Hans Mommsen, der große deutsche Zeithistoriker
Hans Mommsen ist einer der bedeutendsten Zeithistoriker Deutschlands. Er hat nicht nur grundlegende wissenschaftliche Werke zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert verfasst, sondern zudem mit engagierten Beiträgen die öffentliche und politische Debatte maßgeblich bereichert. In diesen großteils unveröffentlichten Essays zieht Hans Mommsen eine eindrucksvolle Bilanz seines Arbeitsschwerpunkts, der deutschen Geschichte zwischen 1918 und 1945. Prägnant und mit differenziertem Urteil analysiert Mommsen Schlüsselmomente des Übergangs von der Weimarer Republik zum "Dritten Reich", Hitlers Aufstieg zur Macht, der Krise des "Dritten Reiches" sowie Formen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus.
Unverzichtbare Lektüre für alle, die sich für deutsche Geschichte interessieren.
Hans Mommsen ist einer der bedeutendsten Zeithistoriker Deutschlands. Er hat nicht nur grundlegende wissenschaftliche Werke zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert verfasst, sondern zudem mit engagierten Beiträgen die öffentliche und politische Debatte maßgeblich bereichert. In diesen großteils unveröffentlichten Essays zieht Hans Mommsen eine eindrucksvolle Bilanz seines Arbeitsschwerpunkts, der deutschen Geschichte zwischen 1918 und 1945. Prägnant und mit differenziertem Urteil analysiert Mommsen Schlüsselmomente des Übergangs von der Weimarer Republik zum "Dritten Reich", Hitlers Aufstieg zur Macht, der Krise des "Dritten Reiches" sowie Formen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus.
Unverzichtbare Lektüre für alle, die sich für deutsche Geschichte interessieren.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.10.2010Rasende Radikalisierung
Hans Mommsen erklärt das „Dritte Reich“
und wie es zum Holocaust kam – eine Bilanz
Hans Mommsen ist seit fast fünfzig Jahren einer der einflussreichsten Zeithistoriker in Deutschland und einer der wenigen, dessen Arbeiten weltweite Verbreitung finden. „Zur Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert“ ist eine Bilanz seiner Forschung über die Jahre zwischen 1919 und 1949. Das Buch enthält Aufsätze, Vorträge und Rezensionen aus den vergangenen Jahrzehnten, die überarbeitet und etwas künstlich zu einem monographieähnlichen Buch zusammengestellt wurden. Das führt zu Redundanzen und einigen argumentativen Unschärfen. Gleichwohl liefert das Buch eine konzise Zusammenfassung der seit den frühen sechziger Jahren entwickelten Thesen des Autors zur Vorgeschichte und Geschichte des „Dritten Reiches“.
Sichtbar wird dabei vor allem, dass sich Mommsens Grundüberlegungen zunächst überwiegend aus der empörten Opposition gegen das von bis in die siebziger und achtziger Jahre verbreitete nationalkonservative Geschichtsbild herausbildeten. Gegen das Postulat, die Weimarer Republik sei an einer „zu demokratischen“ Verfassung gescheitert, hob er die Verantwortung der traditionellen Eliten und nicht zuletzt der deutschnationalen Kamarilla um Hindenburg für den Untergang der Republik hervor. Gegen die Thesen, Hitler sei legal oder mit Hilfe einer Revolution an die Macht gekommen, betonte Mommsen, dass Hitler über eine solche Machteroberungsstrategie gar nicht verfügt habe. Er habe vielmehr die Entschlossenheit der Machteliten, mit Republik und Demokratie aufzuräumen, nutzen können und durch die Gleichschaltung und Aushöhlung der staatlichen Institutionen einen pseudolegalen Kurs eingeschlagen, der ihm auch im Bürgertum Sympathien gebracht habe.
Gegen die Interpretation des NS- Regimes als einer zugespitzten Form der modernen Massengesellschaft hebt er die spezifischen Defizite der deutschen politischen Kultur hervor, ebenso wie er gegen die „geradezu dithyrambische Hochschätzung der ‚Volksgemeinschaft‘“ in einigen jüngeren Forschungsbeiträgen deutlich macht, dass trotz der egalitären Propagandaparolen des Regimes die sozialen Unterschiede bestehen blieben, die sozialen Aufstiegsmöglichkeiten begrenzt und auch die Begeisterung des Volkes für das Regime nur in wenigen Phasen, vor allem nach dem Sieg über Frankreich, wirklich verbreitet gewesen sei.
