Ludwig Erhards Slogan "Wohlstand für alle" ist fast 60 Jahre nach der Veröffentlichung nur noch eine leere Phrase. Die soziale Marktwirtschaft ist gänzlich aus dem Fokus der Politik verschwunden. Stattdessen agiert eine globale Kartellmacht, die in der Lage ist, selbst Regierungen gegeneinander auszuspielen.
Die neuen "Masters of the Universe", die Googles, Facebooks und Blackrocks dieser Welt, sind kaum zu fassende, multinationale Gebilde, die sich jedweder Reglementierung entziehen, wenig Steuern zahlen und als "Dank" auch noch mit den Geheimdiensten dieser Welt zusammenarbeiten und mit sensiblen Informationen handeln.
Die Politiker sind bestenfalls Randfiguren in einem Spiel, das sie längst nicht mehr verstehen. Mit einer hektischen Rettungspolitik vollauf beschäftigt, lassen sie einem Kasino-Kapitalismus freien Lauf, in dem nicht nur die Mitspieler mit gezinkten Karten spielen, sondern auch noch der Croupier manipuliert. Ulrich Horstmann deckt schonungslos die modernen Machtzirkel auf, nennt die Profiteure beim Namen und zeigt, was der Einzelne dennoch tun kann, um sich zu wehren.
Die neuen "Masters of the Universe", die Googles, Facebooks und Blackrocks dieser Welt, sind kaum zu fassende, multinationale Gebilde, die sich jedweder Reglementierung entziehen, wenig Steuern zahlen und als "Dank" auch noch mit den Geheimdiensten dieser Welt zusammenarbeiten und mit sensiblen Informationen handeln.
Die Politiker sind bestenfalls Randfiguren in einem Spiel, das sie längst nicht mehr verstehen. Mit einer hektischen Rettungspolitik vollauf beschäftigt, lassen sie einem Kasino-Kapitalismus freien Lauf, in dem nicht nur die Mitspieler mit gezinkten Karten spielen, sondern auch noch der Croupier manipuliert. Ulrich Horstmann deckt schonungslos die modernen Machtzirkel auf, nennt die Profiteure beim Namen und zeigt, was der Einzelne dennoch tun kann, um sich zu wehren.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.01.2015Der Abstieg
Zu viel wurde versäumt: Abgesänge und Ausblicke
auf die deutsche Wirtschaft / Von Tanja Dückers
Angela Merkels mantrahaft wiederholtes „Uns geht’s gut“ provoziert eine kritische Überprüfung. Mehrere Autoren haben in diesem Herbst Bücher publiziert, die einen Abgesang auf Deutschland als einer führenden Wirtschaftsnation anstimmen. Darunter auch Olaf Gersemann und Ulrich Horstmann. Die derzeit kursierenden gedämpften Prognosen für die Konjunkturentwicklung haben beide Autoren treffend vorausgesagt.
So sehr sich die ökonomischen Befunde in Bezug auf Deutschlands nahe Zukunft gleichen, so unterschiedlich fallen die Analysen und die Lösungsvorschläge aus. Ulrich Horstmann, Autor einer Reihe von Fachbüchern, präsentiert sich als strammer Ordoliberalist, der Walter Eucken so oft zitiert, dass man sich fragt, ob er vor Erscheinen des Buchs einen profitablen Deal mit dem Jenseits abgeschlossen hat.
Eucken war geistiger Mentor von Ludwig Erhard, der in Horstmanns Buch auch in einem fort aus seiner Grabesruhe gerissen wird. Bei aller Sympathie für die Verve, mit der Horstmann gegen den Aufstieg der Investmentbanken und gegen ihre staatliche Subventionierung wettert, überrascht doch sein ungebrochener Glaube an ein wirtschaftspolitisches Modell, das auf die späten Vierzigerjahre des 20. Jahrhunderts rekurriert.
Der Ordoliberalismus war damals nicht zuletzt als Antwort auf den Nationalsozialismus zu verstehen. Ohne die Unterstützung verschiedener Großunternehmen hätte das Dritte Reich weder wirtschaftlich noch militärisch eine derartige – zerstörerische – Schlagkraft gehabt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sollten Kartellbildungen und Monopolstellungen dauerhaft verhindert werden.
