eines Freundes anstecken. Da droht der Plot, meint Kraume, ein wenig aus dem Gleis zu geraten. Aber Magnusson bleibe doch souverän, vor allem, weil er eines eben wirklich kann: tolle Dialoge schreiben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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