Auch wenn man es zuerst vielleicht nicht sogleich merkt: In Combray gärt eine Zeit der Nation, die sich in der apokalyptischen Weltkriegsnacht am Ende eschatologisch erfüllen wird. Es ist daher durchaus von Belang, wenn der kleine Marcel seine erste Madeleine jedes Jahr am Ostersonntag isst, die Eucharistiefeier indes Ellipse bleibt. In Combray, doch nicht nur dort, wird die Eucharistie antisakramental ersetzt, was zu beachtlichen Menüfolgen und anderen Vervielfältigungen führt. Die Zeit der Dritten Republik wäre so besehen heillos. Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, hat die Recherche ihr geheimes Zentrum in Venedig: Es ist das Baptisterium von San Marco, auf das es letztlich hinausläuft. Kann das gut gehen? Und vor allem: Wie kann es sein, dass die Recherche zugleich ein Roman über verlorene Kuchenteller ist, auf denen Motive aus Tausendundeiner Nacht abgebildet sind und die, ja auch sie, nach Venedig führen?
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensent Eberhard Geisler ist skeptisch, ob es noch ein Buch zu Prousts Recherche braucht. Stephan Leopolds Analyse findet er allerdings souverän in der Argumentation. Wenn der Autor nachzuweisen versucht, dass es Proust um die Frage nach dem Ersatz religiöser Gewissheiten durch die Kunst zu tun war, erkennt Geisler, wie gut der Autor vorbereitet ist. Mit Lacan und Rainer Warning erkundet der Autor laut Geisler sexuelle und theologische Konnotationen im Roman und bietet einen originellen Zugang zu Prousts Werk.
© Perlentaucher Medien GmbH
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