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Die Bestimmungen »der Moderne« sind vorsichtiger geworden. An die Stelle der glatten Definitionen sind zunehmend differenzierte Bilder mit Widersprüchen und Ungleichzeitigkeiten gerückt. Nun muß auch die einfache Vorstellung aufgegeben werden, Ehre sei ein vormodernes Relikt, das heutzutage nur noch eine randständige Existenz friste und folglich als legitimer Forschungsgegenstand nur noch der historischen Zunft fromme.
Ludgera Vogts Arbeit zeigt theoretisch wie empirisch auf, daß Ehre als ein werthaltiges Zuschreibungsmuster von sozialer Anerkennung den Strukturierungsprozeß von
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Produktbeschreibung
Die Bestimmungen »der Moderne« sind vorsichtiger geworden. An die Stelle der glatten Definitionen sind zunehmend differenzierte Bilder mit Widersprüchen und Ungleichzeitigkeiten gerückt. Nun muß auch die einfache Vorstellung aufgegeben werden, Ehre sei ein vormodernes Relikt, das heutzutage nur noch eine randständige Existenz friste und folglich als legitimer Forschungsgegenstand nur noch der historischen Zunft fromme.

Ludgera Vogts Arbeit zeigt theoretisch wie empirisch auf, daß Ehre als ein werthaltiges Zuschreibungsmuster von sozialer Anerkennung den Strukturierungsprozeß von Gegenwartsgesellschaften nachhaltig prägt. Im Rückgriff auf moderne Klassiker der Soziologie und die durch sie begründeten Denktraditionen werden zunächst die zentralen Funktionen von Ehre in der Moderne bestimmt: Differenzierung und Machtgenerierung einerseits (von Weber über Veblen und Goffman zu Bourdieu); Integration andererseits (von Simmel über Korff und Honneth zu Coleman). Diese theoretischen Klärungen werden dann zur Analyse von gegenwärtigen Ehrdiskursen herangezogen, wobei Formen der Ehrung und Entehrung im Mittelpunkt stehen.

Den Schluß des Buches bildet eine Bestimmung der Funktion der Ehre in der Moderne, die in kritischer Auseinandersetzung mit aktuellen Modernitätstheorien verdeutlicht, daß es gerade vermeintlich 'unmoderne' Phänomene wie die Ehre sind, die das fragile Gebilde der Gegenwartsgesellschaften zusammenhalten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.1997

Eine Frage der Ehre
Boxprofis antworten unmißverständlich, Soziologen wie Ludgera Vogt in der Fachsprache

Kürzlich trafen bei einer Begegnungswoche zwischen Himmel und Hölle Al Capone, Franz Josef Strauß, Erich Honecker und Baron von Instetten, der einst Effi Briest geehelicht hatte, zusammen. Sie stritten über vieles, aber was den Wert der "Ehre" anging, waren sie sich gleich einig: Al Capone stellte die Ehre seiner "Familie" über das Leben der Gegner; Franz Josef Strauß erinnerte an seine Worte aus dem Jahr 1988, daß der Mangel repräsentativer Ehrungen den Verfall eines Gemeinwesens mitbedinge ("Strukturfehler der Weimarer Republik"!); Erich Honecker verwies dagegen stolz auf die 128 verschiedenen Orden, die seinerzeit in der DDR verteilt wurden ("Verdienter Züchter"!); Herr von Instetten stand unmißverständlich zu seiner Neigung, sich als Ehren- und Ehemann mit eventuellen Liebhabern seiner Gattin zu duellieren.

In mehr oder minder prominenter Weise sind alle vier auch Protagonisten in Ludgera Vogts soziologischer Arbeit "Zur Logik der Ehre in der Gegenwartsgesellschaft". Die Gegner, mit denen sie sich auseinandersetzt, sind Peter L. Berger, der das Ende der Ehre in der Moderne dekretiert hat, und Ute Frevert, die Historikerin des Duells als ausgestorbener Kunstform, die eine frühere Publikation Ludgera Vogts eher abweisend rezensiert hat (F.A.Z. vom 27. Juni 1994). Vogts These lautet: Die Ehre lebt, und sie belegt dies mit 389 einschlägigen Artikeln, die ihr bei der Auswertung der "WAZ" und der Zeitung, in der diese Rezension erscheint, in die Hände gefallen sind. Nur: worum handelt es sich genau bei dieser Ehre, deren Anhänger so höllisch und himmelweit voneinander entfernt sind? Wie funktioniert sie heutzutage? Funktioniert sie überhaupt noch?

Die Frage der Ehre wird aufgebracht nicht nur von Boxprofis und Nostalgikern; sie ist Symptom einer Trendwende, die sich zur Zeit in den Sozialwissenschaften ankündigt. Bis vor kurzem standen noch die freisetzenden, entregelnden Tendenzen der Moderne im Mittelpunkt des theoretischen Interesses. Die einen ließen sich von Ulrich Becks "Individualisierung" faszinieren, die anderen von Paul Virilios "Beschleunigung" erschrecken. Neuerdings rücken wieder die Ambivalenzen der Moderne und ihre Anhänglichkeit an alte Konflikte und Nöte ins Blickfeld. So wird auf die "Bindekräfte" verwiesen, die eine Gesellschaft doch brauche, und so kommt eben auch die "alte" Ehre wieder zu Ehren.