Vor allem aber setzt Mommsen gegen die alten Vorstellungen vom alles wissenden und alles steuernden Alleinherrscher und gegen die neuen Übertreibungen von der alles erklärenden „charismatischen Herrschaft“ Hitlers ein nüchterneres Bild des Diktators: Der habe zweifellos eine suggestive Ausstrahlungskraft besessen, vor allem aber habe er seine Herrschaft auf drei Elementen aufgebaut: auf der wachsenden Affinität der führenden Eliten in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft mit den Zielen der Partei; auf der Ausschaltung des Staatsapparats und damit der Zerstörung von Politik als eines um rationale Interessen- und Risikoabwägung bemühten Systems und schließlich auf der Herausbildung eines sozialdarwinistisch geprägten Ämterdschungels.
In diesem „Halbdunkel der politischen Willensbildung“ seien auch die sich stetig radikalisierenden Entscheidungen gefallen, und die Dynamik eines Systems ohne politische Widerlager sei für die bald rasende Radikalisierung stärker verantwortlich gewesen als ein zielgerichtetes Handeln des Diktator selbst. Auch der Holocaust, so Mommsen schließlich, sei keiner langfristigen Strategie und auch keinem Führerbefehl entsprungen. Viel eher sei er „eine aus der Natur des Systems resultierende Konsequenz“ gewesen, weil „die sich verschärfenden Interessengegensätze“ innerhalb der Regimeführung sowie im kriegführenden Deutschland insgesamt „ein kompensatorisches Ventil suchten und fanden“.
Mommsens Gesamtinterpretation ist in sich stimmig und geschlossen. Ihre Erklärungskraft ist dort besonders hoch, wo sie auf politische Strukturen und Institutionen bezogen ist, auf die Eigendynamik politischer und sozialer Prozesse sowie auf Machtverschiebungen innerhalb des Regimes. Jedoch: Die Anziehungskraft des Regimes auf große Teile der Bevölkerung vermag Mommsen ebenso wenig zu erklären wie die Bedeutung politisch-ideologischer Überzeugungen bei den oberen und mittleren Führungsgruppen des Regimes.
Die Frage, warum der weitaus überwiegende Teil der deutschen Akademiker, in Sonderheit der Studienräte und der Universitätsprofessoren, Hitler unterstützte, warum die deutsche Geisteselite die uns heute so unverständlich klingenden Traktate von Volk, Reich und Rasse zumindest ernst genommen, wenn nicht begeistert bejaht hat, wird in diesem Erklärungshorizont ausgeblendet.
Fast die gesamte Forschung zur Weimarer Republik und zur Geschichte des Nationalsozialismus fußt in der einen oder anderen Weise auf Mommsens Arbeiten. Auch wenn man ihm heute in manchen Punkten widersprechen möchte und andere Fragen stellt – ohne das Werk Mommsens könnten solche Fragen gar nicht gestellt werden. Dass das Bild des allmächtigen Diktators, auf dessen Wink hin Kriege geführt, Reiche zerstört, Genozide in Gang gebracht wurden, und einer Bevölkerung, die nur Verfolgung und Widerstand kannte – dass dieses Bild gründlich zerstört wurde, daran hat unter den Historikern in Deutschland und weltweit niemand so großen Anteil wie Hans Mommsen. Dass man sich an Mommsen reibt, sich über ihn aufregt, dass man vieles ähnlich, manches völlig anders sieht, zeigt nur, wie aktuell und herausfordernd seine Arbeiten sind. Mommsens kühle, zuweilen lakonisch klare Strukturanalysen des „Dritten Reiches“ ergeben nicht das ganze Bild. Aber sie haben doch den Rahmen gesteckt, durch den genaueres Hinsehen erst möglich wurde. ULRICH HERBERT
HANS MOMMSEN: Zur Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert. Demokratie, Diktatur, Widerstand. DVA, München 2010. 399 Seiten, 24, 99 Euro.