Doch die heutige Zeit ist wirtschaftspolitisch nicht zu vergleichen mit der „Stunde null“. In dieser historisch einmaligen Situation konnte der Staat in einem neu zu strukturierenden Raum lenkend tätig werden. Bürgerlich-idealistische Vorstellungen, wie sie der Ordoliberalismus repräsentiert – man müsse nur die richtigen Gesetze erlassen, dann entfalte sich ihnen gemäß ein fairer, ausgewogener wirtschaftlicher Wettbewerb –, waren verbreitet.
Doch seit den Zeiten Ludwig Erhards hat sich die Welt verändert, Finanzdienstleister erlebten nicht nur aufgrund moralischer Defizite – so klingt es bei Horstmann – einen kometenhaften Aufstieg, sondern auch aufgrund der nachlassenden Bedeutung vormals dominierender Industrien in Bereichen wie Kohle und Stahl. So berechtigt Horstmanns Kritik am Finanzkapitalismus ist, überrascht doch seine große Nostalgie. Sie zeigt sich auch in Verflachungsformeln wie „Der Ehrliche ist der Dumme“ oder dem Vergleich zwischen Finanzdienstleistern und „Hütchenspielern“.
Vor allem aber desavouiert sich Horstmann schon mit seinem ersten Satz: „Deutschland hätte eine ,große Schweiz‘ in Europa bleiben können.“ Für Horstmann ist die EU ein Kernproblem, weil sie die starke ordnende Hand angeblich schwächt. Der Ordoliberalist hat kein Verständnis für die vielen nicht-ökonomischen Gründe, die für die EU und später für die Osterweiterung gesprochen haben. Horstmann gibt den Lesern zwar Tipps, wie sie ihr Geld anlegen sollen, äußert sich über Immobilien- und Edelmetallerwerb, ist aber in der postbipolaren Welt nach dem Mauerfall mit ihren vielen überstaatlichen Akteuren, die er nur blind verdammt, nicht angekommen.
Da wirkt Olaf Gersemann wacher und gegenwartsbezogener. Mit weniger moralischen Wertungen und geringerem Pathos skizziert der Ressortleiter Wirtschaft und Finanzen bei der Welt -Gruppe die sich für Deutschland verdüsternden wirtschaftlichen Rahmendaten: Die deutsche Volkswirtschaft, in der man sich seit Jahren mit Millionen Arbeitslosen arrangiert, ist eine der wachstumsschwächsten der Welt. Besonders düster schildert der Autor die demografische Entwicklung. Fehlender Nachwuchs, Überalterung und Abwanderung von Fachkräften könnten, so Gersemann, schneller als erwartet aus dem einstigen „Hochleistungssportler“ Deutschland einen „Vollinvaliden“ machen.
Sympathisch an Gersemanns Buch ist auch die Warnung vor deutscher Selbstüberschätzung: Skeptisch zitiert er den Stern -Journalisten Hans-Ulrich Tröge, der nach dem Finalsieg bei der WM konstatierte, die Deutschen seien „in der glücklichsten Phase ihrer Geschichte“ angelangt, mit einer Wirtschaft, die „unverwüstlich, wandlungsfähig, weltweit einmalig“ sei. Er zitiert Wolfgang Schäuble, der angesichts der horrenden Kosten des Rentenpakets einfach nur sagte: „Wir können uns das leisten.“ Dem stellt Gersemann gegenüber, dass sich weite Teile der deutschen Industrie im Rückbau-Modus befinden und die Wachstumsimpulse vor allem aus dem Exportgeschäft kommen: Das macht aber sehr abhängig von anderen Akteuren.
Olaf Gersemann gibt auch praktische Lösungsvorschläge für den sich ankündigenden wirtschaftlichen Abstieg. Anders als Horstmann sieht er die EU als unabdingbar an. Statt sich die Schweizer Alpen rund um die deutschen Lande zu wünschen, spricht er sich für mehr Transnationalität aus und plädiert für mehr Immigration: „Alle Akademiker, ob aus der EU oder von außerhalb, bekommen, wenn sie in Deutschland erfolgreich ein Studium absolviert haben, eine unbegrenzte Aufenthalts– und Arbeitserlaubnis.“
Andere Ideen zielen auf eine noch weitere wirtschaftliche Liberalisierung: Wo Horstmann provinziell denkt, da wird Gersemann bisweilen zum Thatcheristen und empfiehlt niedrigere Einkommensteuersätze oder weniger Kündigungsschutz. Als würden nicht schon genug junge Paare aufs Kinderkriegen verzichten oder dieses aufschieben, weil sie zwischen ständig geforderter beruflicher Mobilität und Flexibilität kein Zuhause mehr aufbauen können. Da hätte Gersemann ein wenig Ordoliberalismus gut angestanden.