Was wäre ein Trend ohne Theorie? Ludgera Vogt setzt sie zusammen aus einer bunten Mischung von Bausteinen, zu deren Lieferanten Max Weber und Georg Simmel gehören, Erving Goffman und Pierre Bourdieu und auch der Moraltheologe Wilhelm Korff. Die Quintessenz ihrer Theorie lautet: einerseits, andererseits. Einerseits hat die Ehre, so sagt sie, eine "differenzierende und machtgenerierende Funktion": sie dient Eliten, ständischen Verbindungen und Berufsgruppen dazu, sich abzugrenzen, sich Status und Kodex zu verschaffen. Andererseits hat die Ehre eine "integrierende Funktion": sie sorgt für Zusammenhalt, weckt Erwartungen und schafft Bindungen.

Die Ehre ist ein schillernder Begriff. Mafiosi, Neonazis führen ihn im Munde, aber auch die Preisredner für die Träger des Ordens "Pour le mérite". Die Ehre gibt sich her für einen leeren, selbstzerstörerischen Ehrenkultus, wie ihn Theodor Fontane als "Götzendienst" beschrieben hat, und sie steht für den Respekt, den man einem integren Zeitgenossen oder einem großen Künstler entgegenbringt. Ihre - oft schreckliche - Wahllosigkeit hat damit zu tun, daß sie in einer sozialen Grauzone, in einem Zwischenreich von Moral und Gruppendruck, Respekt und Rollenzwang zirkuliert. Sie steht irgendwo zwischen allgemeinmenschlicher Wertsetzung und privaten Spielregeln, ist auf vielfältige Art brauchbar, deutbar, angreifbar. Deshalb ist die Ehre auch, nach der von Vogt zitierten schönen Bemerkung Hegels, "das schlechthin Verletzliche".

Sowohl in theoretischer als auch in empirischer Hinsicht gibt Ludgera Vogt eine übersichtliche Darstellung all jener Facetten. Manchmal neigt sie zur "kalten" Sprache der Systemtheorie, bringt "Charismageneratoren" in Stellung, um die "nützliche Ressource" Ehre zu "bewirtschaften". Doch dahinter steckt bei ihr die "warme" Sprache der "Werthorizonte", der "gemeinsamen Gefühle", und am Ende wird die Ehre pauschal als Mittel zur Integration und Orientierung der Gesellschaft, zur Schadensbegrenzung in der Moderne willkommen geheißen.

Dieses Wohlwollen treibt Vogt manchmal auf seltsame Argumentationswege. Wenn sie etwa Franz Josef Strauß' These beipflichtet, daß der Mangel an Ehrungen den Zerfall einer Gesellschaft fördere, und wenn sie wenige Seiten weiter die Kultivierung von Ehrungen in der DDR beschreibt, so könnte dies geradewegs zu der Annahme führen, daß dieser Vorzug die DDR vor dem Zerfall geschützt habe; nach allem, was man hört, gibt es sie aber nicht mehr.

Im Detail steckt auch bei der Ehre der Teufel. Gerade weil dieser Begriff eben doch nicht dasselbe meint wie "Würde", zielt er nicht auf den "ganzen Menschen", sondern auf Spezielleres, das in mehr oder minder humanen Umständen einzusetzen ist. Mit kaltem Blick könnte man sich ja damit begnügen, die Regeln für das soziale Spiel der Ehre mitsamt der Macht der Ausgrenzung, die gelegentlich in ihm steckt, einfach nur vorzuführen und zu sagen: Seht, so funktioniert Gesellschaft. Wer sich aber der Ehre verbunden fühlt, wer sie - gegen Theoretiker wie Peter L. Berger und Ute Frevert - vom Verdacht des Veraltens freisprechen will, muß auf die Frage, welche Art von Ehre denn menschenfreundlich und zukunftsträchtig sei, eine Antwort bereit haben. Diese Antwort spart sich Ludgera Vogt, und so ist am Ende zu befürchten, daß die Ehre, an der sie sich wärmt, etwas Frostiges hat. Ein Satz von Richard Münch, den sie zitiert, paßt auch auf die "Logik der Ehre": "Die Soziologie hat viele Anläufe zur Beantwortung der Frage nach der Integration moderner Gesellschaften genommen. Sie alle sind weder ausreichend noch wertlos."

Ludgera Vogts Buch greift eine Frage auf, die die Gesellschaft und ihre Wissenschaftler umtreibt, die Frage nämlich, wie modern die Moderne eigentlich sei, wie Altes und Neues sich gegeneinander sperren oder aufeinander aufbauen. Bei der Behandlung dieser Frage bewegt Ludgera Vogt sich mühelos auf dem Niveau der Fachdiskussion; wegen dieser Treue zum Niveau zeigt ihr Buch aber auch Symptome einer heutzutage weitverbreiteten Krankheit: des Wetteiferns mit der Vogelscheuche. Sie dient vielen Autoren als Vorbild, und deshalb klappern sie derart penetrant mit Begriffen, daß die Leser bald Reißaus nehmen. In diesem Fall ist es das berüchtigte Soziologendeutsch, das die Seiten überzieht. Die Fachkollegen, die Ludgera Vogts Buch, das aus einer Dissertation hervorgegangen ist, lesen werden, mögen sie begeistert in ihren inneren Kreis aufnehmen; und wahrscheinlich wäre es riskant für sie, würde sie sich dem Jargon verschließen. Aber Wissenschaftler, die einen Beitrag zur Lesbarkeit der Welt leisten können, sollten vielleicht ihre Ehre auch in der Lesbarkeit ihrer Bücher suchen. DIETER THOMÄ

Ludgera Vogt: "Zur Logik der Ehre in der Gegenwartsgesellschaft". Differenzierung, Macht, Integration. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997. 437 S., br., 27,80 DM.

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