Der Historiker Ulrich Herbert lehrt an der Universität Freiburg.
„Dass man sich an Mommsen reibt,
zeigt, wie aktuell seine Arbeit ist.“
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Hans Mommsen erklärt das „Dritte Reich“
und wie es zum Holocaust kam – eine Bilanz
Hans Mommsen ist seit fast fünfzig Jahren einer der einflussreichsten Zeithistoriker in Deutschland und einer der wenigen, dessen Arbeiten weltweite Verbreitung finden. „Zur Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert“ ist eine Bilanz seiner Forschung über die Jahre zwischen 1919 und 1949. Das Buch enthält Aufsätze, Vorträge und Rezensionen aus den vergangenen Jahrzehnten, die überarbeitet und etwas künstlich zu einem monographieähnlichen Buch zusammengestellt wurden. Das führt zu Redundanzen und einigen argumentativen Unschärfen. Gleichwohl liefert das Buch eine konzise Zusammenfassung der seit den frühen sechziger Jahren entwickelten Thesen des Autors zur Vorgeschichte und Geschichte des „Dritten Reiches“.
Sichtbar wird dabei vor allem, dass sich Mommsens Grundüberlegungen zunächst überwiegend aus der empörten Opposition gegen das von bis in die siebziger und achtziger Jahre verbreitete nationalkonservative Geschichtsbild herausbildeten. Gegen das Postulat, die Weimarer Republik sei an einer „zu demokratischen“ Verfassung gescheitert, hob er die Verantwortung der traditionellen Eliten und nicht zuletzt der deutschnationalen Kamarilla um Hindenburg für den Untergang der Republik hervor. Gegen die Thesen, Hitler sei legal oder mit Hilfe einer Revolution an die Macht gekommen, betonte Mommsen, dass Hitler über eine solche Machteroberungsstrategie gar nicht verfügt habe. Er habe vielmehr die Entschlossenheit der Machteliten, mit Republik und Demokratie aufzuräumen, nutzen können und durch die Gleichschaltung und Aushöhlung der staatlichen Institutionen einen pseudolegalen Kurs eingeschlagen, der ihm auch im Bürgertum Sympathien gebracht habe.
Gegen die Interpretation des NS- Regimes als einer zugespitzten Form der modernen Massengesellschaft hebt er die spezifischen Defizite der deutschen politischen Kultur hervor, ebenso wie er gegen die „geradezu dithyrambische Hochschätzung der ‚Volksgemeinschaft‘“ in einigen jüngeren Forschungsbeiträgen deutlich macht, dass trotz der egalitären Propagandaparolen des Regimes die sozialen Unterschiede bestehen blieben, die sozialen Aufstiegsmöglichkeiten begrenzt und auch die Begeisterung des Volkes für das Regime nur in wenigen Phasen, vor allem nach dem Sieg über Frankreich, wirklich verbreitet gewesen sei.
Vor allem aber setzt Mommsen gegen die alten Vorstellungen vom alles wissenden und alles steuernden Alleinherrscher und gegen die neuen Übertreibungen von der alles erklärenden „charismatischen Herrschaft“ Hitlers ein nüchterneres Bild des Diktators: Der habe zweifellos eine suggestive Ausstrahlungskraft besessen, vor allem aber habe er seine Herrschaft auf drei Elementen aufgebaut: auf der wachsenden Affinität der führenden Eliten in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft mit den Zielen der Partei; auf der Ausschaltung des Staatsapparats und damit der Zerstörung von Politik als eines um rationale Interessen- und Risikoabwägung bemühten Systems und schließlich auf der Herausbildung eines sozialdarwinistisch geprägten Ämterdschungels.