Olaf Gersemann: Die Deutschland-Blase. Das letzte Hurra einer großen Wirtschaftsnation. DVA, 2014. 320 Seiten, 19,99 Euro.
Ulrich Horstmann: Zurück zur Sozialen Marktwirtschaft! Warum sich Ludwig Erhard im Grabe umdrehen würde. FinanzBuch Verlag, 2014. 256 Seiten, 19, 99 Euro.
Die Schriftstellerin Tanja Dückers lebt in Berlin. Sie ist politisch-sozial engagiert, in der Theorie und praktisch.
Kosten über Kosten – aber der
Bundesfinanzminister sagte:
„Wir können uns das leisten.“
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Zu viel wurde versäumt: Abgesänge und Ausblicke
auf die deutsche Wirtschaft / Von Tanja Dückers
Angela Merkels mantrahaft wiederholtes „Uns geht’s gut“ provoziert eine kritische Überprüfung. Mehrere Autoren haben in diesem Herbst Bücher publiziert, die einen Abgesang auf Deutschland als einer führenden Wirtschaftsnation anstimmen. Darunter auch Olaf Gersemann und Ulrich Horstmann. Die derzeit kursierenden gedämpften Prognosen für die Konjunkturentwicklung haben beide Autoren treffend vorausgesagt.
So sehr sich die ökonomischen Befunde in Bezug auf Deutschlands nahe Zukunft gleichen, so unterschiedlich fallen die Analysen und die Lösungsvorschläge aus. Ulrich Horstmann, Autor einer Reihe von Fachbüchern, präsentiert sich als strammer Ordoliberalist, der Walter Eucken so oft zitiert, dass man sich fragt, ob er vor Erscheinen des Buchs einen profitablen Deal mit dem Jenseits abgeschlossen hat.
Eucken war geistiger Mentor von Ludwig Erhard, der in Horstmanns Buch auch in einem fort aus seiner Grabesruhe gerissen wird. Bei aller Sympathie für die Verve, mit der Horstmann gegen den Aufstieg der Investmentbanken und gegen ihre staatliche Subventionierung wettert, überrascht doch sein ungebrochener Glaube an ein wirtschaftspolitisches Modell, das auf die späten Vierzigerjahre des 20. Jahrhunderts rekurriert.
Der Ordoliberalismus war damals nicht zuletzt als Antwort auf den Nationalsozialismus zu verstehen. Ohne die Unterstützung verschiedener Großunternehmen hätte das Dritte Reich weder wirtschaftlich noch militärisch eine derartige – zerstörerische – Schlagkraft gehabt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sollten Kartellbildungen und Monopolstellungen dauerhaft verhindert werden.
Doch die heutige Zeit ist wirtschaftspolitisch nicht zu vergleichen mit der „Stunde null“. In dieser historisch einmaligen Situation konnte der Staat in einem neu zu strukturierenden Raum lenkend tätig werden. Bürgerlich-idealistische Vorstellungen, wie sie der Ordoliberalismus repräsentiert – man müsse nur die richtigen Gesetze erlassen, dann entfalte sich ihnen gemäß ein fairer, ausgewogener wirtschaftlicher Wettbewerb –, waren verbreitet.
Doch seit den Zeiten Ludwig Erhards hat sich die Welt verändert, Finanzdienstleister erlebten nicht nur aufgrund moralischer Defizite – so klingt es bei Horstmann – einen kometenhaften Aufstieg, sondern auch aufgrund der nachlassenden Bedeutung vormals dominierender Industrien in Bereichen wie Kohle und Stahl. So berechtigt Horstmanns Kritik am Finanzkapitalismus ist, überrascht doch seine große Nostalgie. Sie zeigt sich auch in Verflachungsformeln wie „Der Ehrliche ist der Dumme“ oder dem Vergleich zwischen Finanzdienstleistern und „Hütchenspielern“.
