Die junge Familie Arbelet unternimmt mit ihren beiden kleinen Söhnen eine anstrengende Pfingstwanderung. Müde erreichen sie den Landgasthof „Zum Weißen Ross“, wo der Vater übernachten möchte, um am nächsten Tag nach Hause zu wandern. Man könnte zwar auch noch den Bus benutzen und so die
Übernachtungskosten sparen. Obwohl seine Ehefrau Germaine noch ganz außer Atem ist, geht der ehrgeizige Vater…mehrDie junge Familie Arbelet unternimmt mit ihren beiden kleinen Söhnen eine anstrengende Pfingstwanderung. Müde erreichen sie den Landgasthof „Zum Weißen Ross“, wo der Vater übernachten möchte, um am nächsten Tag nach Hause zu wandern. Man könnte zwar auch noch den Bus benutzen und so die Übernachtungskosten sparen. Obwohl seine Ehefrau Germaine noch ganz außer Atem ist, geht der ehrgeizige Vater Maurice auf diesen Vorschlag nicht ein.
Nach einem appetitlichen Abendessen geht Madame Arbelet mit ihren Söhnen zu Bett. Eigentlich sollte sich der Vater um seine Familie kümmern, doch er sitzt noch in der Gaststube und spielt mit jungen Leuten und dem Wirt Karten. Natürlich wird auch getrunken, obwohl Arbelet nicht nur ein schlechter Spieler ist, sondern auch keinen Alkohol verträgt.
So kommt es, wie es kommen muss: später wird es Arbelet speiübel und er übergibt sich und das ausgerechnet im Treppenhaus des Gasthofes. Eine peinliche Situation, die noch beschämender wird, als sich herausstellt, dass der Nachtwächter, der die Schweinerei beseitigen muss, ein Onkel seiner Frau Germaine ist.
Obwohl der alte Felix ein ziemlich unsympathischer Typ ist, macht es Germaine glücklich, ihrem Onkel etwas Geld zustecken zu können. Doch dessen abstoßenden Manieren haben für ihre Kinder nicht gerade eine Vorbildwirkung. So schimpft er den ganzen Tag vor sich hin: „Ich bring noch mal einen um …“.
Neben dieser Familiengeschichte schildert Simenon auch ausführlich die zwischenmenschlichen Beziehungen unter dem Personal des Gasthofes. Da ist der Wirt, der allen Weiberröcken nachsteigt, von der sechzehnjährigen Kellnerin Rose bis zur schon ältlichen Therese. Seine Frau, Madame Fernande, weiß allerdings von diesen erotischen Eskapaden und schweigt dazu.
Äußerlich geht das Leben hier seinen gewohnten Gang. Man muss schon über genaue Menschenkenntnisse verfügen, um etwas Außergewöhnliches zu entdecken - doch Georges Simenon hat diese Fähigkeiten, um dem Leser das Unsichtbare sichtbar zu machen. Und so spitzen sich die Ereignisse nur langsam zu.
Der Roman, der sich weniger durch eine spannende Handlung als durch eine genaue Charakterzeichnung seiner Protagonisten auszeichnet, erschien 1938 unter dem Originaltitel „Le Cheval Blanc“, während die deutsche Erstausgabe erst 1980 im Diogenes Verlag veröffentlicht wurde. Diese Übersetzung wurde jetzt für die neue Edition der „Ausgewählten Romane“ noch einmal überarbeitet.
Manfred Orlick