In diesem „Halbdunkel der politischen Willensbildung“ seien auch die sich stetig radikalisierenden Entscheidungen gefallen, und die Dynamik eines Systems ohne politische Widerlager sei für die bald rasende Radikalisierung stärker verantwortlich gewesen als ein zielgerichtetes Handeln des Diktator selbst. Auch der Holocaust, so Mommsen schließlich, sei keiner langfristigen Strategie und auch keinem Führerbefehl entsprungen. Viel eher sei er „eine aus der Natur des Systems resultierende Konsequenz“ gewesen, weil „die sich verschärfenden Interessengegensätze“ innerhalb der Regimeführung sowie im kriegführenden Deutschland insgesamt „ein kompensatorisches Ventil suchten und fanden“.
Mommsens Gesamtinterpretation ist in sich stimmig und geschlossen. Ihre Erklärungskraft ist dort besonders hoch, wo sie auf politische Strukturen und Institutionen bezogen ist, auf die Eigendynamik politischer und sozialer Prozesse sowie auf Machtverschiebungen innerhalb des Regimes. Jedoch: Die Anziehungskraft des Regimes auf große Teile der Bevölkerung vermag Mommsen ebenso wenig zu erklären wie die Bedeutung politisch-ideologischer Überzeugungen bei den oberen und mittleren Führungsgruppen des Regimes.
Die Frage, warum der weitaus überwiegende Teil der deutschen Akademiker, in Sonderheit der Studienräte und der Universitätsprofessoren, Hitler unterstützte, warum die deutsche Geisteselite die uns heute so unverständlich klingenden Traktate von Volk, Reich und Rasse zumindest ernst genommen, wenn nicht begeistert bejaht hat, wird in diesem Erklärungshorizont ausgeblendet.
Fast die gesamte Forschung zur Weimarer Republik und zur Geschichte des Nationalsozialismus fußt in der einen oder anderen Weise auf Mommsens Arbeiten. Auch wenn man ihm heute in manchen Punkten widersprechen möchte und andere Fragen stellt – ohne das Werk Mommsens könnten solche Fragen gar nicht gestellt werden. Dass das Bild des allmächtigen Diktators, auf dessen Wink hin Kriege geführt, Reiche zerstört, Genozide in Gang gebracht wurden, und einer Bevölkerung, die nur Verfolgung und Widerstand kannte – dass dieses Bild gründlich zerstört wurde, daran hat unter den Historikern in Deutschland und weltweit niemand so großen Anteil wie Hans Mommsen. Dass man sich an Mommsen reibt, sich über ihn aufregt, dass man vieles ähnlich, manches völlig anders sieht, zeigt nur, wie aktuell und herausfordernd seine Arbeiten sind. Mommsens kühle, zuweilen lakonisch klare Strukturanalysen des „Dritten Reiches“ ergeben nicht das ganze Bild. Aber sie haben doch den Rahmen gesteckt, durch den genaueres Hinsehen erst möglich wurde. ULRICH HERBERT
HANS MOMMSEN: Zur Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert. Demokratie, Diktatur, Widerstand. DVA, München 2010. 399 Seiten, 24, 99 Euro.
Der Historiker Ulrich Herbert lehrt an der Universität Freiburg.
„Dass man sich an Mommsen reibt,
zeigt, wie aktuell seine Arbeit ist.“
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Ulrich Herbert schätzt Hans Mommsen als einen der "einflussreichsten Zeithistoriker in Deutschland". Der vorliegende Band "Zur Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert", der Texte des Historikers aus den vergangenen Jahrzehnten versammelt, bietet in seinen Augen eine "Bilanz" von Mommens Forschung über die Jahre zwischen 1919 und 1949. Obschon ihm die Zusammenstellung der Aufsätze, Vorträge und Rezensionen nicht immer rund anmutet und auch Redundanzen enthält, ergibt das Buch seines Erachtens eine prägnante Zusammenfassung von Mommsens Thesen zum Nationalsozialismus und dessen Vorgeschichte. Sehr überzeugend findet Herbert Mommsens Ausführungen zu politischen Strukturen und Institutionen des "Dritten Reichs" sowie die Dynamiken politischer und sozialer Prozesse, allerdings kann ihm auch Mommsen nicht die Anziehungskraft des Regimes auf große Teile der Bevölkerung und insbesondere auf die deutschen Akademiker erklären. Nichtsdestoweniger würdigt er die Arbeiten des Autors als "aktuell und herausfordernd".
© Perlentaucher Medien GmbH
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