"Seit einem Jahrzehnt hat Hans Magnus Enzensberger kein neues Gedichtbuch veröffentlicht. Diese Zurückhaltung mag daran liegen, daß die Wiederholung nicht seine Sache ist. Die mehr als fünfzig neuen Texte, die er hier vorlegt, setzen also nicht nur ein poetisches Programm fort, das mit seinem ersten Auftritt 1957 glänzend begonnen hat; sie betreten ein ungesichertes und ziemlich herrenloses Gelände. Das politische Pathos der Verteidigung der Wölfe ist dem Pathos der Distanz gewichen. Die neuen Gedichte sprechen mit der gleichen Selbstverständlichkeit und im selben Tonfall von alten Ehepaaren und von Weltuntergängen, von chinesischen Akrobaten und von den Geheimnissen des Kehlkopfs. Insofern sind sie nicht aktuell. Enzensberger hat sich gelegentlich über Dichter gewundert, denen die Dummheit als Inspirationsquelle dient. Scharfsinn, behauptet er, sei kein literarisches Verbrechen; im Gegenteil, die Sinnlichkeit der Sprache gehe am liebsten mit der Intelligenz ins Bett. Ob es um die Paradoxien unserer Wahrnehmung geht oder um das Los zweier alter Verkäuferinnen in einem Eisenwarenladen, um den politischen Terror oder um die rätselhafte Zeichnung einer Wanderdüne: die Poesie ist nicht nur, wie Novalis sagt, eine "Gemütserregungskunst", sie kann auch das Denken beschäftigen. Die Höhenräusche der Mathematik gehen ihr ebenso unter die Haut wie die Niederlagen des Alltags. In manchen dieser Gedichte, wo die Luft dünner wird, herrscht eine eigentümliche Spannung. Aber die Mühelosigkeit, mit der sie zwischen dem Trivialen und dem Erhabenen vermitteln, täuscht. Denn mit einem plötzlichen Sprung stürzt das intellektuelle Spiel in die Evidenz ab, und die philosophische These sieht sich mit ein paar lakonischen Worten sabotiert..."