Vor allem aber desavouiert sich Horstmann schon mit seinem ersten Satz: „Deutschland hätte eine ,große Schweiz‘ in Europa bleiben können.“ Für Horstmann ist die EU ein Kernproblem, weil sie die starke ordnende Hand angeblich schwächt. Der Ordoliberalist hat kein Verständnis für die vielen nicht-ökonomischen Gründe, die für die EU und später für die Osterweiterung gesprochen haben. Horstmann gibt den Lesern zwar Tipps, wie sie ihr Geld anlegen sollen, äußert sich über Immobilien- und Edelmetallerwerb, ist aber in der postbipolaren Welt nach dem Mauerfall mit ihren vielen überstaatlichen Akteuren, die er nur blind verdammt, nicht angekommen.
Da wirkt Olaf Gersemann wacher und gegenwartsbezogener. Mit weniger moralischen Wertungen und geringerem Pathos skizziert der Ressortleiter Wirtschaft und Finanzen bei der Welt -Gruppe die sich für Deutschland verdüsternden wirtschaftlichen Rahmendaten: Die deutsche Volkswirtschaft, in der man sich seit Jahren mit Millionen Arbeitslosen arrangiert, ist eine der wachstumsschwächsten der Welt. Besonders düster schildert der Autor die demografische Entwicklung. Fehlender Nachwuchs, Überalterung und Abwanderung von Fachkräften könnten, so Gersemann, schneller als erwartet aus dem einstigen „Hochleistungssportler“ Deutschland einen „Vollinvaliden“ machen.
Sympathisch an Gersemanns Buch ist auch die Warnung vor deutscher Selbstüberschätzung: Skeptisch zitiert er den Stern -Journalisten Hans-Ulrich Tröge, der nach dem Finalsieg bei der WM konstatierte, die Deutschen seien „in der glücklichsten Phase ihrer Geschichte“ angelangt, mit einer Wirtschaft, die „unverwüstlich, wandlungsfähig, weltweit einmalig“ sei. Er zitiert Wolfgang Schäuble, der angesichts der horrenden Kosten des Rentenpakets einfach nur sagte: „Wir können uns das leisten.“ Dem stellt Gersemann gegenüber, dass sich weite Teile der deutschen Industrie im Rückbau-Modus befinden und die Wachstumsimpulse vor allem aus dem Exportgeschäft kommen: Das macht aber sehr abhängig von anderen Akteuren.
Olaf Gersemann gibt auch praktische Lösungsvorschläge für den sich ankündigenden wirtschaftlichen Abstieg. Anders als Horstmann sieht er die EU als unabdingbar an. Statt sich die Schweizer Alpen rund um die deutschen Lande zu wünschen, spricht er sich für mehr Transnationalität aus und plädiert für mehr Immigration: „Alle Akademiker, ob aus der EU oder von außerhalb, bekommen, wenn sie in Deutschland erfolgreich ein Studium absolviert haben, eine unbegrenzte Aufenthalts– und Arbeitserlaubnis.“
Andere Ideen zielen auf eine noch weitere wirtschaftliche Liberalisierung: Wo Horstmann provinziell denkt, da wird Gersemann bisweilen zum Thatcheristen und empfiehlt niedrigere Einkommensteuersätze oder weniger Kündigungsschutz. Als würden nicht schon genug junge Paare aufs Kinderkriegen verzichten oder dieses aufschieben, weil sie zwischen ständig geforderter beruflicher Mobilität und Flexibilität kein Zuhause mehr aufbauen können. Da hätte Gersemann ein wenig Ordoliberalismus gut angestanden.
Olaf Gersemann: Die Deutschland-Blase. Das letzte Hurra einer großen Wirtschaftsnation. DVA, 2014. 320 Seiten, 19,99 Euro.
Ulrich Horstmann: Zurück zur Sozialen Marktwirtschaft! Warum sich Ludwig Erhard im Grabe umdrehen würde. FinanzBuch Verlag, 2014. 256 Seiten, 19, 99 Euro.
Die Schriftstellerin Tanja Dückers lebt in Berlin. Sie ist politisch-sozial engagiert, in der Theorie und praktisch.
Kosten über Kosten – aber der
Bundesfinanzminister sagte:
„Wir können uns das leisten.“
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»Europa braucht dringend Strukturreformen nach dem Muster von Ludwig Erhard in den späten 1940er-Jahren. Solides Geld ist der entscheidende erste Schritt in diese Richtung.« Steve Forbes